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IX.

Die Wölkchen, die zwischen Krzycki und Hanka auftauchten, verwandelten sich allmählich in Wolken. Zeitweise hörten die Liebenden sogar auf, sich gegenseitig zu verstehen. Hanka kämpfte immer mehr gegen den Gedanken an, daß Wladislaw ungeachtet seines guten Herzens und seiner Fähigkeit, alles zu empfinden, was edel und hehr, doch ein schwacher Charakter sei, der in einer augenblicklichen Aufwallung oder im Moment des Aufbrausens der Leidenschaften nicht standhalten und aus sich selbst nicht genügend moralischen Halt hervorbringen könne, selbst wenn es um die eigene Würde gehen sollte. Und dieser Gedanke machte sie tieftraurig. Noch schmerzlicher berührte sie aber noch ein anderer Umstand. Sie gelangte nämlich zur Überzeugung, daß seine Gefühle für sie reiner, edler und gleichsam schamhafter zu der Zeit waren, als er sie noch für Fräulein Anney hielt. Sie gedachte mancher Augenblicke, sowohl in Jastrzemb als auch in Warschau, wo sie sicher war, diese brennende Liebesflamme, die in seinem Herzen erglüht war, sei zugleich auch eine opferfreudige Flamme der Verehrung. Und nun, als sie ihm erklärt hatte, sie sei die ehemalige Hanka – verwandelte sich dieses reine Feuer zum großen Teil in eine Feuersbrunst der Sinne. Warum? War die frühere Sünde schuld daran oder daß sie ein Bauernmädchen war? In der Antwort auf diese Fragen lag durchdringender Schmerz, denn Hanka fühlte, es geschehe aus beiden Gründen.

Allein sie irrte, wenn sie annahm, Krzycki verstehe es nicht, daß er eben aus diesem zweifachen Grunde ganz entgegengesetzt vorgehen müsse, um in ihr die Erinnerung an den Fehltritt auszulöschen, sie in ihren eigenen Augen zu erheben und in ihr seine künftige Gattin zu ehren. Er begriff es sogar vollkommen, und es geschah nicht selten, daß, nachdem er sie verlassen hatte, er – ohne in den Worten gerade wählerisch zu sein, sich selbst beschimpfte und im Geiste sich vornahm, sich zu ändern. Da er jedoch in seinem leichten Leben nicht gewohnt war, zu kämpfen und vor allem mit sich selbst zu ringen, so währten diese guten Vorsätze nur kurze Zeit – nur so lange, als er fern von ihr war und die von ihr ausstrahlende Wärme ihn nicht umwehte. Wenn er aber wieder in ihre Augen schaute, ihre Hand in der seinen hielt und an ihren weiblichen Reizen sich berauschte, dann war er wieder der Sklave seines Blutes, und die Erinnerung an die einstige Hanka aus der Mühle vermehrte nur die Versuchung, statt sie zu dämpfen. Unter solchen Umständen mußte früher oder später über ihren Häuptern ein unheilschweres Gewitter sich entladen. Rascher noch, als Krzycki glaubte, kam es auch wirklich zum Ausbruch.

Einmal, als er zur Dämmerstunde bei Hanka eingetreten war, fand er sie in einem seltsamen und ungewöhnlichen Zustande. Sie war eigentümlich erregt, ihre Wangen glühten, die Augen waren gerötet und die Hand, die sie ihm reichte, zitterte merklich. Anfangs wollte sie ihm den Grund ihrer Aufregung nicht gestehen, als sie aber sich nahe zueinander gesetzt hatten, flehte er sie an, sie möge vor ihm kein Geheimnis bewahren und ihm, nicht bloß als dem Bräutigam, sondern auch als ihrem besten Freunde sagen, was sich zugetragen habe.

Die Berufung auf die Freundschaft versöhnte Hanka stets; nach einer Weile sagte sie daher mit traurigem Lächeln:

»Es handelt sich um kein Geheimnis, ich wollte nur den Verdruß für mich behalten: Haben Sie mein Dienstmädchen Pauline bemerkt?« (Seit einiger Zeit redete Hanka ihren Bräutigam mit »Herr« und »Sie« an, weil sie glaubte, ihn dadurch in angemessener Entfernung von sich zu halten.)

»Paulinchen?« wiederholte Krzycki, und, obgleich er sich nichts vorzuwerfen hatte, erfaßte ihn dennoch eine plötzliche Unruhe. »Paulinchen? Aber gewiß! Sie war ja in Jastrzemb, und auch hier habe ich sie täglich gesehen. – Was ist denn geschehen?«

»Sie machte mir einen äußerst peinlichen Auftritt und verließ mich plötzlich.«

»Warum?«

»Das eben weiß ich nicht. Sie war immer sehr aufbrausend und nervös, aber ehrlich. Deshalb war ich ihr zugetan und glaubte, auch sie sei anhänglich. Seit einiger Zeit jedoch entdeckte ich in ihr eine gewisse Abneigung gegen mich, die von Tag zu Tag größer wurde. Wirklich, ich war nie streng mit ihr, im Gegenteil. Ich führte eben alles auf ihre Nerven zurück. Indessen heute kam es zum Ausbruch – und das war mir so unangenehm! so äußerst fatal!«

Hankas Stimme versagte, und man merkte, daß ihr die ganze Sache sehr peinlich war; Krzycki preßte deshalb ihre Hand an seinen Mund und fragte teilnahmsvoll:

»Was war denn das für ein Ausbruch?«

»Nachmittags, oder vielmehr nach Maries Rückkehr von der Probe wollten wir mit ihr und Sophie in die Stadt fahren, ich wollte mein Kleid wechseln und ließ es von Pauline holen. Sie war im Begriff es mir zu reichen, plötzlich aber warf sie es zu Boden, trat es mit Füßen und schrie dabei mit durchdringender Stimme, daß sie mir nicht ferner dienen werde. Im ersten Augenblick glaubte ich, sie sei wahnsinnig geworden …«

»Sicher wurde sie verrückt!« unterbrach Krzycki, »aber was weiter?«

»Sie schlug krachend die Tür zu und ging fort. Dann habe ich sie nicht wieder gesehen. Eine Stunde später kam jemand, um ihre Sachen und ihren Lohn zu holen.«

Hier begann Hanka den Kopf zu schütteln.

»Und dennoch, wenn ich mich an diese Abneigung erinnere, und daran, was sie mir im letzten Augenblicke sagte, glaube ich, es war doch kein Wahnsinnsanfall, sondern ein Ausbruch des Hasses, den sie nicht länger unterdrücken konnte. – Und das ist gerade eine Enttäuschung für mich, eine große Enttäuschung?«

»Meine Gebieterin … mein Ännchen«, sagte Krzycki, ihre beiden Hände erfassend, »lohnt es sich denn überhaupt, das Vorgehen einer beschränkten, boshaften Person sich so zu Herzen zu nehmen? Denn wirklich war es doch eine bornierte Bosheit – nichts mehr. Es genügte ja, sie bloß anzuschauen. Beruhige dich, Ännchen, es handelt sich ja nur um einen Verdruß, den man möglichst schnell vergessen muß. Bedenke, wer du bist, und wer sie! Es herrschen jetzt Zeiten, in denen alles auf den Kopf gestellt wird … So was geschieht jetzt überall. Das wird aber vorübergehen. Einstweilen haben wir soviel Grund, uns zu freuen, daß angesichts dessen solche kleine Nadelstiche verschwinden sollten.«

Und er begann ihre Hand abwechselnd an den Mund und die Brust zu pressen und in ihre Augen zu blicken – allein dies vergrößerte nur ihr Herzeleid.

Denn Hanka wollte Wladislaw und sich selbst eine noch größere Unannehmlichkeit ersparen und gestand ihm nicht alles. Sie verschwieg nämlich, daß dies tolle Mädchen ihr beim Weggehen ins Gesicht schrie: »Du Bauerndirne! du solltest mir dienen, nicht ich dir! – In einen Kuhstall gehörst du, nicht in einen Palast!«

Möglich, daß Hanka diese Worte sich nicht so sehr zu Herzen genommen hätte, wenn nicht eine gewisse Gereiztheit in ihrem Verhältnisse zu Krzycki gewesen wäre, und wenn nicht der Gedanke ihr Kummer bereitet hätte, daß auch er zuweilen die ihm gesteckten Grenzen vielleicht nur deshalb überschritt, weil sie früher seine Geliebte und ein Bauernmädchen gewesen war. Aber eben dieser Umstand bewirkte, daß der Dorn sich tiefer in ihr Herz bohrte, und daß sie Befürchtungen betreffs ihres künftigen Lebens hegte, da ähnliche Auftritte sich leicht wiederholen könnten.

Deshalb waren auch Krzyckis Worte von der sie beide erwartenden Freude der Tropfen, der den Leidenskelch zum Überfließen brachte, und seine Liebkosungen wirkten auf das geängstigte Mädchen wie Trostworte auf ein weinendes Kind, das dadurch nur noch mehr beunruhigt wird.

Eine momentane Schwäche und Abgespanntheit überfiel Hanka. Ihre Kräfte verließen sie, und sie begann zu schluchzen; da sie sich aber dieser Tränen schämte, barg sie ihr Antlitz an der Brust ihres Verlobten.

»Ännchen! mein Ännchen!« wiederholte Krzycki.

Und er bedeckte ihr lichtes Haar mit Küssen, umfaßte ihre Schläfen, hob ihr verweintes Gesicht empor und küßte die Tränen fort. Sie wehrte sich nicht – und so fand er nach einer Weile ihre zuckenden Lippen.

»Ännchen! Annchen!« flüsterte er.

Die lodernde Gier verdunkelte immer mehr seine Sinne, verdunkelte sein Herz, sein Gedächtnis. Er trank von diesen Lippen des Mädchens, bis der Atem versagte; er war besinnungslos wie ein Trunkener – und riß sie endlich in seine Arme.

»Ännchen! Ännchen! …«

 

Und so geschah es, daß er zu den früheren Demütigungen noch eine weitere hinzufügte, so daß nun ein tiefer Abgrund zwischen ihnen gähnte.


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