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X.

Als Krzycki am nächsten Morgen nach kurzem, qualvollem Schlaf erwachte, war er tief bekümmert und heftiger Zorn gegen sich erfaßte ihn. Er erinnerte sich an alles, was vorgefallen war. Er mußte annehmen, daß sie ihm beim gestrigen Scheiden gewissermaßen die Türe gewiesen habe; als ein Echo kehrten alle seine grausamen Worte in sein Gedächtnis zurück, die er ihr in der Aufregung beim Abschied sagte: wenn ihre Zurückhaltung etwa eine Folge der Befürchtung sei, er würde die Ehe später auflösen, so möge sie wissen, daß diese Besorgnis grundlos sei. – Er schrieb also diesen Widerstand elenden, berechnenden Motiven zu. Und er, ein Mensch, der nicht nur einer guten Erziehung sich bewußt, sondern auch einen subtilen Ehrbegriff und ein Gefühl der persönlichen Würde zu haben vorgab, – er, Krzycki, hatte so vorgehen und so etwas sagen können! Im ersten Augenblicke, nachdem er die Augen geöffnet hatte, schien ihm das eine absolute Unmöglichkeit; sicher war es nur die Fortsetzung eines schweren Alpdruckes, der dem Tageslicht bald weichen würde.

Allein es war kein Alpdruck, es war bitterböse Wirklichkeit. Man mußte damit rechnen und nun versuchen, das Unheil wieder gutzumachen. Krzycki begann einen Brief zu schreiben, in dem er sich anklagte und reumütig um Verzeihung bat. Er gestand, daß niemand ihn so verdammen könne, wie er selbst es tue; und wenn er trotzdem um Vergebung zu bitten sich erkühne, er von der Hoffnung beseelt sei, daß vielleicht noch irgend eine Stimme, irgend ein Echo aus besserer Zeit in ihrem Herzen zu seinen Gunsten sprechen könnte. Endlich bat er um die Möglichkeit, persönlich seinen Worten Ausdruck geben zu können, und um eine Antwort auch in dem Falle, wenn der Urteilsspruch gegen ihn ausfallen sollte.

Als jedoch der Überbringer des Briefes ohne eine Antwort zurückkehrte, ergriff ihn tiefe Verzweiflung. Wie einem echten Schoßkinde des Glückes, das an Widerstand und Hindernisse nicht gewöhnt und überzeugt ist, alles gebühre ihm, schien ihm jetzt dies alles als eine unverdiente Strafe. Aber trotzdem gab er das Spiel noch nicht verloren. Er hoffte nämlich, daß Hanka vor Öffnen des Briefes erklärt habe, es würde keine Antwort erfolgen; jedoch nach Kenntnisnahme seiner Selbstanklage werde sie, gerührt und erweicht, ihren Entschluß ändern. Durch diese Hoffnung aufgerichtet, kleidete er sich an, ging eine Stunde lang in der Stadt umher, um Hanka Zeit zur Prüfung des eigenen Herzens zu gewähren, und betrat dann ihre Wohnung.

Er wurde nicht vorgelassen.

Darauf gedachte er sich an Frau Otocka zu wenden, doch wurde es ihm nach einigem Überlegen klar, daß er den Grund seines Zerwürfnisses mit Hanka weder mit Frau Otocka noch mit seiner Mutter besprechen könnte. In seiner Verzweiflung klagte er jetzt sogar Hanka der Grausamkeit an, und sein Schmerz vergrößerte sich in dem Maße, als er die Kluft, die ihn jetzt von Hanka trennte, sich immer mehr erweitern sah. Er konnte sich keineswegs mit dem Gedanken aussöhnen, daß ihm das jetzt genommen werden sollte, was er bereits als sein Eigentum betrachtet hatte; nach der Art schwacher Menschen begann er sogar sich selbst zu bemitleiden.

Schließlich begab er sich zu Gronski, da er der Ansicht war, dieser sei der einzige, mit dem man aufrichtig sprechen könne und dessen Einschreiten erfolgreich sein werde. Aber auch hier erwartete seiner eine Enttäuschung. Gronski litt seit einigen Tagen an einer Augenentzündung, das Lesen war ihm verboten und das versetzte ihn in schlechte Laune.

Der Empfang war deshalb ein kühler, und Krzycki kam es sehr schwer an, selbst dem erprobten älteren Freunde, der sein früheres Verhältnis zu Hanka kannte, reinen Wein einzuschenken. Sein Schamgefühl war wirklich so groß, daß er an seinen eigenen Worten zu ersticken glaubte. Er begann daher die Sache so zu verschleiern und solche Umschweife zu machen, von Mißverständnissen zu reden und von der Notwendigkeit einer freundschaftlichen Vermittlung, daß Gronski endlich ziemlich ungeduldig fragte:

»Sprich dich offen aus, worüber habt ihr euch entzweit? Erst dann werde ich dir sagen, ob ich einen Versuch zu eurer Versöhnung unternehmen kann.«

Augenscheinlich legte er der ganzen Angelegenheit keine allzu große Bedeutung bei, denn er fügte mit einer bezeichnenden Handbewegung hinzu:

»Das beste wäre, ihr selbst würdet euch miteinander versöhnen.«

»Nein«, erwiderte Krzycki, »die Sache ist schwerwiegender, als Sie vielleicht glauben, und allein können wir uns einander nicht wieder nähern.«

»Um was handelt es sich denn eigentlich?«

Scham, Zerknirschung und Reue prägten sich in Krzyckis Antlitz aus.

»In einem Augenblicke der Vergessenheit und der Aufwallung«, sagte er, »überschritt … das ist, wollte ich … gewisse Grenzen … überschreiten …«

Und er brach ab.

Gronski schaute ihn sehr verwundert an und fragte:

»Und sie?«

»Wenn in der Tat etwas vorgefallen wäre und es zu einem Bruch kommen sollte, könnte ich jetzt doch nicht darüber sprechen. Sie hat mich einfach aus dem Zimmer gewiesen.«

»Gott behüte!« rief Gronski und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer, von Zeit zu Zeit murmelnd: »Nicht zu glauben! Unerhört!« wobei sein Gesicht immer strenger und kälter wurde. Hierauf setzte er sich, sah Krzycki durchdringend an und begann ganz langsam zu sprechen:

»Ich habe viele Leute, sogar unter unseren Aristokraten, gekannt, bei denen unter weltmännischem Schliff, unter der hohen Geburt, unter allem Schein feiner Erziehung eine ganz gemeine Gesinnung sich verbarg. Wenn diese Bemerkung für dich ein Trost sein kann, so nimm ihn entgegen, einen anderen habe ich nicht für dich.«

Ein plötzlicher Zornesausbruch drohte Krzycki zu übermannen, und er kämpfte mit sich selbst, ob er nicht diese Schmähung mit einer gleichen erwidern solle, aber endlich überwand er sich doch und sagte resigniert:

»Ich habe es verdient …«

Jedoch Gronski, den dieses Geständnis nicht entwaffnete, fuhr fort:

»Nein, mein Teurer, ich kann dich nicht entschuldigen, weil ich sonst gegen meine Überzeugung handeln müßte. Gerade dir war es weniger wie jedem anderen gestattet, deinem Willen nachzugeben, schon mit Rücksicht auf die Vergangenheit. Und deine Braut mußte das auch so verstehen, zumal sie ihre Herkunft nicht vergißt. Sie war sehr im Rechte, als sie dir die Tür wies. Die Sache ist wirklich ernster, als ich zuerst glaubte, und zwar so ernst, daß ich wirklich keinen Rat weiß. Du hast in Hanka deine künftige Frau nicht geachtet, deshalb mißachtetest du auch deine eigene Ehre. Und welche Meinung kann sie nun von dir haben?«

»Ich weiß«, erwiderte Krzycki mit trübseliger Stimme, »und das alles habe ich mir selbst mit fast denselben Worten gesagt. Heute früh habe ich ihr einen Brief geschrieben und um Verzeihung gebeten – aber ich bekam keine Antwort. Ich war persönlich bei ihr – wurde aber nicht vorgelassen. Ich bin nun zu Ihnen als meiner letzten Rettung gekommen … Zu meinen Gunsten spricht nur eins … Ich handelte zwar schlecht, gemein und elend, allein meine Liebe zu ihr hörte nie auf. – Ohne sie gibt es für mich kein Leben – und Sie mögen es glauben oder nicht – ist es dennoch so, daß unter diesem Wahn, der mich bestrickte, der mich verblendete, und unter dem ich jetzt so leide, ein Gefühl liegt, das nicht nur tief, sondern auch rein ist …«

Gronski durchmaß wieder mit großen Schritten das Zimmer, denn Krzyckis Worte ergriffen ihn.

Letzterer fuhr fort:

»Wenn sie meine Briefe nicht liest und meinen Besuch nicht annimmt, werde ich ihr nichts mitteilen können. Es handelt sich also darum, daß ihr dies jemand in meinem Namen sagt. Der Mutter oder Frau Otocka kann ich damit nicht kommen. – Ich glaubte, daß Sie … nachdem Sie mich aber abgewiesen, habe ich niemand mehr.«

»So schau' doch der Wirklichkeit einmal in die Augen«, sprach Gronski, der schon etwas besänftigt war. »Es ist ja die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß ihre Liebe zu dir sofort verflogen ist. Und, angenommen diesen Fall, woher soll sie Liebe nehmen, die gar nicht mehr vorhanden ist?«

»So soll sie mir es sagen; dies wenigstens gebührt mir noch!«

Es trat abermals Schweigen ein.

»Höre«, sprach endlich Gronski, »ich war stets dein Freund und auch der deiner Mutter, allein dieser Mission, die du mir jetzt übertragen willst, kann ich mich nicht unterziehen. Wenn Hanka dir nicht antwortet, so werde auch ich keine Antwort bekommen. Mit einem Blick, einem Wort schließt sie mir den Mund – und damit hat alles ein Ende. Versuche jedoch einen anderen Weg. Hanka kommt ziemlich oft mit Marie zu den Proben, bei denen auch ich immer zugegen bin, und dann begleite ich beide nach Hause. Komme nun auch du mit mir. Vielleicht findest du Gelegenheit zu einer Aussprache. Auf dem Heimwege werde ich mich mit Marie unterhalten, so daß du mit Hanka sprechen kannst. Ich glaube, sie wird dich nicht abweisen, schon mit Rücksicht auf Marie, die sie nicht in eure Zwistigkeiten wird einweihen wollen. Dann kannst du ihr dasselbe sagen, was du mir mitgeteilt hast, und sie außerdem um eine Unterredung bitten, welche, wenn nicht anders möglich, die letzte sein möge. Man muß auch vor der Welt euer Auseinandergehen zu beschönigen suchen – ich meine also, daß sie darauf eingehen wird. Falls nicht, muß sich etwas anderes finden.«

Krzycki drückte ihm die Hand und sagte:

»Vielleicht könnte man durch Sophie erfahren, wie die Sachen stehen.«

»Begreife doch, daß sie über den Grund eurer Zwistigkeiten vielleicht auch mit Frau Otocka nicht sprechen mag.«

»Ich begreife, begreife! …«

»Du bist aber jetzt sehr in Aufregung«, sagte Gronski, »du hast heiße Hände … Geh', trachte dich zu erholen und zu beruhigen …«


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