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XI.

Laskowicz sah Marie jetzt tagtäglich, aber nur aus der Ferne. Selbst an regnerischen Tagen, an denen sie nicht zu Fuß, sondern mit dem Wagen zu den Proben sich begab, lauerte er an der Aufgangstreppe, um sie beim Aussteigen zu beobachten. An schönen Tagen erwartete er sie gewöhnlich in der Nähe ihrer Wohnung und folgte ihr nach bis an Ort und Stelle. Da unter der Dienerschaft des Saales sich einige »Genossen« befanden, ermöglichten diese ihm schließlich auch den Zutritt zu den Proben. Sich in einer der Logen oder in der letzten Sesselreihe zu verbergen, wurde ihm leicht, denn während der Proben wurde nur das Podium erleuchtet, dagegen brannten während der Dämmerung im Saale selbst nur einige Lampen, die man nur deshalb anzündete, um die wenigen privilegierten Musikliebhaber auf ihren Plätzen hinter dem Orchester nicht in vollständiger Dunkelheit sitzen zu lassen.

Unter diesen Privilegierten bemerkte Laskowicz oft Bekannte: Frau Otocka, den alten Notar, Fräulein Anney, mitunter auch Gronski und einige Male Szremski. Doch trotz der Feindseligkeit, die er gegen Wladislaw und teilweise auch gegen den Doktor und Gronski hegte, befaßte er sich nur wenig mit diesen und dachte kaum an sie, denn seine Augen ruhten fast immer auf der lieblichen Gestalt Maries, die, am Rande der Estrade stehend, durch die Strahlen des elektrischen Lichtes blendend beleuchtet war; unwillkürlich erinnerte er sich dabei an jene Alabasterfigur, die der alte Domherr als seinen größten Schatz betrachtete.

Laskowicz war ziemlich ungebildet, und sein geistiger Horizont war infolge des einseitigen Studiums nicht sehr weit, so daß er über gewisse Eindrücke sich keine Rechenschaft ablegen konnte. Und dennoch, wenn er dies Mädchen, mit der Geige in der Hand, ihr hehres, ruhiges Antlitz, die scharf gezeichneten Linien ihrer Gestalt und ihres Gewandes betrachtete, erwachte in ihm das halbbewußte Gefühl, daß in ihr etwas von Poesie und Religion enthalten sei; sie erschien ihm als ein überirdisches Wesen, das man anbeten müsse.

Er vergötterte sie in der Tat im Grunde seiner wilden, phantastischen Seele. Da er aber eine Mißachtung gegen alles Göttliche zu haben vermeinte, bekämpfte er sein eigenes Gefühl und trachtete es gänzlich auszurotten. Absichtlich legte er seinen Träumen Fesseln an und suchte seine Gedanken zu unterdrücken. Aber seinen Begierden ließ er ganz freien Lauf, doch haderte er mit sich selbst, quälte sich und litt.

Zuweilen befand er sich wirklich an der Grenze des Wahnsinns – und in solchen Fällen wäre er fähig gewesen, zu zertrümmern, zu töten, die Stadt in Brand zu setzen, nur, um unter Feuer und Blut dies Mädchen zu entführen und von ihm Besitz zu ergreifen – um dann mit ihm und allen übrigen zugrunde zu gehen. Er träumte, daß in diesem Revolutionssturme, der die Wellen des Proletariates aufgepeitscht hatte, die Stunde der allgemeinen Vernichtung kommen werde. Sobald aber die Wirklichkeit diese Träume verscheuchte, sobald Momente kamen, in denen es ihm klar wurde, daß das Volk selbst dem Rachen des revolutionären Drachens einen Maulkorb anlegte, verflüchtigten sich die blutigen Visionen in leeren Rauch, und es blieben nur Ermattung und Kraftlosigkeit zurück, denn der düstere Proletarier fühlte, daß seine Macht nur so lange wie der Sturm dauern würde und er nachher in völliges Nichts versinken müsse.

In seinem Herzen sammelte sich daher immer größere Bitterkeit und Gehässigkeit. Er liebte und haßte Marie zugleich, denn er glaubte, sie betrachte ihn als einen zu ihren Füßen sich krümmenden, ihres Blickes unwürdigen Wurm. In dieser Meinung wurde er dadurch bestärkt, daß seine Briefe augenscheinlich nicht die mindeste Wirkung auf sie übten und ihren gewöhnlichen ruhigen Frohsinn nicht störten.

Laskowicz hatte Pauline das Wort gegeben, Marie nur aus der Ferne sehen zu wollen – und er konnte sich ihr auch aus dem Grunde nicht nähern, weil sie nie allein ging; selbstverständlich jedoch konnte er nicht erraten, daß seine Briefe von Frau Otocka in Empfang genommen und verbrannt wurden, und daß Marie von alledem keine Ahnung hatte. Er nahm an, daß seine leidenschaftlichen Aufforderungen, in denen die Worte: »Vielgeliebte! Vielgeliebte!« sich fortwährend wiederholten, und seine stetigen Beteuerungen, in denen er demutsvoll zu ihren angebeteten Füßen niedersank oder sich ihr als mächtiger Herrscher vorstellte, der die Menschenwelle einer unbekannten Zukunft zuschob – irgendwelche Wirkung hervorrufen müßten. – »Sei es auch Ärger, sei es Haß!« sagte er zu sich – »hier aber nichts, gar nichts! Sie geht an mir vorüber, als ob ich ein Hund von der Gasse wäre – sie sieht mich nicht, sie geruht mich nicht zu erkennen!«

Es war auch wirklich so. Wenn sie auf der Straße aneinander vorbeigingen, erkannte Marie den Laskowicz nicht und konnte ihn auch nicht erkennen, denn er hatte sich, nachdem er Jastrzemb verlassen, ein Bärtchen wachsen lassen, und außerdem hatte Swidwicki, um ihn vor polizeilichen Verfolgungen zu schützen, diesen Bart samt dem Kopfhaar und Schnurrbart goldighell gefärbt. Auch der Anzug und die Brille veränderten ihn, doch er vergaß das alles, und grämte sich bei dem Gedanken, daß ihre Augen ihn nicht sehen und nicht erkennen wollten, erstens, weil die Erinnerung an ihn ihrem Gedächtnis entschwunden wäre, und zweitens auch aus dem Grunde, weil sie zu dem »gesellschaftlichen Olymp«, er dagegen zum »proletarischen Kehrichthaufen« gehöre.

Unter diesem Eindrucke verwandelte sich seine Qual in Wut. Mit wilder Wollust dachte er, daß ein Moment herannahen könne, in dem das Schicksal dieser »heiligen Puppe« und aller die ihr nahe standen, in seinen Händen liegen würde. Er redete sich ein, daß dieser Moment sein persönlicher und der »guten Sache« Sieg sein werde, deshalb freute er sich über dieses Zusammentreffen. Er stellte sich Marie im Geiste vor, wenn sie zu ihm käme, um Gnade für sich und ihre Lieben zu erflehen. Wird er sich dann vor ihr niederwerfen und ihr sagen, daß sie ihren Fuß auf sein Haupt setze – oder wird er sie in seine Arme schließen, um sie darauf mit Schimpf und Schande davonzujagen? – er wußte es selbst nicht. Er hatte nur die Empfindung, daß er das eine oder das andere tun müsse.

Mittlerweile dachte er oft, daß er sie überhaupt nicht mehr sehen dürfe und beschloß auch, sie nicht mehr aufzusuchen, aber am nächsten Tage lief er doch wieder dorthin, wo er ihr zu begegnen hoffte. Er rang mit sich selbst, er haderte mit seinem Schicksal und erschöpfte sich dabei so sehr, daß seine Gesundheit darunter litt. Der Mangel an frischer Luft, wie er sie in Jastrzemb eingeatmet hatte, die Notwendigkeit, vor der Polizei sich zu verbergen, die Unruhe, Schlaflosigkeit, plötzliche und schmerzliche Gemütsbewegungen zerstörten allmählich seine Lebenskräfte. Er wurde mager, nahm zusehends ab, und mitunter glaubte er, es drohe ihm nicht der Tod am Galgen, sondern im Spital.

Und in solcher Stimmung fand ihn Pauline, die nach ihrem Auftritt mit Hanka wie ein Wirbelwind in sein Dachstübchen hineingerannt kam.

Ihr Gesicht war so verändert, so blaß, krankhaft und rachsüchtig und ihre Augen glänzten so fieberhaft, daß er auf den ersten Blick erkannte, es müsse eine außerordentliche Begebenheit sie zu ihm hingetrieben haben – und er fragte:

»Was ist geschehen?«

Sie aber gab zur Antwort:

»Ich bin nicht mehr bei dieser Bauerndirne!«

Und sie schwieg, weil sie kaum Atem schöpfen konnte; nur ihr Gesicht zuckte nervös.

Laskowicz begriff nur, daß sie den Dienst verlassen hatte, und schaute sie mit fragendem Blick an, indem er weitere Aufklärung erwartete.

»Wissen Sie denn nicht«, brauste sie nach einer Weile auf, mit beiden Händen den wogenden Busen pressend, »so wissen Sie denn nichts davon, daß er sie heiraten soll? … Und sie ist keine Engländerin, nur eine Bauerndirne! Einer solchen habe ich gedient! … Und er soll sie heiraten – eine Bauerndirne! eine Bauerndirne – er!«

Und ihre Stimme verwandelte sich in ein gellendes, nervöses Gekreisch. Laskowicz erschrak über ihre Aufregung, aber gleichzeitig atmete er erleichtert auf. Wenngleich er schon seit langem vermutete, daß Krzyckis Gefühle dem Fräulein Anney und nicht Marie galten, war er doch im Grund der Seele erfreut, daß die Wirklichkeit seine Vermutung bestätigte.

Und da er in einer Welt lebte, zu der kein Echo aus der höheren Gesellschaftssphäre gelangte, und er von der Verwandlung des Fräulein Anney in ein polnisches Bauernmädchen gar nichts wußte, befragte er das Mädchen ausführlich darüber, einesteils weil diese Angelegenheit seine Neugier erregte, anderenteils, um dem aufgeregten Mädchen Zeit zur Beruhigung zu lassen. Doch dies letztere war nicht leicht, und er mußte die verschiedensten Fragen stellen, bevor er die Nachricht aus ihr herausbrachte, Swidwicki habe ihr bereits früher mitgeteilt, Fräulein Anney sei ein gewöhnliches Bauernmädchen; sie hätte es aber nicht glauben wollen, weil er es ihr im trunkenen Zustande gesagt habe. Erst aus erhorchten Gesprächen habe sie die Überzeugung gewonnen, daß es sich nicht nur so verhalte, sondern auch, daß Krzycki sie trotzdem heiraten wolle. Später habe sie durchs Schlüsselloch heimlich beobachtet und gesehen, daß er vor ihr auf die Knie gefallen sei und ihr die Hände geküßt habe. – Da hätte sie es nicht länger aushalten können, und bei der erstbesten Gelegenheit habe sie ihr »den Bettel« vor die Füße geworfen, sie eine Bauerndirne geschimpft und sei fortgelaufen.

Hier wurde sie neuerdings so aufgeregt, daß Laskowicz befürchtete, sie könnte Krämpfe bekommen; er sagte daher:

»Wir wollen die Sache überlegen, nur beruhigen Sie sich, bitte.«

Sie aber entgegnete ihm mit immer wachsender Aufregung:

»Ich bin nicht hierher gekommen, damit Sie mich beruhigen. Sie haben über das uns gemeinsam zugefügte Unrecht geredet, und nun befehlen Sie mir, daß ich mich beruhigen soll. Ich will Hilfe, nicht aber leeres Geschwätz!«

»Ist Ihnen denn so daran gelegen, daß er jene nicht heirate?«

»Was denn sonst? Was glauben Sie denn?«

Laskowicz würde allenfalls dem Mädchen beigestanden haben, denn hierzu verpflichtete ihn die Dankbarkeit fürs gerettete Leben, die Ähnlichkeit des Schicksals und jenes »gemeinsame Unrecht«, von dem er früher Pauline selbst erzählt hatte und an das sie ihn jetzt erinnerte. Allein Krzyckis Dasein hatte jetzt aufgehört, ihm persönlich im Wege zu stehen und noch weniger war ihm Fräulein Anney im Wege. Nur eines konnte er ihr nicht verzeihen.

»Sie war ein Bauernmädchen«, sagte er; »sie war eine Arbeiterin, und dann wurde sie eine von der Bourgeoisie – darin liegt ihr Verbrechen …«

»Darin oder nicht darin, jetzt entweder ich oder sie! – verstehen Sie?«

»Ich verstehe, aber was tun?«

»Als Sie vor der Polizei flohen, habe ich nicht gefragt, was ich tun solle.«

»Ich habe es nicht vergessen.«

»Und bei Swidwicki haben Sie mir erklärt, daß ihr jetzt alles vermöget.«

»So ist es.«

»Wenn er nur sie nicht heiratet! dann kann meinetwegen die Welt untergehen …«

Laskowicz betrachtete sie mit seinen nahe beieinander liegenden Augen und sagte nach einer Weile langsam und mit Nachdruck:

»Krzycki war schon einmal verurteilt – und lebt nur dank Ihrer Bemühungen; wenn er jedoch eine Kugel in den Kopf bekommt, wird er niemand heiraten.«

Kaum hatte sie dies vernommen, wurde sie leichenblaß und sprang im selben Augenblick wie eine Katze auf ihn zu:

»Was?« rief sie mit heiserer Stimme – »was!? er? Wenn ihm ein Haar gekrümmt wird, will ich euch alle …«

Laskowicz verlor endlich die Geduld. Er war erregt, innerlich zerrüttet und krank, darum überflutete nach ihrer Drohung eine bittere und gallige Welle sein Hirn. – Er sprang auf und indem er ihr durchdringend in die Augen sah, schrie er:

»Drohen Sie nicht mit Verrat, denn darauf steht der Tod!«

»Der Tod?« schrie sie, »der Tod! so viel ist mir das Leben wert!«

Sie erhob ihre Hand ganz nahe an sein Gesicht, blies darüber hin, so daß ihn ihr Atem umwehte – und wiederholte:

»O, so viel ist mir das Leben wert!«

»Und mir!« rief Laskowicz.

Eine Zeitlang blickten sie sich in die Augen wie zwei gehässige, verzweifelnde Geister. Schließlich ermannte sich Laskowicz, nahm seinen Kopf in beide Hände und sagte:

»O! wie unglücklich sind wir! – o!«

»Jawohl, jawohl!« – wiederholte Pauline.

Und ein hysterisches Schluchzen erschütterte sie.

Daraufhin begann er wieder sie zu beruhigen. Er versprach ihr, daß dem Krzycki nichts geschehen und daß seine Heirat auf keinen Fall zustande kommen werde. Er sagte ferner, er könne ihr zwar vorerst die Mittel nicht bekanntgeben, die man hierfür anwenden werde, aber er versicherte ihr, daß weder er selbst noch seine Partei Rücksicht auf eine von der Bourgeoisie nehmen werde, denn hier handle es sich um die höhere soziale Gerechtigkeit, die einzelne Personen nicht in Rechnung zu ziehen brauche.

Pauline begriff nur das eine, daß die »Bauerndirne« den jungen Herrn aus Jastrzemb nicht ehelichen werde, und beruhigte sich zusehends; dann aber mußten beide sich mit anderen Angelegenheiten befassen. Für das Mädchen war ein Zufluchtsort ausfindig zu machen; Laskowicz logierte sie bei einer »Genossin« ein, die in der Nähe wohnte; diese »Genossin« wurde auch abgesandt, um Paulines Lohn und ihre Sachen zu holen. Laskowicz selbst kehrte in sein Heim zurück und dachte darüber nach, wie er sich Pauline gegenüber für die Lebensrettung dankbar erweisen könnte.

Dieses Dankbarkeitsgefühl war der erste Grund, weshalb er sich ihrer Angelegenheit annahm. Der zweite Grund war sein eigenes Ungemach und die unglückselige Liebe für Marie, die ihn für derartige Konflikte empfindlich machte, und der dritte jene soziale Gerechtigkeit, die Pauline erwähnt hatte. Was jedoch diesen dritten Punkt betraf, fühlte er die Notwendigkeit, mit dem eigenen Gewissen sich auseinanderzusetzen, um, wenn der Moment des Handelns erscheinen würde, freie Hand zu haben – und unter dem Einflusse dieser Notwendigkeit kalkulierte er folgendermaßen!

Im Hintergrunde der allgemeinen Proletariersache werden stets persönliche Angelegenheiten stehen; man kann sogar behaupten, daß diese allgemeine Sache nur die Summe jener ist. Mit Rücksicht hierauf verteidigt derjenige, der die persönliche Angelegenheit eines Proletariers in Schutz nimmt, zugleich auch das Prinzip der Allgemeinheit. Nun aber ergibt sich eine Frage der Ethik: Was erstreben wir? Die allgemeine soziale Gerechtigkeit! Also ist unser Grundsatz moralisch; weil dieser aber nur die Summe persönlicher Angelegenheiten ist, müssen auch diese persönlichen Angelegenheiten moralisch sein. Daraus folgt, daß ein Proletarier, der in einer Angelegenheit mit einem Bourgeois im Unrecht ist – dadurch allein, daß er ein Proletarier ist, recht hat. Auf der Welt ist alles relativ. Der Soldat, der in der Schlacht den Gegner umbringt, begeht einen Mord, also eine an und für sich unmoralische Tat. Weil er aber in Verteidigung seines Vaterlandes handelt, ist sein Vorgehen vom Standpunkt des nationalen Wohles ethisch. Wenn der Soldat dabei noch persönlichen Grund zum Hassen des Feindes hätte, würde seine Tat an Energie gewinnen und trotzdem für das Vaterland von nicht geringerer Bedeutung sein. Für uns ist die Nation mit dem polnischen Proletariat, das Vaterland aber mit der Idee seiner Befreiung gleichbedeutend. Darum führen wir Krieg, und im Kriege ist Mord oder das dem Gegner zugefügte Unrecht, selbst wenn auch das Motiv persönlicher Art ist, nicht nur gerechtfertigt, sondern auch durch das allgemeine Wohl hundertfach entschuldbar.

Überdies, so dachte er weiter, bildet das Unglück den Inhalt unseres Daseins, und aus dem Unglück, wie auch umgekehrt aus dem Glück, müssen dementsprechende Taten hervorgehen. Das ist eine in der Natur der Dinge liegende Notwendigkeit; die Ethik kommt hierbei überhaupt nicht mehr in Betracht. Sowohl ich als auch dies wütende Mädchen sind unglücklich wie herrenlose Hunde, und angesichts dessen bleibt es uns ganz gleichgültig, ob man uns Unrecht zufügen wollte oder nicht, gerade wie es dem Wolfe gleichgültig ist, ob der Förster, der ihm die Kugel in den Kopf jagt, auf ihn Jagd machte oder ihn nur zufällig traf. Der Wolf hat Zähne, um sich zu wehren. Das ist sein Recht. Es ist nun eine Zeit gekommen, in der auch wir Hauzähne bekommen haben, darum haben wir das Recht, andere in Stücke zu reißen.

Und was dies Mädchen betrifft, so zehrt die Verzweiflung an ihr, die nur in der Rache Linderung finden kann. Ob sie gerecht, ob sie für das Mädchen von Nutzen ist? Das ist gleichgültig. Die brot- und beschäftigungslosen Arbeiter betäuben ihr Ungemach durch Alkohol; die Bourgeois spritzen sich, wenn sie Schmerzen leiden, Morphium ein, – für sie aber soll Morphium und Alkohol die Rache sein! Wie auch das Ergebnis sein mag, wird das Glück der Satten dadurch zerstört, ihre Freude in Tränen verwandelt, ihr Leben vernichtet – und ein Teilchen jener Welt zerstört, die, einem Alp gleich, die Proletarierbrust bedrückt. Darum muß man dieser Rache beistehen, denn so verlangt es die Dankbarkeit für die Lebensrettung, das gemeinsame Unrecht – so das Wohl der Sache …

Und angesichts dessen erschien es Laskowicz als etwas Nebensächliches, was bei dieser Hilfeleistung den Ausschlag geben werde: das Messer, die Browningpistole oder etwa eine derartige Verleumdung Hankas, die ihr weiter nichts übrig ließ, als für immer vor Menschenaugen sich zu verbergen. An Gelegenheit hierzu und bereitwilligen Helfern fehlte es nicht. Man brauchte nur über die Wahl nachzudenken und dann schnell und energisch zu handeln.

Damit begab er sich zu Pauline, die mit allem sich einverstanden erklärte. Als Preis hierfür verlangte er, sie möge ihn von seinem Versprechen entbinden, Marie nur von der Ferne sehen zu dürfen – und dies erreichte er ohne Schwierigkeit. Er wollte offenbar auch in dieser Hinsicht freie Hand haben.


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