Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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38

Phelips gähnte immer häufiger, denn es gab für ihn nichts Langweiligeres, als den Mann am Roulettetisch zu kontrollieren.

Plötzlich aber verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse, denn an der Schwelle des Zimmers war eine Gestalt erschienen, die er heute nicht erwartet hatte. Er wußte, wie fieberhaft Strongbridge und Corner den ganzen Tag über Hubbard gesucht hatten, und es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, daß der Mann plötzlich im Spielklub auftauchen könne. Er sah womöglich noch feudaler aus als sonst, wozu die fabelhafte Orchidee im Knopfloch seines Fracks nicht wenig beitrug.

»Wollen Sie sich den Rummel auch wieder einmal ansehen?« fragte er vorsichtig.

»Ich will ihn wieder einmal mitmachen«, verriet Hubbard mit Nachdruck, indem er das Einglas in die Hand fallen ließ und Phelips vielsagend zublinzelte. »Ich glaube, ich habe heute einen Glückstag, und so etwas muß man ausnützen.«

Der Mann mit der Glatze begann Blut zu schwitzen, denn wenn der andere sein Vorhaben ausführte, konnte es für die Bank einen gehörigen Aderlaß geben.

»Machen Sie keine Dummheiten«, flüsterte er hastig. »Sagen Sie mir, wieviel Sie brauchen, und ich zahle Ihnen den Betrag sofort aus. Hundert Pfund?«

Hubbard sah ihn mit einem Blick an, der ihn veranlaßte, sein Angebot schleunigst noch verlockender zu gestalten.

»Also zweihundert«, zischte er wütend und griff entschlossen nach seiner Brusttasche.

Der Sekretär schüttelte sehr entschieden den Kopf.

»Wenn Sie fünfhundert gesagt hätten, und wenn ich zu dem Geld nicht auch noch das Vergnügen haben möchte, hätten wir vielleicht darüber reden können«, meinte er gelassen und wandte sich mit einem freundlichen Nicken ab.

Als Hubbard dem Croupier gegenüber Aufstellung nahm und lässig einige Banknoten aus der Tasche zog, blitzte es in den Augen des Mannes erschreckt auf, und er sandte einen fragenden Blick zu Phelips hinüber, doch dieser hatte keine Lust, irgendwelche Verantwortung zu übernehmen.

Der Sekretär beobachtete wieder dieselbe Taktik, wie an jenem Abend, da er hinter den Trick des Roulettetisches gekommen war. Er wartete ab, bis er die Einsätze überblicken konnte und schob dann, ohne den bleichen, nervösen Bankhalter auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, seine Scheine auf jene Farbe, die nach seiner Beobachtung die sichere Gewinnchance hatte.

Er strich eben seelenruhig sein vervielfachtes Geld ein, als plötzlich eine etwas laute und derbe Stimme dröhnte:

»Ladys und Gentlemen, ich muß Sie bitten, sich ganz ruhig zu verhalten, bis einige kleine Formalitäten erfüllt sind.«

In der Mitte des kleinen Spielsaals, dicht hinter Hubbard, stand der stämmige Sergeant Gibbs, ließ seine Polizeimarke blinken und hatte ein ungemein verbindliches Lächeln auf seinem robusten Gesicht.

Sekundenlang war alles wie gelähmt, dann entstand eine wilde Bewegung, aber sie kam an den Türen ins Stocken, da dort zwei handfeste Leute den Ausgang versperrten. Der Überfall schien mit großer Umsicht vorbereitet gewesen zu sein, denn der aschgraue Bankhalter und der schlotternde Phelips erhielten jeder eine eigene Ehrenwache.

Gibbs legte Hubbard die Hand auf den Arm und grinste schadenfroh.

»Ich freue mich, daß wir uns bei dieser Gelegenheit wiedersehen«, sagte er. »Wenn ich nicht irre, haben wir miteinander noch eine kleine Rechnung auszugleichen.«

Der Sekretär musterte den Beamten mit kühler Gelassenheit durch sein Monokel und staubte mit den Fingerspitzen umständlich die Stelle seines Ärmels ab, die der andere berührt hatte.

»Ich wüßte mich wirklich nicht zu erinnern, obwohl ich es nicht gerade in Abrede stellen will. Im übrigen würde Ihnen aber auch das nicht das Recht zu einer solchen Vertraulichkeit geben, wie Sie sich eben erlaubt haben. Mein Frack und ich vertragen das nicht.«

»Der Frack, den wir Ihnen nächstens über den Leib ziehen werden, wird das schon vertragen«, knurrte der Sergeant giftig zurück, »und Sie werden sich noch an ganz andere Dinge gewöhnen.«

Er wandte sich wütend ab und gab seinen Leuten den Befehl, den Anwesenden ihre Ausweise abzuverlangen und sie dann zu entlassen. Die Abfertigung ging ziemlich rasch und glatt vonstatten, aber als Hubbard Miene machte, dem Beispiel der andern zu folgen, hielt ihn der Mann von Scotland Yard durch eine kurze Geste zurück.

»Für Sie gilt das nicht«, sagte er höhnisch. »Nachdem ich mich so lange nach einem Wiedersehen mit Ihnen gesehnt habe, nehme ich Sie mit mir. Wenn Ihnen das nicht passen sollte«, fuhr er leise drohend fort, »so bekommen Sie ein paar Armbänder, die sich zu Ihrem Frack nicht gut ausnehmen werden.«

Der Sekretär zuckte mit den Achseln und schritt mit einer Würde die Treppe hinab, als ob der Polizist an seiner Seite völlig Luft sei.

»Meine Garderobe werde ich wohl mitnehmen dürfen?« meinte er im Vestibül, und dagegen hatte der Sergeant nichts einzuwenden.

»Gabriel«, sagte Hubbard freundlich und vergaß sogar in diesem Augenblick nicht, wie immer in die Westentasche zu greifen, »ich werde wahrscheinlich einige Zeit verhindert sein, in den Klub zu kommen. Sorgen Sie dafür, daß mein Tisch frei bleibt, denn es wäre mir ungemein peinlich, daran denken zu müssen, daß mittlerweile irgend jemand anders an meinem Platz sitzt.«

»Haben Sie wirklich keine anderen Sorgen?« grinste Gibbs verwundert.

»Vorläufig nicht«, erwiderte der elegante junge Mann und drückte sich vor dem Spiegel den Zylinder unternehmungslustig auf den Kopf.

Sie waren bereits an der Drehtür angelangt, als ein mittelgroßer Mann mit erhitztem Gesicht hereinstürmte und Gibbs sofort abfaßte, als er ihn gewahrte.

»Was ist los?« stieß er völlig außer Atem hervor. »Was hat es gegeben?«

»Wir haben uns da oben in dem Spielklub ein bißchen umgesehen«, meinte der »Zauberlehrling« leichthin.

»Haben Sie etwas gefunden?« wollte der neugierige Meals wissen.

»Genug, um einige der Gentlemen auf ein paar Jahre zu versorgen«, erklärte der andere mit Befriedigung. »Kommissar Bates wird sich die Sache erst etwas näher ansehen.«

Meals schnitt ein ärgerliches Gesicht.

»Verdammt, daß ich da nicht mit dabeisein konnte. Einmal passiert etwas, und ausgerechnet ich, der ich fast Tag und Nacht in Scotland Yard bin, erfahre nichts davon. Wie ist das so rasch gekommen?«

Gibbs hob die Schultern.

»20 Minuten vor 11 kam plötzlich der Befehl.«

»Von wem?« fragte Meals interessiert.

»Vom Chef selbst. Und fünf Minuten später saß alles, was gerade da war, in den Autos, und knapp nach elf waren wir hier.«

Hubbard hatte sich mittlerweile gemächlich eine Zigarette angesteckt, aber allmählich währte ihm die Sache zu lange.

»Wenn Sie sich unterhalten wollen«, wandte er sich an den Sergeanten, »so bin ich wohl überflüssig . . .«

Meals war bisher zu sehr in Anspruch genommen gewesen, um den Begleiter seines Kollegen weiter zu beachten, aber bei dem Klang dieser Stimme fuhr er blitzschnell herum und starrte den Sekretär einige Augenblicke überrascht und forschend an. Dann faßte er Gibbs hastig am Arm und zog ihn noch etwas weiter beiseite.

»Das ist doch der Sekretär von Mrs. Irvine«, flüsterte er. »Was ist mit ihm?«

»Einer von den Leidtragenden von oben«, erklärte der Sergeant. »Und dann ist da noch eine etwas böse Geschichte von früher.«

Der freundliche Meals trippelte von einem Fuß auf den anderen und zog überrascht die Brauen hoch.

»Wohin bringen Sie ihn?«

Gibbs neigte sich dicht zum Ohr des anderen und flüsterte ihm ein kurzes Wort zu, worauf Meals noch größere und verwundertere Augen machte.

»Sie können mich mitnehmen«, sagte er eifrig. »Wenn es auch ein Umweg ist, komme ich doch früher nach Scotland Yard als mit dem Autobus.«

»Leider sind wir bereits komplett«, meinte Gibbs bedauernd. »Phelips und der Bankhalter kommen nämlich auch mit.«

*

Trotzdem brachte Meals das Kunststück fertig, früher im Yard zu sein als der »Zauberlehrling«.

Als er des Kollegen ansichtig wurde, stürmte er sofort auf ihn zu.

»Da staunen Sie, was?« triumphierte er. »Ich bin wenigstens schon zehn Minuten hier. Ein Mann, dem daran gelegen ist, sich mit der Polizei gut zu stellen, hat mich in seinem Wagen mitgenommen. – Haben Sie Ihren Schützling mitgebracht?«

»Ja«, knurrte Gibbs übellaunig. »Aber ich fürchte, sie wollen ihn nach dem ersten Verhör wieder entlassen, da keine Fluchtgefahr vorliegt, wie sie sagen. Bei uns werden mit solchen Burschen viel zuviel Umstände gemacht, und wir haben nachher die Scherereien. Aber morgen bekommt ihn mein Chef in die Arbeit, und ich hoffe, da wird er hängenbleiben.«

Meals nagte nervös an den Lippen, lief dann planlos einige Schritte davon, kam jedoch sofort wieder zurück.

»Glauben Sie, daß der Kommissar hier ist?« fragte er.

»Versuchen Sie es doch und klopfen Sie an. Haben Sie etwas für ihn?«

»Ich werde mich hüten«, stieß der freundliche Sergeant hervor. »Selbst wenn wer weiß was geschehen würde, ließe ich mir das nicht mehr einfallen.«

Plötzlich vernahmen die beiden aus dem nahegelegenen Wachzimmer das anhaltende Schrillen einer Klingel, und der arme, abgehetzte Meals war so fertig, daß er zusammenfuhr. Nach einer Weile kamen hastige, schwere Schritte um die Ecke, und der Polizist meldete kurz:

»Sergeant Gibbs und Sergeant Meals zu Kommissar Conway.«

Auch diesmal ließ sich der Unsichtbare ziemlich lange Zeit, bevor er ein Lebenszeichen von sich gab. Nur die Hemdbrust in ihrer blendenden Weiße war zu sehen.

»Sie haben recht gehabt, Meals«, klang es plötzlich hinter dem Schreibtisch hervor.

»Womit?« fragte der Sergeant hastig und beugte unwillkürlich den Kopf vor, als ob er so den Sprecher vielleicht doch mit einem Blick erhaschen könne.

»Mit Ihrer Behauptung, daß Richard Irvine lebt. – Jetzt allerdings ist die Sache bereits wieder etwas anders. Irvine hat heute abend in Islington eine Kugel in den Kopf bekommen, und der einäugige Corner, der bei ihm war, ein Messer in den Rücken.«

Meals starrte mit entsetzten Augen gegen das Licht, und seine Erregung war so groß, daß ihm der Schweiß in dicken Perlen auf' die Stirn trat.

»Wieder ein Mord?« stieß er hastig hervor. – »Soll ich hinaus?«

»Nein, das müssen Sie nicht«, sagte der Unsichtbare ruhig, aber bestimmt. »Ich war selbst draußen, um mich umzusehen, und es ist alles völlig klar.«

»Ich habe kein Glück mehr, Captain«, sagte er verzweifelt. »Eben heute abend hatte ich die Wohnung Richard Irvines entdeckt.«

»Nehmen Sie sich diese Geschichte nicht allzusehr zu Herzen«, tröstete ihn der Kommissar freundlich. »Ich weiß sehr wohl, was Sie in dem Falle geleistet haben. Auch die Sache mit den weißen Spinnen dürfte sich so verhalten, wie Sie angenommen haben, denn Irvine hat noch einige bei sich gehabt. – Sie sind ein sehr tüchtiger und findiger Mann, Meals, und ich schwöre Ihnen, daß ich das, was ich Ihnen versprochen habe, halten werde. – Sie erinnern sich doch?«


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