Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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31

Die Vorstellung hatte noch immer nicht begonnen, und im Publikum machte sich eine gewisse Unruhe bemerkbar.

Hubbard fühlte sich verpflichtet, Turner sofort aufzusuchen, und ein Angestellter öffnete ihm den Weg zu dem Bühnenraum und den darüber liegenden Direktionsbüros.

Der Direktor wanderte wie ein gereizter Löwe in seinem Allerheiligsten auf und ab und sah starren Auges auf seine Taschenuhr, deren Zeiger unerbittlich weiterrückten.

Bei Eintritt des Besuches machte er eine theatralische Geste.

»Sie ist wirklich nicht gekommen. Eine Eingebung von Gott, daß ich Sie angerufen habe.« Er schüttelte Hubbard kräftig die Hand. »So konnte ich wenigstens den Ersatz noch rechtzeitig herbeischaffen. Die Dame ist seit einer Viertelstunde im Hause. Aber wenn Sie glauben, daß ich damit gerettet bin, kennen Sie meinen Opernkapellmeister schlecht. Die Vorstellung hat bisher noch immer nicht angefangen, weil er erst eine Verständigungsprobe haben muß. Nur, um sich wichtig zu machen. – Aber nun habe ich die Geschichte satt«, erklärte er kategorisch. »Bitte, kommen Sie mit und sehen Sie sich den Unfug an. Das stinkt einfach zum Himmel.« –

Der Direktor führte ihn durch einige dunkle Gänge, bis sie zu einer Tür kamen, hinter der zu den Klängen eines Klaviers Gesang ertönte.

Turner stieß krachend die Tür auf, und Hubbard gewahrte ein seltsames Bild.

Auf einem großen Podium stand ein Klavier, an dem ein Mann mit funkelnden Augen und gesträubtem Haar saß. Neben dem Klavier auf dem Podium lehnte eine Dame und sang, während ihr eine Garderobenfrau von oben und unten Hüllen überstreifte und eine Friseuse die Perücke in Ordnung brachte.

Als die Garderobenfrau ihr eben ein Leibchen über den Kopf zog, sang die Amneris einen Ton zu tief, und in demselben Augenblick kreischte der Mann am Klavier wie besessen auf.

»Ruhe«, brüllte der Direktor mit rotem Kopf, »Wie lange soll sich das Publikum wegen der Affenkomödie, die Sie da aufführen, noch foppen lassen? Wie lange, glauben Sie, wird es sich das noch gefallen lassen? – Alles sofort auf die Bühne. Und wenn die Vorstellung nicht in fünf Minuten beginnt, so können Sie etwas erleben!«

Er wandte sich kurz um und warf die Tür krachend ins Schloß.

»Nun, was sagen Sie dazu?« knurrte er in verzweifeltem Grimm, während sie den Weg zum Zuschauerraum zurückgingen. »Das ist eine nette Bescherung, die mir Miss Mariman da angerichtet hat.« Er erinnerte sich plötzlich und sah seinen Begleiter gespannt an. »Warum ist sie überhaupt ausgeblieben? Ich habe bis jetzt nicht die geringste Nachricht von ihr.«

»Eben daraus können Sie schließen, daß sie unvorhergesehene und äußerst triftige Gründe abgehalten haben müssen«, meinte Hubbard mit einem Achselzucken. »Mehr kann ich Ihnen leider auch nicht sagen.«

Turners Gesicht verriet, daß er daran nicht glaubte und daß ihn die Zurückhaltung Hubbards verstimmte.

»Also ein neues Geheimnis«, meinte er etwas bissig. »Die Frau scheint ja geradezu ein lebendes Rätsel zu sein, und ich glaube, Sie zerbrechen sich darüber sehr den Kopf. Ich will aber nicht indiskret sein. Es würde mir genügen, wenn Sie mir andeuten könnten, wie lange die Geschichte dauern dürfte. Schließlich muß ich mich doch darauf einstellen.«

Hubbard nickte zustimmend und überlegte eine Weile.

»Ich an Ihrer Stelle würde überhaupt nicht mehr mit Miss Mariman rechnen«, sagte er dann bestimmt. »Aber glauben Sie mir, daß ich zur Stunde ebensowenig über die Gründe ihres Ausbleibens weiß wie Sie.«

Der Direktor zuckte ratlos die Schultern.

»Da soll ein anderer daraus klug werden. Aber ich werde mich an Ihren Rat halten. Übrigens hat Miss Mariman ihren Vertrag in gröblichster Weise verletzt und kann nicht verlangen, daß ich geduldig warte, bis sie wieder zu erscheinen geruht. – Bleiben Sie bei mir?« fragte er, da sie mittlerweile bei seiner Loge angelangt waren. Aber die Einladung klang weit weniger freundlich und dringlich als sonst; und der Sekretär lehnte ebenso kühl ab.


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