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6. Herr Morten von Vogelsang.

Einer Handschrift des 16. Jahrhunderts entnommen. Lebt noch im Volksmund.

Wer ritt durch den Wald? Herr Morten,
Der reiche, ist es gewest,
Da überfiel frühmorgens
Ihn tötliches Gebrest.
– Tot reitet Herr Morten von Vogelsang.

Er schenkte der Kirche das rote Gold,
Er schenkte dem Kloster sein Roß,
Sie legten Herrn Mortens Leiche
In der Erde dunkeln Schoß.

So begruben sie den edlen Herrn
Wohl in der Erde Schoß,
Doch geschah es schon vor Mitternacht,
Daß er wiederum saß zu Roß.

Jung Wolmer war es, der Schütze,
Er ritt in den Rosenhain,
Begegnet' ihm da Herr Morten –
Geheuer mocht's jenem nicht sein.

Da floh jung Wolmer, der Schütze,
Vor ihm über Stock und Stein,
Doch hinter ihm jagte Herr Morten,
Der holte zu gern ihn ein.

Schwarz war da sein Sattel
Und schwarz war da sein Roß,
Und schwarz war die Meute der Hunde,
Die an den Herrn sich schloß.

Schwarz waren auch seine Falken,
Schwarz wie die Meute sein,
Und schwarz des Herren Mannen,
Die ihm folgten durch den Hain.

Das war jung Wolmer, der Schütze,
Er machte ein Kreuz für sich:
»Herr Gott Vater im Himmelreich,
Stell' dich zwischen ihn und mich!«

– »Hör du, jung Wolmer Schütze,
Weshalb bekreuzest du dich?
So lang' ich lebte und leibte,
Wie gern besuchtest du mich!«

»– Das höre du, Herr Morten,
Was reitest du nun bei Nacht?
Nicht länger ist's als seit gestern,
Daß wir dich zur Ruhe gebracht.«

– »Hier reit' ich keinem Urtel
Und Richterspruche nach,
Nein, weil eine Koppel durch Meineid
An Vogelsang ich gebracht.

Ich reite hier nicht wegen Zankes
Oder wie du sonst es magst heißen,
Ich reit' einer kleinen grünen Koppel wegen,
Des Gutes armer Waisen.

Drum bitte die schöne Frau Mette,
Wenn zu ihr du dich begeben,
Sie mög' um meiner Ruhe willen
Zurück die Koppel geben.

Wenn dir die schöne Frau Mette
Nicht glaubt, dann sage du,
Draußen vor meiner Kammerthür,
Da stünden meine Schuh'.

Vor der Thür ihrer Kemenate,
Da stünden meine Schuh':
Und das geschieht vor Mitternacht,
Dann sind sie voller Blut.«

– »Herr Morten, wenn fort Ihr nun reitet,
Finden Ruh' die müden Glieder!
Ich schwör' es beim Christenglauben,
Zurück giebt die Koppel sie wieder!«

Das war jung Wolmer, der Schütze,
Zum Hofe des Herrn er reitet,
Davor steht die schöne Frau Mette,
In Zobel und Pelz gekleidet.

»Ich ritt, das Wild zu jagen,
Hinaus in Wald und Heid',
Begegnete mir Herr Morten
Allda zur selben Zeit.

Er ritt laut keinem Urtel,
Keinem Richterspruche nach,
Nein, weil eine Koppel durch Meineid
An Vogelsang er gebracht.

Er reitet da nicht wegen Zankes
Oder wie es sonst mag heißen,
Nein, wegen einer kleinen Koppel,
Des Gutes armer Waisen.

Und nun soll ich euch bitten,
Seid Ihr ihm treu, Frau Mette,
Zurück zu geben die Koppel,
Daß Ruh' seine Seele hätte.«

Das sprach die schöne Frau Mette,
Die so tugendsam wie hold:
»Ich gebe zurück die Koppel,
Und wäre sie voll von Gold.«

Dank ihr, der schönen Frau Mette,
Sie hielt ihrem Herrn die Treue,
Sie gab zurück der Waisen Gut,
Zu bannen der Seele Reue.

Und das war die schöne Frau Mette,
Daß ich es nicht verhehle:
Der Messen siebzig ließ lesen sie
Für ihres Herrn Morten Seele.

Und das war jung Wolmer, der Schütze,
Er ritt im Waldesgrunde,
Da begegnete ihm Herr Morten
Wohl zu derselben Stunde.

Weiß war da sein Sattel
Und weiß war da sein Roß,
Weiß das Volk der kleinen Racker,
Das an den Herrn sich schloß.

Und weiß waren seine Falken,
Weiß wie die Meute sein,
Weiß alle Herrn Mortens Leute,
Die ihm folgten durch den Hain.
– Tot reitet Herr Morten von Vogelsang.


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