Gustav Wied
Aus jungen Tagen
Gustav Wied

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Dies war der erste punische Krieg, der von Donnerstag, den 3. Mai, bis zum Freitag, den 25. desselben Monats und Jahres dauerte.

Status quo ante bellum!

Dann kam nach einem Jahre der zweite. Er begann eines Tages, als sie miteinander draußen im Pavillon auf der Langenlinie saßen und die Schiffe im Hafen betrachteten. Dicht vor dem Quarantänegebäude mit der grünen Flagge lag ein Schoner vor Anker und stampfte auf und ab im Takt der Wogen.

Da wendet sich Binse plötzlich zu Warberg, deutet auf das wiegende Schiff und spricht einen Vergleich aus, der ihn veranlaßt, seine Hand zu erheben, um ihr ins Gesicht zu schlagen. Aber er ließ die Hand sinken, erhob sich still von seinem Platz und ging fort, ohne sie anzusehen und ohne ein Wort zu sprechen. Aber er schauderte wie in Gespensterfurcht über den Einblick, den er in die geheimen Wege ihrer Gedanken erhalten hatte. Und als er nach Hause kam, schrieb er ihr, nun wäre es unwiderruflich aus zwischen ihnen!

Dies geschah am 15. September. Und schon Anfang Oktober erzählte ihm eine wohlwollende Seele, daß sie heimlich verlobt wäre mit einem Lehrer.

Gunnar kannte ihn von Ansehen und lächelte.

Denn auch der Lehrer war zehn, zwölf Jahre jünger als Binse.

Da kam der 25. Oktober.

Warberg war im Theater. Er saß auf einer der letzten Bänke des zweiten Parketts.

Da kam Binse hinein.

Die Augenlider schamhaft über die prachtvollen Augen gesenkt, glitt sie keusch und still an ihren Platz, der sich ein paar Reihen vor dem Gunnars befand.

Und der Lehrer folgte ihr, glücklich und entzückt.

Warberg beobachtete sie. Er sah den Lehrer den Mund zu ihrem Ohre neigen und ihr verliebte Phrasen zuflüstern. Und sie erhob ihre schüchternen Augenlider und sandte dem geliebten Magister einen strahlenden Blick.

Und Gunnar hätte beinahe vor Lachen heulen mögen.

Aber plötzlich schoß ihm der Gedanke durchs Hirn: Du könntest sie trotzdem zurückgewinnen, wenn du wolltest! Könntest sie noch heute abend mit dir nach Hause nehmen – zum Klavier und zu der Chaiselongue.

Dann saß er ein wenig und blinzelte mit den Augen; wir wollen's auf die Probe ankommen lassen, nickte er dann. – Und es wird ja geradezu eine Wohltat gegen den armen Lehrer sein!

Während eines Zwischenaktes ging er dann auf das Paar zu und begrüßte es.

»Es ist lange her, seit ich das Vergnügen hatte, Herr Warberg«, sagte Binse ruhig. Aber er bemerkte doch ein schwaches bebendes Zusammenziehen ihrer Pupillen.

»Herr Lehrer Larsen! – Herr Gunnar Warberg«, stellte sie vor.

Der Lehrer war ein schlanker, gutgewachsener junger Mann mit einem milden Gesicht und stillem, höchst einnehmenden Wesen – ein erwachsenes Kind. So ein rechter Leckerbissen für eine Fernanda.

Sie wanderten plaudernd unter dem Publikum auf und ab, und Binses weiße Zähne lachten, und in ihren Augen leuchtete der Triumph.

Man mußte wohl auch zugeben, daß sie die Siegende war – im Augenblick.

Als der Zwischenakt zu Ende war und die Leute wieder zu ihren Plätzen zurückströmten, schritten die drei Freunde die Treppen zum Parkett hinab. Und in einem Moment, als der Lehrer ein paar Stufen vor den anderen vorausging, ergriff Gunnar Binses Arm, beugte sich zu ihr und flüsterte:

»Ich muß dich sprechen.«

Binse lächelte und drückte seine Hand, die noch auf ihrem Arm lag, weich und zärtlich an ihr Korsett.

»Ich wußte es!« sagte sie. Und ihre Augen versprachen ihm alles, was er begehrte.

Unten am Eingang zum Parkett stand der Lehrer und wartete. Furcht und Sorge war in seinen Augen zu lesen, und sein Gesicht war bleich.

»Gehen Sie nur hinein«, sagte Binse befehlend. »Ich komme gleich.«

Und er wandte sich still und gehorsam um und verschwand hinter der Tür.

»Ja, wir gehen wohl?« fragte sie dann Warberg.

Er nickte.

Und an diesem Abend streckte der Hanswurst in Gunnars Seele zum zweiten Male seine Galgenphysiognomie hervor und blinzelte den Liebenden seinen Segen zu ...

Am nächsten Tage schrieb Binse Warberg einen Brief, eine »Rechtfertigung«, wie sie es nannte, und der wirklich Eindruck auf ihn machte. Er empfand eine Art Mitleid mit ihr, und eine Zeitlang ging es sehr gemütlich und nett zwischen ihnen zu.

Aber da faßte Binse wieder Mut und glaubte sich nun so fest im Sattel, daß sie von Ehe zu reden wagte ... »bloß heimliche Ehe«.

Oh, das könnte doch so schrecklich lustig sein, als Mann und Frau herumzugehen, während keiner eine Ahnung davon hätte.

»Nicht wahr, Gunnar, was ...?«

Aber Gunnar schüttelte den Kopf. Ihm schauderte bei dem bloßen Gedanken, sie volle vierundzwanzig Stunden um sich zu haben.

Da vertraute sie ihm eines Tages an, daß sie schwanger wäre. Und sie weinte. Große klare Tränen weinte sie – und schrie, daß sie Schmach und Schande über ihre alte Mutter bringen würde.

Und Warberg fing schon an, ihr zu glauben.

Ihr Äußeres schien ihm ihre Worte zu bestätigen. Und er ließ sich mit ihr in Gespräche über heimliche Trauung und Standesamt ein.

Aber da entdeckte er eines schönen Abends, daß sie sich ausstopfte. Und da nahm er seinen Stock und jagte sie die Treppe hinab.

 


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