Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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28

Es war der Abend, für den Hubbard sein Erscheinen im Spielklub zugesagt hatte, und als es bereits auf 12 Uhr ging, ohne daß er sich hatte blicken lassen, begann Phelips sehr ungeduldig zu werden. Er hatte Strongbridge rechtzeitig verständigt, und wenn der Sekretär nun etwa im letzten Augenblick ausblieb, bekam er sicher wieder unangenehme Dinge zu hören.

»Glauben Sie, daß er es sich vielleicht anders überlegt hat?« fragte er Corner mißmutig. »Zuzutrauen ist es dem Burschen. Man hat immer das Gefühl, als ob man der Gefoppte wäre, wenn man mit ihm zu tun hat.«

»Ich habe ein noch weit bedenklicheres Gefühl«, sagte der Einäugige nachdrücklich. »Ich glaube nämlich, der Mann weiß mehr, als für uns gut ist. Nicht nur von Ihrem wackligen Roulettetisch – das wäre schließlich eine Kleinigkeit –, sondern auch noch von ganz anderen Dingen. Er hat mir unlängst etwas von Camden Town angedeutet.«

Es mußte dies eine sehr peinliche Sache sein, denn der Mann mit dem Pferdekopf fragte hastig:

»Was kann er da schon viel wissen? Ich war überhaupt nicht dort, wie ich einwandfrei nachweisen kann, und Sie können auch nicht dort gewesen sein, als die Geschichte passierte, weil Sie sonst nicht um die gewisse Stunde anderwärts hätten gesehen werden können. Und schließlich haben ja weder Sie noch ich Dawson um die Ecke gebracht.«

»Nein, aber ich möchte lieber nicht danach gefragt werden. Und es ist daher höchste Zeit, daß Strongbridge ein Ende macht.«

Phelips räusperte sich umständlich, und seine vorstehenden Augen flackerten unruhig.

»Glauben Sie . . .«, begann er leise, brach aber sofort wieder ab. »Ich glaube, daß wir gut tun werden, vorsichtig zu sein. So recht mir diese Auseinandersetzung ist, möchte ich ihretwegen doch keine Scherereien haben. Nach dem Fall Lewis wird sich die Polizei verdammt scharf ins Zeug legen, wenn etwas Ähnliches passieren sollte. Also, bereiten Sie alles vor, damit wir nicht erst viel erzählen müssen.«

Eine Viertelstunde später erschien Hubbard endlich und konnte mit dem Empfang, der ihm zuteil wurde, äußerst zufrieden sein. Phelips fiel mit sehr wortreicher Herzlichkeit über ihn her, und Corner ließ durch seine ausgesuchte Höflichkeit erkennen, daß er die gewissen Differenzen vergessen zu machen wünschte.

»Daß Sie endlich gekommen sind!« rief Phelips. »Wir erwarten Sie wenigstens schon eine Stunde. – Also, jetzt wollen wir ohne viel Umstände Frieden schließen und dieses Ereignis entsprechend feiern. Ich habe im grünen Salon einige Flaschen Sekt und Zigarren bereitstellen lassen.«

»Im grünen Salon?« meinte Hubbard leichthin und zog ein wenig die Brauen hoch. »Eine ausgezeichnete Idee. Wenn ich mich daran erinnert hätte, so würde ich Sie selbst darum gebeten haben, daß wir uns dort zusammensetzen.«

»Warum?« fragte Phelips mißtrauisch.

»Weil ich es in einem Zimmer, in dem man erst kürzlich einen aufgeknüpft hat, riesig gemütlich finde«, gab der Sekretär ernsthaft zurück. »So etwas kann man nicht alle Tage haben, und man kommt dabei auf alle möglichen heiteren Gedanken. Zum Beispiel, ob vielleicht einer von uns dreien auch einmal am Strick enden wird.«

»Sie haben Einfälle wie ein Narr und ein Gemüt wie ein Kettenhund«, knurrte der hagere Phelips kreidebleich, indem er sich langsam nach dem grünen Salon in Bewegung setzte. Am liebsten hätte er die ganze Sache sein lassen, und die seltsamen Blicke, die er von Corner auffing, waren nicht gerade dazu angetan, ihn froher zu stimmen.

Es war daher eine ziemlich griesgrämige Miene, mit der er an dem kleinen gedeckten Tisch in dem grünen Salon den Gastgeber spielte, aber Hubbard schien nur die Üppigkeit der improvisierten Tafel zu bemerken.

»Alles, was gut und teuer ist«, sagte er anerkennend. »Wenn ich einmal für jemanden eine erlesene Henkersmahlzeit zusammenstellen müßte, werde ich mich unbedingt an Sie wenden, Phelips.«

»Hören Sie doch mit Ihren Geschmacklosigkeiten auf«, knurrte dieser wütend.

»Das kommt nur von dem Zimmer«, entschuldigte sich Hubbard, indem er umständlich das Monokel säuberte. »Ich habe Sie ja gleich darauf aufmerksam gemacht. – Bitte, mir nicht einzuschenken, ich trinke nicht«, lehnte er mit einem verbindlichen Lächeln ab.

»Haben Sie Bedenken?« fragte Corner sarkastisch.

»Ach wo«, gab der Sekretär ebenso zurück, »aber Grundsätze. Bei gewissen Gelegenheiten rühre ich kein Glas an.«

»Weshalb sind Sie dann überhaupt gekommen?« polterte Phelips los, der immer nervöser wurde.

»Weil Sie mich so höflich eingeladen haben«, meinte Hubbard gelassen, indem er etwas gelangweilt zur Decke starrte, »und weil ich annahm, daß unsere Unterhaltung vielleicht ganz interessant und gemütlich werden könnte.«

»Nun, Ihrerseits haben Sie bisher sehr wenig dazu beigetragen«, warf Corner bissig ein. Er fühlte die Spannung, die in der Luft lag, und hielt sich für verpflichtet, Phelips zu Hilfe zu kommen. Das gelbe Licht konnte ja nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen . . .

Es geschah auch wirklich in demselben Augenblick, daß die einzige gelbe Birne unter den ungezählten weißen des Kronleuchters aufflammte, und so unauffällig dies auch geschehen war, hatten es Corner und Phelips doch zu gleicher Zeit bemerkt und sich durch einen raschen Blick verständigt.

Hubbard hatte sich eben erhoben und ging mit den Händen in den Hosentaschen gemächlichen Schrittes auf und ab.

»Warten Sie es nur ab«, erwiderte er auf Corners letzte Bemerkung gemütlich. »Ich werde schon in Stimmung kommen, und dann sollen Sie Ihre Wunder erleben.«

»Vielleicht ist es am besten, wir lassen Sie eine Weile allein«, schlug Corner hastig vor und gab Phelips einen heimlichen Wink. »Wir haben ohnehin noch eine sehr dringende Angelegenheit zu erledigen, und Sie werden mittlerweile vielleicht etwas umgänglicher werden.«

Er schob Phelips hastig vor sich her zur Tür, aber plötzlich stand Hubbard mit gespreizten Beinen und verschränkten Armen mitten in ihrem Weg und lächelte so unverschämt höflich, daß selbst der Einäugige unwillkürlich haltmachte, obwohl er wußte, daß jetzt jeder Augenblick kostbar war.

»Behalten Sie hübsch Platz«, forderte der Sekretär die beiden mit Nachdruck auf, »denn ich glaube, ich bin jetzt in Stimmung.«

Aber der Einäugige hielt es nicht mehr für notwendig, Rücksichten zu nehmen, seitdem er Strongbridge in der Nähe wußte. Er machte einen energischen Schritt auf Hubbard zu, fuhr aber schon in der nächsten Sekunde blitzschnell zurück, denn er war mit der Stirn fast an den stahlblauen Lauf des kleinen Revolvers gerannt, den Hubbard plötzlich in der Linken hielt.

»Es würde mir leid tun, Mr. Corner, wenn Ihr hübsch frisierter Kopf einen weiteren Schaden erleiden sollte, aber ich drücke unbedingt los, wenn Sie einen Schritt oder eine Bewegung machen. Dasselbe gilt auch für Sie, Mr. Phelips, obwohl Sie, wie ich glaube, der Vernünftigere sein werden.«

Er sprach völlig ruhig, sogar mit einer gewissen Liebenswürdigkeit, aber der Mann mit der Binde zweifelte nicht einen Augenblick, daß es ihm mit seiner Drohung ernst war. Es lag etwas in diesen lebendigen grauen Augen, die ihn immer nur blitzartig streiften und dann gleichgültig an dem großen grünen Kamin haftenblieben, was ihn warnte, und er leistete zitternd vor Furcht und Wut Folge. Phelips saß schon längst und ließ den Unterkiefer hängen, als habe er einen Hieb auf den kahlen Schädel bekommen, aber Corner gab die Sache noch immer nicht verloren und war zum Äußersten entschlossen.

»Ich hoffe«, preßte er drohend zwischen den Zähnen hervor, während er sich in dem Fauteuil zurücklehnte, »daß Sie sich der Folgen Ihrer Handlungsweise bewußt sind und . . .«

»Völlig«, beruhigte ihn Hubbard. »Sie werden den Mund halten und heilfroh sein, daß Sie dabei so glimpflich weggekommen sind. Das wird aber nicht der Fall sein«, fuhr er mit erhobener Stimme fort und wandte seinen Blick sekundenlang wieder einmal von dem interessanten Kamin auf den Einäugigen, »wenn Sie Ihre rechte Hand nicht sofort auf den Tisch legen. Eins . . . zwei . . . bei drei schieße ich. – So, sehr vernünftig von Ihnen.«

Er stand mit der Waffe in der Linken groß und schlank in der Mitte des Zimmers, gerade gegenüber dem mächtigen Kamin und etwa sechs bis sieben Schritte von den beiden anderen entfernt, als er plötzlich mit einem elastischen Sprung zurückschnellte und den rechten Arm, den er bisher lässig auf dem Rücken gehalten hatte, blitzschnell gegen den Kamin streckte. In der nächsten Sekunde waren fast gleichzeitig ein gedämpfter Knall, ein heller scharfer Schuß, der klatschende Einschlag einer Kugel in die Wand hinter dem Palmenarrangement und ein hartes, metallisches Klingen im Kamin zu hören, das in ein kurzes Poltern überging.

In dem schuppigen Kupfer der Kaminverkleidung aber klaffte ein garstiges Loch.

»Sie hätten mich durch Ihre Unruhe beinahe ums Leben gebracht, Corner«, sagte Hubbard mit sanftem Vorwurf, indem er den schweren Browning in seiner Rechten sorgfältig sicherte und in die Tasche schob. »Mit der Linken einen so unternehmenden Gentleman wie Sie und mit der Rechten einen so niederträchtigen Schurken wie Mr. Strongbridge in Schach halten zu müssen, ist etwas viel auf einmal. Ich spüre die Geschichte noch in allen Gliedern und bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie für eine Erfrischung gesorgt haben.«

Er ließ sich nun ohne weiteres an dem Tischchen nieder, hatte aber kaum eines der appetitlichen Brötchen in den Mund geschoben, als sich auf dem Korridor erregtes Stimmengemurmel hören ließ und gleich darauf hastig die Tür aufflog und der »Erzengel« mit einem Gefolge von verstörten Neugierigen hereindrang.

Gabriel konnte gerade noch die Nachdrängenden mit ausgebreiteten Armen an der Schwelle aufhalten, als er die friedliche Gruppe um den kleinen Tisch gewahrte.

»Verzeihung, meine Herren«, stotterte er verwirrt, aber sichtlich erleichtert, »es klang so, als ob hier ein Schuß gefallen sei. – Und die anderen Herrschaften waren so beunruhigt.«

Corner und Phelips lagen wie Leichen in ihren Sesseln, denn sie hatten noch nicht einmal begriffen, was geschehen war. Nur Hubbard war gelassen.

»Gabriel«, sagte er ernst und verweisend, »seit wann ist es Sitte im ›Klub der Siebenundsiebzig‹, daß sich einer um das Vergnügen der anderen kümmert? – Und wenn ich hundert Flaschen Champagner auf diese Weise den Hals breche« – eine der schweren Flaschen krachte an die Kupferwand des Kamins, daß es wie ein Kanonenschuß durch den Raum dröhnte – »so ist das meine Sache, und ich wünsche, dabei nicht gestört zu werden.«

Gabriel begriff das vollkommen, und er drängte die Eindringlinge hinaus.

»So«, meinte Hubbard gemütlich, indem er ein Glas Champagner mit Behagen hinuntergoß, »und nun hätten wir uns wohl einiges zu sagen. Das heißt, ich Ihnen, denn Sie sehen gerade nicht sehr redselig aus. Ich kann das verstehen, denn wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich nun auch so dasitzen und mir den Kopf zerbrechen, was es eigentlich gegeben hat. Und warum der Teufelskerl von einem Strongbridge auf das Signal nicht prompt erschienen ist. Aber das müssen Sie sich von ihm selbst erzählen lassen, wenn er dazu Lust hat. Das ist nicht meine Sache. Grüßen Sie ihn von mir, vielleicht macht ihn das gesprächiger. Und sagen Sie ihm« – Hubbard zündete sich eine der schweren Zigarren an, die man bereitgestellt hatte –, »daß er mich in Ruhe lassen soll. Wenn ich nicht ein so umgänglicher Mensch wäre, hätte ich ihm vorhin ebensogut die Nase aus dem Gesicht, wie den Revolver aus der Hand schießen können. Sie werden das unbrauchbare Eisen wahrscheinlich finden, wenn Sie einen Blick hinter den Kamin werfen, denn Mr. Strongbridge hatte es so eilig wegzukommen, daß er die zerbeulte Waffe kaum mitgenommen haben dürfte. Sie müssen nur links an die dritte grüne Rosette von oben drücken und dann den ganzen Kamin nach rechts drehen. Und dort, wo ich das unschöne Loch machen mußte, gab es einen wunderbaren Ausguck, durch den man im Bedarfsfalle auch die Mündung eines Revolvers stecken konnte, – Ich sage Ihnen das alles, obwohl Mr. Strongbridge mir deshalb sehr böse sein wird, aber er hat es nicht anders um mich verdient. Was habe ich ihm denn getan, und was will er eigentlich von mir? Fragen Sie ihn danach, und lassen Sie es mich wissen. Und wenn Sie wirklich seine Freunde sind, so geben Sie ihm den guten Rat, solche Späße wie den heutigen sein zu lassen. Ich bin nicht immer in so menschenfreundlicher Laune.«

Der Sekretär sah nach der Uhr und erhob sich.

»Das wäre wohl alles. Ihnen aber möchte ich nahelegen, sich nicht allzuoft und allzulange in diesem Raum aufzuhalten. Sie wissen ja nun zwar so ziemlich Bescheid, aber Strongbridge könnte auf einen andern Trick verfallen. Wieso Lewis bei versperrter Tür stranguliert werden konnte, ist Ihnen jetzt hoffentlich kein Rätsel mehr. Gute Nacht, meine Herren!«

Hubbard machte den beiden eine sehr korrekte Verbeugung, aber weder Corner noch Phelips erwiderten diese Höflichkeit. Sie saßen starr und stumm in ihren Sesseln. Strongbridge, ihr Herr und Gebieter, hatte eine arge Schlappe erlitten, und das war auch für sie ein äußerst böses Vorzeichen. Sie liebten beide Strongbridge nicht, aber sie wünschten, daß der Teufel Hubbard bei lebendigem Leibe holen möge, doch hatte keiner von ihnen mehr den Mut, dabei zu helfen.


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