Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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24

Hubbard war froh, als er eine Gelegenheit fand, die Geschäftsräume aufzusuchen, denn wenn Miss Babberly ihm auch auf dem Fuße folgte, so konnte sie sich dort doch nicht so anhänglich gebärden wie im Kontor.

Hubbard kam eben an einer Abteilung vorüber, in der billige Kleinigkeiten zu haben waren, als er plötzlich interessiert stehenblieb.

Neben ihm stand ein einzelner Kunde, der nicht gerade vielversprechend aussah, aber die ältliche, verdrießliche Verkäuferin schon seit geraumer Zeit in Anspruch nahm.

»Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen«, sagte diese gerade ungeduldig, indem sie eine neue von den vielen bereits aufgestapelten Schachteln geräuschvoll zuklappte, »so etwas finde ich nicht. Nehmen Sie sich doch eine von den anderen Sachen, die ich Ihnen gezeigt habe. Sie werden gewiß auch gefallen und sind doch wirklich sehr billig.«

Der Kunde war aber hartnäckig und ließ sich nicht so leicht überreden.

»Das alles kann ich nicht gebrauchen«, sagte er in einem schauderhaften Slang, indem er entschieden den Kopf mit dem sonntäglich gestriegelten, blonden Scheitel schüttelte. »Ich muß eine Spinne haben.«

»Was wünscht der Herr?« fragte Hubbard leichthin, indem er sich an die Verkäuferin wandte.

Diese hob hilflos die Schultern.

»Ausgerechnet eine Spinne«, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln. »Aus Glas.«

»Jawohl«, bemerkte der Bursche zustimmend, »aus weißem Glas. Und die Beine müssen aus Silber sein.«

»So etwas haben wir nicht«, beeilte sich die Verkäuferin den Sekretär aufzuklären. »Ich habe bereits sämtliche Kartons durchgesehen.«

»Warum muß es denn gerade eine solche Spinne sein?« wandte sich Hubbard direkt an den Mann, der den Eindruck eines etwas einfältigen Burschen machte.

»Das ist meine Sache«, fertigte ihn dieser kurz und mürrisch ab.

»Natürlich«, gab Hubbard zurück. »Aber wenn Sie es mir sagen würden, könnte ich Ihnen vielleicht das Gewünschte beschaffen.«

Er griff lässig in die Westentasche und ließ plötzlich vor den überraschten Augen des Burschen und des Ladenfräuleins zwischen den Fingern eine weiße Spinne mit silbernen Beinen im Lampenlicht spielen.

»Wahrhaftig, das ist so ein Ding«, stieß der Kunde hastig hervor. – »Was soll das kosten?«

»Nicht einen Penny, wenn Sie mir sagen, wozu Sie sie brauchen. Kommen Sie mit mir.«

Der junge Bursche stampfte breitbeinig hinter ihm drein, aber in seinem verschlagenen Gesicht lag Mißtrauen. Als sie in einem kleinen Raum angelangt waren, der als Magazin diente, machte der Sekretär halt und nahm sich den Mann vor.

»Nun reden Sie frei von der Leber weg. Wozu brauchen Sie das Ding?«

»Ich möchte keine Ungelegenheiten haben«, meinte der Mann verstockt. »Geben Sie mir die Spinne, und ich bezahle. Ich will's mich etwas kosten lassen, damit Jessie endlich Ruhe hat«, fügte er mißmutig hinzu.

»Wer ist Jessie?«

»Meine Braut«, entfuhr es dem robusten Jüngling selbstbewußt.

»Also, Jessie soll ihre Ruhe und Sie sollen einen halben Sovereign haben, wenn Sie mit der Sprache herausrücken«, erklärte Hubbard und legte die Spinne und das Geldstück vor sich auf den Tisch.

Die Augen des Mannes begannen zu funkeln, denn er sah nicht nur die langgesuchte Spinne in greifbarer Nähe, sondern auch einen mächtigen Batzen Geld, wie er ihn kaum in einer Woche harter Arbeit verdiente.

»Es ist eigentlich eine dumme Geschichte, Sir«, meinte er ängstlich, »und sie wird Ihnen das Geld nicht wert sein.«

»Je dümmer, desto besser«, beruhigte ihn der andere. »Ich höre gerne dumme Geschichten.«

»Der Herr von Jessie hat so eine Spinne verloren, und seitdem hat das Mädel vor ihm keine Ruhe mehr. Er hat schon einige Male alle ihre Sachen durchsucht, und sooft er sie trifft, schaut er sie so an, daß sie Angst hat, er könnte ihr etwas antun. Dabei hat sie das Ding nicht einmal genommen, sondern es beim Aufräumen auf einem Teppich gefunden und vorläufig auf ein Tischchen gelegt. Dann hat sie zuerst das Ding vergessen, als sie sich aber erinnerte, war die Spinne verschwunden. Und weil der Herr solche Geschichten gemacht hat, traute sie sich nicht einmal, etwas davon zu sagen. – Jetzt wird sie die Spinne irgendwo hinwerfen, wo er sie finden muß«, meinte er befriedigt, »und dann wird er wohl Ruhe geben.«

Hubbard schob dem Mann wortlos die Spinne und das Geldstück zu, und der seltsame Kunde beeilte sich, seinen kostbaren Besitz in Sicherheit zu bringen.

»Wer ist der Herr?« wollte der Sekretär noch so ganz nebenbei wissen.

»Da fragen Sie mich zuviel«, meinte der Mann. »Ich habe ihn noch mit keinem Auge gesehen und weiß nicht einmal, wie er heißt. Aber er scheint ein verdammtes Ekel zu sein. Er peinigt das ganze Haus bis aufs Blut, und Jessie darf nicht einmal einen Schritt vors Tor machen. Wenn ich nicht über die Mauer in den Garten könnte, würde ich sie überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.«

»Was ist das für ein Haus?« erkundigte sich Hubbard.

»Ein schauderhafter Kasten, in dem ich nicht begraben sein möchte.«

»Wo?«

»Hinter Holloway. Auf dem Weg nach Highgate. Links sind Gärtnereien, wo ich beschäftigt bin, und rechts geht's nach Skidemore-Castle. Aber reden Sie nicht darüber, Sir«, bat er plötzlich wieder ängstlich.

»Dasselbe möchte ich Ihnen raten«, schärfte ihm Hubbard ein. »Wenn Sie vierzehn Tage kein Wort darüber verlieren, daß Sie mir diese dumme Geschichte erzählt haben, können Sie sich einen zweiten halben Sovereign holen.«

Der Mann trollte sich höchst zufrieden davon.

Als der Sekretär ins Kontor zurückkehrte, fand er dort Mrs. Irvine über den Lagerbüchern vor. Sie hatte sich einige Aufzeichnungen gemacht, die sie ihm, ohne den Blick zu heben, hinreichte.

»Es wäre mir lieb, wenn Sie diese Sachen noch heute besorgen würden«, sagte sie kurz. »Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, und Sie brauchen nicht mehr ins Geschäft zurückzukehren.«

Es war wieder der alte geschäftsmäßige Ton, in dem sie mit ihm sprach, und als sie geendet hatte, schien der Sekretär für sie überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein.

Hubbard kam der Auftrag sehr gelegen, und da Constancia noch in den Verkaufsräumen weilte, beeilte er sich, so rasch wie möglich das Kaufhaus zu verlassen.

Kaum war er um die nächste Straßenecke gebogen, als Gibbs mit der unvermeidlichen Pfeife im Mund aus einem der Haustore trat und direkt mit dem eilig daherschießenden Meals zusammenstieß.

»Was machen Sie hier?« fragte der freundliche Sergeant den Kollegen sichtlich etwas überrascht und unangenehm berührt. »Dasselbe wie Sie«, gab der »Zauberlehrling« lakonisch zurück.

»Sind Sie auch hinter dem her?« forschte Meals interessiert und blinzelte nach der Ecke, hinter der Hubbard verschwunden war.

»Natürlich, wie der Teufel«, brummte Gibbs.

»Glauben Sie«, tuschelte der andere vertraulich und schickte sich bereits wieder an weiterzustürmen, »daß wir da auf etwas kommen werden?«

»Auf etwas ganz Kapitales«, versicherte Gibbs geheimnisvoll. »Darauf können Sie Gift nehmen.«


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