Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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3

Es war nach den späteren Feststellungen genau neun Uhr vierzig Minuten, als der im ganzen Polizeikorps bekannte Detektiv Dawson von einem patrouillierenden Wachmann zum letzten Male gesehen wurde. Er stand an einem der östlichen Ausgänge von Regents Park und schien jemanden zu erwarten, war aber dann plötzlich verschwunden.

Kurz vor Mitternacht lief bei der Kriminal-Abteilung die Meldung ein, daß Inspektor Dawson in Camden Town ermordet aufgefunden worden sei. Sein Körper war noch nicht ganz erkaltet und wies außer tiefen Strangulierungsspuren, die offenbar von einer starken Drahtschlinge herrührten, einen tödlichen Stich im Rücken auf. Die krampfhaft geschlossene Rechte hielt eine weiße Spinne umklammert.

Die Stunden, die folgten, zählten zu den übelsten, die Scotland Yard je durchlebt hatte.

Sir James Gaskill nahm mit eisigem Schweigen die einlaufenden Berichte entgegen, und nur das Zucken um seinen bartlosen, energischen Mund verriet, wie es in ihm gärte.

Dann war das Telefon im Chefzimmer länger als eine Stunde in geheimnisvoller Tätigkeit, aber kein Wort drang durch die gepolsterte Tür.

Durch die düsteren Gänge kroch das Grauen, und auf allen Mienen lagen verbissene Wut und erwartungsvolle Spannung.

Knapp nach halb zwölf war Sergeant Meals von seinen ersten Nachforschungen zurückgekehrt und suchte mit fieberhaftem Eifer Dawson im Hause aufzustöbern. Dann telefonierte er nach allen Richtungen, aber der Inspektor war nirgends zu erreichen. Als die Schreckensbotschaft kam, brach Meals förmlich zusammen.

Es dämmerte bereits, als aus dem Zimmer des Chefs plötzlich die Klingel durch das ganze Haus schrillte.

Die Kommissare, Oberinspektoren und Inspektoren versammelten sich erwartungsvoll um den grünen Tisch, aber Sir James schien es kurz machen zu wollen, denn er lud sie nicht ein, Platz zu nehmen.

»Das tragische Schicksal unseres armen Dawson dürfte Ihnen wohl den Ernst der Lage klargemacht haben«, sagte er. »Wir müssen gründliche und rasche Arbeit tun, und ich rechne damit, daß jeder von Ihnen alles aufbieten wird, um diese empfindliche Scharte, die uns einen unserer Besten gekostet hat, wieder auszuwetzen.«

Er neigte bereits verabschiedend den Kopf, als Herbert Bates, der jüngste, ehrgeizigste der Kommissare, sich die Chance nicht entgehen lassen wollte.

»Sir, wer, befehlen Sie, soll den Fall übernehmen?« fragte er ehrerbietig.

»Captain Raymond Conway, der überwachende Kommissar von Dover«, erwiderte Sir James leichthin, als ob es sich um die selbstverständlichste Sache von der Welt handelte.

Wenige Minuten später ging der Name in den Mauern von Scotland Yard von Mund zu Mund, aber niemand wußte damit etwas anzufangen. Er war in den letzten zwei Jahren oft genannt worden, doch da man seinen Träger nie zu Gesicht bekommen hatte und auch die Kollegen von Dover nur geheimnisvoll die Achseln zuckten, wenn man danach fragte, hatte er fast einen mythischen Klang bekommen.


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