Gustav Wied
Aus jungen Tagen
Gustav Wied

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Es war abends so zwischen fünf und sechs in der Östergade. Der Lichtschein aus den Läden legte sich breit über die Straßen, wo das Menschengewirr vorwärts wimmelte und sich drängte und stieß wie Fische in einem Aquarium.

Warberg kam aus der Köbmagergade, den Stock unter dem Arm und den Rockkragen um die Ohren hochgeschlagen. Er wollte hinaus und die Tiere in Freiheit dressiert sehen. Das war seine beste Stunde, wenn das Gas angezündet wurde und die Dunkelheit wie eine große schwarze wollene Decke über Straßen und Häusern hing ... und alle Fischlein mit ihren Flossen spielten. Er betrachtete die Roggenfische, die behende und zierlich im Aquarium umherstrichen und sich einbildeten, daß sie draußen im großen freien Meere seien, wo man sich mit dem paart, für den das Fischherzchen im Augenblick am heftigsten hämmert. Und er betrachtete die Mischfische, die Männlein, die langsam auf- und absegelten und nach den Appetitlichsten von den Kleinen Umschau hielten. Da waren große fette Großhändlerfische mit Gold auf dem Bauche und gewürzten Speiseresten zwischen den Zähnen; sie drängten sich in ihrer ganzen Breite durch wie Rotzungen und Flundern und patschten mit Flossen und Schwänzen weit umher. Und da waren kleine magere Studentenfische, spitznäsig und neugierig, eben aus der Brutanstalt gekommen. Und Kommisfische mit geputzten und blanken Schuppen. Und Journalistenfische, die umherschwirrten und nach Neuigkeiten fragten. Und Schriftstellerfische, mit Dichtertang im Gehirn und Tiefsinn in den Augen ... Aber sie alle lauerten doch nur auf eines: sich einen Roggenfisch für die Nacht zu kapern! »Bist du's, Gunnar! Ich wollte gerade zu dir hinauf!« Linse stand vor Warberg, atemlos und eifrig. An ihren Fingern baumelten allerhand Paketchen. »Was willst du?«

»Ach, bitte, du mußt heute abend zu mir kommen! Frau Kröyer kommt und dann noch ... und noch jemand anders!«

»Was für einer?«

»Jemand, der dir Spaß machen wird ... Er ist Jockei gewesen!«

»Was ist er gewesen?«

»Ja, jetzt ist er Sänger, aber er ist Jockei gewesen. Ich spiele mit ihm. Er hat ziemlich sichere Aussichten auf ein Debut in der Königlichen. Oh, er ist so merkwürdig; er spricht kein Wort. Aber er singt großartig.«

»5o ... Und was hat er für Beine?«

Binse überhörte Gunnars Frage oder tat wenigstens so, und sagte: »Du kommst also ... ja?«

»Ich kenne ja keinen von ihnen ...«

»Was tut das! Frau Kröyer ist famos, so nett und amüsant! Ihr Mann ist auf der Reise, er ist Handelsreisender, und sie lebt vollständig en garçon

»Du hast ja erzählt, daß sie zwei Kinder hat!«

»Ja – a, aber die versieht das Mädchen.«

»Ich mag wirklich nicht, Binse!«

»Ach doch, ja? Es kommt denen zu Hause auch so merkwürdig vor, daß du mich nie mehr besuchst! Komm nun, ja ... um meinetwillen!«

»Na, ja, ja!«

»Du bist süß«, sagte Binse und kniff ihn in den Arm. »Ich könnte dir ganz gern einen Kuß geben! ... Oh, Gunnar, wenn du nur ein wenig gut gegen mich sein wolltest! Ich bedarf gerade jetzt eines guten Freundes, mit dem ich sprechen ... Nein, nein, ich schweige schon still! Dann kommst du also?«

»Ja.«

»Um acht Uhr. Ihr müßt zu Hause essen. Bei mir bekommt ihr nur Konfekt und Wein. Das ist so nach französischer Art, weißt du.«

»Geh' jetzt, Binse!«

»Du kommst also?«

»Ja, in drei Teufels Namen! ... Aber geh' jetzt, ich kann dich nicht hier haben!«

»Gehst du und schaust nach Mädels um?« fragte sie mit einem häßlichen Lachen.

»Ja. Ich will sehen, daß ich eine neue ... eine neue Jockeireiterin finde.«

 


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