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III.

Laskowicz als extremer Fanatiker konnte sich tatsächlich mit dem zynischen Skeptizismus Swidwickis nicht verständigen. Letzterer nützte die Situation nicht nur über alles Maß, sondern selbst bis zur Grausamkeit aus. Dabei prahlte er damit vor Gronski, als er diesen in einer Restauration traf, die er nach Krzyckis Weggang von ihm häufig besuchte.

»Dieser revolutionäre Affe ist mir schon ganz zuwider«, sagte er. »Schon von der Zeit an, seitdem ich mich überzeugt habe, daß er persönlich ehrlich ist und mir kein Geld aus dem Portemonnaie stibitzt. Nun langweilt er mich. Da man für das Verbergen eines solchen Gimpels nach Sibirien kommen kann, habe ich es anfangs als eine Art Sport betrachtet. Ich glaubte, ich würde die dauernde Empfindung einer gewissen Unruhe haben – und nicht einmal das ist eingetroffen. Die einzige Genugtuung, die ich habe, ist, ihm seine und seiner Partei Dummheit zu beweisen – dadurch gerät er in die größte Wut.«

»Daß er überhaupt mit dir disputiert, wundert mich!«

»Er will es auch nicht, aber er kann es nicht unterlassen. Sein Temperament und der Fanatismus reißen ihn fort.«

»Einmal begegnet ich einem ähnlichen Individuum«, erzählte Gronski, »und sogar unlängst auf dem Lande, in Jastrzemb. Es war dort ein Student, Stas' Lehrer, den dann Krzycki hinausexpedierte, weil er ihm die Knechte und die benachbarten Bauern aufwiegelte.«

»Ah!« erwiderte mit sonderbarem Lachen Swidwicki, dem es plötzlich in den Sinn kam, daß ja auch Paulinchen in Jastrzemb gewesen war.

»Was? Warum lächelst du?« fragte Gronski.

»Nichts, nichts, nur weiter.«

»Ich bin mit ihm zusammen in die Stadt gefahren und unterwegs haben wir uns ein wenig unterhalten.«

»Wie das so deine Gewohnheit ist.«

»Jawohl, wie das meine Gewohnheit ist. Aber unter leeren Phrasen, die nur beschränkte Köpfe für bare Münze annehmen können, sagte er auch manches Interessante. Ich erfuhr unter anderem auch, unter welchem Gesichtspunkte die Sozialisten die Welt betrachten.«

»Mein Schnauzaffe erzählt auch mir zuweilen interessante Sachen. Gestern brachte ich ihn zu dem Geständnis, daß die Sozialisten reinsten Wassers als ihre größten Feinde die Bauern und die radikale Bourgeoisie betrachten. Ich goß langsam Öl ins Feuer, und er redete sich immer mehr in Eifer. Der Bauer trachtet mit Elementargewalt nach Besitz, und dieses Bestreben kann ihm sogar der Teufel nicht austreiben. Und hinsichtlich der Bourgeoisie sagte er folgendes: ›Was schaden uns denn diese paar Edelleute und Geistlichen, die sich noch auf der Welt umhertreiben! Der Feind – das ist die Bourgeoisie, gleichgültig, ob arm, ob reich. Der Feind – das ist jener Radikale, der meint, er habe uns damit schon gewonnen, wenn er schreit, er glaube nicht an Gott und an den Geistlichen. Ein Feind – ist auch jener Maulheld, der im Namen des Volkes spricht und bereit ist, uns unter den Achselhöhlen zu kitzeln, damit wir ihn anlächeln … das ist jener, der um uns herumgeht wie die Katze um den Brei, und doch alle Instinkte der Bourgeois beibehält‹. Und er redete so weiter, bis ich ihm sagte: ›Halt! Ihr seid ja mit den Radikalen aufs engste vereint!‹ – Und er darauf: ›Ist nicht wahr! Die radikale, reiche Bougeoisie, die aus Furcht sich rot bemalt und von uns die Fahne und die Methode leiht, verwirrt nur die Geister und verunreinigt die Idee mit Kehricht – die arme dagegen schadet uns, wenn sie jährlich auch nur die geringste Summe erspart, weil sie die Arbeit um geringeren Preis anbieten kann als das echte Proletariat, das immer arm wie eine Kirchenmaus ist. Wir‹, sagte er weiter, ›werden zuerst den Radikalen die Kehle abschneiden, weil der heimliche Verrat gerade in ihnen haust.‹ – So redete er, und ich wäre bereit, ihm recht zu geben, wenn ich überhaupt an Recht und Billigkeit glauben würde – und überdies gab ich ihm auch darum nicht recht, weil er zu dumm ist, um von selbst auf dies alles zu verfallen. Es ist augenscheinlich, daß er nur das wiederholt, was andere ihm beigebracht haben … Selbstverständlich unterließ ich nicht, ihm dies zu sagen.«

Das weitere Gespräch unterbrach Dolhonskis Ankunft, der, als er Gronski bemerkt hatte, sich näherte, obgleich er nicht gern mit Swidwicki zusammentraf.

»Wie geht es euch?« sagte er. »Meine Damen sind heute nach Czenstochau abgereist, also bin ich frei. Ist es gestattet, hier Platz zu nehmen?«

»Bitte, bitte, das sind ja doch deine letzten Tage.«

»Es würde sich sogar lohnen, bei dieser Gelegenheit ein Fläschchen zu leeren«, bemerkte Swidwicki; »und besonders, da heute gerade mein Geburtstag ist!« »Wenn der Kalender ein Keller und die Daten darin Flaschen wären, würdest du jeden Tag Geburtstag haben«, entgegnete Gronski.

»Ich schwöre dir bei allem, was ich verspotte, daß entgegen meiner sonstigen Gewohnheit und Neigung ich in diesem Augenblicke die Wahrheit spreche.«

Nachdem er dies gesagt hatte, winkte er dem Kellner und bestellte zwei Flaschen, indem er darauf rechnete, daß dann weitere folgen würden. Mittlerweile sagte Dolhonski:

»Ich traf heute Krzycki. Er schaut schlecht aus, ist übel gelaunt und erzählte mir, daß er nicht mehr bei dir, sondern im Hotel wohne. Habt ihr euch vielleicht entzweit?«

»Nein. Er ist nur von mir fortgezogen, wie Frau Krzycka von Frau Otocka.«

»Das ist ja dann eine Epidemie«, rief Swidwicki, »weil auch mein Messerheld mich verläßt.«

»Ist denn zwischen Krzycki und dem Fräulein Anney etwas vorgefallen?« fragte er. »Ich glaubte, dort sei alles schon in Ordnung. Haben sie sich denn entzweit – oder was?«

»Eine Marzipantorte ist diese Engländerin«, meinte Swidwicki, »aber ihr Dienstmädchen hat schon mehr Elektrizität in sich …..«

Gronski zögerte eine Weile und sagte dann:

»Sie sind zwar nicht auseinandergegangen, aber es ereignete sich etwas. Ich weiß nicht, weshalb ich ein Geheimnis daraus machen soll, was ihr früher oder später ohnehin erfahren werdet. Es hat sich herausgestellt, daß Fräulein Anney nicht das leibliche, sondern nur ein Adoptivkind eines reichen, jetzt schon verstorbenen englischen Fabrikanten, des Herrn Anney, und seiner ebenfalls schon verstorbenen Gattin ist …«

»Nun, wenn diese Adoption ihr alle Rechte, besonders aber das Erbrecht gibt, ist das für Krzycki nicht einerlei?«

»Die Adoption gewährt ihr alle Rechte, aber Krzycki ist das nicht einerlei, denn es zeigte sich auch, daß Fräulein Anney die Tochter des Rzenslewoer Schmiedes ist und früher Hanka Skibianka hieß.« »Ha!« – rief Swidrvicki. »Es fand sich also Perdita, doch ist sie keine Königstochter! Was sagt nun der schöne Florisel dazu?«

Dolhonski schaute Gronski so an, als ob er ihn zum erstenmal im Leben gesehen hätte.

»Was du nicht sagst? …«

»Tatsache!«

» Sapristi! das ist doch fabelhaft. Sapristi! – du scherzest wohl? …«

»Ich gebe dir mein Wort, es ist so! … Sie selbst hat es Krzycki gestanden.«

»Dieser Ausdruck der Verwunderung auf Dolhonskis Antlitz macht mir Spaß«, rief Swidwicki, »Mensch, komm' zur Besinnung!«

Dolhonski beherrschte sich, denn er behauptete immer, ein wahrer Gentleman dürfte sich über nichts wundern.

»Ich erinnere mich jetzt«, sagte er, »das ist jene Skibianka, der Onkel Zarnowski einige Tausend Rubel vermacht hatte.«

»Dieselbe.«

»Ist sie denn seine Tochter?«

»Denke nur, – nein! Skiba kam nach Rzenslewo aus Galizien mit Frau und einem Kind von einigen Jahren.«

»Also reines Bauernblut?«

»Eine Piastentochter! Eine Piastentochter!« – rief Swidwicki.

»Vollkommen rein!« – erwiderte Gronski.

»Und was sagt Wladek dazu?«

»Er verschluckte diese Pille und ist nun bestrebt sie zu verdauen«, ließ sich Swidwicki wieder vernehmen.

»Mehr oder weniger ist es so. Er steht einer völlig neuen Situation gegenüber und ist verschlossen. War ganz betäubt, und muß nun erst wieder zu sich kommen.«

»Er war lächerlich verliebt, jetzt aber wird er doch mit ihr brechen?«

»Ich setze das nicht voraus, allein ich wiederhole, daß er angesichts der veränderten Sachlage in einen inneren Zwiespalt geraten ist, mit dem er erst ins reine kommen muß.«

»Ich gestehe aufrichtig, ich würde unbedingt das Verhältnis auflösen.«

»Und wenn Kazka oder Hanka hunderttausend Pfund hätte?« fragte Swidwicki.

»In diesem Falle würde auch ich unentschieden sein …« erklärte Dolhonski phlegmatisch.

Nach einer Weile sprach er weiter:

»Denn es scheint uns, als ob das von keiner Bedeutung sei, aber im Leben kann es sich herausstellen, daß es dennoch so ist. Wenn man auch von den verschiedenen Cousins Macki und Bartki absehen wollte, die sich sicher einstellen dürften – werden sich ebenfalls auch anders geartete Instinkte und Triebe finden. Zum Teufel! – Ich möchte keine Frau haben, die plötzlich und unerwartet eine Vorliebe für Bernsteinkorallen, für das Aushülsen der Erbsen, für das Spinnen des Flachses und für das Sammeln der Mundschwämme zeigen würde, von den Beeren, Haselnüssen und dem Barfußgehen gar nicht zu reden.«

Hier wandte er sich an Gronski.

»Zucke du nur mit den Achseln, aber es ist doch so!«

»Mich würde das gar nicht genieren«, erwiderte Swidwicki, »und wenn ich Fräulein Anney heiraten sollte, möchte ich mir gerade ausbedingen, daß sie zuweilen barfuß gehen müsse. Auf dem Lande wirkt auf mich nichts so sehr, als der Anblick der nackten Füße der Bauernmädchen. Oft haben sie freilich Rotlauf am Knöchel, was vom stechenden Stoppelfeld kommt. Ich glaube jedoch, Fräulein Anney hat keinen Rotlauf.«

»Mit euch kann man aber nichts ernstlich besprechen!«

»Aber wozu denn auch?« meinte Swidwicki. »Jetzt mag Krzycki von seinem Ernst Coupons abschneiden, aber nicht wir. – Warst du es nicht, der erzählte, er gehöre zu den Nationaldemokraten?«

»Nein! Nicht ich. Aber in welchem Zusammenhang steht das mit Fräulein Anney?«

»Ach! ach! Der Edelmann, der vollendete Nationaldemokrat, erfuhr, daß seine Flamme Bauernblut in den Adern habe und bekam eben deshalb auch Bauchgrimmen, und diese ›diminutio capitis‹ schmerzt ihn.«

»Wer hat dir das erzählt? Das ist übrigens eher eine ›permutatio‹, aber keine ›diminutio‹ …«

»Ja so! Die englische Rasse har sich als ein Landesprodukt herausgestellt und fiel daher im Preise. Ganz richtig, ganz richtig.«

»Wißt ihr, wer sich ganz ungeniert eine Heirat unter solchen Umständen erlauben könnte?« fragte Dolhonski; »nur ein wirklich großer Herr.«

»Aber kein polnischer«, rief Swidwicki.

»Du fängst schon wieder an! Warum kein polnischer?«

»Weil ein polnischer nicht genug Vertrauen zu seinem Blute hat; er hat einfach nicht genug Stolz, um überzeugt zu sein, daß er die Frau zu sich erheben kann und nicht selbst herabgezogen wird.«

Gronski begann zu lachen.

»Ich erwartete von dir diesen Vorwurf nicht«, sagte er.

»Warum denn nicht? Ich bin individuell, und insofern ich mich nicht als ein Exemplar der edelsten Rasse der Welt betrachte, sehe ich mich als ein Glied der besten an … Meiner Ansicht nach gehört man zur Aristokratie nur durch einen glücklichen Zufall, wenn man nämlich auf die Welt das entsprechende Profil und das geeignete Gehirn mitbringt. Dolhonski zum Beispiel, insofern er die Porträts seiner Ahnen nicht etwa auf einer Auktion erstanden hat; andere unserer Herren glauben dagegen, daß diese Zugehörigkeit im Blute liege. Wenn man von diesem Grundsätze ausgeht, behaupte ich, daß unsere Torys es nicht verstehen, auf ihr Blut stolz zu sein.«

»Zu Hause kühlst du dein Mütchen an den Sozialisten, und hier möchtest du deinen Witz an den Aristokraten auslassen«, war Gronskis Antwort.

»Verringere doch mein Verdienst nicht! Ich habe auch ein paar schöne Worte für die Nationaldemokraten.«

»Ich weiß, ich weiß. Wie aber willst du deine Ansicht über die polnischen Torys beweisen?«

»Wie ich das beweisen werde? Durch die sokratische Methode – mit Hilfe von Fragen. Habt ihr je im Auslande einen Polen gesehen, der mit einem vornehmen Herrn, etwa mit einem Engländer oder einem Franzosen, näher bekannt wurde? Als ich noch Geld besaß, weilte ich im Winter oft in Nizza oder Kairo und sah dort viele Landsleute. Ich stellte mir nun jedesmal die Frage, die ich euch jetzt vorlegen werde: Warum, zum Geier, trachtet nicht der Franzose oder Engländer danach, einem Polen zu gefallen, sondern stets umgekehrt? Warum schmeichelt immer nur der Pole dem Ausländer? Warum schämt er sich förmlich seiner Abkunft? Und wenn zufällig der Franzose ihm sagt, daß man ihn der Aussprache nach für einen Franzosen, und der Engländer, daß man ihn für einen Landsmann halten könnte, zerfließt er vor Wonne! Ach! solche männliche Koketten habe ich dutzendweise gesehen – und das ist nichts Neues. So war es auch früher. Diese Art von Koketterie besaß auch Stanislaw August. – Der polnische Herr kann meistens im Lande die Nase hoch tragen – dem Fremden steht er jedoch immer zu Diensten. Liegt darin nicht ein Mangel an Standesbewußtsein, eine Verleugnung des eigenen Blutes, der Tradition? Wenn ihr nur ein Fünkchen Wahrheitsgefühl, sei es auch so gering wie ein Kaviarkörnchen, besitzt, so werdet ihr mir recht geben! Was mich betrifft, schämte ich mich manchmal, ein Pole zu sein.«

»Das heißt, du hast dieselben Sünden begangen, die du ihnen vorwirfst«, erwiderte Gronski. »Wenn die Flügelenden unseres Adlers zwei Meere berühren würden, wie einst, wäre es anders. Gegenwärtig aber – sage mir, worauf sollen wir stolz sein?«

»Du verdrehst die Sache! Ich spreche nur vom Rassenstolz, nicht vom politischen«, erwiderte Swidwicki. – »Übrigens hole sie alle der Teufel! Ich trinke lieber.«

»Rede was du willst«, entgegnete Dolhonski, »aber ich behaupte, daß, wenn die Landesangelegenheiten ausschließlich in ihren Händen gewesen wären, sich vielleicht mehr Dummheiten ereignet hätten, doch wir befänden uns in derselben üblen Lage wie heute.«

Und Swidwicki schaute ihn mit seinen nicht mehr ganz normal glänzenden Augen an.

»Mein Lieber«, sagte er, »um das Land zu regieren, muß man eine von drei Sachen besitzen: entweder die größte Menschenmenge, über welche die Canaille … verzeih', ich wollte sagen die Demokratie, verfügt – oder die größte Vernunft, die bei uns niemand besitzt, oder das größte Vermögen, das aber in den Händen der Juden ist. Und da ich bewiesen habe, daß unsere großen Herren sogar kein Gefühl für Tradition besitzen – also was besitzen sie denn?«

»Wenigstens gute Manieren, die dir vollständig abgehen«, erwiderte Dolhonski unwillig.

»Nein. Ich werde dir sagen, was sie haben – wenn nicht alle, so doch wenigstens jeder zweite oder dritte; ich werde es dir aber leise sagen, um Gronskis jungfräuliche Ohren nicht zu verletzen.«

Er beugte sich zu Dolhonski hinüber, flüsterte ihm ein Wort zu und rief dann erbost;

»Ich behaupte nicht, daß dies zu nichts nutzt, aber es ist doch nicht ausreichend, um ein Land zu regieren.«

Dolhonski jedoch runzelte die Stirn und entgegnete:

»Wenn dem so ist, dann gehörst auch du der höchsten Aristokratie an.«

»Selbstverständlich, selbstverständlich! Ich besitze ein Wappen, das vor einigen Jahren in Aachen bestätigt ist. In der Krönungsstadt! …«

Nach diesen Worten tat er wieder einen tiefen Trunk und sprach weiter mit geradezu fieberhafter Lustigkeit:

»Ach, erlaubt mir doch zu schmähen, Menschen und Dinge zu verspotten! Ich tue das meistens innerlich, aber zuweilen empfinde ich das Bedürfnis, die Galle nach außen überlaufen zu lassen. Erlaubt: Schließlich bin ich ein Pole, und für einen Polen gibt es kein größeres Vergnügen, als zu kratzen, zu verringern, zu stechen, zu bereden, zu bespeien, und die Statuen vom Piedestal herunterzureißen. Republikanische Tradition – was? Dabei hat es die Vorsehung so glücklich eingerichtet, daß der Pole dies eben am meisten liebt, aber auch gleichzeitig, sobald es sich um ihn selbst handelt, am schmerzlichsten empfindet. – Eine köstliche Gesellschaft!«

»Du irrst«, erwiderte Gronski, »denn in dieser Hinsicht haben wir uns riesig verändert, und zum Beweis will ich ein Beispiel anführen: Als Maler Limiatycki für sein Golgatha die große Medaille in Paris erhalten hatte, überfielen ihn sogleich alle kleinen örtlichen Pinselchen. Ich begegnete ihm und fragte, ob er ihnen keine Abfertigung geben wolle, er erwiderte jedoch mit der größten Gemütsruhe: ›Ich diene dem Vaterlande und der Kunst, und nur die Dummheit versteht dies nicht, die Niedertracht aber will es nicht verstehen‹. Und er hatte recht, denn wer nur ein wenig imstande ist, sich in die Höhe zu schwingen, der kann den Straßenkot mißachten.«

»Bah! Der Kot, das ist ja echtes Landesprodukt, gleich anderen Erscheinungen eurer nationalen Kultur, und zwar: Schmutz, Klatscherei, Neid, Dummheit, Faulheit, große Worte, kleine Taten, Politik für einen Groschen die Elle, Zank und Hader, Vorliebe für Versammlungen, Banditenunwesen, Browningpistolen und Bomben –; ich würde heute abend nicht fertig, wollte ich alles aufzählen.«

»So will ich dir noch einiges hinzufügen«, sagte Gronski. »Trunkenheit, Zynismus, dumme Verzweiflungspose, Besudeln des eigenen Nestes, gedankenlose Hyperkritik, Verhöhnen des Unglückes, Bespucken der blutigsten Schmerzen, Untergraben des Glaubens an die Zukunft und Lästerung des eigenen Volkes. – Hast du nun genug?«

»Wein habe ich nicht genug. Bestelle noch, bestelle!«

»Ich bestelle keinen Wein mehr; aber ich will dir noch sagen, du irrst, wenn du behauptest, daß dies Landesprodukte seien. Ein gewisser Wind bringt sie mit sich, und dieser Wind scheint auch dich umweht zu haben.«

Swidwicki jedoch, der diesmal keine Lust zum Streiten, sondern nur zum Trinken hatte, wollte das Gespräch offenbar in andere Bahnen lenken und sagte unvermittelt:

»Dieser Wind – ja – wie schade, daß so kluge Leute wie die Preußen einen groben Fehler begehen.«

In Gronski, der schon aufgestanden war, um sich zu verabschieden, erwachte die Neugier:

»Welchen Fehler?«

»Daß sie Schneidigkeit als Übermenschentum betrachten.«

»Darin hast du recht.«

»Ich verachte mich, so oft ich recht habe.«

»Also wollen wir dich dem Weine und der Verachtung überlassen.«

Nach diesen Worten winkte er Dolhonski, und beide gingen fort. Swidwickis letzte Worte waren ihm aber aufgefallen, er sagte daher nach einer Weile:

»Die Preußen sind jetzt allen in den Kopf gefahren und man erinnert sich bei der geringfügigsten Gelegenheit an sie. Übrigens hat Swidwicki sie richtig bezeichnet.«

»Wenn du wüßtest, wie wenig Swidwickis Äußerungen mich interessieren!«

»Und dennoch machst du ihm häufig Konkurrenz und redest in ähnlicher Weise«, sagte Gronski.

Dann sagte er, seinen Gedankenlauf weiter verfolgend:

»Nietzsche hat es ebenfalls nicht bemerkt, daß das Begreifen und Mitfühlen fremden Ungemaches erst auf dem Gipfel der Menschheit beginnt …«

»Gut, gut! Aber in diesem Augenblicke interessiert es mich mehr, was Krzycki mit Fräulein Anney beginnen wird.«

Dolhonski, der Swidwicki nicht ausstehen konnte, wäre sicherlich ernstlich gekränkt, wenn er erraten hätte, daß auch jener dieselbe Frage sich vorgelegt hatte. Als nämlich Swidwicki allein war, erinnerte er sich an Gronskis Erzählung über Fräulein Anney und fing zu lachen an, weil der Gedanke an eine solche Verwicklung ihn ungemein belustigte. Er stellte sich vor, welche Aufregung bei Krzycki und bei Frau Otocka herrschen müsse und in welchem Maße die Angelegenheit den ganzen Verwandten- und Bekanntenkreis aufrühren werde. Und plötzlich begann er folgendes Selbstgespräch:

»Und wenn ich nun dem Fräulein Anney einen Besuch abstatten würde? Es schickt sich sogar, meine Karte bei ihr abzugeben … Es schickt sich sogar sehr! Wenn ich sie nicht antreffe – auch gut! Wenn ich sie aber treffe, werde ich schon nachschauen, ob sie nicht zu dicke Fußknöchel hat … Bildung, Wissen, selbst Manieren kann man erwerben – jedoch zarte Fuß- und Handgelenke muß man von einer ganzen Ahnenreihe ererben … Dieses wütende Paulinchen hat aber ziemlich schmale Gelenke. Der Teufel mag wissen, wer ihr Vater war. Ich gehe. – Wenn ich nicht die eine finde, so treffe ich wohl die andere.«

Und er ging hin. Nicht der Diener, sondern Paulinchen öffnete ihm, er lächelte sie also an, so schön er nur konnte, und sagte:

»Guten Tag, reizender schwarzer Käfer! Ist Fräulein Hanka Skibianka zu Hause?«

»Was für ein Fräulein Skibianka?« fragte sie erstaunt.

»Wissen Sie denn die große Neuigkeit noch nicht?«

»Welche Neuigkeiten? Ich weiß von nichts!«

»Daß Ihr Fräulein nicht Fräulein Anney heißt.«

»Verdrehen Sie mir den Kopf nicht.«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Fragen Sie nur Herrn Gronski oder Herrn Krzycki, der aus Kummer an seinen Fingern nagt. Ich gebe mein Ehrenwort! Ich weiß noch mehr, aber wenn Sie nicht neugierig sind, gehe ich gleich wieder. Hier ist meine Karte für Fräulein Ski-bian-ka.«

Des Mädchens Augen blitzten vor Neugier. Mechanisch nahm sie die Karte.

»Ich sagte ja nicht, daß Sie fortgehen sollten … aber ich glaube auch nicht …«, sagte sie eilig.

»Und ich weiß noch mehr …«

»Was denn noch?«

»Ich sage es Ihnen nur ins Ohr.«

Fräulein Paulinchen kam es gar nicht in den Sinn, daß Swidwicki nicht nötig hatte, leise zu sprechen; mit klopfendem Herzen neigte sie sich zu ihm hin und, obwohl sein weindurchtränkter Atem sie umwehte, wandte sie den Kopf doch nicht fort.

»Was alles noch?« wiederholte sie.

»Daß Fräulein Hanka Skibianka ein Zarnowoer Bauernmädchen ist.«

»Unmöglich!«

»So wahr ich an Gott glaube!«

Kaum hatte er das gesagt, gab er ihr plötzlich einen schmatzenden Kuß aufs Ohr.


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