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VII.

Aus Anlaß des Geburtstages von Fräulein Marie begab sich Fräulein Anney mit ihrer Kammerjungfer in die Stadt, um Blumen zu kaufen. Tags zuvor hatte Gronski erzählt daß er in einer Blumenhandlung rote Lilien gesehen habe, wie man sie büschelweise in der Gegend von Lucca und Pisa verkauft, die aber in Warschauer Treibhäusern nicht gezüchtet und selten von uns bezogen werden. Da Marie sich sehr für diese Blumen zu interessieren schien, beschloß Fräulein Anney, den ganzen Vorrat, der nur am Lager war, für sie einzukaufen. Am gestrigen Abend neckte sie Gronski, sie werde ihm bei diesem Kaufe zuvorkommen, da er, ein bekannter Langschläfer, nicht zeitig genug ausgehen würde. Sie verließ in der Tat die Wohnung bereits um acht Uhr morgens, um bei Öffnung des Geschäftes rechtzeitig zu kommen. Sie hatte auch ein Billett mit den Worten »Schon gekauft« vorbereitet, das sie durch Pauline an Gronski senden wollte, und freute sich im voraus über diesen kleinen Scherz.

Alles ging nach Wunsch, denn sie war die erste Käuferin im Blumenladen. Eine Enttäuschung erfuhr sie allerdings dadurch, daß so wenig Lilien vorhanden waren. Ein Blumentopf, der einige blütenbedeckte Stengel enthielt, fand sich vor, doch damit konnte man unmöglich Maries Zimmer vollständig schmücken. Aber Fräulein Anney erwarb dies einzige Exemplar, zahlte den verlangten Preis dafür und beorderte die Blumen in Otockas Wohnung. Sie war jedoch in Verlegenheit, als man ihr erklärte, daß der Laufbursche erst gegen Mittag kommen würde, denn sie wünschte sehr, daß Marie die Lilien gleich beim Aufstehen vorfinden möchte.

»Da bleibt uns nichts übrig«, sagte sie, sich an ihr Mädchen wendend, »als eine Droschke zu nehmen und mit dem Blumentopf nach Hause zu fahren.«

Aber Pauline, die sich ihrer Herrin und auch Frau Otocka gegenüber zuweilen gleichgültig und sogar widerspenstig benahm, zeigte dagegen für Marie eine an Verehrung grenzende Sympathie.

»Erlauben Sie mir«, sagte sie daher, »die Blume zu tragen; in der Droschke könnte sie gerüttelt werden und die Blüten abfallen.«

»Aber du sollst ja an Herrn Gronski einen Brief besorgen, und überdies wird der Blumentopf zu schwer für dich sein.«

»Mein Weg führt an Herrn Gronskis Wohnung vorüber, und daß ich mich mit dem Tragen ein wenig abmühe, ist das wenigste, was ich für das Goldmädel tun kann.«

Fräulein Anney, die einsah, daß sie mit einer abschlägigen Antwort ihr sehr wehe tun würde, erwiderte:

»Es sei. Du bist wirklich sehr brav. Aber wenn es dir dennoch zu mühsam erscheint, so nimm eine Droschke, ich aber gehe jetzt zur Messe.«

Und sie ging in die Kirche, um für Wladislaw zu beten, der heute zum erstenmal ausgehen und den Abend aus Anlaß von Maries Geburtstag bei Frau Otocka verbringen sollte Sie hoffte, daß er am nächsten Tage bei ihr sein werde und wollte auch diesen Tag der Fürsorge Gottes empfehlen.

Pauline nahm die Blumen in Empfang und begab sich in entgegengesetzter Richtung nach Gronskis Wohnung. Nach einer Weile begann der große, erdgefüllte Blumentopf ihr recht schwer zu werden, sie nahm ihn aus einer Hand in die andere und dachte: Wenn es nicht etwas für Fräulein Marie wäre, würde ich ihn einfach fallen lassen, aber sie ist wie ein Vöglein, das man lieb haben muß. Für sie möchte ich auch zwei solcher Blumentöpfe tragen, und nur ihr allein würde ich kein Leid antun, sogar, wenn … Sogar in diesem Falle … nur ihr allein nicht.

Bei diesem Gedanken wurde ihr Gesicht noch finsterer. In ihrem Herzen, in dem nur die extremsten Gefühle wohnen konnten, begann ein Kampf zwischen dieser wunderbaren Verehrung für Marie und der blinden, hingebenden Liebe für Krzycki. Dazu gesellte sich das schreckliche, hoffnungslose Bewußtsein, daß er nie der ihrige werden könnte, da er ein »Herrensohn«, ein Gutsbesitzer, beinahe ein Königssohn, und sie nur ein einfaches Mädchen war, gut genug zum Nähen, Zimmerräumen und zur Bedienung ihrer Herrin. Dann überkam sie ein herbes Gefühl über die ihr zuteil gewordene Ungerechtigkeit. Sie konnte doch ebensogut als »wohlgeborenes Fräulein« auf die Welt gekommen sein, und nicht in einem Waisenhause durch Nonnen, sondern in einem reichen herrschaftlichen Hause ihre Erziehung erhalten haben. Warum war es nicht so geschehen und warum mußte sie sich lebenslänglich als Dienerin mit elender Arbeit abplagen? Zugleich kam ihr in den Sinn, daß es ja jetzt solche Leute gebe, daß eine »Partei« vorhanden sei, die den Wohlhabenden das Besitztum wegnehmen, es unter die Armen verteilen, die Menschen gleich machen wolle – so, daß es nicht mehr Reiche und Notleidende, Herren und Diener und auch keine Ungerechtigkeit auf der Welt gebe, und daß dagegen alle einen Stand bilden und eine Freiheit haben sollten.

Sie hatte von den Dienstboten zu Hause davon gehört, von den Handwerkern, von Verkäufern in den Geschäften, und erfuhr es auch aus den erhorchten Gesprächen der »Herrschaften«. Sie wunderte sich, daß man diese Menschen Sozialisten nenne, denn bisher war ihrer Ansicht nach ein Sozialist mit einem Verrückten gleichbedeutend, der mit einem gezückten Messer in den Straßen umherläuft. Als es nach dem Attentate auf Krzycki hieß, Sozialisten hätten ihn überfallen, hegte sogar sie einen solch wilden grausamen Haß gegen sie, daß sie dieselben hätte vergiften oder bei lebendigem Leibe verbrennen können. Nachher, als die Dienerschaft erzählte, nicht diese, sondern die Rzenslewoer Bauern hätten den jungen Herrn überfallen erlosch dieser Haß. Aber auch später, nachdem sie schon erfahren hatte, wer die Sozialisten seien und was sie bezweckten, befaßte sie sich nur wenig mit ihnen, teils, weil sie deren Pläne für töricht hielt, teils, weil sie an andere, persönlichere Dinge dachte; übrigens sah sie in Polen nur »unsere« oder »nicht unsere Leute«, und liebte unwillkürlich die ersten und verabscheute, so wie auch alle anderen es taten, die zweiten.

Erst in letzter Zeit fing es ihr im Kopfe zu dämmern an, daß nämlich auch unter »den Unserigen« schreckliche und schmerzliche Unterschiede bestehen, daß den einen Reichtum, den anderen dagegen Not, den einen das Genießen, den anderen die Arbeit, manchen das Lachen, anderen die Tränen, manchen das trübe Geschick und Ungemach, anderen wieder Glückseligkeit zuteil wurde.

Alles dies wurde ihr besonders in diesem Augenblicke klar, als sie mit größtem Weh die Wahrheit empfand, daß jener »junge Herr«, zu dem es ihre Seele und ihren Körper so sehnsüchtig hinzog, für sie ganz einfach ein unerreichbarer Stern sei, den sie kaum bewundern dürfe. Und obgleich sich nichts ereignet hatte, was sie gerade besonders aufregen konnte, und auch nichts sich verändert hatte, war sie doch so verzweifelt, wie noch nie zuvor.

Aber ihren düsteren Gedankenlauf unterbrach endlich eine äußerliche Begebenheit. Trotz der frühen Morgenstunde bemerkte sie an der Straßenecke große Menschenscharen, die sehr beunruhigt schienen. Alle sahen nach dem Innern einer Quergasse, als wenn dort etwas Ungewöhnliches passiert sei. Einige liefen auch dorthin, andere zogen sich ängstlich zurück. Manche erzählten fieberhaft, wiesen mit den Händen auf etwas und schauten auf die Dächer der Häuser. Von allen Seiten liefen Gruppen von Arbeitern und jungen Burschen herbei. Zwischen den Droschkenkutschern an der Ecke entstand eine ungewöhnliche Bewegung. Gleichzeitig fuhren einige derselben in verschiedenen Richtungen hin und her, als wenn sie die Straße verbarrikadieren wollten.

Plötzlich ertönte durchdringendes Geschrei, und dann fielen Schüsse. In einem Nu entstand eine unbeschreibliche Verwirrung. Die Menge setzte sich in Bewegung und begann zurückzuweichen, das Geschrei wurde immer durchdringender. Es war augenscheinlich, daß man jemand verfolgte.

Das Mädchen mit den Lilien auf dem Arm stand wie versteinert und wußte nicht, was es beginnen sollte.

Da tauchte unter den Droschken ein Mensch hervor, tief gebückt, mit gesenktem Kopfe, und lief in voller Hast auf sie zu. Wahrend des Laufes warf er die Mütze fort und riß einem Burschen den Hut vom Kopfe; dieser aber verstand augenblicklich, was das bedeute, und zuckte nicht einmal mit den Wimpern.

Die Droschken begannen noch eifriger die Straße abzusperren, wie um die Verfolgung zu vereiteln. Aber gleich hinter ihnen wurden wieder Revolverschüsse abgefeuert und trotz des allgemeinen, Geschreies und des Gerassels der Droschken vernahm man schon den durchdringenden Ton der Polizeipfeifen und das heisere, dem Ochsenbrüllen ähnliche Rufen » dzierzy! dzierzy!« »haltet ihn! haltet ihn!«

Pauline wurde jetzt von einer unsagbaren Furcht erfaßt und rannte fort, den Blumentopf unwillkürlich an die Brust pressend, als wenn sie ihr eigenes Kind retten wollte.

Aber kaum war sie einige Schritte gelaufen, als eine keuchende, heisere Stimme hinter ihr rief:

»Fräulein, geben Sie mir die Blumen! Um Gottes Barmherzigkeit willen geben Sie mir die Blumen! Retten Sie mich!«

Das Mädchen schaute sich um und plötzlich malte sich in ihren Augen außer Bestürzung auch unbeschreibliche Verwunderung denn sie erkannte Laskowicz. Dieser aber entriß ihr den Blumentopf und flüsterte weiter:

»Vielleicht erkennen Sie mich nicht. Ich werde sagen, ich sei ein Gärtner. Retten Sie mich, Fräulein. Ich bin total erschöpft. Vielleicht werden sie mich nicht erkennen …«

Pauline wollte davonlaufen, er hielt sie aber auf.

Mittlerweile erschienen aus dem Droschkenknäuel einige Polizisten und Zivilagenten. Der größte Teil der Menge lief nach der entgegengesetzten Richtung, um die Verfolger irrezuführen. Unter den Arbeitern ertönten Rufe » dzierzy!« um die Polizei um so mehr zu täuschen. Einer pfiff gellend auf den Fingern, indem er so den Ton der Polizeipfeife nachahmte. In der Tat rannten die Polizisten und Agenten der dichteren Menge nach. Auf der Straßenkreuzung blieben nur einige zurück und auch diese liefen nach einigem Zögern in anderer Richtung weiter und eilten an Pauline und dem blumentragenden Manne im lichten Hute vorüber.

Einige Arbeiter waren eingefangen, wurden jedoch von ihren Kollegen befreit.

Pauline und Laskowicz gingen ungehindert weiter.

»Sie sind vorüber!« seufzte der Student, erleichtert aufatmend. »Hier wird niemand mehr zum Verräter. Sie sind vorüber! Die Blumen und der andere Hut haben sie getäuscht. Ich danke Ihnen, Fräulein, aus ganzer Seele danke ich, und meine Dankbarkeit wird bis zum Tode währen.«

Doch sie, noch immer voller Verwunderung über das Geschehene, fragte:

»Was war das? Woher kommen Sie denn eigentlich?«

»Vom Dache. Man ertappte uns in der Druckerei. Aber andere würden nur ein oder zwei Jahre sitzen und damit wäre es abgemacht – – mich jedoch erwartet der Strang.«

»Wieso konnten Sie entkommen?«

»Als sie aufs Dach stiegen, rutschte ich an der Rinne hinunter. Ich hätte zwar das Genick brechen können, aber sie erblickten mich erst auf der Gasse. Sie schossen, trafen mich jedoch glücklicherweise nicht, sonst hätte das Blut mich verraten. Jeder, der nur konnte, half mir und die Droschken verbargen mich einstweilen. Sie bemerkten nicht, daß ich die Mütze gegen den Hut vertauschte. Aber wenn nicht die Genossin gewesen, dann war's doch um mich geschehen.«

»Welche Genossin?«

»Sie, Fräulein, nenne ich so. Bei uns ist dies so Brauch.«

»Dieser Titel kommt mir nicht zu.«

»Schade! Aber jetzt ist keine Zeit, darüber zu reden. Ich danke Ihnen nochmals für die Rettung, die jedoch nicht von langer Dauer sein wird.«

»Warum aber nicht?«

»Weil ich nicht weiß, wohin ich gehen und wo ich mich verstecken soll. Jede Nacht wechsele ich mein Quartier, da man mir überall nachspürt.«

»Ganz richtig. Man suchte sie auch in Jastrzemb. Wissen Sie, daß dort eine Haussuchung stattfand?«

»Wirklich?«

»Ja. Es kamen Polizisten, Gendarmen und Soldaten. Beinahe hätte man alle arretiert.«

»O! die dort wird man nicht festnehmen!«

Das Gestampf von Pferdehufen und das Geklapper von Hufeisen auf dem Pflaster unterbrach eine Weile die Unterhaltung. Aus der Quergasse kam eine aus über zwanzig Reitern bestehende Kosakenpatrouille. Sie ritten langsam, mit an die Hüften gestemmten Gewehren und schauten aufmerksam umher. Bei ihrem Anblick erblaßte Pauline ein wenig, aber Laskowicz flüsterte ihr zu:

»Das tut nichts. Sie sehen, daß ich aus einem Geschäfte Blumen trage. Sie werden mich für einen Gärtnerburschen halten und vorbeireiten.«

Und sie ritten wirklich vorbei.

»Jeden Augenblick werden jetzt in den Gassen ganze Menschenhaufen arretiert«, sagte Laskowicz. »Für andere bedeutet es gar nichts, aber wenn sie mich erwischen, könnte ich mich aus ihren Händen nie mehr losmachen.«

»Was gedenken Sie aber jetzt zu tun?«

»Hinter Ihnen die Blumen tragen …«

»Und dann?«

»Ich weiß nicht …«

»Sie müssen doch Bekannte haben, bei denen Sie sich verbergen können?«

»Ja, das zwar; aber auf alle meine Bekannten hat die Polizei ihr Augenmerk gerichtet. Jede Nacht veranstaltet man Revisionen … Die letzten zwei Nächte schlief ich in der Druckerei, heute jedoch hat man auch diese erspäht …«

Eine Weile schwiegen beide.

Dann begann wieder Laskowicz mit trüber Stimme:

»Es gibt keine Rettung für mich. Ich trage diese Blumen noch zum Bestimmungsort und gehe dann geradeaus, wohin mich meine Augen führen.«

Aber in Paulinchens Herzen erwachte plötzlich großes Mitleid. Früher war Laskowicz ihr ganz gleichgültig gewesen. Jetzt sah sie in ihm nur einen polnischen Studenten, den diejenigen Menschen, die sie schon längst haßte, wie einen tollen Hund verfolgten. Aus ihrem energischen, entschlossenen Gesicht sprach ein unumstößlicher Entschluß.

»Es komme, was kommen mag, aber ich verlasse Sie nicht!« sagte sie, die schwarzen Augenbrauen zusammenziehend.

Laskowicz verspürte plötzlich große Lust, ihr die Hand zu küssen, und wenn sie nicht auf der Straße gewesen wären, hätte er es gewiß getan. Nicht nur die Hoffnung auf Rettung rührte ihn tief, sondern auch die Bereitwilligkeit, mit der dieses Mädchen, das er kaum kannte und das seiner Partei gar nicht angehörte, ihm ihre Hilfe in Aussicht stellte, obgleich sie sich dadurch der größten Gefahr aussetzte.

»Was kann denn das Fräulein für mich tun? Wo mich verstecken?« fragte er leise.

Sie aber, in Nachdenken versunken, ging weiter; endlich sagte sie:

»Ich weiß schon. Gehen wir nur.«

Immer noch mit dem Blumentopf in der Hand, schritt er neben ihr.

»Ich muß Ihnen nämlich gestehen«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »demjenigen, der mich verbirgt, droht mindestens Sibirien. Ich muß Ihnen das sagen! Ich hätte ohnehin das Fräulein ins Verderben stürzen können … aber im ersten Moment … das Fräulein versteht doch … der Selbsterhaltungstrieb … man hat da keine Zeit zum überlegen.«

Pauline verstand zwar nicht, was er mit Selbsterhaltungstrieb meinte, aber sie verstand etwas anderes, nämlich, daß, wenn sie, wie sie es beabsichtigte, Laskowicz zu Gronski hinführen würde, damit nicht nur letzteren, sondern auch Krzycki der größten Gefahr aussetzte.

Unter dem Eindrucke dieses Gedankens blieb sie wie versteinert stehen und sagte:

»In diesem Falle weiß ich wirklich nicht, was ich tun soll.«

»Sehen Sie wohl«, erwiderte traurig der Student.

Sie fing von neuem ihre Denkarbeit an. Laskowicz zu Fräulein Anney oder zu Frau Otocka zu führen, fiel ihr gar nicht ein. Sie fühlte, daß sie hier die Hilfe eines furchtlosen Mannes brauchte, an dem ihr selbst aber nicht viel gelegen sei. Die ganze Bekanntenreihe des Fräulein Anney und der Frau Otocka ging sie in Gedanken durch … Herr Dolhonski? … nein! Er würde sich vielleicht nicht fürchten, aber er würde sie beide gewiß zum Teufel schicken und dazu noch auslachen. Doktor Szremski? … Der ist wahrscheinlich schon abgereist. Ach, wenn nicht dieser »junge Herr« … gerade zu Herrn Gronski würde sie diesen Bedauernswerten führen, denn wenn er ihn wirklich nicht aufnähme, könnte er schlimmstenfalls wenigstens einen guten Rat erteilen oder eine Empfehlung geben.

Und plötzlich kam ihr in den Sinn, daß, wenn demjenigen, der Laskowicz verbergen würde, Sibirien drohe … Herr Gronski niemand empfehlen könne, aber wenn er es könnte, würde er gewiß nur einen Menschen empfehlen, den auch sie kannte. Bei dieser Idee näherte sie sich Laskowicz und sagte leise:

»Ich weiß schon! Ich werde es versuchen!«

Dann einen Moment stehen bleibend, flüsterte sie weiter:

»Treten wir in dieses Haus ein, gleich hier. Sie werden mit den Blumen im Vorhause warten, und ich gebe im ersten Stock diesen Brief ab und komme gleich wieder. Fürchten Sie gar nichts, der Hausmeister kennt mich und ist ein guter Mensch … Dann werde ich Sie vielleicht irgendwohin führen.«

Daraufhin trat sie ins Tor, ließ Laskowicz unten stehen und läutete eine Weile später oben bei Gronski.

Gronski, der an diesem Tage früher als sonst aufgestanden war, saß mit Krzycki beim Tee. Nachdem Pauline ihm den Brief gegeben hatte, las er ihn und zeigte ihn lachend Wladislaw; dann erhob er sich und ging ins Kabinett, um eine Antwort zu schreiben. Unterdessen erkundigte sich Krzycki nach der Gesundheit der Mutter und der übrigen Damen.

»Danke! Die Damen sind wohlauf und mein Fräulein ist sogar schon in die Stadt gegangen.«

»So zeitig? – und fürchtet das Fräulein sich nicht, allein durch die Stadt zu gehen?«

»Das Fräulein hatte mich zur Begleitung mitgenommen, kaufte Blumen für Fräulein Zbyltowska und ging dann in die Kirche.«

»Welche Kirche besucht Fräulein Anney?«

»Ich weiß nicht.«

Die Kammerjungfer wußte es genau, aber es war ihr ärgerlich, daß er sie über ihre Dienstgeberin ausfragte; er merkte es sogleich und schwieg, da er ohnehin schon früher sich vorgenommen hatte, mit ihr möglichst wenig zu sprechen.

Ein verlegenes Schweigen herrschte jetzt, bis Gronski mit dem Briefe wieder erschien.

»Hier ist die Antwort«, sagte er. »Wir lassen die Damen schönstens grüßen und versprechen, beide heute zu kommen, weil Herrn Krzyckis Gefangenschaft bereits beendigt ist.«

»Ich danke«, erwiderte das Mädchen, »aber ich habe noch eine Bitte … Ich möchte gern die Adresse des Herrn Swidwicki haben.«

Gronski schaute sie verwundert an.

»Haben die Damen Ihnen diesen Auftrag gegeben?«

»Nein. – Nur ich möchte das wissen …«

»Fräulein Paulinchen«, erwiderte Gronski, »Herr Swidwicki wohnt Oboznagasse Nr. 5, aber für junge Mädchen ist es nicht ratsam, ihn zu besuchen …«

Sie errötete bis über die Ohren, aus Angst, der »junge Herr« könnte schlecht über sie denken.

Einen Augenblick zauderte sie und war unentschlossen, ob sie nicht ein Geständnis ablegen solle; aber zugleich erinnerte sie sich, daß man Laskowicz schon in Jastrzemb gesucht hatte und daß Krzycki aus diesem Anlasse beinahe arretiert worden wäre; sie fürchtete, daß Gronski selbst den Studenten vielleicht verbergen würde, aber in diesem Falle würde der »junge Herr« auch einer Gefahr ausgesetzt. Noch einen innigen Blick auf Krzycki werfend, beschloß sie zu schweigen.

Gronski aber warnte:

»Ich rate Ihnen nicht, zu ihm zu gehen – ich rate wirklich nicht dazu. Fräulein Paulinchen hat ihn ja schon einmal, wie ich höre, tüchtig ablaufen lassen?«

Ihre Augen blitzten.

»Ich würde ihm auch ein zweites Mal tüchtig zusetzen, aber ich habe ein Geschäft mit ihm …« – Sie grüßte und entfernte sich.

Gronski zuckte die Achseln und sagte:

»Ich begreife nicht, um was es sich hier handelt. In diesem Mädel steckt was Wunderliches, und ich muß gestehen, daß deine künftige Gebieterin viel Geduld mit ihr hat; sie sagt nur immer, Pauline sei aufbrausend, aber gleichzeitig habe sie ein goldenes Herz – wohl möglich – ich weiß jedoch von Frau Otocka, daß ihr ›dies goldene Herz‹ manchmal Szenen aufführt, die kein anderer ertragen würde.«


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