Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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39

Muriel Irvine war weder ungehalten noch überrascht, als ihr am nächsten Morgen in dem vornehmen Hotel, in dem er sie in der Nacht nach der Flucht aus Skidemore-Castle untergebracht hatte, Hubbard gemeldet wurde.

Nur befremdete sie lediglich die frühe Stunde seines Besuches, und als sie in sein ernstes Gesicht sah, wußte sie sofort, daß er keine guten Nachrichten brachte.

»Mrs. Irvine«, begann er etwas stockend, indem er ihrem ängstlich fragenden Blick auswich, »es ist etwas Furchtbares geschehen. Aber Sie müssen darüber hinwegkommen, wie Sie es ja eigentlich schon einmal getan haben.«

Es währte ziemlich lange, bevor sie die entsetzte Frage hervorbrachte.

»Richard . . .?«

Hubbard senkte leicht den Kopf.

»Er ist verunglückt. Diesmal wirklich. Und Corner mit ihm.«

Sie strich sich mehrmals hastig über die Stirn, als ob sie aus einem Traum erwache, und wollte dann mit seltsam gefaßter Ruhe alles wissen.

»Mehr vermag ich Ihnen leider nicht zu sagen«, meinte er bedauernd. »Ich habe von der Sache nur durch Zufall erfahren, weil auf der Polizeiwache, wo ich die letzte Nacht verbracht habe, davon gesprochen wurde. Übrigens sucht Sie Scotland Yard bereits, und deshalb bin ich eigentlich gekommen. Da Sie nirgends aufzufinden waren, hat man die Vorladung beim Portier des Warenhauses hinterlassen. Sie lautet auf 11 Uhr, und Sie werden wohl dann alle Einzelheiten hören.«

Plötzlich richtete sie eine Frage an ihn, die er nie erwartet hätte und die ihn sichtlich in Verlegenheit setzte.

»Weshalb haben Sie die letzte Nacht auf der Polizeiwache verbracht?«

Er verkniff die Lippen zu einem etwas zynischen Lächeln und zuckte mit den Achseln.

»Sie müssen es ja sowieso erfahren, Mrs. Irvine. – Ich habe gestern abend wieder einmal ein kleines Mißgeschick gehabt. Man hat einen Spielklub ausgehoben, und die Polizei interessiert sich nun für mich, da ich bei ihr nicht besonders gut angeschrieben bin. Wahrscheinlich werde ich nun abermals gewisse Schwierigkeiten haben, die meine Zeit sehr in Anspruch nehmen dürften, und deshalb muß ich Sie bitten, mich aus Ihren Diensten zu entlassen. Womöglich sofort, denn es wäre mir peinlich, eines Tages aus dem Geschäft abgeholt zu werden.«

Die Mitteilung schien keinen besonderen Eindruck auf sie gemacht zu haben, und nur ihre Augen, zwischen denen eine leichte Falte stand, hatten einen eigenartigen Ausdruck.

»Das ist allerdings schlimm für Sie«, sagte sie endlich, und Hubbard wunderte sich über den gleichgültigen Ton ihrer Stimme.

»Und ich bedaure aufrichtig, daß ich Sie verlieren soll. – Wann, glauben Sie, wird man über Sie verfügen?« schloß sie schonend.

»Ich glaube, man wird mich gleich dortbehalten«, meinte er hastig. »Ich bin zur selben Stunde wie Sie nach Scotland Yard geladen.«

»Dann können Sie mich hinbringen!«


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