von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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60. Von der Ehe

Eheliche Treue ohne Liebe ist offenbar naturwidrig.

Man hat den Versuch gemacht, sie gegen die Natur durch die Furcht vor der Hölle und durch religiöse Gefühle zu erzwingen. Bis zu welchem Grade das geglückt ist, zeigt das Beispiel Italiens und Spaniens.

In Frankreich hat man es durch die öffentliche Meinung erreichen wollen. Es ist das zwar der einzige wirkliche widerstandsfähige Damm, aber man hat ihn schlecht gebaut. Es ist widersinnig, einem jungen Mädchen zu sagen: »Du mußt dem Gatten deiner Wahl treu sein,« es dann aber mit einem langweiligen alten Manne gewaltsam zu verheiraten.Selbst unbedeutende Dinge haben lächerlicherweise genau wie auf uns Männer Einfluß auf die Erziehung der Frauen. So hat zum Beispiel das Ministerium derselben edlen Regierung, die gegen die Ehescheidung ist, der Stadt Laon ein Standbild der Gabrielle d'Estrées überwiesen. Es wird auf einem öffentlichen Platze aufgestellt, augenscheinlich um die jungen Mädchen an die Liebschaften der Bourbonen zu erinnern und sie anzuhalten, gelegentlich gegen liebenswürdige Könige nicht grausam zu sein und ihrem erlauchten Hause Nachkommen zu gewähren. Dafür verweigert das nämliche Ministerium der Stadt Laon die Genehmigung zu einem Denkmal des Marschalls Serurier, eines braven Mannes, der zwar kein galanter Herr war, aber seine Laufbahn als gemeiner Soldat begonnen hat. Vgl. Rede des Generals Foy im Courrier vom 17. Juni 1820; Dulaure, Histoire de Paris, unter Amours de Henri IV. (Seit 1864 hat Serurier sein Denkmal in Laon. A.d.Ü.)

»Aber die jungen Mädchen heiraten doch gern.«

Das kommt davon, weil die jetzige engherzige Erziehungsweise ihnen im elterlichen Hause eine Sklaverei von unerträglicher Langeweile aufbürdet. Auch fehlt ihnen der klare Blick, und schließlich verlangt es die Natur. Nur ein Mittel gibt es, um von den Frauen mehr eheliche Treue zu erlangen, das ist, wenn man den jungen Mädchen Freiheit gewährt und den verheirateten Leuten die Ehescheidung ermöglicht.

Eine Frau verliert in der Ehe meist die schönsten Tage ihrer Jugend und fürchtet, durch eine Scheidung Dummköpfen Anlaß zu schlechten Redereien zu geben.

Junge Frauen, die viele Anbeter haben, bedürfen der Ehescheidung nicht. In einem gewissen Alter glauben die Frauen, die viele Liebhaber gehabt haben, ihren Ruf wiederherstellen zu müssen, und in Frankreich gelingt es ihnen immer, wenn sie sich gegen Fehltritte, die sie selbst hinter sich haben, nun anderen gegenüber recht streng gebärden.

Gerade tugendsame, unglückliche und wahrhaft liebende junge Frauen verlangen nach der Ehescheidung, und doch müssen sie sich von Frauen, die fünfzig Männer gehabt haben, in Acht und Bann tun lassen.


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