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III. Sage und Geschichte.

14. Herr Karl und die kleine Krähe.

Diese Volksballade, im sechzehnten Jahrhundert aufgezeichnet, enthält in eigentümlicher Fassung die Sage von Aslaug, der Tochter Sigurds des Drachentöters und der Brinhilde. S. die Erläuterungen.

Herr Karl sitzt an dem breiten Tisch,
Zu den Mannen spricht er, den seinen:
»Ihr sollt mir schaffen die holdeste Maid,
So die Sonne je thät bescheinen!«

Auf standen die Dänenhelden da,
Dem Herrn entgegnend vereint:
»Wo sollen wir finden die holdeste
Der Maide, so die Sonne bescheint?«

– »Sucht sie in allen Landen!
Sucht sie in allen Reichen!
Ein Jungfräulein sollt Ihr schaffen mir,
Das wert, zu sein mein'sgleichen!«

Die Dänenhelden, fort ritten sie da
Nach allen Landen und Reichen,
Doch mochten keine Maid sie finden,
Die wert zu sein seinesgleichen.

Als heimwärts ritten die Dänenherrn
Wohl über Feld und Wiese,
Sah'n da eine schöne Maid sie hüten
Die Ziegen der Bauern für diese.

»Heil, allerschönstes Jungfräulein
In Wald und Feld und Haid'!
Sprecht, welchem Adel entstammt Ihr,
Da so wunderschön Ihr doch seid?«

– »Der Hirte, der ist mein Vater,
Er hütet die Herden für Sold;
Mich heißt man die kleine Krähe,
Wenn Ihr es denn wissen wollt.

Der Hirte, der ist mein Vater,
Er hütet in Moor und Bruch,
Mich heißt man die kleine Krähe,
Der Nam' ist mir leid genug.«

Allganz zerrissen war ihr Gewand,
Das in Fetzen sie umgab;
Ihr Haar aber war wie gesponnen Gold,
Das in Wellen floß herab.

Und ihr Hals war weiß wie Hermelin,
Ihre Wangen rosenrot;
Es wundert' die dänischen Hofherrn all',
Daß sie in solcher Not.

Heim ritten die Dänenhelden alsdann,
Dem Herrn es anzuzeigen:
»Eine Maid nicht mochten wir finden,
Die wert zu werden dein'sgleichen.

Versprecht Ihr uns aber, adliger Herr,
Daß Ihr nicht werdet uns feind,
Dann zeigen wir euch die holdeste Maid
Von allen, so die Sonne bescheint.«

– »Und hat sie auch Burg und Veste nicht,
Und ist sie auch nicht reich:
Ist sie nur wacker und tugendsam,
Dann mach' ich sie mir gleich.«

– »Wir ritten dahin, wir ritten daher
Durch Feld und Wald und Wiese,
Fanden ein Mägdlein so schön da hüten
Die Ziegen der Bauern für diese.

Der Hirte, der ist ihr Vater,
Er hütet in Moor und Bruch;
Sie heißt man die kleine Krähe,
Der Nam' ist ihr leid genug.

Zerrissen allganz war ihr Gewand,
Das in Fetzen sie umgab;
Ihr Haar aber war wie gesponnen Gold
Und floß in Wellen herab.

Und ihr Hals war weiß wie Hermelin,
Ihre Wangen rosenrot;
Es wundert' uns dänische Hofherrn all',
Daß sie in solcher Not.«

– »Dann kleidet sie mir in Seiden
Und setzt sie auf den Zelter weiß,
Und führet sie her nach Axelborg
Und lasset mich sehen die Maid!«

Hin ritten da die Dänenherrn,
Wo sie Feld und Wiese sah'n liegen,
Und ritten zur kleinen Krähe hin,
Die dort ging hüten die Ziegen.

Sie kleideten sie in Seiden
Und setzten sie auf den Zelter weiß;
Das will für wahr ich melden,
Sie war die schönste Maid.

Sie führten sie dann nach Axelborg,
In Scharlach gekleidet fein,
Geleiteten sie in den Königssaal
Zum jungen Herrn Karl hinein.

Das war die schöne Jungfrau,
Zur Thür hinein sie trat,
Und das war Karl, der junge Herr,
Der näher zu kommen sie bat.

Und das war Karl, der junge Herr,
Er zeigt' auf das Kissen, das blaue:
»O kommt doch und setzt euch her zu mir,
Ihr allerschönste Jungfraue!

Und nun, allerschönstes Jungfräulein,
Insgeheim Ihr vertrauen mir sollt:
Von welchem Adel entstammt Ihr denn,
Da Ihr so wunderhold?«

– »König Sigurd hieß mein Vater,
In den Schlangenturm man ihn warf,
Frau Brinhilde hieß meine Mutter,
Ich selber heiß' Adelraad.

Ich war noch gar so winzig klein,
So klein, so kleines Kind,
Da schlugen meinen Vater die Bauern tot
Und warfen den Schlangen ihn hin.

Meine Mutter war außer Landes geführt –
Ob sie tot? Weiß nicht ihr Los;
Ich bin bei den Bauern gewesen
Und diese zogen mich groß.«

So sprach da Karl, der junge Herr,
Und streichelt' ihr die Wängelein:
»Nicht mehr sollt Ihr klagen und zagen,
Ihr, die Allergeliebteste mein.

Wenn's Gott der Vater im Himmel will –
So geb' ich euch das Versprechen –
Dann will ich, eh ein Monat um,
Euch an den Bauern rächen.«

– »Wollt Ihr an den Bauern mich rächen,
Nicht leid ist's mir, wenn Ihr's thut;
Doch schonet mir des Bauern Weib,
Das war mir allezeit gut.

Wollt Ihr an den Bauern mich rächen,
Die den Vater mir brachten ums Leben –
Mir recht, doch schonet des Bauern Weib,
Das mir Kleider und Speise gegeben!«

Das war die Jungfrau Adelraad,
Sie reichte Herrn Karl die Hand,
Und die Hochzeit ward gehalten,
Eh' der Monatstag kam ins Land.

Und das war Herr Karl, der junge,
Er nahm in den Arm sie derweil':
»Das Gute, das wir beschaffen,
Gereich' es uns beiden zum Heil!«


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