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XI. Die Brüder

1. Es waren Jón und Asbjarn
Ein herrlich Brüderpaar,
Ich wüßte nicht, daß edleres
Je eine Mutter gebar.
Das waren Männer und rühmliche Helden!

2. Ich hör's noch, wie die Kunde
Davon das Thing durchflog,
Als nach Jerusalem Herr Jón
Zum heiligen Grabe zog.

3. Herr Asbjarn gab eine Strecke
Des Wegs ihm das Geleit:
»Fahr' wohl, mein Bruder! ich schirme
Daheim dein Recht allzeit!«

4. Das ist der junge Sigrljotr,
Gar lieblich von Gestalt,
Der freit Jungfräulein Sesselju,
Die Braut Herrn Jóns, alsbald.

5. Und kaum vernimmt's Herr Asbjarn,
Der männlich wackre Held,
Als er mit scharfer Waffe
Im Kampf den Freier fällt.

Das aber war Herr Asbjarn:
Der König ihn fesseln ließ
An Händen und an Füßen
Und in den Kerker ihn stieß.

Herr Jón auf fernem Meere
Aus bösem Traum erwacht:
»Gleich wendet mir die Schiffe,
Hört, Mannen, gebet acht:

Ich hab's im Traume gesehen –
Das Herz bedrückt's mir schwer:
Mein Bruder Asbjarn sehnt sich
Nach unsrer Hilfe sehr.«

Sie rudern wieder heimwärts
Mit unverdrossenem Mut,
So daß unter jeder Locke
Hervor quillt rotes Blut.

Herr Jón betritt als erster
Die heimatliche Erde;
Er sieht einen jungen Hirten
Im Feld bei seiner Herde.

»Herr Jón, seid hoch willkommen!
Vernehmt's, ich künd' euch dies:
Euer Bruder, Herr Asbjarn, schmachtet
Im finstersten Verließ!«

»Für diese Kunde, Knabe,
Zum Dank sollen Lohn dir sein
Mit diesem Gold und Gürtel
Noch der Gehöfte drei.«

Die kühnen Mannen erstiegen
Des Kerkers Mauer und Wall
Und zerschlugen dem Gefangnen
Die schnöden Fesseln all.

Herr Jón darauf gar kecklich
In die Königshalle tritt,
Und unterm Mantel bringt er
Sein Schwert, das treue, mit.

Am Tische steht der Page,
Dem König den Wein er reicht;
Herr Jón schlägt ihn zu Boden,
Daß er im Tod erbleicht.

»Steck' ein dein Schwert, steck' ein dein Schwert,
Herr Jón, Herr Jón, halt' ein!
Dein soll Jungfräulein Sesselju
Und dein auch Grikland sein!«

– »Ich stecke nicht ein die Waffen,
Herr König, auf dein Begehr!
Trotz dir heimführ' ich Sesselju,
Eh' die Sonne sinkt ins Meer!«

Dann trat er auf den Marschall zu,
Der vor dem König stand,
Und hieb auch den zu Boden
Mit dem Schwert in wucht'ger Hand.

»Herr Jón, Herr Jón, das höre,
Laß ab von solcher Art,
Steck' ein dein Schwert und begieb dich
Auf deine Pilgerfahrt!«

»Das laß dich nur nicht kümmern,
Das kümmert mich allein;
Ich werde, wenn ich lebe,
Dort dieses Jahr noch sein!«

Nicht trocknet' er am Schwerte
Das Blut: mit wucht'ger Hand
Erschlug er damit den König,
So wie er ging und stand.
Das waren Männer und rühmliche Helden!


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