Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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23

Miss Constancia Babberly war mit dem Verlauf, den die Dinge nahmen, höchst unzufrieden und beschloß daher, zu einem etwas energischeren Angriff überzugehen.

Hubbard zählte offenbar zu jenen seltenen Männern, die ihre Schüchternheit nicht so leicht zu überwinden vermögen und bei denen die kleinen Künste der Koketterie noch lange nicht genügen, um sie aus ihrer Reserve zu locken.

Constancia hatte diese kleinen Künste bereits alle versucht, aber obwohl dabei ihr Halsausschnitt immer tiefer und ihre Kleider immer kürzer geworden waren, hatte sie dies bisher ihrem Ziel auch nicht einen Schritt näher gebracht. Der elegante Sekretär war zwar immer sehr höflich, sehr liebenswürdig und sehr galant, aber von den ungezählten leidenschaftlichen Funken, die sie täglich auf ihn überspringen ließ, hatte bisher noch keiner gezündet. Auch daß sie ihr duftendes strohblondes Haar möglichst oft dicht an seine Wange brachte, hatte versagt, und ebenso die hauchdünnen Seidenstrümpfe, die sie ihn bei jeder Gelegenheit bis weit übers Knie sehen ließ.

Sie hatte an diesem Morgen noch sorgfältiger Toilette gemacht als sonst und sich überhaupt so prächtig hergerichtet, daß man sie zwischen die Wachsfiguren eines Modesalons hätte stellen können. Dabei lag in ihren Augen ein schmachtender Schmelz, und die weißen Zähne zwischen den halbgeöffneten roten Lippen leuchteten verführerischer denn je.

Sogar der kühle Hubbard war gegen diesen Zauber nicht gefeit, und Constancias sechsunddreißigjähriges Herz hüpfte in seliger Wonne, als sie seinen Blick auf sich ruhen fühlte.

»Donnerwetter, Miss Babberly, was ist denn heute los?« fragte er bewundernd. »Haben Sie etwas Besonderes vor?«

»Allerdings«, gab sie mit einem geheimnisvollen Lächeln zu. »Ich gedenke, mit einem Herrn zu lunchen.«

Der Sekretär machte sich wortlos an seinem Tisch zu schaffen, und Miss Babberly stellte mit großem Vergnügen fest, daß ihn ihre Mitteilung etwas verstimmt zu haben schien.

»Ahnen Sie, wer der Herr ist?« flötete sie süß und verdrehte dabei die Augen.

Nein, er ahnte es nicht. Er schüttelte resignierend den Kopf und machte dabei ein so gleichgültiges Gesicht, daß sie hätte empört sein müssen, wenn sie nicht gewußt hätte, daß dies nur reine Verstellung war.

»Was würden Sie dazu sagen, wenn Sie der Herr wären?«

»Es würde mir eine besondere Ehre sein«, erwiderte er korrekt, und Miss Babberly amüsierte es, daß er das gar so schüchtern und verlegen vorbrachte.

»Sie sind ein großer Junge«, sagte sie mit der nachsichtigen Überlegenheit einer erfahrenen Frau, und ihre Hand hob sich ganz mechanisch von seiner Schulter zu seinem tadellosen Scheitel. »Hätten Sie auf diese nette Idee nicht selbst verfallen können? War es das erstemal nicht entzückend?«

Sie beugte ihren Kopf so tief hinab, daß Hubbard ihre fragenden grünlichen Augen und den knallroten Mund dicht vor sich hatte, und Constancia wartete bebend einige Sekunden, was nun geschehen würde. Aber es geschah nichts, sondern der junge Mann sah nur etwas hilflos und verlegen drein.

Sie schwang sich behende auf seinen Schreibtisch und kreuzte ihre Seidenstrümpfe, so daß er sie aus dieser Nähe unmöglich übersehen konnte.

»Wissen Sie übrigens, daß Mrs. Irvine sich plötzlich dafür interessiert, wo wir lunchen?« bemerkte sie, um durch ein gleichgültiges Thema ihre verführerische Pose zu doppelter Geltung zu bringen. »Sie hat mich gestern danach gefragt. Und ich habe ihr gesagt«, fuhr sie mit sichtlicher Genugtuung fort, »daß wir zuweilen zusammen speisen.«

»Das stimmt aber doch nicht«, fiel Hubbard lebhaft und etwas befremdet ein, und Constancia schien es, als ob er dabei errötete.

»Wessen Schuld ist das?« fragte sie vorwurfsvoll, indem sie sein Gesicht zärtlich in ihre Hände nahm. »Etwa die meine?«

»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte aber in diesem Augenblick Mrs. Irvine, die mit einem eigenartigen Lächeln an der Tür ihres Zimmers stand. »Mr. Hubbard, bitte . . .«

Muriel verschwand diskret, bevor Constancia noch ihrer Entrüstung über diese taktlose Störung durch eine entsprechende Miene Ausdruck geben konnte.

»Zu dumm«, vermochte sie dem Sekretär gerade noch mit einem heißen Blick zuzuflüstern, dann verschwand auch dieser im Chefzimmer.

»Ich freue mich, daß Sie sich mit Miss Babberly so gut vertragen«, sagte die junge Frau sehr freundlich, während sie mit ihren wunderbaren Händen die Post umständlich sortierte, und Hubbard fand, daß sie mit dem belustigten Lächeln um den feinen Mund noch hübscher und pikanter aussah als sonst. Aber das Lächeln ärgerte ihn, und er fühlte, daß ihm das Blut in das wettergebräunte Gesicht stieg.

»Ich nicht«, erwiderte er trocken und blickte starr auf sein Notizbuch.

Mrs. Irvine hob anscheinend höchst überrascht den Kopf, und ihr Lächeln wurde noch nachdrücklicher.

»Aber – wie kann man so undankbar sein«, bemerkte sie verweisend. »Miss Babberly läßt es doch an Liebenswürdigkeit gewiß nicht fehlen, wie ich soeben beobachten konnte, und Sie sollten dafür doch etwas mehr Verständnis haben.«

Der Sekretär zog es vor, darauf nicht zu antworten, denn die Art, wie ihn Mrs. Irvine seit dem gestrigen Tag behandelte, machte ihn plötzlich befangen und unsicher. Ihrem früheren kühlen, anmaßenden Wesen hatte er sich gewachsen gefühlt, aber seitdem sie ihm gegenüber mit einem Mal einen so ungewohnten Ton anschlug, war ihm höchst unbehaglich zumute. – Was hatte diesen jähen Wechsel verursacht, und was bezweckte sie damit? Er hätte sehr viel darum gegeben, darüber völlige Gewißheit zu haben, und er konnte diese nur erlangen, wenn er die Fassung bewahrte.

Sie machte ihm dies allerdings sehr schwer, denn nachdem sie förmlich und geschäftsmäßig wie immer einige Anordnungen getroffen hatte, kam sie plötzlich wieder auf ein anderes äußerst heikles Thema zu sprechen, das eigentlich nur ihn anging.

»Ich muß zugeben«, sagte sie, während sie einen ihr vorgelegten Brief aufmerksam durchlas, »daß Sie sehr sauber und korrekt maschineschreiben. Haben Sie das in Oxford gelernt«, fragte sie harmlos, »oder in den anderen Anstalten, in denen Sie später waren?«

»In den anderen«, gab er ohne weiteres zu. »Ich wurde meist in den Kanzleien beschäftigt.«

»Da müssen Sie allerdings eine ziemliche Übung und Geläufigkeit erlangt haben. Wie lange hat diese Ihre Kanzleitätigkeit überhaupt gewährt? Ich meine, alles in allem. Sie müssen mir darauf natürlich nicht antworten, aber es wäre mir doch angenehm, darüber etwas näher unterrichtet zu sein.«

»Ich kann das verstehen, und Sie haben gewiß auch ein Recht, das zu erfahren«, sagte er unbefangen und dachte dann einige Augenblicke nach. »Insgesamt werden es wohl über zwei Jahre gewesen sein.«

Muriel schwieg ziemlich lange, und Hubbard dachte bereits, daß ihre Neugierde befriedigt sei, als sie plötzlich von neuem zu fragen begann.

»Und in der Zwischenzeit waren Sie wohl bei jenen Firmen beschäftigt, die Ihnen so glänzende Zeugnisse ausgestellt haben? Welche waren es doch gleich?«

Der Sekretär begann diese, ohne einen Augenblick zu stocken, aufzuzählen, und um möglichst vollständig zu sein, fügte er auch sofort genau die Zeit bei, die er dort beschäftigt gewesen war.

Sie hörte ihm sehr aufmerksam zu, und es schien, als ob sie darauf vorbereitet sei, ihn bei einer Ungenauigkeit zu fassen. Aber die Firmen und die Termine stimmten haargenau mit den Zeugnissen überein.

Mrs. Irvine war davon sichtlich überrascht, und die Sache schien ihr aus irgendeinem Grund zu denken zu geben. Ihr Blick heftete sich immer wieder verstohlen auf Hubbard, aber in dessen gelassener Miene war auch nicht das mindeste zu lesen.

»Würde es Ihnen sehr unangenehm sein, für mich eine telefonische Verbindung mit Scotland Yard herzustellen?« fragte sie plötzlich etwas boshaft. »Ich meine, wegen Ihrer früheren Beziehungen zu diesem Amt.«

»Mit Scotland Yard hatte ich bisher eigentlich noch nichts zu tun«, gab er gleichmütig zurück. »Meine Fälle brachten mich immer nur mit den Polizeistationen und Old Baily in Berührung. – Darf ich um Ihr Telefonbuch bitten?«

Während er angelegentlich in dem dickleibigen Band blätterte, ließ die junge Frau ihn nicht aus den Augen, und um ihre Lippen lag ein gespanntes Lächeln.

»Es sind hier gegen zwanzig Nummern verzeichnet. Welche Abteilung wünschen Sie zu sprechen?«

»Kommissar Conway«, sagte sie mit Nachdruck.

Er fuhr mit dem Finger suchend über die lange Kolonne der Nummern, schien aber das Gesuchte nicht zu finden.

»Ich werde eine der Nummern anrufen und mich erkundigen, wie ich die von Ihnen gewünschte Verbindung erlangen kann.«

Sie nickte erwartungsvoll, und gleich darauf begann Hubbard bereits zu sprechen.

»Hier Kaufhaus ›Zu den tausend Dingen‹. – Scotland Yard? – Auskunft? – Bitte, unter welcher Nummer ist Kommissar Conway für Mrs. Irvine zu erreichen? – Ja, bitte, ich warte . . .«

Muriel hatte die Hände über die Knie verschlungen und wandte noch immer kein Auge von Hubbard, der mit der Muschel am Ohr gleichgültig des Bescheids harrte.

Endlich meldete sich eine Stimme im Apparat, aber bevor der Sekretär noch antworten konnte, hatte sie ihm den Hörer bereits mit einem hastigen Griff aus der Hand genommen.

Er machte Miene, sich diskret zurückzuziehen, aber sie bedeutete ihm durch eine kurze Geste, daß er bleiben solle, und lauschte dann gespannt auf die Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Hier Muriel Irvine«, sagte sie. »Kommissar Conway? – Ja?«

Die Antwort, die zurückkam, überraschte sie offenbar sehr, und sie war plötzlich so verwirrt, daß sie nur stockend weiterzusprechen vermochte.

»Ja . . . allerdings . . . Nein, es ist nichts Besonderes vorgefallen. – Ich wollte nur mitteilen, daß ich bei meiner gestrigen Vorladung einige Einzelheiten vergessen habe. – O nein, es eilt damit durchaus nicht . . . Bitte . . . es paßt mir jede Stunde . . . Danke.«

Mrs. Irvine war so zerstreut und nachdenklich, daß sie den Hörer statt auf den Apparat auf den Tisch legte, und Hubbard dieses Versehen gutmachen mußte.

Sie sah ihn dabei einen Augenblick wieder sehr eigenartig an, aber ihre Laune von früher war mit einem Male verflogen, und der Sekretär wurde kurz und ungnädig verabschiedet.

*

»Hat sie irgendeine Bemerkung gemacht?« flüsterte Constancia mit einem vertraulichen Blinzeln, als Hubbard mit ernstem Gesicht ins Kontor zurückkehrte. Als er mit einem Kopfschütteln antwortete, atmete sie erleichtert auf.

»Daß man doch hier auch nicht einen Augenblick ungestört plaudern kann«, seufzte sie. »Aber ich hoffe, daß Sie mir einmal in meiner Pension das Vergnügen machen werden. Es ist ein sehr nettes Haus, und wir haben einen gemütlichen kleinen Salon, den mir meine Wirtin gern zur Verfügung stellen wird. Ich hoffe, es wird Ihnen gefallen«, meinte sie verheißungsvoll, und ihre Blicke versprachen ihm noch weit mehr als der Tonfall ihrer Worte. »Wann wäre es Ihnen recht? Für heute ist es leider schon zu spät, da ich doch einige Vorbereitungen treffen muß, aber wenn Sie morgen frei sind, würde ich mich sehr freuen.«

Sie sah ihn mit ungeduldiger Erwartung an, und Hubbard war in Verlegenheit, wie er seine Absage formulieren sollte. Er hatte einmal mit Miss Babberly gegessen, weil er nicht unhöflich sein wollte, er war sogar bereit, es zum zweiten Male zu tun, da sie sich sichtlich schon darauf vorbereitet hatte, aber er fühlte nicht das geringste Verlangen, mit der etwas stürmischen Dame einen ganzen Abend in ihrer Pension zu verbringen.

»Das wäre allerdings sehr nett«, sagte er. »Sie sind sehr freundlich, Miss Babberly.«

»Oh, Sie können mich doch einfach Constancia nennen«, fiel sie etwas verschämt ein. »Nur nicht Miss Babberly. Das klingt so förmlich und fremd.«

»Jawohl, sehr freundlich«, wiederholte er. »Nur möchte ich Ihnen wirklich keine Umstände machen. Vielleicht ließe es sich einrichten, daß wir einmal ein nettes Programm für einen Abend entwerfen.«

Miss Babberly war auch mit einem solchen Arrangement einverstanden. Sie nahm daher den Vorschlag mit großer Begeisterung, auf und begann sofort, Pläne zu schmieden.

»Gewiß. Wir könnten vielleicht zusammen zuerst ein Theater besuchen und dann in irgendeinem Restaurant speisen. Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich eine Oper vorziehen. Ich liebe die Musik«, gestand sie schwärmerisch, »und kenne kein größeres Vergnügen, als mich hemmungslos ihrem Zauber hinzugeben.« Sie hatte diese Phrase einmal in einem Roman gelesen, und sie hatte ihr so gut gefallen, daß sie diese nun bei jeder Gelegenheit anbrachte.

Nun handelte es sich nur noch darum, daß dieser Abend so rasch wie möglich zustande kam, und Hubbards ausweichende Antwort auf ihre hastige Frage nach dem »Wann« wollte ihr gar nicht gefallen.

»Sie werden es gewiß vergessen«, schmollte sie ehrlich enttäuscht. »Haben Sie denn gar so viele andere Verpflichtungen?«

»Für die nächsten Abende leider ja«, gab er bedauernd zurück, »aber in der kommenden Woche bin ich frei, und Sie werden mich gewiß nicht erinnern müssen.«

In diesem Augenblick läutete das Telefon, und Miss Babberly, die den Hörer aufgenommen hatte, gab ihn sofort Hubbard weiter.

»Man wünscht Sie zu sprechen«, sagte sie eifrig.

Der Sekretär war sehr überrascht, als sich Phelips meldete und einen so jovialen Ton anschlug, als ob sie bei ihrer letzten Begegnung als die besten Freunde geschieden wären.

»Was ist denn mit Ihnen los?« fragte er besorgt und mit leisem Vorwurf. »Sie haben sich seit einigen Tagen weder im Klub noch im Spielsaal sehen lassen, und ich will nicht hoffen, daß Sie verstimmt sind.«

»Verstimmt? Weshalb sollte ich verstimmt sein?« meinte Hubbard, der mit einem gespannten Lächeln zugehört hatte. »Im Gegenteil, ich habe Ihren Spielsaal in angenehmster Erinnerung, seitdem ich dort ein so unerhörtes Glück hatte. Sie dürfen auch damit rechnen, daß ich wiederkomme. Wahrscheinlich schon sehr bald, denn ich werde mit dem Geld doch nicht so lange ausreichen, wie ich ursprünglich gedacht hatte.«

Phelips blieb trotz der unliebsamen Anspielung überaus höflich. »Schön. Dann ist es am besten, Sie kommen gleich morgen abend. Mir liegt daran, daß wir uns über die letzten Mißverständnisse aussprechen und sie begraben. Also, machen Sie keine Geschichten, und lassen Sie uns morgen Versöhnung feiern. Ich habe Corner wegen der gewissen Sache bereits gründlich den Kopf gewaschen, und er wird Sie um Entschuldigung bitten. – Nun, was meinen Sie dazu?«

»Daß ich natürlich um nichts in der Welt um diesen erhebenden Moment kommen möchte«, erwiderte Hubbard höflich.

»Sie kommen also bestimmt?« versicherte sich Phelips mit besonderer Dringlichkeit.

»Ganz bestimmt«, gab der Sekretär mit ebenso dringlicher Betonung zurück, und als er den Hörer auflegte, merkte man ihm an, daß das Gespräch ihm weit mehr zu denken gab, als sein ziemlich harmloser Inhalt gerechtfertigt hätte.

»Sie sind Mitglied eines Klubs, in dem gespielt wird?« fragte Miss Babberly neugierig. »Das muß sehr interessant sein.«

»Zuweilen«, gab er zu und begann dann plötzlich mit einem Feuereifer an seine Arbeit zu gehen, der ihr alle weiteren Fragen abschnitt. Sie war auch nicht weiter begierig, Näheres darüber zu erfahren, denn es genügte ihr zu wissen, wo er seine Abende zubrachte. Männer, die am Spieltisch saßen, waren gut aufgehoben, und es war ihr weit lieber, Mr. Hubbard verlor im Klub sein Geld, als vielleicht anderswo sein Herz.


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