Gustav Wied
Aus jungen Tagen
Gustav Wied

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Es war noch ganz dunkel in der Zelle, als er von einem fernen klirrenden Laut und von dumpfem, weichem Dröhnen geweckt wurde, das sich anhörte, als käme es von weit her.

Er fuhr auf seiner Ruhebank in die Höhe und starrte und lauschte, was war das? Wo war er? ... A–ach, ach, er war im Gefängnis! ... Die Läuterei draußen, das war der Gefängniswärter mit seinem Schlüsselbund. Nun ging er wohl von Zelle zu Zelle und weckte die schlummernden Missetäter zu den trübseligen Gedanken des Tages ... War es denn schon sieben? ... Das war doch eine famose ruhige Nacht gewesen! Nein, es ist wahr, sie war ja nicht ruhig gewesen! ... In der ersten Hälfte der Nacht war draußen einer auf Filzschuhen herumgeschlichen; alle Viertelstunde war er angeschlichen gekommen, lautlos und vorsichtig; aber was, zum Teufel, nützte das, wenn er jedesmal dabei gehustet hatte wie ein erkälteter Büffel! Es hatte in der Galerie geschallt, und von allen Mauern war das Echo gekommen ... Ach, daß es nicht einmal in einem Zellengefängnis Nachtruhe gab! ... Das Grab war wohl der einzige Ort, wo eine Menschenseele Frieden fand! ... Wenn man kein Gespenst wurde! ...

Warberg sank wieder unter die Pferdedecke und schloß die Augen. Aber das Klirren des Schlüsselbundes und das Gedröhne der Türen erklang näher und näher, daß von einem letzten Nickerchen gar keine Rede sein konnte ...

Nun steckte der Gefängniswärter den Schlüssel in die Tür und trat ein. Er ging zur Gasflamme und steckte sie an: »Guten Morgen«, sagte er dann mit seiner tiefen brummenden Stimme, die aus der Tiefe eines Brunnens zu kommen schien, »wie haben Sie heute nacht geschlafen, Herr Warberg?«

»Danke, gut ... nein, es ist wahr: faul: Was für ein Paar haben Sie denn da in der Hand?«

»Aber das sind ja Ihre?«

»Soo – oo, ja ... ja! Nee, ich habe wirklich sehr schlecht geschlafen, lieber Hansen!«

»Soo–oo?« sagte der Gefängniswärter und sah betrübt aus.

»Ja, wahrhaftig! Denn hier ist die ganze Nacht ein alter Büffel herumgeschlichen und hat geniest und gehustet und gespuckt! ... Jedesmal, wenn ich gerade einschlafen wollte, stellte er sich vor die Tür und bekam einen Anfall.«

»Lieber Gott«, sagte Hansen, »das ist die Nachtwache, der alte Mittelsen! Er ist ja so sehr brustkrank; aber nun fehlen nur noch zwei Monate daran, daß er voll pensionsberechtigt ist, und da will er sehen, ob er sie noch aushält.«

»Er stirbt unbedingt vorher«, sagte Warberg entschieden.

»Ja – a ...«

»Wie lange ist er hier gewesen?«

»Dann ist er fünfzehn Jahre hier gewesen.«

»Wie hat er das nur aushalten können?«

»Ja, Sie haben gut reden, Herr Warberg, man muß sich doch mit etwas sein Brot verdienen.«

Dies wurde in einem so unendlich betrübten Ton gesagt, daß Gunnar unwillkürlich zu dem Manne aufblickte, der dort unter der Gasflamme stand, still und gedankenvoll, den Kopf auf die Brust gesenkt und mit starr vor sich hinblickenden Augen. Aber plötzlich richtete er sich auf, warf einen scheuen Blick auf Warberg und verließ die Zelle ohne ein Wort zu sagten.

Gunnar stand auf und zog sich an. Und er bürstete sich die Zähne und Nägel und machte sich fein wie gewöhnlich. Aber einen Spiegel hatte er nicht.

Als er mit seiner Toilette fertig war, begann er in dem Raum auf und ab zu wandern, die Hände tief in den Taschen seines Überrockes vergraben und den Kragen um die Ohren in die Höhe geschlagen, denn ihn fror.

Bald darauf wurde die Tür wieder geöffnet und Hansen streckte die Hand hinein und gab ihm einen Kanten Schwarzbrot.

»Bitte«, sagte er in einem harten und kalten Ton, ganz anders als gewöhnlich. »Und wollen Sie dann Ihren Krug herbringen.«

Gunnar nahm seinen Wasserkrug und ging zur Tür. Dort stand Hansen und noch eine andere Person. Diese mit einem großen Blecheimer, wie man ihn sonst zu Spülicht oder Schmutzwasser gebraucht.

»Den Krug herhalten!« gebot der Gefängniswärter. Gunnar gehorchte, und der andere goß ihm den Krug voll Warmbier.

Dann wurde die Tür wieder geschlossen.

Warberg setzte sich auf den Bettrand mit dem Bierkrug in der einen und dem Schwarzbrot in der andern Hand und begann seinen Morgenimbiß einzunehmen. Das schmeckte ein wenig seltsam, wäre wenigstens noch etwas Zucker darin, dachte er, dann wäre es so ähnlich gewesen wie die Biersüppchen in meiner Kindheit.

 


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