von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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53. Die Minnegerichte

Es hat Minnegerichte in Frankreich nachweisbar in der Zeit von 1150 bis 1200 gegeben; wahrscheinlich aber reicht ihr Dasein in eine viel frühere Zeit zurück.

Die Damen, die zu Minnegerichten zusammentraten, entschieden entweder über Rechtsfragen, zum Beispiel, ob die Liebe zwischen verheirateten Leuten statthaft sei, oder über besondere Fälle, die Liebende ihrem Spruch unterwarfen.Vgl. Raynouard, Choix des poésis originales des trubadours, Paris, 1817, II. Bd.; Raynouards Textzitate sind voller Irrtümer. Vgl. ferner: Crescimbeni, Comment. intorno alla storia della volgar poesia, sowie: Christoph Freiherr von Aretin, »Aussprüche der Minnegerichte«, München, 1803.

Soweit ich mir über die moralische Seite dieser Rechtspflege klar werden konnte, muß man sie mit den Ehrengerichten der Marschälle von Frankreich vergleichen, die Ludwig der Vierzehnte eingesetzt hat.

Andreas, Kaplan des Königs von Frankreich,Andreas Capellanus ist vermutlich gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts schriftstellerisch tätig gewesen. Man findet in der Pariser Nationalbibliothek zwei Manuskripte seines Traktats De Amore (Nr. 8753 und Nr. 10363). Auf dem ersten Blatte steht: »Hic incipiunt capitula libri de arte amatoria et de reprobatione armoris ...« Es folgt eine Kapitelübersicht. Auf dem zweiten Blatte steht: »Incipit liber de arte [[honesta]] amandi et de reprobatione [[inhonesti]] amoris editus et compillatus a magistro Andrea francorum aule regie capellano.« Zu Ende des Manuskripts stehen die Worte: »De arte amatoria. Et amoris reprobatione perfectum nunc explicit opus. Editum a magistro Andrea regine capellano. Ad Gualterium amicum suum, cupientem in amoris exercitu militare. Qui etiam alio nomine dicitur flos amoris.«

Crescimbeni erwähnt in seiner Storia della volgar poesia (Bd. II, S. 89–92) eine Florentiner Handschrift und führt verschiedene Stellen daraus an. Genauer handelt es sich um vier miteinander verwandte Handschriften, von denen zwei in der Riccardiana und zwei in der Laurenziana zu finden sind. Sie enthalten eine italienische Übersetzung des Traktats des Andreas Capellanus. Die Akademie der Crusca führt sie unter den Werken auf, die ihre Beispiele zu ihrem Vocabulario geliefert haben. Eine andere italienische Übersetzung bietet eine alte Handschrift in der Barberiniana in Rom. Der von Crescimbeni zitierte Codex Riccardianus in Florenz ist im Jahre 1408 geschrieben. Der Traktat ist bereits im dreizehnten Jahrhundert in das Französische übertragen worden, sowohl in Prosa wie in Versen, letzteres durch Drouart la Vache.

Der lateinische Text des Traktats von der Liebe des Andreas Capellanus ist in zwölf Handschriften erhalten in den Bibliotheken von Rom Wolfenbüttel, Paris, Montpellier, Florenz, München, Brügge, Leipzig und Wien; die älteste ist die im Vatikan (Nr. 1463). Der lateinische Originaltext ist mehrfach gedruckt worden. Friedrich Otto Menckenius erwähnt in seinen Miscellanea Lipsiensia nova, Leipzig, 1751, VIII, 1, 454 ff. eine alte Ausgabe ohne Angabe des Druckortes und des Erscheinungsjahres, die er zu den ältesten Drucken rechnet. Diese sehr seltene, im fünfzehnten Jahrhundert gedruckte Ausgabe ist betitelt: Tractatus amoris et de amoris remedio Andree capellani pape Innocentii quarti ad Gualterium. Incipit feliciter et habet quatuor partes.

Eine zweite Ausgabe von 1610 tragt den Titel: Erotica seu Amatoria Andreae Capellani Regii vetustissimi scriptoris ad venerandum suum amicum Gwaltherum scripta numquam antehac edita sed saepius a mulits desiderata. Nunc tandem fide diversorum MSS. codicum in publicum emissa a Dethmaro Mulhero. Dorpmundae. Typis Westhovianis. Anno Una Caste et Vere a Manda. Einige Exemplare tragen die Angabe: Tremoniae, Typis Westhovianis, 1614,

Andreas teilt sein Werk in folgende Kapitel ein:

Erstes Buch:
I. Quid sit amor,
II. Inter quos possit esse amor,
III. Unde dicatur amor.
IV. Quis sit effectus amoris,
V. Quae personae sind aptae ad amorem,
VI. Qualiter amor acquiratur et quot modis.
VII. De amore clericorum,
VIII. De amore monacharum,
IX. De amore per pecuniam acquisito,
X. De facili rei petitae concessione,
XI. De amore rusticorum,
XII. De amore meretricum.

Zweites Buch: Qualiter amor retineatur.
I. Qualiter status acquisit amoris debeat conservari,
II. Qualiter perfectus amor debeat augmentari,
III. Qualiter amor minuatur,
IV. Qualiter finiatur amor,
V. De notitia mutui amoris,
VI. Si unus amantium alteri fidem frangat amanti,
VII. De variis indiciis amoris.
VIII. De regulis amoris.

Drittes Buch: De repobatione amoris.

Andreas läßt abwechselnd den Liebenden und die Dame sprechen. Sie macht Einwendungen, der Liebende sucht sie durch mehr oder minder feinsinnige Beweise zu widerlegen. Hier eine Stelle, wo der Verfasser den Liebenden sagen läßt:

»...Sed si forte horum te sermonum pertubet obscuritas, eorum tibi sententiam indicabo. Ab antiquo igitur quantuor sunt gradus in amore constituti distincti:

Primus in spoi datione consistit,
secundus in osculi exhibitione,
tertius in amplexus fruitione,
quartus in totius personae concessione finitur.«

Bemerkung des Übersetzers: Die von Stendhal angeführten lateinischen Stellen sind nach dem Neudruck: Andreae Capellani regii Francorum De Amore libir tres. Recensuit E. Trojel. Hauniae, in libraria Gadiana, 1892, verbessert und ergänzt worden, ebenso die bibliographischen Angaben.

um 1170 schriftstellerisch tätig, erwähnt die Minnegerichte der Damen der Gascogne, der Gräfin Irmgard von Narbonne, der Konigin Eleonore, der Gräfin von Flandern und der Gräfin von Champagne (1174); von letzterer erwähnt er allein neun Urteile.

Johann von Nostradamus sagt in seiner Vie des poëtes provençaux: »Die Tenzonen waren Wortkämpfe zwischen sangeskundigen Rittern und Damen über irgend eine schöne und spitzfindige Streitfrage auf dem Gebiete der Liebe. Fälle, über die man nicht einig werden konnte, unterbreitete man zur endgültigen Entscheidung den vorgesetzten erlauchten Damen, die öffentlich und frei in Signe, Pierrefeu, Romanin oder andernorts Minnegerichte abhielten und ihre Urteile abgaben, die sogenannten arrests d'amours. Wahrscheinlich tagte ein und dasselbe Gericht bald im Schlosse zu Pierrefeu, bald in dem zu Signe, einander ziemlich nahen Orten.«

In seiner Vie de Bertrand d'Alamanon erzählt Nostradamus: »Dieser Troubadour war in Phanette von Romanin verliebt, eine Dame aus dem Hause Gantelmes, die damals in ihrem Schlosse zu Romanin, nahe der Stadt Saint-Remy, ein öffentliches und freies Minnegericht hielt. Sie war eine Tante der Laura de Sade in Avignon, die der Dichter Petrarca so verherrlicht hat.«Bei dieser Gelegenheit liest man, daß Laura in Avignon um 1341 gelebt hat, daß sie von Phanette unterrichtet wurde, und daß beide treffliche Lieder nach allen Regeln der provenzalischen Dichtkunst dichteten. Sie war von vielen vornehmen und edlen Damen der Provence umgeben, die um jene Zeit in Avignon berühmt waren, als der päpstliche Hof dort residierte. Sie widmeten sich dem Studium der Literatur, hielten öffentliche Minnegerichte ab und entschieden Liebesstreitigkeiten, die ihnen vorgebracht und zugesandt wurden.

Andreas berichtet, daß ein Gericht, das von einer großen Zahl von Damen und Rittern gebildet wurde, einen Liebeskodex veröffentlicht hat.

Er hat uns auch ein Bittgesuch überliefert, das an die Gräfin von Champagne gerichtet wurde, als sie die Frage: »Kann wahre Liebe zwischen Eheleuten bestehen?« in verneinendem Sinne entschieden hatte.

Welche Strafe ereilte nun jemanden, der sich dem Urteil eines Minnegerichts nicht fügte? Wir lesen eine Verfügung des Gerichts von Gascogne, daß solche Urteile wie gesetzliche Bestimmungen anzusehen seien und daß unbotmäßige Damen sich die Feindseligleit jeder ehrbaren Dame zuziehen würden. Wie weit erkannte aber die öffentliche Meinung die Urteilssprüche dieser Minnegerichte an? Galt sich ihnen zu entziehen genau so als Schande wie heutzutage in Ehrensachen? Ich finde bei Andreas und Nostradamus keine Auskunft über diese Fragen.

Zwei Troubadoure, Simon Doria und Lanfranc Cigalla, regten einmal die Frage an: »Wer ist der Liebe würdiger, jemand, der sie willig, oder jemand, der sie unwillig gewährt, um für freigebig zu gelten?« Diese Frage wurde den Damen des Minnegerichts von Pierrefeu und Signe vorgelegt, aber die beiden Troubadoure waren mit der gefällten Entscheidung nicht zufrieden und wandten sich an das oberste Minnegericht der Damen von Romanin.

In ihrer Fassung entsprachen diese Urteilssprüche ganz den Richterurteilen jenes Zeitalters. Wie auch die Meinung des Lesers über die gewaltige Macht sein mag, die damals die Minnegerichte im zeitgenössischen Leben bildeten, ich bitte dabei in Betracht zu ziehen, um was sich heute die Unterhaltung der vornehmsten und reichsten Damen von Toulon und Marseille bewegt. Waren die Frauen von 1174 nicht um vieles fröhlicher, geistreicher und glücklicher als die von heute?

Fast alle Urteilssprüche der Minnegerichte fußen auf den Satzungen des Liebeskodex. Er findet sich vollständig in dem Werke von Andreas und enthält folgende einunddreißig Regeln.

Minneregeln aus dem zwölften Jahrhundert

Der Traktat De Amore des Andreas Capellanus ist gegen 1400 durch Eberhard Cersne in Minden in niederdeutscher Sprache poetisch bearbeitet worden.

Nach der Papierhandschrift Nr. 3013 der Hofbibliothek in Wien aus dem Jahre 1404 lauten die Minneregeln in dieser niederdeutschen Übersetzung:

Hij begynnen der mynnen regelen.
Dye erst regel der mynne:
Sache der echtschafft van der liebe ist keyn recht entschuldigunge,

Dye ander regel der mynne:
Wer nicht helet der kan nicht lieb gehan.

Dye dritte regel:
Keyner kan dubbeldir vorpundin zyn.

Dye vierte regel:
Dye liebe alletzijt sich meret edir mynnert.

Dye vunffte regel:
Daz ist vnsuße vnde sundir smag, daz eyner nympt van eyme, der vngerne zyn liebichin ist.

Dye sexte mynnen regel:
Der man nicht vbe mynnen spil e ym zyn heymeligen har vff gen.

Dye syebete regel der mynne:
Daz tode lieb had tzwe najar e zyn lieb eyn ander kese.

Dye achtete regel:
Keyner sundir redeliche sache zal zyner liebe beroubit werdin.

Dye nvnde regel:
Keyner lieb gehabin kan ane da yn liebe tzudryngit.

Dye tzeende regel:
Liebe alle tzijt van gyrikeyt wil ellende zyn.

Dye elffte regel:
Ez getzempt nicht lieb gehan dye, van den men ane schamen vnde schande nvptien mag begernde zyn.

Dye tzwelffte regel:
Eyn recht war liebhabir van rechtir ger nicht nympt tzu danke noch tzu willen fromde kus vnde vmbevang sundir synes liebis alleyne.

Dye dryttzende regel:
Liebe selten lange (warit) wan sye wird offinbar vnde gemeyne.

Dye viertzende regel:
Liebe dye (men) lichtligen irwerbit dye wird vursmat, dye men swerlich krygit dye wirt lieb vnde wert gehalden vnde werit lang.

Dye vunfftzende regel:
Eyn itslich lieb in des andern angesichte wirt bleychir ab rotir vaer.

Dye sextende regel:
Begert men ab biddit men van eynes liebichin ichteswaz, siet daz zyn lieb, da bebit vnde tzettirt ym zyn hertze van.

Dye sybentzende regel:
Nuwe liebe trybit dye alden hyn.

Dye achtzende regel:
Alleyne bederbikeyt machit eynen itslichen liebe werdig.

Dye nvntzende regel:
Wan liebe mynren sich begynt, so vurget sye snel vnde kumpt selden wedir da sam sye da vorn ist gewest.

Dye tzwentigiste regel:
Der liebhabir ist vul forchtin alle tzijt.

Dye eynvntzwenttigiste regel:
Van gyssen vnde dunken, daz zyn lieb getruwe sye vnde nicht vbil thu, da wessit ser dye liebe van.

Dye tzwevntzwentigiste regel:
Wan eyn zyn lieb wa mid vurdenkit, da wessit liebe vnde begerlikeyt van.

Dye drvvntzwentigist regel:
Den da moygen gedanken der liebe, der geessit noch enslefit nicht gar vil.

Dye viervntzwenitigist regel:
Alle tat ab gewerk eynes liebhabirs wirt geendigit in synes liebis gedanken.

Dye vunffvntzwentigiste regel:
Wer da rechte lieb gehad, dem dunkit keyn dyng vff erdin seliger beßir vnde nvttzir zyn, dan daz her gedenke, wye her zyne liebe konne tzu willen vnde behegelich zyn; daz ist all zyn gedanke vnde beger.

Dye sexvntzwentigist regel:
Liebe kan der liebe nicht geweygeren.

Dye syebenvntzwentigist regel:
Der liebhabir kan nicht gesetigit werdin von zynes liebis mynnenspil sam sijt kus vmbefang vnde lieblich kosen etc.

Dye achtvntzwentigist regel:
Gar eyn cleyne sache tut eynen vbiltat gedenken van syme liebe.

Dye nununtzwentigiste regel:
Der kan nicht lieb gehan den obirflußig lust moygit vnde reyßit

Dye dryßigiste regel:
Dem rechtin lieb(habir) dunkit alle tzijt, wy ym zynes liebis bilde vnde gestalt tegenwardig sy vnde wye hers sie.

Dye eynundryßigiste vnde dye leste regel:
Eyne frouwe van tzwen menren werden lieb gehad vnde eynen man van tzwen frouwen ist nicht vnmogelich noch kegn dye gebote der mynne.

Hij endigen sich der mynnen regelen

(Vgl. Der Minne Regel von Eberhardus Cersne aus Minden, 1404 .... herausgegeben von Franz Xaver Wöber, Wien, Braumüller, 1861, S. 179 ff.)

Eine zweite, mittelhochdeutsche, Übersetzung, verfaßt vom Doktor Johann Hartlieb, lautet nach der sehr raren Inkunabel der k. Bibliothek in Dresden: Hie hebt sich an das buch Ouidij die liebe zuo erwerben und ouch die liebe zuo uerschmehen etc. Getrückt vnd volendet zuo Strassburg von Martino Schotten noch Christi gburt 1484 uff zmstag noch Sant Gertrutentag etc. (Die Beziehung auf Ovid ist eine Mystifikation aus Gründen buchhändlerischer Reklame.) Es existieren außer dieser Ausgabe noch zwei andre, eine von 1482 und noch eine von 1484 (Augsburg, Anton Sorg). Das Originalmanuskript Hartliebs befindet sich in der Wiener Hofbibliothek (Codex 3053).

Von den regeln der mynne

Jemant mag sich von lieb vnd mynn rechtlich scheyden. Wer nit seines liebes fürcht und eyfert der mag nit lieb haben.

Es ist nit lieblich, noch wol geschmach was ein lieb von dem andern on seinen willen thuot oder empfecht.

Ein knab mag nicht recht lieb pflegen ee er zuo seinen bescheiden ioren kompt.

Nyemand mag zwey lieb haben.

Die lieb muoß alweg wachsen oder abnemen.

Wann ein lieb zwei iar on buolen ist das wider die buolschaft.

Niemant sol seiner lieb und mynn on vrsach beräubt werden.

Niemand mag recht liebe haben dann da in sein hertz vnnd muot hintregt.

Lieb mag bei geitzigkeit nicht wonen.

Es sol niemant lieb noch mynn haben des erschandhet.

Ein rechter buoler begerd keiner freüd noch luost von anderen weyben dann allein seyns buolen.

Die geoffent weit erschollen lieb und mynn mag gar selten lang weren.

Wer leichtlich gewert des lieb und mynn wird bald verschmecht.

Was hart ankompt das liebt vast.

Ein yeglichs rechts lieb wird bleich so ir lieb ansicht.

Wann ein weib iren buolen ansieht so erhitzt er.

Neüw lieb vertreibt die alten.

Allein fruomkeit macht die lieb würdig.

Wo die lieb seicht da verlischt sie bald vnd kompt nit wider.

Ein rechter mynnsichtiger buoler ist alweg sorgueltig.

Von eyfern wirt die lieb groesser und stercker.

Wer lieb empfind von seinen lieb daz macht die ringer lieb wachsen.

Wen die lieb vmtreibt des schlaf vnd speiß sich ringert.

Do ist recht freüd wo lieb mit lieb betzalt wirdt.

Ein rechter buoler meint das nichts besser sei dann das er seines buolen willen thü.

Ein lieb mag dem andern lieb nichts versagen.

Ein lieb mag sich des andern niemer ersatten noch erfült werden.

Ein klein wenig arckwon macht in der lieb myßdenken.

Wer übrig vnkeüsch treibt der mag nicht recht lieb haben es sey frauw oder mann.

Ein rechter mynsichtiger buoler duncket alweg wie seines lyebes gestalt alweg vor im stee.

Einer frauwen ist (nicht) verbotten zwei lieb zuo haben.

Einem mann seind (nicht) verbotten zwo frauwen zuo buolen.

Hartliebs Buch ist seit 1484 nicht wieder gedruckt worden.

(Regulae amoris)

1.

Causa coniugii ab amore non est excusatio recta.
Die Ehe ist für die Liebe kein Hinderungsgrund.

2.

Qui non celat, amare non potest.
Wer nicht verschwiegen sein kann, der kann auch nicht lieben.

3.

Nemo duplici potest amore ligari.
Man kann sein Herz nicht zweimal vergeben.

4.

Semper amorem crescere vel minui constat.
Die Liebe kann jederzeit wachsen oder abnehmen.

5.

Non est sapidum, quod amans ab invito sumit coamante.
Was man in der Liebe gewaltsam erringt, bietet keinen Genuß.

6.

Masculus non solet nisi in plena pubertate amare.
Der Mann liebt gewöhnlich erst in voller Reife.

7.

Biennalis viduitas pro amante defuncto superstiti praescriptur amanti.
Stirbt einer der Liebenden, so muß der Überlebende ihm zwei Jahre hindurch die Treue halten.

8.

Nemo sine rationis excessu suo debet amore privari.
Niemand soll ohne triftigen Grund seines Rechts in der Liebe beraubt werden.

9.

Amare nemo potest, nisi qui amoris suasione compellitur.
Niemand vermag zu lieben ohne Hoffnung auf Gegenliebe.

10.

Amor semper consuevit ab avaritiae domiciliis exsulare.
Durch Geiz wird die Liebe meist aus dem Hause getrieben.

11.

Non decet amare, quarum pudor est nuptias affectare.
Es ziemt sich nicht, die zu lieben, die man zu heiraten sich schämen würde.

12.

Verus amans alterius nisi sui coamantis ex affectu non cupit amplexus.
Wahre Liebe begehrt nach keinen anderen Liebkosungen als nach denen der Geliebten.

13.

Amor raro consuevit durare vulgatus.
Liebe, von der alle wissen, hat selten Dauer.

14.

Facilis perceptio contemptibilem reddit amorem, difficilis eum carum facit haberi.
Zu leichter Erfolg raubt der Liebe bald den Reiz, Hindernisse verleihen ihr Wert.

15.

Omnis consuevit amans in comantis aspectu palescere.
Jeder Liebende erblaßt beim Anblick der Geliebten.

16.

In repentina coamantis visione cor contremescit amantis.
Beim unerwarteten Erscheinen des Geliebten erbebt das Herz.

17.

Novus amor vectrem compellit abire.
Neue Liebe verjagt die alte.

18.

Probitas sola quemque dignum facit amore.
Verdienst allein macht der Liebe würdig.

19.

Si amor minuatur, cito deficit et raro convalescit.
Eine erlöschende Liebe verflackert rasch und lodert selten wieder auf.

20.

Amorosus semper est timorosus.
Der Liebende ist immer zaghaft.

21.

Ex vera zelotypia affectus semper crescit amandi.
Durch echte Eifersucht wächst die Liebe immer.

22.

De coamante suspicione percepta zelus et affectus crescit amandi.
Argwohn und seine Folge, die Eifersucht, nährt die Neigung.

23.

Minus dormit et edit, quem amoris cogitatio vexat.
Wen Liebesgedanken umgarnen, der ißt und schläft weniger.

24.

Quilibet amantis actus in coamantis cogitatione finitur.
Alles Tun eines Liebenden endet mit dem Gedanken an die Geliebte.

25.

Verus amans nil bonum credit nisi, quod cogitat coamanti placere.
Der wahren Liebe erscheint nur das gut, was der Geliebten gefällt.

26.

Amor nil posset amori denegare.
Liebe kann der Liebe nichts versagen.

27.

Amans coamantis solatiis satiari non potest.
Der Liebende wird des Genusses der Geliebten nie satt.

28.

Modica praesumptio cogit amantem de coamante suspicari sinistra.
Der leiseste Verdacht weckt den schrecklichsten Argwohn des Geliebten.

29.

Non solet amare, quem nimia voluptatis abundantia vexat.
Wer zu sehr an Vergnügungen gewöhnt ist, den meidet die Liebe.

30.

Verus amans assidua sine intermissione coamantis imaginatione detinetur.
Wer liebt, dem schwebt das Bild des geliebten Wesens immerdar vor Augen.

31.

Unam feminam nil prohibet a duobus amari et a duabus mulieribus unum.
Nichts steht dem entgegen, daß eine Frau von zwei Männern oder daß ein Mann von zwei Frauen geliebt wird.

Zuletzt die Entscheidung eines Minnegerichts:

Frage: »Utrum inter coniugatos amor possit habere locum...?«

Urteil der Gräfin von Champagne:

»Dicimus enim et stabilito tenore firmamus, amorem non posse suas inter duos iugales extendere vires. Nam amantes sibi invicem gratis omnia largiuntur nullius necessitatis ratione cogente. Iugales vero mutuis tententur ex debito voluntatibus obedire et in nullo se ipsos sibi invicem denegare...

»Hoc igitur nostrum iudicum cum nimia moderatione prolatum et aliarum quam plurimarum dominarum consilio roboratum pro indubitabili vobis sit ac veritate constanti.

»Ab anno MCLXXIV calend. maii. Indictione VII.«

»Wir sagen und verfügen hiermit, daß die Liebe auf zwei verheiratete Personen ihre Rechte nicht ausdehnt, dieweil sich Liebende alles gegenseitig und freiwillig gewähren, ohne durch eine Notwendigkeit gezwungen zu werden, dagegen Ehegatten verpflichtet sind, sich gegenseitig zu Willen zu sein und eins dem anderen nichts zu verweigern. Solches Urteil, das wir nach reiflicher Erwägung und nach Einholung des Gutachtens einer großen Zahl anderer Damen gefällt haben, sei euch allezeit eine unerschütterliche und unverbrüchliche Wahrheit! So gegeben im Jahre 1174 am 16. Mai.«


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