Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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20

Es war auch kein sonderlich freundlicher Empfang, der Hubbard zuteil wurde, als er mit der geschäftlichen Angelegenheit von Hawker & Sons und einigen anderen ähnlichen Kleinigkeiten zu Summerfield kam.

Die hagere Gestalt des Anwalts pflanzte sich vor ihm auf.

»Gehen Sie woanders hin, junger Mann«, sagte er sehr bestimmt. »Solche Sachen mache ich nicht.«

Hubbard wollte Einwände erheben, aber Summerfield ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Erzählen Sie mir nichts. Wenn einer in Ihrem Aufzug und noch dazu mit einem Scherben im Auge zu mir kommt, weiß ich schon im voraus, worum es sich handelt. Sie haben sich wohl aus Vergeßlichkeit einige Male verlobt oder verheiratet, ha? Oder Sie haben einige Schecks ausgestellt, die nicht ganz in Ordnung waren?«

»Nein«, erwiderte der Sekretär etwas betroffen, »ich habe von Mrs. Irvine den Auftrag erhalten, Sie aufzusuchen.«

Der Anwalt richtete sich mit einem jähen Ruck zu seiner vollen Höhe auf und machte mit dem rechten Arm eine weitausholende Geste nach seinem Büro.

»Seien Sie mir willkommen, mein Herr, und treten Sie ein. Es ist mir eine besondere Ehre, einen Vertreter von Mrs. Muriel Irvine in meinen bescheidenen Räumen empfangen zu dürfen.«

Das Privatkontor von Mr. Summerfield sah aus, als bestehe es ausschließlich aus Papierstößen. Die Wände bildeten dicht geschichtete Papierstöße, der Fußboden bestand aus Papierstößen, der Schreibtisch war umkleidet und bedeckt von Papierstößen und sogar auf den Fensterbrettern lagen bis zur halben Höhe Papierstöße.

»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte der alte Herr mit ausgesuchter Höflichkeit und deutete auf einen Papierstoß zur Rechten seines Schreibtisches. »Womit kann ich Mrs. Irvine dienen? Handelt es sich um einen Versicherungsprozeß?«

Hubbard legte ihm die einzelnen Fälle kurz dar, und der Anwalt hörte mit wichtiger Miene zu.

»Kleinigkeiten, mein lieber Herr«, sagte er leichthin und machte eine knappe Geste, als ob diese bereits erledigt seien. »Und ganz klar. Um da zu gewinnen, bedarf es keines juristischen Scharfsinns. – Aber der Prozeß, das ist etwas anderes«, fügte er gewichtig hinzu, indem er die Augen rollte und geräuschvoll mit den Fingern schnippte. »Da heißt es Findigkeit, Logik und Dialektik entwickeln. Das ist mein Fall.« Er rieb sich mit einem selbstbewußten Schmunzeln die Hände, so daß die Röllchen wie Kastagnetten klapperten.

»Kennen Sie Mrs. Irvine schon lange?« fragte der Sekretär.

»Lange?« Summerfield dachte einige Augenblicke gewissenhaft nach. »Wie man es nimmt«, meinte er dann philosophisch. »Auch dieser Begriff ist, wie alles, relativ. Ich habe die Ehre, Mrs. Muriel Irvine zu kennen, seitdem sie hier in Fulham das Kaufhaus ›Bazar Parisien‹ eröffnete. Das dürfte wohl ungefähr drei Jahre her sein. Es liegt in dieser Straße, nur etwas weiter oben. Ich pflegte dort meinen bescheidenen Bedarf einzukaufen, und Mrs. Irvine ließ es sich nicht nehmen, mich immer persönlich zu bedienen. Eine entzückende Dame und eine überaus tüchtige Geschäftsfrau«, konstatierte er mit Sachkenntnis.

»Kannten Sie auch ihren Gatten?«

»Mr. Irvine pflegte nur selten das Geschäft aufzusuchen«, erwiderte er ausweichend, und seine Miene verriet, daß die Persönlichkeit des Gatten ihn weit weniger redselig stimmte als die der Frau.

»Ich habe davon gehört«, sagte Hubbard. »Er soll leidend gewesen sein.«

»Ja. Wenn es sich darum handelte zu arbeiten«, knurrte der Anwalt. »Sind Sie Menschenkenner? Verstehen Sie etwas von Physiognomien? Das ist eine Wissenschaft, mein Herr. Ich habe es darin bereits zu einer gewissen Vollkommenheit gebracht. Wenn ich mir den Schädel eines Menschen ansehe, weiß ich meistens, woran ich bin.« Er fuhr mit der Hand mitten in einen der hohen Papierstöße und zerrte mit sicherem Griff ein Aktenbündel hervor. »Causa Irvine«, sagte er, indem er die Mappe auf den Schreibtisch warf, von dem sofort eine dicke Staubwolke aufwirbelte. Dann begann er hastig in dem umfangreichen Bündel zu blättern und hielt seinem Besucher plötzlich eine Fotografie dicht vor die Augen.

»Mr. Irvine. – Sehen Sie sich das Gesicht an, und Sie werden alles wissen und verstehen.«

Hubbard griff lebhaft zu und schien an dem Bild außerordentliches Interesse zu haben.

Es stellte einen schlanken, etwa dreißigjährigen Mann mit hübschen, aber etwas verlebten und verträumten Zügen dar, und das Gesicht wirkte trotz seiner Regelmäßigkeit nicht gerade sympathisch.

»Haben Sie das Bild seinerzeit in den Zeitungen veröffentlicht?«

»Jawohl. Außerdem habe ich auch Scotland Yard eine der Fotografien für die polizeilichen Nachforschungen zur Verfügung gestellt.«

»Wissen Sie das bestimmt?« fragte der Sekretär lebhaft und hob überrascht den Kopf.

»Wie sollte ich es nicht wissen? Ich war ja persönlich dort, um das Bild abzugeben. Zimmer Nummer 29, erster Stock rechts.«

»Ich darf Sie wohl nicht weiter stören, denn Ihre Zeit ist kostbar«, sagte Hubbard verbindlich, indem er das Bild gedankenlos in seine Tasche gleiten ließ, und Mr. Summerfield ließ es sich nicht nehmen, den Vertreter von Mrs. Irvine bis zum Ausgang zu geleiten.


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