von Stendhal - Henry Beyle
Über die Liebe
von Stendhal - Henry Beyle

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18. Weitere Ausnahmen der Schönheit

Es gibt kluge und zärtliche Frauen von zaghafter und mißtrauischer Feinfühligkeit, die, wenn sie in Gesellschaft gewesen sind, am Tage darauf mit peinlicher Ängstlichkeit alles das tausendfach wieder überdenken, was sie gesagt oder auch nur angedeutet haben. Solche Frauen gewöhnen sich leicht an die Schönheitsfehler eines Mannes. Ungestört dadurch schenken sie ihm ihre Liebe.

Aus eben dem Grunde sind wir Männer sehr gleichgültig für den Grad der Schönheit einer Angebeteten, die uns kalt behandelt. Die Schönheit hat mit dem Gedeihen der Liebe kaum etwas zu schaffen. Wenn uns ein Freund, um uns zu kurieren, sagt, unsere Geliebte sei nicht hübsch, so geben wir ihm beinahe recht, und er wähnt, ein großes Werk vollbracht zu haben.

Mein Freund, der brave Kapitän Trab, hat mir heute abend den Eindruck geschildert, den einst Mirabeau auf ihn gemacht hat. Niemand, der diesen großen Mann betrachtete, empfand einen unangenehmen Eindruck, das heißt, keiner fand ihn häßlich. Durch seine packenden Worte hingerissen, schenkte man seine Aufmerksamkeit mit Genuß den schönen Zügen seines Gesichts. Da aber in seinem Gesicht fast nichts schön war – nach den Schönheitsgesetzen der Bildhauerkunst oder der Malerei – so war man achtsam auf das Eigentümliche einer anderen Schönheit, der des Ausdrucks. Während die Aufmerksamkeit alles vom künstlerischen Standpunkt Häßliche übersah, schmiegte sie sich um so liebevoller an die kleinsten Vorzüge an, zum Beispiel an die Schönheit seines vollen Haares. Hätte er Hörner gehabt, man hätte sie auch schön gefunden.

Das ist der Vorteil, wenn man in Mode ist. Sobald man die Schönheitsfehler an jemandem kennt und diese keinen eigentlichen Einfluß mehr auf uns ausüben, suchen wir folgende drei Arten von Schönheit an ihm zu entdecken:

1. im Volke den Reichtum,

2. in der Gesellschaft die körperliche oder geistige Eleganz,

3. im Hofleben das Streben nach Glück bei den Frauen.

Meistens liegt eine Mischung aus allen dreien vor. Das Glück, das dem Reichtum zugeschrieben wird, verbindet sich mit der Verfeinerung des Genusses, der eine Folge der Eleganz ist, und alles zusammen fordert die Liebe heraus. Auf die eine oder andere Weise wird die Phantasie durch das Neue angelockt. So findet man Gefallen an einem häßlichen Menschen, und mit der Zeit wird die Häßlichkeit zur Schönheit.Der kleine Germain in den Memoiren von Gramont.

Eine Tänzerin in Wien, Madame Viganò, die damals sehr in Mode war, kam im Jahre 1788 in andere Umstände, – und alsbald trugen die Damen kleine Bäuche à la Viganò.

Im Kreislaufe der Anschauungen ist nichts häßlicher als eine überlebte Mode. Der schlechte Geschmack verwechselt die Mode, die immer das Neue liebt, mit dem ewig Schönen. Ein nach der Mode erbautes Haus ist in zehn Jahren altmodisch, aber in zweihundert Jahren, wenn jene Mode ganz vergessen ist, wirkt es gar nicht so häßlich. Liebende sind große Narren, wenn sie sich hübsch ankleiden. Beim Anblick des Geliebten haben Frauen mehr zu tun, als auf seine Kleidung zu achten. Man sieht den Geliebten, aber man mustert ihn nicht, sagt Rousseau. Wer es doch tut, liebt nicht aus Leidenschaft, sondern aus Galanterie. Ja, die strahlende Schönheit der Geliebten mißfällt uns fast; man sieht nur Schönheit, wo man Zärtlichkeit und Sehnsucht erblicken möchte. Das Sichputzen hat für die Liebe nur Wirkung bei jungen Mädchen, die im Elternhause ängstlich gehütet werden und oft nur mit den Augen lieben können.

Allabendlich zwingt das Auftreten einer hübschen Tänzerin die blasierten und phantasiearmen Lebemänner, die den ersten Rang des Opernhauses zieren, zur vollen Aufmerksamkeit. Durch ihre anmutigen, kühnen und eigenartigen Bewegungen erregt sie die Liebe aus Sinnlichkeit und verschafft ihnen vielleicht die einzige Kristallbildung, deren sie überhaupt noch fähig sind. So kommt es, daß ein ganz garstiges Frauenzimmer, das auf der Straße von verwöhnten Männern keines Blickes gewürdigt wird, es durch das immer wiederholte Auftreten auf der Bühne zuwege bringt, reiche Liebhaber zu fangen. Geoffroy nannte darum die Bühne den Thronsessel der Weiber. Je bekannter und verbrauchter eine Tänzerin ist, um so teurer wird sie. Es gibt ein Kulissensprichwort: »Es will sie keiner geschenkt, so muß sie sich schon verkaufen.« Diese Sorte von Weibern stiehlt ihren Liebhabern die Leidenschaft und erregt sehr leicht die Liebe aus Eitelkeit.

Es ist so natürlich, daß man edle und liebenswürdige Gefühle mit dem Wesen einer an und für sich nicht verletzenden Schauspielerin verknüpft, wenn man sie jeden Abend zwei Stunden lang die idealsten Gefühle ausdrücken sieht und sonst nichts von ihr weiß. Später, wenn man in Beziehungen zu ihr tritt, rufen ihre Züge immer wieder so angenehme Erinnerungen wach, daß sich die Wirklichkeit ihrer manchmal wenig vornehmen Umgebung augenblicklich mit einem rührenden, romantischen Zauber umhüllt.

Mein Freund, der selige Baron von Bottmer, sagt in seinem Tagebuche: »Wenn ich als ganz junger Mensch, als mich noch die langweilige französische Tragödie begeisterte, das Glück hatte, mit Fräulein Olivier zu soupieren, ertappte ich mich fortwährend dabei, daß mein Herz voll Verehrung schlug und ich mit einer Königin zu sprechen wähnte. Manchmal habe ich tatsächlich in ihrer Nähe nicht recht gewußt, ob ich in eine Königin oder in ein hübsches Mädchen verliebt war.«


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