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V.

Gronski, von Natur dienstfertig und seinen Freunden aufrichtig zugetan, war nicht nur ein sehr wohlhabender, sondern auch ein sehr gebildeter Mann, deshalb fand Wladislaw bei ihm nicht nur Bequemlichkeit und eine Pflege, welche nur herzliche Sorgfalt geben kann, sondern auch verschiedene Dinge, die in Jastrzemb fehlten. Er fand nämlich viele Bücher, verschiedene Bilder und Stahlstiche, sowie kleinere Kunstgegenstände, und dabei eine geräumige, luftige, aber mit Luxusgegenständen nicht überladene Wohnung.

Dank dem Geschmack des Hausherrn herrschte hier eine hohe geistige und ästhetische Atmosphäre, in welcher der »junge Gutsherr« sich zwar kleiner und nicht so selbstbewußt wie in Jastrzemb vorkam, in der er aber mit Wonne atmete. Er fürchtete aber, durch seine längere Anwesenheit dem älteren Freunde vielleicht lästig zu fallen, und begann daher gleich den nächsten Abend mit demselben zu unterhandeln, daß er ihn ins Hotel gehen lasse.

»Sogar Szremski betrachtet mich schon als gesund«, sagte er, »der beste Beweis dafür ist ja, daß er mir erlaubt hat, nach drei Tagen auszugehen.«

»So viel ich hörte – nach fünf«, entgegnete Gronski.

»Aber das war ja gestern – also, den heutigen Tag ungerechnet, bleiben drei. Sie ändern doch meinethalben Ihre Gewohnheiten. Es ist eine Freude, hier alles zu betrachten, also werde ich ohnehin zu Ihnen kommen – aber es ist doch ein Unterschied, ob auf eine oder zwei Stunden oder für längere Zeit, wodurch Unruhe in Ihre gewöhnliche Lebensweise gebracht wird.«

»Ich sage dir nur das eine«, erwiderte Gronski, »nämlich, daß Frau Otocka und Marie, die mich als Hagestolz betrachten, versprachen, mich morgen oder übermorgen zu besuchen, so wie sie es schon mehrfach in Begleitung des Fräulein Anney getan haben. Siehst du diesen Lehnstuhl, darin saß während des Musizierens deine Goldhaarige. Geh'! geh' ins Hotel! wir werden sehen, ob dich dort jemand außer deiner Mutter besuchen wird.«

»Sie sind zu gütig.«

»Ich bin ein alter Egoist. Denn siehst du, ich habe hier einigen Plunder, den ich während meines ganzen Lebens gesammelt, aber ein Ding werde ich nie kaufen können, wäre ich auch so reich wie Morgan und Gould zusammen – nämlich die Jugend. Und du besitzest davon so viel, daß du eine Bank gründen und Aktien ausgeben könntest. Du strahlst förmlich – erlaube, daß mich deine Strahlen ein wenig beleuchten und erwärmen. Mit anderen Worten, gib Ruhe und bleib', wenn es dir bequem ist.«

»Ich will mich nur nicht zu sehr verhätscheln, denn aufrichtig gesagt, fühle ich mich schon ganz kräftig.«

»Desto besser! Danke dem Herrgott, Fräulein Anney und Szremski, daß dir die Reise nicht geschadet hat, was ich fast befürchtete.«

»Sie schadete mir nicht, hat mir aber auch nicht geholfen.«

»Inwiefern?«

»Weil ich hoffte, während der Fahrt meiner lichten Königin zu sagen, was ich für sie im Herzen hege; aber es zeigte sich, daß diese Hoffnung eitel war. In unserem vollgepfropften Abteil wachte Szremski über mir wie ein Scharfrichter über einer armen Seele, und es zeigte sich gar keine Gelegenheit zur Aussprache.«

»Mache nie Geständnisse im Waggon, weil infolge des Gerassels und Lärms die pathetischesten Sätze ungehört verhallen. Übrigens, da Laskowicz dich nicht in die andere Welt sandte, wird sich noch eine Gelegenheit finden.«

»Glauben Sie wirklich, daß Laskowicz der Täter war?«

»Nein, ich sage ›Laskowicz‹, wie man zum Beispiel von den Engländern als ›John Bull‹ spricht. Aber wenn ich je sicher erfahre, daß er es war, sollte mich dies nicht zu sehr wundern, weil eine so günstige Gelegenheit, sich selbst und der guten Sache einen Dienst zu erweisen, selten wiederkehren dürfte.«

»Wieso? Sich selbst und der guten Sache einen Dienst zu erweisen?«

»Der guten – seiner Meinung nach. Lebst du denn nicht von dem blutigen Schweiße deiner Leute?«

»Es sei. – Aber warum sollte mein Tod ihm persönlich nützen?«

»Weil er dich verabscheut, jemand liebgewann und in dir einen Rivalen sah.«

Bei diesen Worten sprang Krzycki behende auf:

»Was? Er möchte sich erkühnen? …«

»Ich versichere dir, daß er sich erkühnen möchte«, erwiderte Gronski ruhig. »Die Sache hat nur den einen Haken, daß er sich irrt. Aber daß er kühn ist, bewies er schon, indem er eine Art Liebeserklärung an Marie schrieb.«

Krzycki starrte ihn verständnislos an.

»Was?«

»Ich wollte dir in Jastrzemb nichts davon erzählen, weil du damals zur Stadt fuhrst, und ich fürchtete, daß du ihn treffen und einen großen Skandal inszenieren könntest. Aber jetzt kann ich dir alles sagen: Laskowicz hat sich in Marie verliebt und ihr einen Brief geschrieben, der selbstverständlich unbeantwortet blieb.«

»Er war vielleicht der Meinung, ich wäre auch in Marie verliebt?«

»Erlaube, das wäre doch nichts Außergewöhnliches! Er konnte vielleicht etwas gehört haben. Wer verliebt ist, dem scheint es immer, daß jeder den Gegenstand seiner Liebe begehrt. Du kannst dir doch denken, daß Laskowicz mir das nicht anvertraut hat, aber es ist meine Vermutung, und wenn sie unrichtig ist, desto besser für Laskowicz. Die Partei sandte dir ein Todesurteil infolge seiner Rapporte, und das kam ihm aus rein persönlichen Gründen sehr gelegen, übrigens konnte er auch an dem Überfall persönlich nicht beteiligt gewesen sein.«

»Haben Sie ihn nach diesem Brief gesehen?«

»Ich konnte ihn ja unmöglich sehen, weil er doch nach seiner Abreise geschrieben hat. Aber es ist ein Glück, daß ich Frau Otocka riet, diese Epistel zu verbrennen, denn hätte man diesen Brief bei der Revision in Jastrzemb gefunden, dann kannst du dir wohl vorstellen, was für kluge Schlüsse die scharfsinnige Polizei daraus gezogen hätte.«

In Wladislaws Augen blitzte es zornig auf:

»Es ist mir lieber, daß es sich nicht um Fräulein Anney handelt«, sagte er, »aber ich möchte Laskowicz nicht raten, mir zu begegnen. Denn daß solch ein Pavian – wie Dolhonski ihn nennt – in unserem Hause die Frechheit hatte, auf unsere Verwandte ein Auge zu werfen und ihr noch dazu zu schreiben, erachte ich ganz einfach als einen Schimpf, den ich ihm gedenken werde.«

»Höchstwahrscheinlich wirst du ihm nie begegnen, weil er sich jetzt verborgen hält, und wenn du ihn triffst, wirst du keinen Finger rühren.«

»Ich? Dann kennen Sie mich nicht. Warum?«

»Unter anderem aus Rücksicht auf unsere Lage. Erwäge nur, daß jene keine Duelle annehmen und darin wenigstens haben sie recht. Also was? Du wirst ihm ein paar Stockschläge versetzen oder ihn an den Ohren ziehen?«

»Wohl möglich.«

»Warte nur. Erstens war in seinem Briefe nichts enthalten, das einem Schimpfe ähnlich sah, und dann, was weiter? Man wird euch beide auf die Polizei schleppen, dort wird man merken, daß man einen revolutionären Vogel gefangen hat, den man schon lange suchte, und wird ihn nach Sibirien schicken oder sogar hängen. Kannst du so etwas verantworten?«

»Hole der Geier solche Zeiten!« rief Krzycki, »immer befindet man sich in einer Zwangslage.«

»Wie gewöhnlich in gesetzlosen Zuständen«, erwiderte Gronski, »übrigens ist dies nur ein Pröbchen.«

Das weitere Gespräch unterbrach der Eintritt des Dieners, der Gronski eine Visitenkarte überreichte. Dieser blickte auf dieselbe und sagte:

»Ich lasse bitten.«

Dann zu Wladislaw:

»Kennst du den Swidwicki?«

»Diesen Namen habe ich schon irgendwo gehört – aber ich kenne ihn nicht.«

»Das ist ein Verwandter des seligen Gatten der Frau Otocka. Ein merkwürdiges Exemplar.«

In diesem Augenblick trat Swidwicki ein. Er war ein Vierziger, hoch, mager, kahlköpfig, und mit einem Gesicht, das intelligent, verbittert und zugleich verwegen ausschaute. Er war nachlässig in einen Anzug gekleidet, der für ihn zu weit schien, dennoch hatte er etwas an sich, das ihn als Angehörigen einer höheren Gesellschaftsklasse kennzeichnete.

»Wie geht es dir, Swidwa?« fragte Gronski.

Dann stellte er die Herren vor und sagte weiter:

»Was geschah mit dir? Ich habe dich eine Ewigkeit nicht gesehen.«

»Du warst ja verreist.«

»Ja – aber auch einen ganzen Monat vorher hast du dich ebenfalls nicht gezeigt.«

»Auf meine alten Tage werde ich ein Einsiedler.«

»Warum das?«

»Weil mich die Dummheit der als klug, sowie die Bosheit der als gut geltenden Leute langweilt. Übrigens schlendere ich jetzt von früh bis in die Nacht in den Straßen umher. Ach! es gibt ›Attische Nächte‹ und ›Florentinische Nächte‹ – ich aber habe große Lust, ›Warschauer Nächte‹ zu schreiben. Wonnige Tage! Die Titel der einzelnen Kapitel würden lauten: ›Hände in die Höhe!‹ › Ruki w wierch!‹ ›Fort mit der Gans‹ und so weiter. Weißt du, jetzt gibt es immer so viel Patrouillen und Wachen auf der Straße, daß jeder andere an meiner Stelle schon zehnmal arretiert worden wäre.«

»Ich weiß. Und wie verschaffst du dir da Rat?«

»Ich gehe überall so sicher umher wie im eigenen Zimmer. Das Mittel ist ganz einfach. Nämlich, insofern ich nicht wirklich betrunken bin, spiele ich die Rolle eines Betrunkenen. Sie werden mir nicht glauben, mein Herr, wie viel Mitgefühl und Achtung jetzt einem Volltrunkenen zuteil wird, und meiner Ansicht nach ist das ganz richtig – denn wer von früh bis abends ›illuminiert‹ ist – der ist gewiß ein unschuldiger und loyal denkender Mensch, auf den die sogenannte soziale Ordnung sicher rechnen kann.«

»Zweifellos. Aber eine soziale Ordnung, die sich auf solche Leute stützt, steht nicht auf festen Füßen.«

»Wer steht denn heutzutage auf festen Füßen? Prinzipien berauschen heute nicht weniger als der Alkohol – also sind jetzt alle berauscht. Es torkelt der Staat, es torkelt die Revolution, es torkeln die Parteien, und ein dritter steht auf der Seite und beobachtet, wann sie zu Boden fallen. Dann wird er hinzutreten und Ordnung schaffen.«

»Dieser dritte sollten wir selbst sein.«

»Dieser dritte ist der Deutsche, und wir sind nur die Dummen. Wir fingen mit dem Raufen an und befinden uns dadurch in einem solchen Zustande, daß die einzige Erlösung für unsere soziale Lage nur ein ordentlicher Bürgerkrieg wäre.«

Hier schwieg er und wandte sich nach einer Weile an Krzycki:

»Ich sehe, daß Sie große Augen machen, und dennoch ist es so. Ein Bürgerkrieg, das ist eine herrliche Sache. Nichts klärt so die Lage und reinigt so die Luft. Aber diese Zustände herbeiführen und aus denselben nichts machen können – ist das größte Unglück oder die größte Dummheit.«

»Ich gestehe, daß ich das nicht begreife«, sagte Krzycki.

Gronski machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

»Trachte es auch nicht zu verstehen, denn nach einem viertelstündigen Gespräch wirst du nicht wissen, was schwarz und was weiß ist – es wird dir wirr im Kopfe werden oder du bekommst Hitze, die du doch als Verwundeter meiden solltest.«

»Richtig«, sagte Swidwicki. »Ich hörte davon oder las sogar von Ihrem Abenteuer in einer Zeitung, und bemerkte es ebendeswegen, weil in Ihrem Hause Gronski und Frau Otocka mit der Schwester weilten. Ich bin ein Verwandter des seligen altem Otocki. Die Weiblein mußten nicht wenig erschrocken sein. Aber wenn Sie glauben, hier wäre es sicherer als auf dem Lande, dann irren Sie.«

»Wenn man daraus schließen sollte, was man zu sehen bekommt, ist es hier wirklich nicht sicherer. Waren Sie noch nicht bei den Damen?«

»Nein! Ich verkehre dort nicht gern.«

Daraufhin runzelte der von Natur aus aufbrausende und kurzangebundene Krzycki die Stirn und sagte, Swidwicki fixierend:

»Ich frage nicht nach Ihren Gründen, weil es nicht meine Sache ist, aber ich wundere mich – und ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß es auch meine Verwandten sind.«

»Und welcher der junge Ritter sich annehmen müßte«, entgegnete Swidwicki, der mit sichtlichem Wohlgefallen Wladislaw betrachtete. »Aber nein! Wenn ich auch die Absicht hätte, etwas gegen die Damen zu sagen, würde ich es nicht in diesem Hause tun, Gronski möchte mich die Treppe herunterwerfen, und ich habe ein Geschäft mit ihm. Was ich sagte, gereicht diesen Damen zum höchsten Lob und ist für mich eine ausgesprochene Verdrießlichkeit.«

»Verzeihen Sie, aber ich verstehe schon wieder nicht.«

»Sehen Sie, für einen Durchschnittspolen ist es immer eine mißliche Sache, jemand hochzuachten und die Zähne nicht an ihm wetzen zu können. Und ich kann von diesen Frauen nicht so sprechen, wie ich es wollte – das ist nachteilig. Ich hasse ideale Weiber! Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, daß, wenn ich manchmal den Abend zufällig in ihrer Gesellschaft zubringe, ich dann ein ordentlicherer Mensch werde – und das ist ein Luxus, den man sich in der heutigen Zeit nicht gestatten darf.«

Wladislaw lachte auf, und Gronski meinte:

»Habe ich dir nicht gesagt, es wird dir davon im Kopfe ganz wirr werden?«

Hiernach zu Swidwicki gewendet:

»Wenn sein Zustand sich verschlimmern sollte, werde ich ihn bereden, dir die Rechnung des Arztes und des Apothekers zu senden.«

»Wenn die Sachen so stehen, so gehe ich«, entgegnete Swidwicki. »Aber komm' mit mir in ein anderes Zimmer, weil ich ein Geschäft mit dir habe, und es mir lieber wäre, wenn du mir ohne Zeugen absagst.«

Er verabschiedete sich von Wladislaw und ging fort. Gronski begleitete ihn ins Vorzimmer und kehrte nach einer Weile achselzuckend zurück.

»Ein wunderlicher Patron«, sagte Krzycki. »Ohne indiskret zu sein: wollte er von Ihnen nicht Geld leihen?«

»Ärger«, erwiderte Gronski. »Diesmal handelte es sich um einige Bilder von Falk. Ich gab eine abschlägige Antwort, denn Geld gibt er meistenteils zurück, oder richtiger, er erlaubt es von seiner Leibrente abzuziehen – aber Bücher, Stiche und ähnliche Sachen sieht man nie wieder.«

»Sammelt er denn?«

»Im Gegenteil – er vergeudet, verschenkt, verliert, verdirbt – weiß ich's denn! Du wirst ihn jetzt öfters sehen, denn ich wollte ihm diese Bilder nicht leihen, aber ich habe ihm erlaubt, sie hier zu betrachten und zu studieren. Er versichert, daß er über Falk ein Buch schreibe.«

»Ah! er ist also ein Literat?«

»Er könnte es vielleicht sein. Da du ihn wieder treffen wirst, muß ich dich vor ihm ein wenig warnen – um es kurz zu machen: Das ist ein Mensch, dem Gott einen guten Namen, ein großes Vermögen, Schönheit, große Fähigkeiten und ein gutes Herz gab – und er hat es verstanden, alles zu vergeuden.«

»Was? Sogar das gute Herz?«

»Insofern, als er ein schädlicher Mensch ist. Es ist besser, daß er nicht schreibt. Denn siehst du, es kommt vor, daß jemand das Gehirn fault, so wie Schwindsüchtigen die Lungen faulen. Aber niemand hat das Recht, das Volk mit der Fäulnis seiner Lunge oder seines Hirns zu füttern. Solche aber gibt es jetzt viele! Swidwicki wirkt Gott sei Dank nicht öffentlich, aber er tut es privatim. Weißt du, wie er es erklärt, nie im Leben etwas vollbracht zu haben? Nämlich, daß man, um etwas zu vollbringen, an etwas glauben, und um an etwas zu glauben man eine gewisse Dosis von Dummheit besitzen müsse, die er aber nicht hat. Ich spreche nicht nur von religiösen Dingen – er glaubt einfach nicht, daß etwas wahr oder unwahr, recht oder unrecht, gut oder böse sein kann. Aber Balzac sagt ganz richtig: › Qui dit doute, dit impuissance‹. Es ärgert und verbittert doch Swidwicki, daß er gar nichts ist, deshalb rettet er sich durch Paradoxe und schlägt geistige Purzelbäume. Ich sah einmal einen Clown, der das Publikum damit unterhielt, daß er seine Mütze auf verschiedene Art komisch gestaltete. Dasselbe tut Swidwicki mit der Wahrheit und der Logik. Das ist auch ein Clown, aber ein verbitterter und widerspenstiger. Deshalb ist er immer anderer Meinung als derjenige, mit dem er spricht. Das geschieht besonders dann, wenn er betrunken ist, und er betrinkt sich jeden Abend. Dann wird er einem Patrioten sagen, das Vaterland sei eine Dummheit, vor einem gläubigen Menschen wird er den Glauben verspotten, einem Konservativen wird er erklären, daß nur die Anarchie und die Revolution etwas wert seien, einem Sozialisten, daß das Proletariat ein ›Maul‹ besitze (ich hörte selbst, wie er sich so ausdrückte), damit er, der ›Übermensch‹, in was zu schlagen hat, wenn er gerade Lust dazu bekommt. Und so geht es immer. In Diskussionen leuchtet er mit Paradoxen, aber manchmal gelingt es ihm, wirklich verblüffend richtige Sachen zu sagen – denn in jeder Kritik ist ein wenig Wahrheit enthalten. Wenn du willst, kann ich einmal eine solche Vorstellung arrangieren, obgleich er mir gegenüber einige Rücksicht nimmt, erstens deshalb, weil er mich gern hat, und dann, weil ich ihm schon einige Gefälligkeiten erwiesen habe. Er versprach mir dafür schwärzesten Undank, aber derweilen plagt er mich nicht mit solcher Energie, wie andere.«

»Daß niemand ihm bis jetzt die Knochen gebrochen hat?« bemerkte Wladislaw.

»Er flieht vor so etwas durchaus nicht. Er selbst sucht Händel herbeizuführen und jedes Jahr muß er einen Skandal provozieren.«

»In den Kneipen? In Schenken?«

»Nicht nur dort, da er nämlich durch seinen Namen und durch seine Familie zu den sogenannten höheren Gesellschaftsklassen gehört, hat er auch unter diesen viel Bekanntschaften. Vor zwei Jahren haben ihn zwar in einer Kneipe Schauspieler tüchtig verhauen, aber z.+B. auch Dolhonski verwundete ihn voriges Jahr in einem Duell; die beiden können sich nicht ausstehen.«

»Ah! jetzt erinnere ich mich, daß ich damals seinen Namen gehört habe.«

»Vielleicht hast du von ihm auch früher gehört, weil er dabei ein großer Weiberfreund ist. Er ist mit einem Worte ein Schelm, der sich nicht beherrschen kann.«

»Was die Weiber anbelangt – auch jetzt noch?«

»Er ist ja noch kein alter Mann. Seit einiger Zeit aber ist er in einem Stadium, in dem ihm nicht die Damen, sondern deren Dienstmädchen gefallen. Stell dir vor, daß ihm unlängst das Stubenmädel von Fräulein Anney, die Brünette, die dich in Jastrzemb ein bißchen gepflegt hatte, so gefallen hat, daß er ihr eine Zeitlang überall nachging. Er erzählte, sie hätte ihm einmal auf der Treppe tüchtig die Meinung gesagt, aber dadurch gefalle sie ihm nur um so mehr.«

Bei der Erwähnung der »Brünetten, die ihn in Jastrzemb gepflegt«, wurde Krzycki so verwirrt, daß Gronski, der dies bemerkte und nicht wußte, was zwischen ihr und Wladislaw vorgefallen war, vermutete, dem Liebenden sei der Gedanke peinlich, daß um Fräulein Anney sich dem Swidwicki ähnliche Gestalten bewegen. Um diesen Eindruck zu verwischen, sagte er:

»Er behauptet, diese Damen nicht gern zu besuchen, aber auch Frau Otocka empfängt ihn nicht sehr erfreut. Sie tut das nur ihrem seligen Manne zuliebe, der sein Cousin und der Verwalter seines Vermögens war. Möglich, daß Swidwicki sich unbehaglich in der Gesellschaft dieser Frauen fühlt.«

»Die Bazillen verabscheuen die reine Luft.«

»Es ist sicher, daß in ihm eine ›Moral insanity‹ steckt. Ich habe mich an ihn gewöhnt, aber es gibt Dinge, die auch ich an ihm unerträglich finde. Alles mag er – hol' ihn der Geier – schmähen, aber gewisse Dinge soll er nicht anrühren! Du hast gar keinen Begriff, mit welcher Geringschätzung und mit welchem Haß er alles bemäkelt, was polnisch ist. Und hier ruf' ich: holla! Trotz unseres guten Einvernehmens kam es einst zwischen uns zu einer Szene. Denn als er eines Abends mit seinen galligen Witzen ganz Polen bekrittelte, sagte ich ihm: Dieser Löwe stirbt noch nicht, und selbst wenn er sterben würde, weißt du, wer einem sterbenden Leu Fußtritte versetzt? Hiernach ließ er sich einen ganzen Monat bei mir nicht blicken, aber hatte ich nicht recht? Ich begreife, daß von seinem Volke mit Bitterkeit oder mit Gift und Galle ein Held sprechen kann, den man mit Undank bezahlte, aber Swidwicki ist doch kein Miltiades oder Themistokles. Und solche Gallenergüsse sind ganz einfach schädlich, da er als blitzender Geist leicht Nachahmer findet, eine Mode schafft, und dadurch wetzen verschiedene Snobs, die nichts für Polen taten, ihre verkümmerten Hirne an diesem Wetzstein. Ich begreife eine noch so unbeugsame Kritik – aber wenn diese zu einem Roß oder einem Esel wird, von dem man nie heruntersteigt dann ist das schlecht, weil es die Lebenslust jenen wegnimmt, die doch leben müssen – und es ist garstig, weil das ein Bespucken einer oft sündigen, aber vor allem ungemein unseligen Nation ist. Der Pessimismus ist kein Verstand, er ist nur ein Surrogat des Verstandes und deswegen auch solch ein Betrug, den ein Kaufmann begeht, der zum Beispiel statt Kaffee Feigenkaffee verkauft. Und einem solchen Surrogat wirst du jetzt auf jedem Schritt im Leben und in der Literatur begegnen …«

Hier schwieg Gronski eine Weile, Krzycki aber hob die Brauen und sagte:

»Daraus, was Sie sagen, ersehe ich, daß Swidwicki ein großer Aff' ist.«

»Manchmal denke ich mir, daß er ein fabelhaft unglücklicher Mensch sei – und deshalb verkehre ich noch mit ihm. Dabei hat er zu mir eine Art Zuneigung, und das entwaffnet immer. Endlich, ich gestehe es offen, besitze ich die echt polnische Schwäche, durch die wir Nachsicht üben und alles den Leuten verzeihen die uns unterhalten. Und er ist manchmal sehr kurzweilig, besonders, wenn er ins Plaudern gerät und ein wenig berauscht ist.«

»Wenn er aber nicht arbeitet und nur redet, wovon lebt er denn eigentlich?«

»Er ist nicht ohne Vermögen … Einst war er sehr wohlhabend, dann verlor er den größten Teil seines Eigentums. Endlich aber, als der selige Otocki, der ein überaus braver und dabei sehr praktischer Mensch war, gewahrte, wie dies enden könne, nahm er alles in seine Hand, rettete viel und setzte das Kapital in eine Leibrente um. Davon erhält Swidwicki etliche tausend Rubel jährlich, und trotzdem er mehr ausgibt als er sollte, hat er zu leben. Wenn er nicht trinken würde, könnte er sogar bequem leben, weil er einer Leidenschaft nie frönte – nämlich dem Kartenspiel. Er sagt, dazu müsse man die Intelligenz eines Mohren besitzen. Dies der Grund des Auftrittes mit Dolhonski. Aber auch ohnehin konnten sich die zwei nie vertragen. Beide sind, wie jemand sagte – Commis voyageurs des Zynismus und machen sich gegenseitig Konkurrenz.«

»Von diesen beiden ist mir Dolhonski lieber«, sagte Krzycki.

»Weil er dich unterhält, und Swidwicki hatte bis jetzt keine Gelegenheit dazu. Immer dieselbe polnische Schwäche«, erwiderte Gronski.

Nach einer Weile fügte er hinzu:

»Bei Dolhonski erblickt man eher den Grund.«

»Und auf dem Grunde das Fräulein Kajetana.«

»Gegenwärtig ist es vielleicht wirklich so. Weißt du, daß Dolhonski diese Damen mit dem nächsten Zuge hierher bringt? Er erzählte mir auch, daß sie gleich deine Mutter und Frau Otocka besuchen wollen.«

»Auch Sie werden dort nachschauen?«

»Ja. Ich trete dort jeden Tag ein. Und weil du noch nicht ausgehen darfst, werde ich sie morgen zum Nachmittagstee einladen.«

»Ich danke Ihnen herzlich. Ich darf zwar nicht ausgehen, aber ich könnte ja fahren.«

»Mein Diener erzählte mir, daß morgen früh auf Parteibefehl alle Droschkenkutscher streiken werden.«

»Wie werden dann diese Damen hierher fahren können?«

»Mit ihrer Privatequipage. Höchstens, daß man auch das Fahren mit eigenem Wagen verbieten wollte …«

»In diesem Falle wird auch die Mutter nicht imstande sein, mich zu besuchen?«

»Wenn es in den Straßen ruhiger geworden ist, werde ich sie von Hause abholen und später wieder dorthin zurückbringen. Manchmal kommt es vor, daß die Straßen einem stürmischen Meere gleichen, während sie am nächsten Tage wieder vollkommen ruhig sind. Selbstverständlich ist das eine relative Sicherheit, denn wer heute in die Stadt geht, kann nie sicher sein, ob er zurückkehrt. Dieser oder jener kann ihn mit einem Messer oder einem Bajonette in die Seite stechen. Für die Frauen jedoch ist es verhältnismäßig nicht so gefährlich.«

»In diesem Falle wäre es viel besser, wenn mich die Mutter nicht besuchte. Ich will mich lieber noch die von Szremski mir vorgeschriebenen drei Tage langweilen, als sie oder eine andere von den Damen einer Gefahr auszusetzen. Sie müssen Ihren › five o'clock‹ verschieben.«

»Sicherlich werde ich es tun müssen! Aber deine Mutter wird nicht damit einverstanden sein, dich drei Tage lang nicht zu sehen. Und vielleicht dringt noch eine andere in mich, den ›Tee‹ nicht zu verschieben.«

Wladislaws Antlitz strahlte vor inniger, rührender Freude.

»Meiner Mutter sagen Sie, daß die Sorge um sie mir schaden und Fieber verursachen könnte, und der ›anderen‹, daß ich ihr den Saum ihres Kleides küssen möchte.«

»Nein; solche Sachen muß man selbst sagen.«

»O, daß ich es nicht nur sagen, sondern auch baldigst ausführen könnte! Unterdessen bitte ich Sie um die Erlaubnis, Ihren Diener in die Stadt senden zu dürfen. Wenn er sich fürchtet, soll er einen Boten herbeirufen. Ich möchte nur ›dieser anderen‹ einige Blumen schicken.«

»So, dann sende aber auch deinen Cousinen ein Sträußchen, denn sonst würde sich deine Mutter darüber wundern.«

»Sicherlich würde sie staunen, denn infolge ihrer Krankheit sah sie uns so selten zusammen, daß sie gar nichts bemerken konnte. Aber bald werde ich ihr alles gestehen.«

»Ich werde dir wiederholen, was mir Frau Otocka gesagt hat. Sie sagte mir so: ›Wladislaw soll mit der Mutter nicht darüber sprechen vor der definitiven Auseinandersetzung mit Anita, da er sonst nicht imstande wäre, ihr alles zu sagen.‹«

Krzycki schaute Gronski durchdringend an.

»Und Sie wissen nicht, um was es sich handelt?«

»Du weißt ja, daß ich ziemlich neugierig bin«, entgegnete Gronski, »aber ich glaubte, Frau Otocka habe ihre stichhaltigen Gründe zum Schweigen und deshalb fragte ich gar nicht.«

Gronski verschob in der Tat seinen » five o'clock«.

Frau Krzycka besuchte jedoch den Sohn, zuweilen zweimal täglich, da sie ganz richtig argumentierte, daß ihr als älterer Frau eine geringere Gefahr drohe, als jedem anderen. Wladislaw plauderte mit ihr stundenlang über alles, am meisten jedoch über Fräulein Anney. Nach Gronskis Warnung offenbarte er zwar der Mutter seine Gefühle für die junge Engländerin nicht und erwähnte auch nichts von seiner Absicht, aber schon das allein, daß ihr Name beinahe immer auf seinen Lippen war, daß er hauptsächlich ihr seine Rettung zuschrieb und immer nur davon sprach, wie viel Dank er und seine Familie ihr schuldeten, gab Frau Krzycka viel zu denken. Der Argwohn, den sie am Abend vor der Abreise aus Jastrzemb hegte, kehrte immer stärker wieder. Sie glaubte zwar nicht, daß Wladislaw bereits feste Vorsätze hätte, aber sie kam zu der Überzeugung, daß er ein bißchen »schwärme«, und daß dies goldhaarige Mädchen ihm besser gefalle als die Cousine, Frau Otocka. Dieser Gedanke stimmte Frau Krzycka wehmutsvoll.

Während der gemeinsamen Fahrt und der paar Tage des Warschauer Aufenthaltes hat sie Fräulein Anney wegen ihrer gewandten Umgangsformen, ihrer lieblichen Natürlichkeit und ihrer aufopfernden Fürsorge immer mehr liebgewonnen, aber »Zosia Otocka« war stets ihr Herzblättchen gewesen. Seit der Begegnung in Krynica hörte sie nicht auf, von ihr dem Sohne gegenüber zu schwärmen. Sie war der Ansicht, daß, was Adel der Gesinnung und Vornehmheit der Gefühle anbelangte, sich niemand mit Frau Otocka messen könne. In ihren Augen war sie eine erhabene Seele und die reine Inkarnation einer engelhaften Weiblichkeit. Mit Herzklopfen hatte sie ihre Ankunft erwartet, da sie gar nicht zweifelte, Wladislaw müßte von der Gestalt, dem süßen Gesichtchen und jenem gewissen Zauber einer jungfräulichen Schüchternheit entzückt sein, die sie trotz ihres Witwenstandes ganz beibehalten hatte. Bis zuletzt hegte Frau Krzycka die Hoffnung, daß alles so kommen müsse; und sie bemerkte, den flüchtigen Eindruck in Jastrzemb abgerechnet, erst während der Reise und der paar Warschauer Tage, daß Wladislaws Augen eine andere Blume mehr bewunderten. Allein sie zog es vor, darüber mit dem Sohne nicht zu sprechen in der Voraussetzung, alles würde vielleicht vorübergehen.

Inzwischen rüttelte der Sohn an seinen Ketten und würde diese paar vom Arzte ausbedungenen Tage nicht eingehalten haben, wenn nicht das Versprechen, das er der Mutter in Fräulein Anneys Gegenwart gegeben hatte, und die Furcht, in den Augen der Angebetenen als ein Wortbrüchiger zu gelten, ihn zurückgeschreckt hätten. Nach dem durch Gronskis Vermittlung erteilten Rat Frau Otockas, vor allem mit Fräulein Anney selbst zu sprechen, wurde es ihm um so schwerer, zu Hause zu bleiben. Von früh bis spät zerbrach er sich den Kopf, was wohl vorliegen möge, aber er konnte es nicht erraten.

Am nächsten Tage nach dem Gespräch mit Gronski entschloß er sich, Frau Otocka brieflich darüber zu befragen, und er begann mit großem Enthusiasmus ein Schriftstück; aber schon nach der ersten Seite verzweifelte er, da es ihm unmöglich schien, das auszudrücken, was er eigentlich wollte. Er war sich dessen bewußt, daß er ja unter Frau Otockas Adresse eigentlich einen Brief an Fräulein Anney richtete, deshalb trachtete er, aus dem Briefe ein Meisterstück in seiner Art zu machen, aber bald kam er zur Einsicht, eine so unbeholfene und mangelhafte Epistel zusammengeschrieben zu haben, daß es unmöglich sei, sie abzusenden. Endlich verlor er ganz das Vertrauen zu seinen stilistischen Fähigkeiten, und das verstimmte ihn so gewaltig, daß er sich im Grunde der Seele fragte, ob solch »ein Esel«, der nicht imstande sei, ein paar Worte zu schreiben, das Recht besitze, nach einem solch ungewöhnlichen und vollkommenen Wesen wie »sie« die Hand auszustrecken.

Gronski versuchte ihn damit zu trösten, daß ein solcher Brief ein verfehltes Unternehmen sei und nie gelingen würde. Dann lenkte er seine Aufmerksamkeit auch auf einen anderen Umstand, nämlich, daß man aus Frau Otockas Worten und aus ihrem Rate – es möge dem Gespräche mit der Mutter eine Unterredung mit Fräulein Anney vorangehen – folgern könne, daß dort schon alle Vorkehrungen getroffen seien, um einem Herzeleid vorzubeugen.

Wladislaws Laune besserte sich sogleich, er lachte lustig wie ein Kind und schickte den drei Damen die schönsten Rosensträuße, die nur in Warschau zu haben waren.

Und der Verlauf des Tages war noch günstiger, denn Dankbarkeitsbeweise kamen an. Nach Gronskis Weggehen brachte Pauline dieselben, und zwar in Gestalt eines kleinen duftigen Briefleins, in dem durch die Hand der goldhaarigen Gottheit folgende Worte verzeichnet waren: »Wir danken für die herrlichen Rosen, erhoffen ein baldiges Wiedersehen!«

Es folgten die Unterschriften: Agnes Anney, Sophie Otocka, Marie Zbyltowska.

Krzycki hielt diesen Brief für ein Kunstwerk der Natürlichkeit und Rhetorik. Er würde gewiß jeden Buchstaben abgeküßt haben, wenn nicht Fräulein Pauline mit trübseligem Gesichte, ihn wie einen Regenbogen andächtig betrachtend, vor ihm gestanden hätte, argwöhnisch und eifersüchtig, obgleich sie augenscheinlich noch nicht recht wußte, auf welche von den drei Damen sie es sein sollte.

Ohne die Freude zu unterdrücken, die er über diesen Brief empfand, wandte er sich ihr zu und fragte:

»Wie steht's, Fräulein, sind die Damen gesund?«

»Jawohl. Meine Herrin trug mir auf, mich nach Ihrem Wohlergehen zu erkundigen.«

»Danken Sie in meinem Namen verbindlichst. Es geht mir ausgezeichnet und wenn man nicht noch ein zweites Mal auf mich schießt, werde ich vorläufig nicht zugrunde gehen.«

Und sie erwiderte, ihn unaufhörlich mit ihren abgrundtiefen Augen betrachtend:

»Gott sei ewig Dank!«

»Fürchtet sich denn Fräulein Paulinchen nicht, in diesen unruhigen Zeiten auszugehen?«

»Der Lakai hatte Angst, aber ich fürchte mich vor gar nichts, und wollte mich persönlich von Ihrem Befinden überzeugen.«

»Ah, Sie sind wirklich ein mutiges Kerlchen! Ich bin Ihnen sehr verbunden. Nachdem aber der unsinnige Droschkenstreik heute beendet ist, wird es immerhin besser sein, in einer Droschke heimzukehren, also wird Fräulein Paulinchen – dies … annehmen … für …«

Hierauf suchte er in seiner Börse und entnahm derselben fünf Goldrubel, die er Paulinchen einhändigen wollte, dabei hatte er aber das Gefühl, etwas Unpassendes, sogar Grausames zu tun. Ihm selbst war dies unangenehm, so daß er verwirrt und ganz rot wurde – allein es schien ihm, daß jeder andere Dank nur das Gefühl steigern würde, das er in ihr bemerkt hatte und das er aus einer seltsamen Angst ertöten wollte, um so mehr, als das Mädchen bei Fräulein Anney bedienstet war. Er wiederholte also mit einem affektierten und ein wenig blöden Lächeln:

»Bitte, Fräulein Paulinchen – bitte …«

Sie aber zog die Hand zurück und ihr Antlitz verdüsterte sich.

»Danke«, erwiderte sie, »ich bin nicht deshalb gekommen.«

Und sie wandte sich der Tür zu. Zur Unzufriedenheit, die Krzycki über sein eigenes Vorgehen empfand, gesellte sich Mitleid mit der Kammerjungfer; er folgte ihr daher einige Schritte.

»Das Fräulein soll sich nicht beleidigt fühlen«, sagte er, »hier handelt es sich ja nur um Ihre Sicherheit. Nur darum handelt es sich … Der Diener kann ja die Droschke holen …«

Aber sie erwiderte nichts mehr und ging fort. Krzycki näherte sich dem Fenster und beobachtete eine Weile ihre schlanke in der Tiefe der Straße verschwindende Gestalt – und plötzlich hatte er wieder die Vision der weißen Bildsäule mit den bläulichen Wassertropfen. Etwas Erregendes hatte dies Mädchen an sich, und unwillkürlich kam es dem vollblütigen Junker in den Sinn, daß, wenn Pauline nicht Fräulein Anneys Dienstmädchen wäre und er sie früher kennen gelernt hätte, er so sicher, wie zwei und zwei vier sind, ihren Reizen nicht widerstehen könnte.

Jetzt aber nahm eine andere, größere Gewalt seine Sinne und sein Herz gefangen.

Nach einer Weile kehrte er zu seinem Briefe zurück und begann ihn von neuem zu lesen:

»Wir danken für die herrlichen Rosen, und auf baldiges Wiedersehen.«

Also will man ihn dort sehen, übermorgen werden ihn die Ketten des eigenen Wortes hier nicht mehr halten, er wird dort hingehen und in jene Mädchenaugen schauen, die durch blaue Nebel blicken, und seine Lippen wird er auf die geliebte Hand pressen, so daß er in einem Kusse alles ausdrücken wird, was er auf dem Herzen hat. Worte werden später nur das Echo sein.

Und wie ein scheues Pferd riß ihn die Phantasie fort. Gronski sagte ja, dort sei alles schon vorbereitet! Vielleicht sinkt also das angebetete Mädchen gleich in seine Arme, vielleicht schließen sich diese reizenden Augen und die Lippen strecken sich ihm entgegen …

Bei diesem Gedanken erbebte Krzycki in einem Wonneschauer und er hatte das Gefühl, daß alle Liebe, alles Begehren der ganzen Welt sich in ihm jetzt konzentriere …


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