von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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57. Über die Erziehung der Frauen

Die gegenwärtige Erziehung der jungen Mädchen, die eine Frucht des Zufalls und des dümmsten Dünkels ist, läßt ihre herrlichsten Fähigkeiten, die ihnen selbst wie den Männern eine Fülle von Glück bringen könnten, verkümmern. Aber welcher Mann hat nicht wenigstens einmal in seinem Leben wie Molière in den »Gelehrten Frauen« (Akt I, Szene 7) ausgerufen:

»... eine Frau
Besitzt des Geists genug, wenn sie ein Wams
Von einem Beinkleid unterscheiden kann.«

In Paris ist das höchste Lob für ein junges heiratsfähiges Mädchen: »Sie hat viel Nachgiebigkeit im Charakter und ist aus Gewohnheit sanft wie ein Lamm.« Nichts übt mehr Wirkung auf einen dummen Freier aus. Beobachten wir ihn aber zwei Jahre später, wenn er mit seiner Frau an einem trüben Tage beim Frühstück sitzt: er hat eine Hausmütze auf und drei Lakaien stehen herum.

Man hat in den Vereinigten Staaten im Jahre 1818 ein Gesetz erlassen, das denjenigen zu vierunddreißig Peitschenhieben verurteilt, der einen Virginia-Neger im Lesen unterrichtet. Ein sehr richtiges und vernünftiges Gesetz.

Sind übrigens die Vereinigten Staaten von Nordamerika ihrem Mutterlande nützlicher gewesen, als sie noch abhängig von ihm waren, oder jetzt, wo sie ihm gleichstehen? Wenn die Arbeit eines freien Mannes zwei oder dreimal mehr wert ist als die eines Menschen in Sklaverei, warum soll es sich nicht ebenso mit seiner Gesinnung verhalten?

Am liebsten erzöge man die jungen Mädchen wie Sklaven; aber auch so wissen sie vom Nützlichen nur so viel, als ihre Lehrer wollen.

»Aber das wenige, das sie unglücklicherweise an Bildung erhaschen, wenden sie gegen uns an,« werden gewisse Ehemänner sagen. Kein Zweifel. Napoleon hatte sehr recht, als er der Nationalgarde keine Waffen gab. Wenn wir einem Menschen Waffen geben und fortfahren, ihn zu unterdrücken, so werden wir es erleben, daß er diese Waffen gegen uns zu gebrauchen wagt.

Selbst wenn wir berechtigt wären, die jungen Mädchen wie Idioten mit Ave Marias und schlüpfrigen Liedern (wie in den Klostern von 1770) zu erziehen, so gäbe es immer noch einige kleine Einwände dagegen:

Erstens: Falls der Gatte stirbt, sind die Frauen berufen, der jungen Familie vorzustehen.

Zweitens: Als Mütter geben sie den männlichen Kindern, den jungen künftigen Tyrannen, die erste Erziehung, die den Charakter bildet und die Seele bestimmt, das Glück auf dem oder mehr auf jenem Wege zu suchen, was sich bereits mit vier oder fünf Jahren entscheidet.

Drittens: Bei allem unseren Dünkel sind die Ratschläge der notwendigen Lebensgefährtin von größtem Einfluß auf unsere kleinen inneren Angelegenheiten, von denen unser Glück vor allem abhängt, weil das Glück in Ermangelung von Leidenschaften in der Vermeidung der kleinen alltäglichen Widerwärtigkeiten beruht. Keineswegs wollen wir der Frau irgendwelchen Einfluß einräumen, aber sie wiederholt zwanzig Jahre lang die gleichen Dinge, und welcher Mensch hat die Standhaftigkeit eines Römers, einem immer wiederkehrenden geistigen Einfluß sein Leben lang zu widerstehen? Die Welt wimmelt von Ehemännern, die sich leiten lassen, aber aus Charakterschwäche, nicht aus Gefühl für Gerechtigkeit und Gleichheit.

Viertens: Schließlich liegt unser Glück in den Jahren der Liebe, unsrer schönsten Lebenszeit, die im Süden oft zehn bis zwölf Jahre währt, ganz und gar in den Händen der Frau, die wir lieben. Warum sollte ein auf den Thron erhobener Sklave nicht versuchen, seine Gewalt zu mißbrauchen? Hier finden wir die Quelle des falschen Zartgefühls und des weiblichen Stolzes.

Solche Einwände sind gänzlich nutzlos; die Männer sind Tyrannen, und man weiß, was bei einem Despoten selbst die vernünftigsten Ratschläge ausrichten: der allmächtige Mann liebt nur eine einzige Art von Ratschlägen, nämlich solche, die ihn seine Macht noch vergrößern lehren.

Wenn ein Umschwung auf diesem Gebiete mehrere Jahrhunderte erfordert, so liegt der Grund darin, daß durch einen verhängnisvollen Zufall alle ersten Erfahrungen unbedingt immer mit der Wahrheit in Widerspruch stehen. Erleuchtet die Gedankenwelt eines jungen Mädchens, bildet seinen Charakter, mit einem Worte: gebt ihm eine gute Erziehung in des Wortes wahrer Bedeutung, so wird es sich früher oder später seiner Überlegenheit über die anderen Frauen bewußt und dadurch zur Pedantin, das heißt zum unangenehmsten und entartetsten Wesen auf Erden. Jeder von uns Männern will lieber sein Leben mit einer Sklavin als mit einer solchen gelehrten Frau verbringen.

Wenn man einen jungen Baum mitten in einem dichten Walde pflanzt, wo ihm die Nachbarbäume Licht und Luft rauben, werden seine Blätter verkümmern und er wird lächerlich in die Höhe schießen und eine unnatürliche Gestalt annehmen. Man muß eben einen ganzen Wald gleichzeitig pflanzen. So ist es auch mit den Frauen. Lesen zu können, brüstet sich keine.

Seit zweitausend Jahren wiederholen uns die Schulmeister, daß die Frauen geistig lebhafter, die Männer gründlicher seien, daß die Frauen mehr Zartheit in ihren Ideen, die Männer mehr die Kraft der Beobachtung hätten. Aber mancher Pariser Bummler, der ehedem durch die Gärten von Versailles schlenderte, mag aus allem, was er da sah, den Schluß gezogen haben, alle Bäume wären von Natur gleichmäßig zugestutzt.

Ich will zugeben, daß die kleinen Mädchen weniger körperliche Kräfte haben als die Knaben. Wenn man aber daraus auf den Geist schließen wollte, müßten Voltaire und Dalembert, die ersten Köpfe ihres Jahrhunderts, auch berühmte Boxer gewesen sein. Es ist vielmehr eine allbekannte Sache, daß ein zehnjähriges Mädchen zwanzigmal verschmitzter ist als ein gleichaltriger Junge. Warum ist aber eine Zwanzigjährige dumm, linkisch, schüchtern und fürchtet sich vor einer Spinne, während der Knabe dann ein gebildeter Mensch geworden ist?

Die Frauen wissen nur das, was sie nicht wissen sollen, und was sie durch ihre eigene Lebenserfahrung lernen. Deshalb sind die Frauen im Nachteile, die aus einer reichen Familie stammen; anstatt mit Menschen in Berührung zu kommen, die mit ihnen natürlich umgehen, sind sie von Kammerzofen und Gesellschafterinnen umgeben, die das Geld verdorben und unnatürlich gemacht hat. Am unglücklichsten ist eine Prinzessin daran.

Die jungen Mädchen machen in Erkenntnis ihrer Sklaverei die Augen beizeiten auf, sie sehen alles, wenn sie auch zu unwissend sind, um richtig zu sehen. Eine Französin hat mit dreißig Jahren nicht die Einsicht, die ein Knabe mit fünfzehn Jahren hat, und mit fünfzig Jahren nicht den Verstand eines halb so alten Mannes. Frau von Sévigné hat bekanntlich an Ludwig dem Fünfzehnten die sinnlosesten Handlungen bewundert, und Frau von Epinay ist in ihrem Urteile durchaus unreif.


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