Gustav Wied
Aus jungen Tagen
Gustav Wied

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Es regnete ganz unvernünftig.

Das Wasser fiel platschend und spritzend auf Straßen und Märkte hinab, als ob es unablässig aus einer großen Tonne gegossen würde. Alle Dachrinnen liefen über und bildeten sich ein, Sturzbäder zu sein, und alle Rinnsteinbretter bekamen Freiheitsgelüste und schwippsten fröhlich von Bürgersteig zu Bürgersteig davon. Und ringsum in Torwegen und Haustüren hatten sich Menschen zusammengeschart, die standen und verblüfft auf diese Mauer von Wasser starrten.

Auch Warberg hatte Schutz gesucht. In einem Torwege auf dem Höibroplatz. Er war oben gewesen und hatte sein Fünfzigpfennigdiner an seinem »Mittagstisch« in der Pilestraede eingenommen und wollte sich von dort zum »Schweizer« hinaufbegeben, wo Vetter Benjamin mit ihm ein Stelldichein verabredet hatte; aber da begann das Wasser, mit Respekt zu melden, aus den Wolken herunter zu pladdern.

Es hatten sich eine Menge Menschen im Torweg unten zusammengestopft.

»Das ist der dollste Regen, den ich solange wie ich lebe observiert habe!« sagte ein alter Maurer mit einer tief in den Nacken geschobenen kalkbespritzten Kindermütze.

»Naa – a, weißt du, Markussen«, erwiderte ein kleiner Mann, der neben ihm stand »im November achtundsechzig hatten mir mal einen hier, der hatte sich, weiß Gott, auch gewaschen!«

»Soo – o?«

»Ja, denn wir wohnten draußen im Keller in der Borgergade vierundvierzig, verstehste, hörste, da wo jetzt Madame Engelsen ihre Kneipe hat; un wir wachten, hol mich der Deuwel, mitten in der Nacht dadurch uff, daß die Kissen unter uns anfingen naß zu werden!«

»Das konnte ja ooch am Ende sozusagen uff andere Umstände beruhen, Jakob Sörensen«, bemerkte Markussen trocken.

Ein junges Mädchen im Hintergrunde des Torweges begann zu kichern, und Jakob Sörensen sagte entrüstet:

»Man sollte wirklich nicht einen gebildeten Menschen in dich vermuten, Markussen; denn du kannst dir nie zügeln, wenn Damens dabei sind.«

Markussen brummte, antwortete aber nicht.

»Gott, und wo ich's doch so eilig habe!« rief plötzlich eine ältere fette Frau, die in der Nähe von Gunnar stand und transpirierte und wütend aussah.

»Kann ich nich die Ehre haben, Madamchen nach Hause zu fahren?« fragte ein Droschkenkutscher und lüftete die Mütze.

»Wieviel nehmen Sie?«

»Kommt darauf an, wo die Gnädige wohnen.«

»Petersens Passage Nummer vierzehn.«

»Eine Krone.«

»Beutelschneiderei, un – nee, Danke!« sagte die Dame und wandte den Kopf ab.

»Vielleicht ist die Madame gewohnt, gratis ohne Bezahlung zu fahren?« fragte Markussen, den das Fett der Frau vermutlich ärgerte.

»Stecken Sie Ihre Nase in Ihre eigenen Sachen«, sagte die Frau spitz.

Plötzlich gerieten die vordersten Reihen nach der Straße zu in Bewegung. Ein Herr wollte sich durchbohren, um ins Trockene zu kommen, was man nicht erlauben wollte, da er einen klatschnassen Regenschirm aufgespannt hatte.

»Sie müssen mich hineinlassen«, bat er. »Das ist nun die dritte Haustür!«

»Erst den Regenschirm zu«, gebot eine Stimme.

»Ja, ja, gleich! Aber lassen Sie mich doch erst ins Trockene! Ich werde ja sonst pudelnaß!«

Kaum hatte der Mann sich unter die Wölbung des Torweges hineingepreßt und seinen Schirm zugemacht, als der Regen aufhörte, eben so unmotiviert wie er angefangen hatte.

»Nu is es knochentrocken«, sagte Markussen. »Jetzt gehen wir, Sörensen, ehe der Alte da oben wieder'n Katarrh kriegt!«

»Die Krone wäre gespart«, nickte die fette Dame mit einem Seitenblick auf den Droschkenkutscher.

Gunnar hatte schon ein ganzes Stück der Straße hinter sich. Das Wasser strömte noch in den Rinnsteinen, und er mußte zwischen den in den Höhlungen der Trottoirfliesen wie große blanke Seen stehenden Pfützen herumhüpfen und springen. Aber die Flammen der Laternen und die Lichter der Ladenfenster spiegelten sich munter in den nassen Steinen, die Droschken rollten flott davon, und die Menschen plauderten und lachten und kreischten, wenn sie in eine Wasserpfütze traten oder von den Rädern eines vorüberrollenden Wagens bespritzt wurden. Es war eine gewisse Festivitas über das ganze Straßenleben gekommen, jetzt da der Regen aufgehört hatte und man den engen Türen und Torwegen entschlüpft war.

Oben im »Schweizer« war es warm und gemütlich wie immer. Die Gäste saßen rings in den Ecken unter den leuchtenden Gaskuppeln und lasen tiefsinnig ihre Zeitungen. Ein paar Journalisten vom »Kopenhagener« saßen im vordersten Lokal und spielten Domino. Gunnar nickte ihnen zu und ging ins Hinterzimmer, um zu sehen, ob der Vetter schon da wäre. Nein, noch nicht. Es saßen nur zwei Herren drinnen, ein dicker und ein dünner. Sie saßen und sprachen ganz laut, als wären sie in einem Privatkontor. Gunnar wurde geradezu gezwungen, ihr Gespräch zu belauschen, wenn er auf seinem »Sofa« drinnen sitzen wollte – und das wollte er:

»Der Kuckuck mag wissen, wo er das Geld herkriegt!« sagte der Dicke. Er hatte rotblonde »Whiskers«, tief ausgeschnittene Weste und eine breite goldene Uhrlette.

»Tscha – a«, sagte der Dünne und sah tiefsinnig aus. Er glich einem »abgeschabten« Bürovorsteher aus einem Ministerium oder einem fallierten Großhändler, der jetzt als Agent arbeitete.

»Tscha, das kann man ja nicht so leicht wissen.«

»Denn er wird es doch nicht etwa stehlen!« platzte der Dicke heraus.

»Stehlen?«

»Ja, so was hat man schon erlebt! Und irgendwo muß er es doch hernehmen!«

»Ja – a ...«

»Wie groß ist sein Gehalt, meinen Sie?«

»Oh, so an die dreitausend Kronen ...«

»Kann man dafür Pferd und Wagen halten?«

»Ja – a –«

»Und die Villa?«

»Er tut es doch!«

»Und seine Mittage! ... Ich kann es, bei Gott, nicht mit ihm aufnehmen; und ich habe doch gegen sechs ...«

»Sie verkehren dort im Hause, Herr Schleiermacher?«

»Lieber, Sie gehören zu meinem nächsten Verkehr! ... Kennen Sie die Frau?«

»Nein ... ja, das heißt von Ansehen ...«

»Allerliebst! ... Und die Töchter! ... Tut mir leid um die Familie?«

»Soo – oo?«

»Ja, denn das muß doch mal zum Klappen kommen, mein lieber Krohn! Es muß ja mal zum Klappen kommen! ... Hier vor ein paar Jahren war so 'ne faule Geschichte gelegentlich einer Kassenrevision bei ihm, aber er kam ja noch mit einem blauen Auge davon ... Ich zog mich natürlich gleich zurück, sowie ich davon hörte ... Man kann doch bei Gott nicht mit all und jedem verkehren!«

»So, Sie verkehren nicht mehr dort im Hause?«

»Doch, doch! Die Sache verlief sich ja im Sande! ... Und dann war es doch schade um die Familie!«

»Ja.«

»Na, aber, was ich sagen wollte! Dreitausend Kronen! Was sind dreitausend Kronen!«

»Nee«, sagte der Dünne und seufzte sehnsüchtig. »Aber hat er keine Nebeneinnahmen?«

»Keine Spur! ... Keine Spur! ... Und Frau und drei Töchter! Und flott angezogen gehen sie allesamt! ... Und jetzt, Donnerstag, schicken wir zu ihnen, ob sie nicht Lust haben, abends bei uns ein einfaches Butterbrot zu essen. – Da müssen sie ins Theater! Alle fünf! Erstes Parkett natürlich! Mindestens fünfzehn Kronen! Und das Restaurant hinterher!«

»Na ja«, meinte der Dünne und schob die Brust heraus.

»Und das ist keine Ausnahme«, fuhr der Dicke eifrig fort. »Das ist keineswegs eine Ausnahme, mein guter Krohn! Alle Augenblicke sind sie im Theater! ... Was, meinen Sie nicht, kostet das?«

»Ja – a, natürlich ... eins kommt zum andern ...«

»Na aber, Sie sollen sehen, das kommt zum Klappen! ... Und an der Familie ist eigentlich auch nicht viel dran! Klatschhaft! Und die Töchter – sehr leicht! Aber sie ist ja auch von ziemlich einfacher Herkunft. Der Vater war wohl Portier! ... Und seine Familie! Na ja, sie mag ja sehr respektabel sein, gewiß! Aber wissen Sie: ein Lehrer in einer Kleinstadt ... was?«

»Nee ...«

»Es ist nun merkwürdig mit diesen Leuten, die so von unten kommen, die meinen Geld und Geld, das ist alles! ... Und es ist doch eigentlich rein Nebensache!«

»Ja – a ...«

»Jetzt sind wir morgen dort zu Mittag geladen. Ich bin sicher, sie fahren sechs, sieben Gerichte vor! Wozu ist das, wenn man nachweisbar nicht die Mittel hat? ... Na, mich geht's natürlich nichts an! Aber ich meine, es ist Sünde wegen der Familie! ... Kommen Sie ein bißchen mit auf die Straße? Es ist schon spät!«

»Ja«, sagte der Dünne, »mit Vergnügen!«

Und dann gingen sie.

Bald darauf kam Vetter Benjamin, steckte atemlos den Kopf zwischen die Portieren und sah sich um:

»Ach, verzeih, Gunnar ... aber das Regenwetter ... ich konnte nicht ausgehen ... meine Sachen ...«

Warberg blickte ihn aufmerksam an und stutzte, denn Mette hatte eine funkelnagelneue Jacke, Weste und Hose an. Und einen reinen Kragen und reine Manschetten hatte er auch. Nur die Schuhe waren die alten vom Turm zu Pisa: ebenso schief und ebenso unvergänglich!

»Das ist ja großartig, wie fein du bist, Mette!«

»Ja«, sagte Mette und sah stolz an sich herunter.

»Wo hast du denn all den Staat herbekommen?«

»Frau Hartmann hat mich zu einem Schneider mitgenommen ... Ach, sie ist so gut, Frau Hartmann, ich liebe sie!«

»Ja, sie muß famos sein! ... Na, setz dich! ... Was wolltest du mit mir besprechen?«

»Wünschen die Herren etwas?«

Es war der Wirt, Herr Federschlag, der auf einem Bein stand und in der Tür zum Büfettzimmer Schwimmübungen machte.

»Nein, danke, vorläufig nicht ... Oder möchtest du etwas, Benjamin? Vielleicht eine Bayrische?«

»Ja, danke, wenn ...«

»Wollen Sie uns eine Bayrische bringen, Herr Federschlag ...«

»Mit Vergnügen ...«

»Na, was hast du nun auf dem Herzen?« fragte Warberg wieder.

»Ja, siehst du, Gunnar, ich möchte dich um einen großen Dienst bitten.«

»Na, wenn er nur nicht allzu groß ist ...«

»Nee«, lächelte Mette nervös. »Aber ... aber könntest du nicht ... Nun habe ich ja diese Sachen hier bekommen und sehe ganz fein aus, da meinte ich ... da würde es doch für mich so gut sein, wenn ich in eine nette Stellung hineinkönnte ... und du hast ja solch großen Einfluß bei allen Blättern ...«

»So – o?«

»Ja, Gunnar, den hast du, denn was du schreibst, ist ja das Allerbeste! ... Und da meinte ich, ob du nicht glaubtest, daß du mir eine Anstellung bei einer Zeitung verschaffen könntest!«

»Eine Stellung? Als was, wenn ich fragen darf?«

»Ja, sieh mal, das weiß ich selbst nicht so recht ... Hör mal: ich hatte ja eine Annonce in die Berlingsche einrücken lassen wegen einer Stellung als Journalist!«

»Hm ... Hast du darauf Antwort bekommen?«

»Ja – a«, sagte Mette verlegen. »Ich bekam freilich ein Billett ...«

»So?«

»Es gibt so viel schlechte Menschen, Gunnar ...« »Oh ja ...«

»Ja, das ist wahr«, sagte Benjamin eifrig. »Sieh bloß das Billett.«

Er zog ein Stück gelbes Konzertpapier aus der Tasche und reichte es Warberg.

»Lies!«

Und Gunnar las:

Mein Herr!!!

Sie können sehr wohl bei mir Beschäftigung als Journalist finden, aber Sie müssen wirklich vorher ein paar Jahre Unterricht in dänischer Rechtschreibung nehmen, denn in Ihrer Annonce heißt es »an einer unserer Hauptstadts- oder Provinzzeitungen«, der Bindestrich hinter »Hauptstadts« zeigt die Verbindung mit »Zeitungen« an, also steht da »an einer unserer Hauptstadtszeitungen!« hahaha, ist das Dänisch? Wie? Wissen Sie, was das ist? Das ist mallebarisch! Ich reflexiere nicht auf Ihre Kenntnisse des Englischen, Französischen, Deutschen, Russischen, Lateinischen und Chinesischen.

Ergebenst X.

Gunnar mußte lächeln.

»Ist das nicht schlecht?« fragte Benjamin betrübt.

»Nein, das ist dumm, mein Junge!«

»Und er kann ja auch nicht Dänisch«, fuhr Mette fort. »Es heißt doch reflektieren.«

»Es heißt reflektieren, ja! Aber was hattest du denn in dieser Annonce geschrieben?«

»Ich hatte geschrieben, daß ich gern eine Stellung als Journalist an einer Zeitung haben möchte, und daß ich Deutsch, Schwedisch und Russisch könne.«

»Ja, aber, das kannst du doch nicht, lieber Mette!«

»Oo – oo, ich kann doch wohl mehr als die meisten hierzulande«, sagte Mette verletzt.

Warberg antwortete nicht. Aber wie schon so oft erfüllte ihn ein bitteres und erdrückendes Mitleid mit diesem großen unmöglichen Kinde an seiner Seite, von frühester Kindheit an hatte man ihn verwildern lassen und vernachlässigt. Niemand hatte sich seiner angenommen, niemand ihn geleitet. Die Mutter fürchtete seine Geburt, und den Vater hatte er nie gekannt. Und als die Mutter sich dann verheiratete, wurde der Knabe bei fremden Leuten untergebracht, und nie hatte er ein freundliches Wort gehört, und nie hatte wohl eine liebevolle Hand ihm die schweren salzigen Kindertränen aus den Augen gewischt ... »Puh, man sitzt schließlich hier und wird sentimental wie eine Stiftsdame!«

»Was sagst du, Gunnar?«

Warberg richtete sich auf und blinzelte, bis die Augen wieder ihren richtigen Blick hatten.

»Was ich sage? ... ich frage, ob du dich auf die Verse besinnen kannst, die ich dir schickte, als du in Rußland warst?«

»Du hast mir niemals Verse geschickt, Gunnar.«

»So, nicht? Ja, dann habe ich sie einem andern geschickt. Er hatte Liebeskummer! Hör' zu!

Lieber Freund, greife frisch zum Pokale,
Was, zum Teufel, bist du so bange?
Oh, bedenk' doch, es dauert nicht lange,
Bis der Sensenmann bläst das Finale
Und löscht aus diesen Blick,
Diesen strahlenden Blick,
Der bezaubert dich so viele Male!

Wie sollt' sie dir anders erscheinen
Als reizend, die kleine Lisette,
Mit der Haut, der blendenden reinen,
Und den Füßen so nett und adrette,
Und der Taille so dünn!
Ach ja, unser Ruin
Sind die Satansmädel, die kleinen!

Selig warst du, als sie im Getümmel
Jenes Tages die Hand dir zart drückte.
Als 'nen andern sie gleich drauf beglückte,
Fielst du wieder, pardauz, aus dem Himmel.
Doch sie schäkerte froh.
Glaub' mir, alle sind so,
Jede einz'ge im holden Gewimmel!

Rauch ist all unser Streben und Träumen,
Deshalb laß die Zigarre nur glühen,
Um so lange es geht dran zu ziehen.
Denk', wie bald kann das Leben verschäumen!
Und dann ist es zu spät.
Du bist spurlos verweht,
Wie des Lenzwindes Spiel in den Bäumen!

... Na! Nicht wahr, Alter, so ist's recht! Wollen wir ein paar Butterbrote essen? Du ißt doch wohl ein paar Butterbrote mit? He, Lauritz! ... Ach, es ist wahr, er ist ja nicht mehr hier! Siehst du, da wollte ich auch helfen! Es war gut gemeint, aber es wurde nichts daraus! ... Herr Ober, wir möchten sechs Belegte und zwei Glas Tee! ... Gläser, aber ohne Zitrone! Das Leben ist so schon sauer genug! ... Vielleicht trinkst du lieber Bier, Mette?«

»Ich danke.«

»He ... Herr Ober, der eine Tee soll ein Bier sein!«

»Ich möchte nun auch gerne Bier haben, Gunnar!«

»Gut! ... Herr Ober! ... Noch mal! Beide Tee sollen Tee sein, und dann noch ein Bier! ... Siehst du, so war man damals gelaunt!« schloß Warberg seine Suada und schlug dem Vetter auf die Schulter. »Da waren die Stämme noch heil, alter Holzhacker! ... Aber nun die Sache hier mit der Journalistik, liebes Mettchen«, fuhr er in einem ernsteren Tone fort, »das hat ja nichts auf sich, davon verstehst du nichts, und ich nebenbei gesagt auch nichts! Es ist also das beste, wir lassen den Gedanken fahren! Zerreiße den dummen Brief, dann ist die Geschichte vergessen! ... Aber warum in aller Welt strebst du nicht mit ganzer Kraft danach, dir eine Stellung in dem Fach zu schaffen, in dem du ausgebildet bist! Ich habe es dir wohl schon früher einmal gesagt, und ich mache dir durchaus keine Vorwürfe, jeder muß es ja schließlich einrichten wie es ihm paßt. Aber ich kann's nicht begreifen, daß du hier in der Stadt herumgehen und dir die Absätze schief laufen magst, du, der du warm und gemütlich auf dem Lande in einem kleinen Forsthause sitzen könntest mit weißen getünchten Mauern und Stockrosen und Sonnenblumen, die bis zum Strohdach hinaufreichen! Denk' dir, abends aus dem Walde heimzukommen, die Büchse und das Hirschgeweih in deinem Kontor zu hängen, wo das Feuer im Kamin flackert und auf dem Teppich spielt, und »Diana« legt sich lang hin, um sich von der Wärme durchbacken zu lassen, alle viere von sich gestreckt. Und dann wechselst du deinen Rock; den, den du anziehen willst, hat deine Frau zum Wärmen an einen Nagel in der Ofenecke aufgehängt, und du ziehst dir den warmen Rock an und setzest dich in den Schaukelstuhl mit der Lampe auf dem Tisch neben dir, während du an einer gutgestopften Meerschaumpfeife mit silbernen Beschlägen dampfst, die du am letzten Weihnachtsabend vom Baron erhalten hast! Und du liest deine Zeitung und rauchst und reckst dich und bist im siebenten Himmel! Und dann kommt deine kleine Frau und sagt, daß der Tisch gedeckt sei. Und du legst deinen Arm um ihre Taille und gehst hinein und ißt ein paar weiche Eier und eine kleine Hasenkeule vom Mittag, oder am Ende ein paar Schnepfen. Und dann nimmst du wieder deine Pfeife, und die Frau bereitet dir einen Grog, und du liest ihr aus meinem eben erschienenen Roman vor ... Oder, es ist wahr, du kannst ja singen und spielen, da müßt ihr natürlich ein Klavier haben, und deine Frau singt und spielt am Ende auch. Dann kann der Abend ja sehr angenehm verstreichen. Und wenn es dann auf zehn geht, dann steht ihr auf, küßt euch und sagt: Dank für heut' abend; und dann geht ihr zu Bett und schlaft und träumt liebliche Träume, während der Wind draußen in den großen dunklen Wäldern rings ums Haus seine stillen Orgelmelodien saust und brummt ... wie?«

Vetter Benjamin hatte dagesessen und andächtig auf Warbergs Gemälde gelauscht; und als dieser endlich aufhörte, blickte er ihn mit tränenverschleierten Augen an und sagte:

»Oh, Gunnar! Ach, wenn man es so haben könnte!«

»Das könntest du wohl«, sagte Warberg voller Überzeugung, »wenn du bloß wolltest!«

»Ich will morgen eine Annonce in die Zeitung einrücken lassen, Gunnar!«

»Ja, das tue ...« nickte Warberg müde.

»Und dann sollst du kommen und uns besuchen ... für den ganzen Sommer! Da wirst du doch in Ruhe sitzen und dichten können!«

»Wo meinst du, würde das Fremdenzimmer am besten liegen? Meinst du oben im Giebel mit der Aussicht auf den Garten?«

»Ja, oben im Giebel ist es gewiß am besten ...«

»Ja, denn da muß es am ruhigsten sein, Gunnar! ... nach dem Hofe zu ist ja immer so viel Lärm ...«

»Bitte, iß, Mette ...«

»Danke«, sagte Benjamin und blickte verwundert zu Warberg empor. Aber er nahm doch ein Stück mit Lachs. »So ein feines Essen habe ich schon lange nicht bekommen«, sagte er.

»Willst du noch einen Schnaps haben?«

»Nein, danke.«

»Ja, trinken wir einen Schnaps.«

»Ja–a, danke ...«

»Ach, Herr Ober, zwei Schnäpse!«

Sie aßen schweigend, und als sie fertig waren, erhob sich Gunnar.

»Willst du gehen?« fragte Benjamin.

»Ja, ich habe jemand versprochen, um neun Uhr bei ihm zu sein ... Aber du kannst ja hierbleiben. Hier ist es so gemütlich ... Du kannst ja sitzen und an die Annonce denken, die du morgen schreiben willst ... Und daran, wie du das Forsthaus da oben auf dem Mo.. drüben in Fühnen oder Jütland, wo es nun sein mag, einrichten willst ...

Willst du nicht einen Grog haben? Dabei denkt sich's so schön ...«

»Ja, danke ... Ach, ich sitze abends so gern in so einem Café.«

»Was soll es für ein Grog sein?«

»Danke, am liebsten ein Rotweingrog.«

»He, Herr Ober! ... Wollen Sie dem Herrn einen Rotweingrog bringen ... und dann ein paar Zigaretten ... russische!«

Mette lächelte unter Tränen:

»Wenn alle Menschen so gut wären wie du, Gunnar!«

»Ja, dann wäre die Welt schön heraus! ... Na adieu, alter Waldmensch, und laß dir's gut gehen!«

»Adieu, Gunnar, und Dank für heute abend!«

»Hab' selbst Dank!«

Man tut was man kann, dachte Warberg, als er draußen in dem vordersten Lokal stand und sich seinen Überrock anzog. Nun ist er wenigstens für heute nacht getröstet! Aber ach, aber ach! Morgen ist wieder ein Tag! Na, aber, wir sollen ja auf Erden ausharren!

 


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