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Zur Einführung.

W as wir unter Volksseele verstehen, spiegelt sich in keiner irgendwie gearteten Hervorbringung reiner und unverfälschter ab, als in der aus dem eigentlichen Volke hervorgegangenen Poesie. Jede zarte Regung des Herzens, jede gewaltige Kraft des Geistes findet in der Volkspoesie ihren eigenartigen, oft wunderbar treffenden Ausdruck. Das ärmliche Dorfmädchen, einsam im Walde bei der Hut der ihr anvertrauten Herde, der rauhe Mann des Schwertes, welcher den blutigen Abenteuern wüster Kriegeszüge nachgeht, wie der sturmzerzaus'te Schiffer, der am Kampfe mit den Wogen der Meere seine Freude findet, sprechen besser und mit innigeren Tönen die Empfindungen des Volkes aus, wenn sie ihre Freuden und Leiden in die Form des schlichten Liedes kleiden, als die weisesten und Gelehrtesten es in ihren vier Wänden auszuklügeln und in wohlgesetzten Abhandlungen darzustellen vermögen. Zeugen des sind all die vielen Schätze, die auf dem Gebiete der Volkspoesie seit hundert und mehr Jahren gehoben wurden, bei den nächsten und fernsten, den größten und kleinsten Völkern des Erdballs.

Auch an den nordgermanischen Völkern ist der Spüreifer unsrer Forscher nicht vorüber gegangen, allein dort fand doch manches nicht die verdiente Beachtung, und anderes, was man einheimste, geriet wieder in Vergessenheit.

Die vorliegende kleine Sammlung, welche hiemit in völlig veränderter Gestalt zum zweiten Male ausgeht, erhebt keinerlei Ansprüche; sie will weiter nichts, als – wie schon andere gethan – hinweisen auf die volkstümlichen poetischen Schöpfungen der nordischen Vorzeit, deren Reichtum und Schönheit bei uns lange nicht genug gewürdigt werden, obgleich kein Geringerer als Wilhelm Grimm schon 1811 begeistert auf sie hingewiesen hat. »Ein rauhes Klima«, sagt er, »verweigerte den Nordländern die Lust eines üppigen, leichten Lebens, und die Zeit nicht wie Südliche nach Sommern und Tagen, sondern nach Wintern und Nächten zählend, waren sie einer stillen Betrachtung, dem Nachdenken über die Thaten der Vorzeit und Gegenwart hingegeben. So scheint es aber auch, als ob sie alle Lust und geistige Kraft der Poesie zugewandt, und während es an jenen fast nur musikalischen und mit Farben spielenden Liedern südlicher Völker fehlt, erscheint ein Reichtum an epischen Dichtungen, welcher verwunderungswürdig ist: Dichtungen, welche zu den tiefsinnigsten und gewaltigsten gehören, die je durch die Seele eines Menschen gegangen. Sie haben alle etwas Uranfängliches, Rohes: die Form ist oft ganz vernachlässigt, hart und streng; dagegen aber haben sie noch all die Kraft und die Gewalt eines jugendlichen, unbeschränkten und ungezähmten Lebens, das alles Aeußerliche verschmäht. Aus dem Mutterlande her bewahrten die Skandinavier die Geheimnisse göttlicher Offenbarungen über die Natur der Dinge; ihre ersten Helden waren, noch dort in Asien wohnend, schon Götter geworden und traten auch wieder in den Fabeln einer schön ausgebildeten Mythologie in den Kreis der Menschen herab. Gleicherweise wurden ihnen später Helden zugesellt, die sich von ihnen herleiteten und in dem Bewußtsein göttlicher Abkunft lebten, wie das edle Geschlecht der Wolsungen, in deren Augen noch ein himmlisches Feuer brannte, das Mörder, ja selbst die wilden Tiere schreckte. So besaß der Norden alles, was der Poesie Bedeutung und ergreifendes Leben giebt, und wodurch sie ebensowohl auf den eigenen Boden festgestellt als an die Sterne geknüpft wurde«.

Es ist geradezu erstaunlich, welch eine Fülle namentlich von epischen Volksdichtungen der skandinavische Norden im frühen Mittelalter hervorgebracht hat. Bei jedem dieser Völker und Völkchen zählen sie nach Hunderten, die alten Volksballaden, deren Ursprung sich oft bis weit hinein in die heidnische Vorzeit verfolgen läßt. In mehr oder weniger abweichenden Variationen sind sie allerdings vielfach gemeinsames Eigentum etlicher oder gar aller dieser germanischen Volksgenossenschaften, allein wenn auch: daß sie so liebevoll gehegt und gepflegt wurden, beweist zur Genüge, wie gern die Altvordern sagten und sangen und legt unbestreitbares Zeugnis dafür ab, in wie hohem Grade ihnen die Gabe poetischen Schaffens und poetischer Darstellungskunst eigen war. All diese oft so ergreifenden Balladen sind einst durch ungebildete Laien, die man meist unter dem Strohdach des Landmannes zu suchen hat, gestaltet und oft Jahrhunderte lang von Generation zu Generation zuerst in engeren Kreisen Befreundeter des Erfinders gesungen, dann im Lande herumgetragen und endlich zu stammverwandten Völkern, ja, häufig gar nach fremden Küsten verpflanzt worden.

Die Form der Originaldichtungen vorliegender Uebertragungen ist, wie Grimm bemerkt, meist roh und kunstlos, wollte nun der Uebersetzer sie in glatten, modernen Formen wiedergeben, dann würde das ein Zerrbild liefern, es wäre etwa, als wenn man ein robustes Kind des Dorfes in ein elegantes Ballkleid einschnürte. So kam es darauf an, für den möglichst treu wiedergegebenen Inhalt hier eine entsprechende, derjenigen der Originale angepaßte Form zu finden, und die ist gefunden, indem bei der Uebersetzung Allitteration häufig den Reim vertritt, ja, wie im Urtext hin und wieder sogar auch jene fallen gelassen wird, so daß ein Eindruck erzielt oder wenigstens erstrebt ist, wie unsere eigenen alten Volkslieder ihn hervorbringen. Bei der inneren Verwandtschaft der nordgermanischen Volkspoesie mit der unsrigen war das ein naturgemäßes Vorgehen, welches unzweifelhaft Billigung finden wird.

Ueber den Charakter der nordischen Volkspoesie sagt der berühmte schwedische Dichter E. G. Geijer treffend: »In den alten nordischen Volksdichtungen ist das Verhältnis zu der Natur merkwürdig. Es scheint, der Mensch dürfe hier nicht in ihrem Schoße mit kindlicher Zuversicht und mit Genuß wie am Busen der Mutter ruhen. Deshalb stellt er sich ihr entgegen als Macht gegen Macht, ja richtiger gesprochen, als Geist gegen Geist; denn die ganze Natur, die gegen ihn in stummer Härte auftritt, vergeistigt er und legt ihr Absichten bei, gewissermaßen um mit seinesgleichen kämpfen zu können. Und die Wälder und Ströme, das Meer und die Höhen der Berge und die metallischen Tiefen der Erde hat er mit eigenen Mächten bevölkert, weil sie im Norden mehr als sonst irgendwo sich fühlbar machen. Daher die Zauberkraft, welche durch die nordische Poesie geht, wo sie noch in Odins alten Runen lebt, nichts als ein symbolischer Ausdruck der geistigen Herrschergewalt des Menschen und seines Kampfes mit den Mächten der Natur ist, daher auch das Eigentümliche, daß das nordische Gedicht sich nie bei Naturbeschreibungen aufhält, es wäre denn, daß es die Gewalt beschriebe, welche der Mensch mit einer Art poetischer Allmacht über die Natur ausüben kann.«

Der Kehrreim ist den nordischen Volksballaden keineswegs allein eigen; es giebt keine Nation, die ihn bei volkstümlichen Dichtungen gänzlich entbehrte, doch läßt sich mit vollem Rechte behaupten, daß er nirgends so häufig und nirgends in so abweichenden Formen auftritt, wie bei den Skandinaviern, und man kann dreist annehmen, daß er – wenn er einmal fehlt – verloren gegangen ist. »Um das Entstehen des Kehrreimes zu begreifen, muß man sich erinnern, daß diese nordischen Balladen nicht zum Lesen, sondern zum Singen verfaßt waren, daß sie entweder ganz improvisiert oder aus dem Gedächtnis hervorgerufen wurden und außerdem in so freien Versmaßen gedichtet waren, daß teils dem Sänger eine Pause zum Besinnen, teils den Versen ein Ruhepunkt notwendig war. Nur so konnten letztere sich abrunden und eine Art von Symmetrie gewinnen. Der Kehrreim war daher ursprünglich gewiß ganz individuell.« Er bildet zuweilen eine Art von landschaftlichem Hintergrund, wie in der Ballade Olaf Lilienrose (Nordlandsharfe, S. 317):

Die Flamme loht in der Schlucht –
Das Fahrzeug liegt in der Felsenbucht;

dann giebt er wieder, ähnlich den griechischen Chören, der Stimmung der Singenden oder der Zuhörer Ausdruck, wie hier in »Margrethe«,

S. 43: Gelobt sei Gott, der lös't von allen Leiden!

oder er drückt deren Teilnahme aus, wie in »Marschall Stigs Töchter«,

S. 294: Und sie zogen so weit durch die Welt hin!

oder in »Gunnhild«, S. 21:

Gern möcht' ich von Erden abscheiden!

Seltsame Beispiele von Zerpflückung des Textes durch Wiederholung, das eine Mal mit Beibehaltung des Kehrreimes, bieten die Balladen »Ritter Stig«, S. 17, und die soeben erwähnte »Gunnhild«, S. 21.

In unserer vorliegenden Sammlung ist der Kehrreim häufig fortgelassen, wenn er gar zu nichtssagend war.

Die dänischen wie die färingischen und isländischen Balladen kennen nur eine zwiefache Strophe. Erstens diejenige, die aus zwei langen, reimenden oder allitterierenden Zeilen besteht. – Der Rhythmus ist ganz lose zusammengehalten und bewegt sich mit größter Freiheit, zumal in den älteren Balladen, und man sieht wohl, wie der Gesang darüber hingeschwebt und alles verbunden hat. Allmählich wird sich dies Versmaß immer mehr festgesetzt haben und der Reim zuletzt entstanden sein. Zweitens erscheint die Strophe, die aus zwei kurzen Zeilen von vier bis sechs Accenten besteht, die keine Cäsur haben und beliebig männlich oder weiblich reimen und in mannichfachem daktylischen, trochäischen oder jambischen Rhythmus abwechseln. – Man darf annehmen, daß es nach diesen zwei Strophen auch nur zwei Hauptmelodien gegeben hat. Bei der großen Freiheit jedoch, womit man den Vers zu mehreren Accenten ausdehnen und wieder einziehen konnte, ist es einleuchtend, daß sie nicht wie moderne für eine genau gemessene Silbenzahl eingerichtet und fest bestimmt waren, sondern ebenfalls sich frei erweiternd und das Ganze regierend mannichfaltig genug sein mußten. Gewiß waren diese Melodien langsam und traurig in Molltönen, wie die Volksweisen aller Völker sind.

Die große Insel Island, die in der ersten Abteilung unsrer Sammlung vertreten ist, meist unwirtliche Wüste und Bergland mit Geysirn und Vulkanen, hat selbst jetzt nur etwa 70 000 Bewohner, also eine Bevölkerung, welche derjenigen einer einzigen mittelgroßen Stadt Deutschlands gleichkommt. Die heutigen Isländer sind nach Dr. Heusler, der jüngst die Insel besuchte und, begünstigt durch genaue Kenntnis der Sprache, in engere Beziehung zu der Bevölkerung in ihren verschiedenen Schichten treten konnte, im Gegensatz zu den reckenhaften Färingern ein zierlich gebautes Mischvolk mit wenig ausgebildeten typischen Merkmalen. »Nur die blauen Augen sind gemeinschaftlich. Ihre Gemütsart ist keineswegs, wie früher berichtet wurde, ernst, schweigsam und düster; im Gegenteil: das heutige Völkchen ist lebhaft, spottlustig, zu Scherz und Lachen geneigt und vielfach sanguinischen Temperaments. – Der Zwiegesang, der sich fast ausschließlich in Quinten bewegt, ist wohl monoton, aber es ist nicht richtig, das Volk als unmusikalisch zu bezeichnen.«

Der heutige Isländer ist friedlich und lebt ganz seiner Litteratur, die ihm Gemeingut ist, das alle Schichten durchdringt. Einst, im neunten, zehnten und elften Jahrhundert, in den Zeiten der verheerenden Wikingerzüge, waren auch die Isländer ein streitbares, abenteuersuchendes Volk, und ihre Skalden übten das Kriegeshandwerk so gut wie andere Nordländer an allen Küsten Europas von Gardarike an, den jetzigen Ostseeküsten Rußlands, bis nach Myklagaard (Konstantinopel) hin, wie z. B. der isländische Skalde Kormak (937-967), der nach vielen Kreuz- und Querzügen weit und breit bei Gelegenheit eines Landganges in Schottland ein frühes Ende fand.

Die alten Sagas, Familienromane, wurden im dreizehnten Jahrhundert aufgezeichnet und wie Schätze gehütet, um die langen Winterabende mit Lesen auszufüllen, und wanderten früher, als sie noch selten waren, von Gehöft zu Gehöft, von Gemeinde zu Gemeinde. Im vorigen Jahrhundert hat die dänische Regierung alle derartigen poetischen Denkmäler aufspüren und sich ausliefern lassen, um sie vor dem allmählichen Untergange zu bewahren. Dieser Fürsorge verdanken wir nicht nur die Erhaltung der zahlreichen auf uns gekommenen Sagas, sondern nicht minder einer großen Anzahl kleinerer und größerer epischer Dichtungen. Und von diesen ist hier zunächst immer die Rede, da ihnen gegenüber die eigentliche Skaldenpoesie eine ganz besondere Stellung einnahm. Skaldenpoesie war keine Volks-, sondern vielmehr eine ganz ausgesprochene Kunstpoesie.

Die in dem vorliegenden Buche übertragenen altisländischen Volksballaden sind den » Islenzk fornkvädi«, herausgegeben von Svend Grundtvig und Jón Sigurdsson (1854-85), entnommen, und bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß ein Teil der in der ersten Auflage enthaltenen Gedichte in dieser zweiten fortgelassen ist, weil sie in der inzwischen erschienenen »Nordlandsharfe« (Bremen, Heinsius, 1889) Aufnahme gefunden haben.

Schätzten nun auch die Isländer ihre litterarischen Dokumente aus der fernen Vorzeit Heiligtümern gleich, so geben doch die wenigen Bewohner der Färöer ein noch merkwürdigeres Beispiel rührender Anhänglichkeit an altererbte Poesie. Die Bevölkerung dieser winzigen Inselgruppe, von deren hoch oben im Atlantischen Ocean zwischen Island und Norwegen gelegenen, sturmumbrausten Felseneilanden nur siebenzehn bewohnt sind, beträgt insgesamt etwa zwölftausend Seelen. Die männlichen Einwohner befassen sich fast ausschließlich mit dem Schiffergewerbe und der Fischerei, da die Beschaffenheit des Bodens Ackerbau und Viehzucht so gut wie unmöglich macht oder wenigstens nur in verhältnismäßig geringem Umfange gestattet. Und hier haben durch die Jahrhunderte hindurch, außer einer bedeutenden Anzahl kleinerer balladenartiger Dichtungen, die Sigurdslieder eine Freistatt gefunden, im Munde des Volkes lebend, wie dieses die Heldensage der älteren Edda (eine nordgermanische Form unsrer Nibelungensage) dem Inhalte nach in Tradition bewahrte, aber in eigenartiger Umbildung, in absonderlich naiver Fassung. Dieses Volksepos von 623 Strophen, mit seinen Auslassungen und Ausschmückungen des uralten eddischen Stoffes, wurde dort im Laufe der Jahrhunderte von Jung und Alt bruchstückweise statt der fehlenden Musik zum Tanze gesungen, und zwar auf Hochzeitsfesten, in der Weihnachts-(Jul-)Zeit und bei ähnlichen Veranlassungen.

Die Niederschrift der färingischen Sigurdslieder ist erst zu Anfang dieses Jahrhunderts erfolgt. Es war ums Jahr 1820, als der dänische Pastor H. C. Lyngby während einiger Monate die weltverlorenen Färöer besuchte und diese Gelegenheit benutzte, um die Fetzen jenes Epos und andere uralte Volksdichtungen, die er dem Volksmunde ablauschte, zu Papiere zu bringen und zu ordnen. Nach seiner Heimat zurückgekehrt, ließ er die merkwürdigen Findlinge 1822 zu Randers im Druck erscheinen. Seine Ausgabe strotzte wohl von allerlei Mängeln, allein die gelehrten Herren in Kopenhagen ließen sich's nicht nehmen, in einer korrigierten Ausgabe ( Färöiske Kväder, samlede og besörgede ved V. U. Hammershaimb, udgivne af det nordiske Literatur-Samfund, 2 Bde. Kjöbenhavn 1851-55) diesen Uebelständen abzuhelfen. Dies Werk ist die Quelle der vorliegenden Uebersetzung.

Die erwähnten Tänze der Färinger nach dem Gesange der genannten epischen Volksdichtungen sind eine so eigentümliche Erscheinung, daß es gerechtfertigt sein dürfte, einiges darüber zu berichten. Lyngby erzählt in seinen » Färöiske Kväder«, Randers, 1822, Seite 42:

»Die größte Ergötzung der Färinger ist der Tanz. Alt und Jung nimmt daran Teil. Von Weihnacht bis Fastnacht ist die eigentliche Tanzzeit, aber auch außerdem wird an Festtagen und bei anderen Anlässen getanzt. Dabei braucht man keine Instrumentalmusik, man tanzt nach Gesang. Bald ist der, bald jener Vorsänger, und alle, die singen können, stimmen wenigstens in den Kehrreim mit ein. Der Tanz besteht darin, daß Männer und Weiber sich wechselweis bei den Händen halten und drei taktmäßige Schritte vor- oder seitwärts thun und dann balancieren oder einen Augenblick stille stehn. Wer diese Bewegungen nicht genau beachtet, stört sogleich den ganzen Tanz. Die Aufgabe des Gesanges ist nicht allein diejenige andrer Tanzmusik, die Schritte zu regulieren, sondern auch durch seinen Inhalt gewisse Gefühle zu erwecken. Man kann an dem Benehmen der Tanzenden sehr gut merken, daß sie nicht gleichgiltig dem Gesange zuhören; sie lassen es sich vielmehr angelegen sein, den jedesmaligen Inhalt des Liedes durch Mienen und Geberden auszudrücken. Dies verleiht den Tänzen, ungeachtet ihrer Einförmigkeit, so großes Interesse, daß Alt und Jung in den Reihen bleibt, so lang' es nur irgend angeht.

Bei gewissen feierlichen Gelegenheiten werden bisweilen auch bestimmte Lieder gesungen, so z. B. auf Hochzeiten zuerst das Isaakslied und hierauf das Susannenlied. Beide sind Kirchengesänge und der Tanz dazu ist so decent und feierlich, daß früherhin die älteren Priester im Ornat ihn mitzutanzen pflegten. Darauf werden andere Lieder in unbestimmter Reihenfolge angestimmt, wie sie eben dem Vorsänger einfallen. Alle Lieder sind in der färingischen Mundart, und es giebt ihrer so viele, daß selbst in den größeren Ortschaften nicht leicht dasselbe Lied zweimal in einem Winter gesungen wird. Die meisten dieser Balladen sind von bedeutendem Umfang; dessen ungeachtet wurden sie (bisher) niemals auf den Inseln niedergeschrieben, sondern nur im Gedächtnis aufbewahrt. Natürlich erinnert sich einer nicht aller; in der einen Ortschaft herrschen diese vor, in einer andern jene.«

Ueber das Verhältnis der färingischen Sigurdslieder einerseits zu den Liedern der alten Edda, andrerseits zu dem deutschen Nibelungenliede können an diesem Orte nicht Untersuchungen angestellt werden. Daß sie, ohne niedergeschrieben zu sein, Jahrhunderte lang sich haben erhalten können, erscheint rätselhaft, allein begreiflich ist es, ja natürlich, daß die knappe, wuchtige Form der Eddalieder je länger desto mehr verloren ging und daß Zusätze angefügt und Partien fortgelassen wurden. Besonders eigentümlich ist es, daß der Tod Sigurds nicht nach der Edda, sondern in der Weise des Nibelungenliedes dargestellt ist. Wenn hier die Sigurdslieder bänkelsängerhaft anheben und enden, so ist das auch durchaus erklärlich, denn sie sind ja eben Bänkelsängerlieder und wollen nichts anderes sein und wollen gar nicht das vorstellen, was die würdevollen Eddalieder sind. Trotz alledem dürften doch die färingischen Sigurdslieder einen gewissen Wert beanspruchen und in ihrer Art kaum in anderen Literaturen ein Seitenstück finden.

Für die Erhaltung der alten Volkspoesie gestalteten die Dinge sich weit günstiger in Dänemark, wo man überhaupt von jeher für Kunst und Wissenschaft viel that und selbstverständlich unendlich viel mehr thun konnte als die armen Isländer und Färinger, die allezeit einen harten Kampf ums Dasein auszufechten hatten. In Kopenhagen wurde bereits im Jahre 1591 die erste Sammlung altdänischer Volksdichtungen (100) auf Veranlassung der Königin Sophia (der Mutter Christian IV) von dem Geschichtschreiber Anders Söffrinssön Vedel veranstaltet, der zum Behuf seiner historischen Forschungen die alten, vergessenen Heldenlieder seines Volkes aus vergilbten Manuscripten zusammengetragen hatte. Dieses Buch erweckte so allgemeines Interesse, daß es im Laufe des siebenzehnten Jahrhunderts viermal (1632, 1643, 1664 und 1671) unter dem Titel »Kämpe Viser« – Heldenlieder – gedruckt wurde und als ein echtes Volksbuch angesehen werden konnte. Eine neue Sammlung » Tragica eller gamle danske historiske Elskoffs Viser« – Liebeslieder – Kjöbenhaffn 1657, enthielt dem Titel entsprechend tragische Stoffe, und 1695 erschien die erstgenannte Sammlung Vedels um hundert Dichtungen vermehrt, welche besonders dadurch wertvoll waren, daß der Herausgeber, Peder Syv, sie aus dem Munde des Volkes hatte. – Im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts erschienen in einer neuen Sammlung fernere Aufzeichnungen, und endlich wurde der gesamte Schatz altdänischer Poesie herausgegeben in »Udvalgte danske Viser fra Middelalderen etc., udgivne af Abrahamsen, Nyerup og Rahbeck. Kjöbenhavn 1812-13«, fünf Bände umfassend. Was das vorliegende Büchlein von altdänischen Volksballaden enthält, ist der trefflichen Publication Svend Grundtvigs » Danmarks Folkeviser i Udvalg, Kjöbenhavn 1882« entnommen.

Damit diese zweite Auflage meiner »Altisländischen Volksballaden« u. s. w., in welcher ich gern den ganzen Norden repräsentiert gesehen hätte, einen gewissen Umfang nicht überschreite, habe ich mich auf Proben altisländischer, färingischer und altdänischer Volksdichtungen beschränkt und auf Schweden und Norwegen verzichtet; von dem Reichtum dieser beiden Völker an solchen Kleinodien legt es aber Zeugnis ab, daß E. G. Geijer und A. A. Afzelius 1814-16 die schwedischen in drei Bänden erscheinen ließen, während M. B. Landstad die norwegischen 1853 in einem Bande von fast 900 Seiten herausgab.

Was den Inhalt der hier übersetzten Volksdichtungen betrifft, so stellt sich bei den altisländischen Balladen bald heraus, daß sie meistens fremde Stoffe mehr oder weniger frei behandeln. Die original isländischen Gedichte entrollen mehrfach Kulturbilder ergreifendster Art, wie z. B. »Ebbis Töchter«, Zustände und Vorkommnisse jener wilden, rohen Zeit mit offenbarer Treue schildernd. Die Ballade »Ritter Stig« ist typisch für eine ganze Anzahl von Volkspoesien, in denen der Glaube an die Wunderkraft der Runen zu Worte kommt, der im ganzen Norden einst gang und gäbe war und in anderer Form – man sollte es kaum für möglich halten – sich noch heute bei uns in Deutschland hin und wieder vorfindet. Die seitens der jungen Burschen in Tyrol und Oberbayern geschätzte sogenannte »Jochraute« (übrigens keine Rauten-, sondern eine Beifuß=( Artemisia-) Art) soll die von den »Buab'n« auserwählten »Dearnd'ln«, wenn sie letzteren unbemerkt in die Tasche praktiziert wird, minder spröde machen.

Eine große Rolle spielen in den Volksballaden der Nordländer die sogenannten Elementargeister: Elfen, Waldfrauen, Meerweiber, harfende Nöcke, Bergmännlein u. s. w. Mit dem Namen Troll bezeichnete man bald gnomenhafte Wesen (s. Eline von Wildenwald), bald reckenhafte Ungetüme (s. Svend Feldings Pilgerfahrt); so war auch der Glaube an Verzauberungen und Verwandlungen verschiedenster Art allgemein (Germann, Rapp und Rab der braune). Das dichtende Volk liebt Hyperbeln, und diese kommen auch hier wiederholt vor (Regin der Schmied, S. 108; Svend Feldings Pilgerfahrt, S. 23 und 32), so daß die Wirkung ungewollt fast eine komische wird.

 

Die dänischen Volksballaden vor allen sind sowohl inhaltlich als der Form und Ausdrucksweise nach möglichst genau wiedergegeben, um ihren Charakter thunlichst treu hervortreten zu lassen; sie sollen – das war wenigstens beabsichtigt – in der Uebersetzung einigermaßen denselben Effekt hervorbringen, wie in der höchst originellen altertümlichen Fassung der Urtexte.

An dieser Stelle mögen folgende kurze Andeutungen über die Aussprache einiger Lautzeichen in den nordischen Idiomen ihren Platz finden.

Den weichen Laut unsers W bezeichnen die Nordländer durch ein V; d nach einem Konsonanten gilt als eine Verdoppelung desselben – der Name »Svend« wird demnach »Swenn« ausgesprochen. Ebenso hört man das H vor einem Konsonanten nicht: »Vallarhlid« ist »Wallarlied« zu sprechen. Auch ist d nach einem Vokal kaum hörbar und nur etwa wie ein schwaches englisches Th vernehmbar. Der Laut des doppelten A (aa) liegt zwischen dem deutschen A und O und findet sich z. B. in dem englischen Worte fall.

War bei dieser kleinen Auswahl überhaupt Beschränkung geboten, so konnte namentlich von den so bedeutenden historischen Volksballaden der Dänen nur eine verhältnismäßig bescheidene Anzahl gebracht werden.

Wenn aber die vorliegende Sammlung ihrem Umfange nach auch nur gering ist, bietet sie doch zweifelsohne einen frischen Trunk echter, kräftiger Poesie dar und dürfte ihr Wiedererscheinen eben darin seine Berechtigung finden.


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