Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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15

Der Wagen mit der blonden Dame und ihrem Begleiter brauchte fast eine Stunde, um Skidemore-Castle zu erreichen, aber während dieser langen Zeit fiel zwischen den beiden auch nicht ein Wort.

Die Frau hatte sich in ihren kostbaren Pelz gehüllt und schien zu schlafen. Aber Guy Strongbridge kannte sie zu gut, um nicht zu wissen, daß dieses eisige Schweigen nur die Ruhe vor dem Sturm bedeutete und daß es einen furchtbaren Kampf geben werde.

Er hatte sich sonst vor derartigen Szenen immer gehütet, aber heute hatte zuviel auf dem Spiel gestanden.

Und außerdem – er war eigentlich froh, mit Lucy Rowe einmal ein ernstes Wort sprechen zu können. War sie aber widerspenstig und unvernünftig wie immer, so mußte er einen anderen Ausweg finden, denn er hatte neue Pläne, bei denen ihm die blonde Frau, für deren Launen er seit einem Jahr ein Vermögen verausgabt hatte, plötzlich hinderlich war. Und es war nicht gut, Guy Strongbridge in irgendeiner Weise im Wege zu stehen.

Skidemore-Castle war ein düsterer Landsitz im Stil der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, und sein Erbauer mußte ein Menschenfeind gewesen sein, der sich von der Außenwelt nicht sorgsam genug abschließen konnte.

Es war ein riesiges Sechseck, das mit seinen völlig glatten, fensterlosen Außenmauern einen geradezu unheimlichen Eindruck machte. Den breiten Steinbogen an der Vorderfront füllte ein mächtiges Tor aus, und an den Ecken der abgeschrägten Seitenflügel erhoben sich zwei schwarze, klobige Türme. Hinter diesen Türmen senkte sich dann das Mauerwerk auf halbe Höhe und lief um einen ausgedehnten Komplex herum, aus dem die mächtigen Kronen uralter Bäume ragten.

Als der Wagen in die stockdunkle Zufahrtsallee einbog, gab er ein kurzes Hupsignal, und im selben Augenblick öffneten sich auch bereits die schweren Torflügel und gaben eine hochgewölbte Einfahrt frei, die von einer winzigen Deckenlampe nur notdürftig erleuchtet war.

Ohne eine Hilfe abzuwarten, stieß die blonde Dame die Tür auf und stürzte auf die breite hölzerne Treppe zu. Sie hatte keinen Blick für ihren Begleiter, und ihr Gesicht war verzerrt von der zügellosen Erregung, die in ihr tobte.

Der Herr blieb einige Augenblicke beim Auto stehen und sah unschlüssig nach der Uhr. Einen Moment dachte er daran, sofort die Rückfahrt anzutreten, dann aber überlegte er sich's doch anders und bestellte den schweigsamen Chauffeur für drei Uhr morgens.

Als der Wagen in den Hof eingefahren war, winkte der Herr den mürrischen Alten heran, der harrend am Tor stand.

»Warum hast du sie herausgelassen?« fuhr er ihn an.

»Sie hat gesagt, daß Sie zu Ihnen müsse«, gab der Mann mit einem verdrießlichen Achselzucken zurück. »Es hätte ja wirklich sein können, daß Sie mit ihr telefoniert hatten.«

»Ich rufe sie nie an, merke dir das«, erwiderte Strongbridge scharf, »und ich möchte dir raten, dich genau an das zu halten, was ich befohlen habe. Sie darf keinen Schritt aus dem Hause machen, selbst wenn du sie mit Gewalt zurückhalten müßtest. Geschieht es noch einmal, so werfe ich dich hinaus, und du weißt, was dich außerhalb dieser Mauern erwartet.«

Der Pförtner, der wegen eines kleinen Totschlags der irdischen Gerechtigkeit noch einige Jahre schuldig war, duckte den struppigen grauen Schädel und machte sich schlürfenden Schrittes davon, während der Herr die Treppe hinaufstieg und im ersten Stockwerk den langen Gang hinabschritt.

Am äußersten Ende sperrte er eine dreifach verschlossene Tür auf und trat ein.

Einige Sekunden verharrte er regungslos.

Die große Deckenlampe, die er einschaltete, vermochte den ungeheuren Raum bei weitem nicht völlig zu erleuchten, und er mußte noch zweimal schalten, bevor er das Zimmer bis in die entlegensten Ecken überblicken konnte.

Es machte einen sehr unordentlichen Eindruck und schien den verschiedensten Zwecken zu dienen. Neben Bücherschränken, einer Waffensammlung und einem alten Sekretär enthielt es mehrere Kästen, ein Feldbett und eine primitive Waschgelegenheit aus Blech, und auf mehreren eisernen Ständern hingen die verschiedenartigsten Kleidungsstücke. Der Fußboden war mit alten Teppichen belegt, die einmal einen großen Wert gehabt haben mochten, nun aber nur mehr farblose, zerschlissene Fetzen bildeten. Sogar eine alte Schneiderpuppe mit einem Holzkopf stand in einem Winkel des riesigen Zimmers, das einem Trödlerladen glich.

Der mittelgroße, etwa vierzigjährige Mann, der in seinem tadellosen Abendanzug eine sehr gute Figur machte, ging langsam einige Male durch den Raum, und seine scharfen Augen glitten forschend über jedes Möbelstück und jeden Gegenstand, als ob er sich vergewissern wollte, ob auch alles unverändert auf seinem Platz stände. Dann trat er zu der starken Holztäfelung, mit der die Wand verkleidet war und untersuchte diese dort, wo sie an den Turm stieß, sehr eingehend.

*

Lucy hatte sich in ihren üppig, aber mit schlechtem Geschmack eingerichteten Zimmern die Kleider förmlich vom Leibe gerissen, und Jessie, ein dralles Mädchen mit frechen Augen, hatte eine schallende Ohrfeige abbekommen, als sie ihr behilflich sein wollte.

Die blonde Schöne fühlte sich dadurch einigermaßen erleichtert, aber als sie sich in dem kleinen Speisezimmer an den Teetisch setzte, glich sie mit den bebenden Nasenflügeln, den krampfhaft verkniffenen Lippen und den funkelnden Augen einem sprungbereiten Raubtier.

Eben als das Mädchen dabei war, den Tee einzugießen, wurde die Tür aufgerissen, und der Herr trat ein.

Sein gesundes, brutales Gesicht hatte einen Zug, der Lucy eine Sekunde befremdete, aber sie fürchtete sich nicht.

»Wie konntest du dich unterstehen, ohne meine Erlaubnis in die Stadt zu kommen?« unterbrach Strongbridge endlich die unheimliche Stille. »Und dich noch dazu in einem Theater sehen zu lassen . . . Aufgedonnert wie ein Pfau . . .«

»Waaas . . .?« kreischte Lucy auf, die nur auf ein Stichwort gelauert hatte. »Wie sprichst du mit mir . . .? Unterstehen . . .? Aufgedonnert wie ein Pfau . . .! Da, du Galgenvogel . . .«

Ihre Hand war blitzschnell nach der Tasse gefahren und hatte den dampfenden Tee dem Gegenüber ins Gesicht geschwappt. Strongbridge war auf verschiedenes gefaßt gewesen, aber der Angriff hatte ihn doch überrumpelt. Er war jäh aufgesprungen und trocknete nun mechanisch die Flüssigkeit von seinem Gesicht und seinen Kleidern.

Aber plötzlich packte ihn die Wut, und er machte Miene, sich auf die Frau zu stürzen.

Mit drohenden Blicken maß er sie.

Sie stand jedoch auch schon auf den Füßen und hielt mit katzenartiger Behendigkeit den Tisch zwischen sich und ihn.

»Unterstehe dich, mir nahe zu kommen«, fauchte sie und bohrte ihren Blick lauernd in den seinen. »Ich kratze dir deine Diebesaugen aus. – Du willst mir etwas verbieten, du Jammerlappen? Ich bin schon mit ganz anderen Burschen fertig geworden, als du einer bist.»

»Dafür bist du auch im Zuchthaus geboren«, brüllte er in ohnmächtiger Wut.

»Und du wirst im Zuchthaus enden«, schrie sie heftig zurück. »Das ist viel unangenehmer, mein Lieber. Besonders wenn es durch einen schönen neuen Strick geschieht.«

Strongbridge verfärbte sich und verkniff den Mund.

»Setz dich, und laß uns ruhig miteinander reden«, unterbrach er nach einer Weile das Schweigen. »Dieses Gezänk hat keinen Zweck.«

»Oh, für mich schon«, höhnte sie. »Ich wollte dir bereits längst wieder einmal meine Meinung sagen, denn so geht das nicht weiter. – Wie denkst du dir das eigentlich?« fuhr sie empört fort. »Ich soll meine paar letzten jungen Jahre in diesem stinkenden alten Kasten verbringen und nicht einmal die Nase hinausstecken dürfen?«

»So war es ausgemacht«, erwiderte er schroff.

»Ausgemacht . . .!« äffte sie ihn nach. »Aber jetzt paßt es mir einfach nicht mehr. – Ich will hinaus und wieder einmal Menschen sehen. Nicht nur diese schmierigen Verbrechergesichter, die hier herumlaufen und mit denen man nicht ein Wort reden kann. Früher hast du dich wenigstens öfter sehen lassen, und wenn auch nichts Besonderes an dir ist, so warst du doch wenigstens ein Mann. – Aber seit ein paar Monaten macht sich der Herr sehr rar«, fuhr sie plötzlich anzüglich fort. »Ein anderes Liebchen gefunden, ha? Na, meinetwegen. Ich pfeife auf Ihre Liebe, Mr. Strongbridge. Da kann ich etwas ganz anderes haben, wenn ich will«, warf sie selbstgefällig ein. »Aber so einfach abschütteln, weil du mich satt hast, lasse ich mich nicht. Dafür, daß ich mich ein volles Jahr hier bei lebendigem Leibe vergraben ließ, will ich natürlich etwas haben. – Darüber werden wir erst einmal sprechen müssen, und dann werde ich sehen, was ich tun werde.«

Ihr Gesicht bekam einen immer bösartigeren Ausdruck, aber das berührte ihn nicht. Ihre letzten Worte ließen ihn hoffen, daß die Sache vielleicht doch noch ohne besondere Umständlichkeiten zu regeln sein würde.

»Deshalb bin ich eben hier«, sagte er kühl, und um sie zu beruhigen, ließ er sich wieder nieder. »Was verlangst du?«

Sie war nun doch überrascht, daß er sie beim Wort nahm, und ihre gekränkte weibliche Eitelkeit ließ sie neuerdings in maßlose Wut geraten.

»Also doch . . .«, keifte sie. »Da schau an, Mr. Strongbridge braucht Abwechslung.« Sie maß ihn mit einem verächtlichen Blick von oben bis unten und lächelte vielsagend. »Du hast das notwendig! Und es muß etwas Feines sein, was sich mit dir einläßt . . .«

»Gewiß«, erwiderte er herausfordernd. »Keine Bardame aus dem ›Grünen Hecht‹.«

»Nein, von der Straße«, schrie sie ihm schrill ins Gesicht.– »Keine Bardame vom ›Grünen Hecht‹ sagt er – so ein Schuft! – Erinnerst du dich, wie du vor dieser Bardame auf den Knien herumgerutscht bist und gewinselt hast wie ein Hund? – Das hast du wohl ganz vergessen, wie? Aber ich erinnere mich noch sehr gut daran.«

Er ließ sie austoben, und als sie endlich mit hochwogender Brust Atem schöpfte, kam er gelassen auf seine Frage zurück.

»Also, wieviel verlangst du? Wenn es vernünftig ist, will ich nicht knausern. Aber ich mache dich darauf aufmerksam, daß ich eine Bedingung daran knüpfen werde.«

Lucy hatte zwar sehr viel Temperament, aber auch sehr viel gesunden Menschenverstand, und sie erriet, daß es nun um ein sehr wichtiges Geschäft ging, bei dem das letztere weit vorteilhafter war als das erstere.

Sie pflanzte sich mit verschränkten Armen und einem höhnischen Lächeln vor Strongbridge auf.

»Dreißigtausend Pfund.«

Sie hatte geglaubt, daß er wütend auffahren werde, aber er warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu und machte mit der Hand eine ungeduldige Geste.

»Du bist verrückt. Die Geschäfte gehen schlecht, und ich habe in der letzten Zeit große Verluste gehabt.«

»Halt mich nicht für so dumm«, sagte sie, nun schon ganz geschäftsmäßig. »Ob du Verluste hattest, weiß ich nicht, und das geht mich auch gar nichts an, aber ich weiß, daß du einen Haufen Geld hast. Bei solchen Geschäften wie den deinen geht es nicht um Kleinigkeiten, und wenn du knausern willst, so fange damit nicht bei mir an, sondern bei meiner Nachfolgerin. Gib mir also die Dreißigtausend, und ich mache mich, je eher, je lieber, aus dem Staube. Wenn du dir's aber zu lange überlegst, könnte ich mich anders besinnen und noch mehr verlangen«, fügte sie hinzu, und Strongbridge hörte eine Drohung heraus, die ihn beunruhigte.

»So kommen wir nicht weiter«, meinte er mit einem ungeduldigen Achselzucken. »Verlangen kannst du natürlich, was du willst, aber ich bin nicht der Narr, es dir zu geben. Dafür mache ich dir jetzt einen vernünftigen Vorschlag, den du annehmen wirst, wenn du klug bist: Du bekommst sofort zweitausend Pfund und außerdem zahle ich dir die vollen Reisekosten nach irgendeinem beliebigen Ort im Ausland. Meinetwegen kannst du sogar nach Amerika oder Australien gehen – je weiter, desto besser. Und solange du dort bleibst, erhältst du vierteljährlich fünfhundert Pfund und überdies nach einem Jahr weitere tausend. – So, das ist mein letztes Wort in dieser Sache.«

Sie sah ihn lauernd an.

»Du willst mich also gründlich loswerden?«

»Sagen wir es so«, erwiderte er grob.

»Wegen der anderen – oder weil ich vielleicht zuviel weiß?« fragte sie und verzog hämisch das Gesicht.

Unter seinen halbgeschlossenen Lidern blitzte es auf, und der Entschluß, den er in diesem Augenblick faßte, machte eigentlich alle weiteren Verhandlungen überflüssig.

»Bist du also einverstanden?« fragte er kurz zurück.

»Nein. Das Ausland kann mir gestohlen sein. Ich bleibe hier – das heißt in London«, verbesserte sie sich rasch, »damit ich doch wenigstens in deiner Nähe bin. Und wenn mich die Sehnsucht packt oder wenn ich einige tausend Pfund brauche, werde ich dich aufsuchen.«

»Da wirst du wenig Glück haben«, knurrte er.

»O doch«, meinte sie höhnisch und bohrte ihre Blicke in die seinen. – »Wenn ich dir Grüße von der Spinne bringen werde . . .«

Er fuhr mit einer blitzschnellen Bewegung auf, und seine Arme reckten sich mit gespreizten Fingern, um die Frau an der Kehle zu fassen.

Aber Lucy schien diese Wirkung ihrer letzten Worte erwartet zu haben. Ehe er noch zupacken konnte, traf ihn ein harter Schlag unterm Kinn, der seinen Kopf knackend in den Nacken schleuderte. Und als er sich aufraffte, sah er von den kräftigen weißen Armen der Frau einen der schweren Stühle kampfbereit erhoben.

Er wandte sich schnell ab und schlug die Tür dröhnend hinter sich ins Schloß.

Und in derselben Sekunde flog innen die schwere silberne Teekanne genau in Kopfhöhe krachend an das Holz.


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