Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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11

Mrs. Irvine las mit kritischer Genauigkeit die Korrespondenz durch, die ihr der Sekretär zur Unterschrift vorgelegt hatte, und war bemüht, irgend etwas zu finden, woran sie etwas auszusetzen hatte. Der Angestellte mit der anscheinend unerschöpflichen Garderobe, den fabelhaften Krawatten und der unerschütterlichen, korrekten Haltung ging ihr bereits auf die Nerven, und sie hätte ihn unbedingt schon hinausgeworfen, wenn ihr Mr. Wilkens nicht einen so überschwenglichen Dankesbrief für die Anstellung seines Schützlings geschrieben hätte.

Nun mußte sie einen triftigen Grund haben, und ein solcher schien vorläufig nicht so leicht zu finden zu sein. Hubbard war die Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit in Person, und so wenig sie auch im Geschäft weilte, hatte sie sich doch bereits überzeugen können, daß er mit Interesse bei der Sache war und sich überraschend schnell eingearbeitet hatte. Auch das Personal respektierte ihn sichtlich, und sogar Miss Babberly war plötzlich eifriger denn je geworden.

Aber alles dies ärgerte Muriel weit mehr als es sie befriedigte, und wenn sie die knappen, klaren Briefe las, die er nach ihren kurzen Weisungen verfaßte, so suchte sie geradezu krampfhaft nach irgendeinem Fehler, den sie hätte rügen können. Wie bisher hatte sie aber auch heute nichts dergleichen gefunden, und sie schlug daher die Mappe mit der Korrespondenz etwas unwillig zu.

»Sie werden sich etwas mehr dem üblichen Geschäftsstil anpassen müssen«, sagte sie, um wenigstens einen kleinen Tadel anzubringen. »Was Sie schreiben, ist ja an sich richtig, klingt aber mehr nach Oxford als nach Kontor. Und ich glaube, die Leute, die diese Briefe erhalten, werden sich darüber etwas verwundern.«

Er schien den spöttischen Ton völlig zu überhören und nickte.

»Das hoffe ich sogar«, gab er lächelnd zurück. »Und ich nehme an, daß diese Leute sich nicht nur wundern, sondern sich auch sagen werden, daß Mrs. Irvine von dem Kaufhaus ›Zu den tausend Dingen‹ eine sehr gescheite und moderne Frau sein muß, da sie den Mut findet, mit den uralten Floskeln und der Verhunzung der Sprache aufzuräumen.«

Muriel zog hochmütig die Achseln in die Höhe und beeilte sich, von etwas anderem zu sprechen.

»Überweisen Sie sofort an die Commercial-Bank für das Konto Strongbridge einen Betrag von fünfzehnhundert Pfund, und legen Sie mir noch heute einen Auszug dieses Kontos vor«, sagte sie kurz.

»Es dürfte sich nach dieser Zahlung ein Saldo von rund neunzehntausend Pfund zu unseren Lasten ergeben«, bemerkte Hubbard leichthin, indem er sich den Auftrag notierte.

Die junge Frau sah ihn überrascht und mißtrauisch an.

»Woher wissen Sie das so ohne weiteres?«

»Weil ich mich für dieses Konto besonders interessiert habe«, erwiderte er unbefangen. »Es weist an Zahlungen unsererseits bereits dreizehntausenddreihundert Pfund auf, aber es war mir unmöglich festzustellen, wofür diese geleistet wurden. Auch Miss Babberly konnte mir darüber keine Auskunft geben.«

»Was hat Sie das zu kümmern?« fragte Mrs. Irvine scharf. »Sind Sie in mein Geschäft eingetreten, um hier zu spionieren?«

Hubbard warf mit einem kurzen Ruck den Kopf zurück.

»Ich bin in Ihr Geschäft eingetreten, Mrs. Irvine«, sagte er kühl, »um Ihnen nach besten Kräften zu dienen. Das kann ich aber nur, wenn ich über alles, was das Unternehmen betrifft, informiert bin. Da Ihnen meine Frage nach diesem Konto peinlich zu sein scheint, nehme ich an, daß es mit dem Geschäft nichts zu tun hat, und werde daher darauf nicht mehr zurückkommen.«

Muriel starrte ihren Sekretär fassungslos aus blitzenden Augen an, und wahrscheinlich hätte in diesem Augenblick dessen letzte Stunde im Kaufhaus »Zu den tausend Dingen« geschlagen, wenn ihn nicht ein energisches Klopfen an der Tür zum Korridor davor bewahrt hätte.

Hubbard sah verstohlen nach der Uhr, Mrs. Irvine aber fuhr schreckhaft zusammen und schien etwas bestürzt und ratlos. Es kam fast nie vor, daß ihr Privateingang von Fremden benützt wurde, ein unangemeldeter Besucher aber, der diesen kannte, war ihr nichts weniger als angenehm.

Sie wurde der bangen Erwartung rasch enthoben, denn noch ehe sie hierzu aufforderte, wurde die Tür geöffnet, und auf der Schwelle stand die stämmige Figur eines Polizisten.

»Mrs. Muriel Irvine?« fragte er höflich, und als sie mit todblassem Gesicht stumm bejahte, kam er an den Schreibtisch heran.

»Eine Vorladung von Scotland Yard, Kommissar Conway, Zimmer Nummer 7«, erklärte er und legte ein blaues Kuvert vor sie auf den Tisch. »Ich bitte um Bestätigung.«

Hubbard bekundete an dem uniformierten Besuch und seinem Auftrag nicht das mindeste Interesse, sondern sah gleichgültig durch das hohe Fenster, und der Polizist war schon längst wieder fort, als ihn Muriel erst aus seinem Sinnen aufstören mußte.

»Ich bedarf Ihrer nicht mehr«, sagte sie ungeduldig, und als er sich mit einer leichten Verbeugung ins Kontor zurückzog, sah er, wie ihre dunklen Augen scheu auf dem blauen Umschlag hafteten, den sie unschlüssig in den Händen drehte.


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