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II.

Wladislaw gehorchte und fügte sich ganz gehorsam den Anordnungen des Fräulein Anney, da er gleich nach ihrem Fortgehen wieder einschlummerte und erst dann erwachte, als die Strahlen der schon hoch am Himmel stehenden Sonne sein Antlitz beleuchteten. Da runzelte er die Stirn, bewegte die Augenwimpern und bat endlich, nachdem er sich etwas ermuntert hatte, das Rouleau herunterzulassen.

Das schwarzhaarige Mädchen näherte sich zu diesem Zwecke dem Fenster; weil es sich aber zu sehr eilte und die Rouleauschnur nicht genügend stark war, fiel das Rouleau so plötzlich herab, daß es von der Leiste abbrach und auf den unteren Fensterrahmen herabstürzte.

Da sprang das ob seiner Ungeschicklichkeit sich schämende Mädchen auf einen Sessel, vom Sessel auf die Fensterbank und reparierte das Rouleau.

Krzycki betrachtete bei noch nicht vollem Bewußtsein die biegsame Gestalt, die emporgehobenen Arme und den schwarzen aufgesteckten Zopf und blinzelte mit den Augen, weil er sich nicht sogleich besinnen konnte, wer das sein möchte, und erst, nachdem sie vom Fensterrahmen heruntergesprungen war und dabei wohlgestaltete und volle Füße in schwarzen Strümpfen zeigte, erkannte er sie und sagte:

»Ach! das ist ja Fräulein Paulinchen!«

»Ich bin es«, entgegnete das Mädchen. »Verzeihen Sie nur, daß ich so viel Lärm machte.« Und sie errötete wie eine Rose unter seinen Blicken, und er erinnerte sich, wie er sie, nur mit blauen Wasserperlchen bekleidet, gesehen hatte, darum betrachtete er sie genauer und meinte:

»Schadet nichts! Ich danke Ihnen, Fräulein, für Ihre Fürsorge.« Dabei bewegte er zum Dank die auf der Decke liegende Hand; da er aber dabei durchdringenden Schmerz empfand, verbarg er das Gesicht und stöhnte auf.

Und sie setzte sich auf den Bettrand und, sich über ihn neigend, fragte sie sehr besorgt:

»Tut es weh?«

»Es tut weh.«

»Vielleicht kann ich etwas reichen oder jemand rufen?«

»Nein! nein!«

Eine Weile war es still. Wladislaw runzelte die Stirn, biß die Zähne zusammen, stöhnte nochmals tief auf und sagte mit einer gewissen Bosheit:

»So haben mich diese Bösewichte zugerichtet!«

»O! Wenn ich sie in meine Hände bekäme!« erwiderte sie durch die gepreßten Zähne.

Und ein furchtbarer Haß erglühte in ihren Augen, und das ganze Gesicht nahm einen solch finsteren Ausdruck an, daß es als Modell zu einem Gorgonenhaupt hätte dienen können. Krzycki erstaunte darüber so sehr, daß er seinen Schmerz vergaß.

Und wieder herrschte Schweigen. Das Mädchen ermannte sich nach einer Weile, nur die Wangen erblaßten, als sie wieder fragte:

»Wodurch kann man Ihnen Linderung verschaffen?«

Aus ihrer Stimme klang eine solche Herzensangst, daß Krzycki sie anlächelte und erwiderte:

»Höchstens durch ein wenig Mitleid.«

Und sie fing sogleich krampfhaft zu weinen an, neigte ihr Gesicht auf seine Füße und küßte und umarmte dieselben durch die Decke, und den ganzen gebeugten Körper erschütterte das Schluchzen.

»Fräulein – aber Fräulein Paulinchen!«

Er mußte es einigemal wiederholen, bis sie ihn, hörte. Endlich erhob sie sich, bedeckte die Augen mit ihren Händen, ging zum Fenster, preßte das Gesicht an die Scheiben und blieb so einige Zeit bewegungslos stehen. Dann trocknete sie ihre Augen, glättete eilig das zerzauste Haar, als ob sie fürchte, ein zufällig Eintretender könne bemerken, was vorgefallen.

Krzycki erinnerte sich indessen an jede Begegnung mit ihr, von jener in der dunklen Allee angefangen, wo sie ihm sagte, daß ein Werwolf nicht so aussehe wie er, bis zu der Vision in der Badestube, auch rief er das Gespräch mit ihr am Teiche nach jener Vision in sein Gedächtnis zurück. Er erinnerte sich, wie sie seit dieser Zeit immer bei seinem Anblick entweder erblaßte oder errötete, wie sie die Augen niederschlug oder ihm nachschaute, wenn sie sich unbemerkt glaubte.

Krzycki erachtete dies einerseits als eine Folge des Vorkommnisses im Bade und andererseits hielt er es für die Bewunderung seines wohlgefälligen Äußeren. Diese Bewunderung schmeichelte zwar sehr seiner männlichen Eitelkeit, aber er sann darüber nicht viel nach, und da seine Gedanken ganz von Fräulein Anney erfüllt waren, befaßte er sich nicht viel mit ihrem Dienstmädchen. Jetzt aber begriff er, daß all dies etwas mehr als ein bloßes Kokettieren eines schnippischen Kammerkätzchens mit »dem jungen Herrn« bedeute, und daß dieses Mädchen in einer krankhaften Art in ihn verliebt sei.

Seine Liebe zu Fräulein Anney war jedoch zu tief und ehrlich, um durch diese Entdeckung erfreut zu sein oder Pläne aufkommen zu lassen, wie er nach seiner Genesung kavaliermäßig aus den Gefühlen des Mädchens etwa profitieren könnte. Im Gegenteil. Der Gedanke war ihm peinlich und unangenehm. Er fürchtete die Folgen. Er hatte eine Ahnung künftiger Sorgen und Konflikte, die aus solcher Leidenschaft möglicherweise entstehen könnten. Er erkannte es als ein Feuer, mit dem man nicht leichtsinnig spielen darf und das man stets beobachten muß, ohne ihm neue Nahrung zu geben.

Daher beschloß er trotz der mitleidsvollen Sympathie, die er im Grunde des Herzens für das Mädchen empfand, künftighin sich aller Gespräche und Späße zu enthalten, die das Verhältnis zu ihr zutraulicher machen und einen ähnlichen Ausbruch wie den heutigen erwecken könnte. Er beabsichtigte sogar, Fräulein Anney zu bitten, ihm Pauline nicht mehr zu schicken, aber er verwarf diese Idee wieder, da er wohl einsah, daß eine solche Bitte als Geschmacklosigkeit erscheinen und ihn lächerlich machen könne. Endlich beschloß er, jede Unterredung mit ihr zu vermeiden und auch keine Erklärung für den Ausbruch der Tränen zu verlangen; er wollte sich ihr gegenüber kühl, reserviert verhalten.

Unterdessen hatte sich Pauline wieder beruhigt; sie näherte sich dem Bette und fragte mit einer demütigen, wie gebrochen klingenden Stimme:

»Verzeihen Sie mir, zürnen Sie mir nicht.«

Er schloß jedoch die Augen und erwiderte erst nach längerer Pause:

»Ich ärgere mich nicht, Fräulein, aber ich brauche Ruhe.«

»Bitte um Verzeihung«, entgegnete sie noch demutsvoller.

Aber sie bemerkte sogleich, daß er in einem ganz anderen Tone sprach wie vorher, trockener und kühler, und eine große Ungewißheit malte sich in ihrem Gesicht, denn sie wußte nicht, ob das eine momentane Unzufriedenheit des Kranken, der wirklich nach Ruhe verlangte, oder eine ernste Verstimmung des »jungen Herrn« sei, weil sie – ein dienendes Mädchen – sich erkühnt hatte, ihre Gefühle zu offenbaren. Da sie fürchtete, ihn ein zweites Mal zu beleidigen, schwieg sie und setzte sich auf denselben Sessel, auf dem vorher Fräulein Anney gesessen hatte, nahm von der Kommode die mitgebrachte Handarbeit und begann zu nähen, dabei aber betrachtete sie von Zeit zu Zeit mit großer Unruhe und ängstlich den Verwundeten.

Krzycki blickte sie verstohlen an, und als er ihre regelmäßigen aber wie aus Stein gehauenen Züge, ihre stark geschwungenen Brauen, den dunklen Lippenflaum und den energischen, beinahe verbissenen Gesichtsausdruck sah, dachte er, daß es einem Menschen, der die Sinne und Gefühle eines solchen Mädchens erweckt hätte, viel leichter wäre, gewisse Bande anzuknüpfen, als dieselben später wieder zu lösen.


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