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III.

Dolhonski konnte von Dzwonkowski nichts erfahren, er erhielt nur ungenügende Antworten. Dagegen war letzterer nach der Begrüßung in der Pfarrei sehr gesprächig und unterhielt sich mit Krzycki nur von Fräulein Marie, die er sehr schätzte.

So zweifelte er, daß Frau Krzyckia ihr Einverständnis zum Musizieren am Begräbnistage geben werde; diese Ungewißheit ließ ihm keine Ruhe. Mit solchen Gedanken beschäftigt, suchte er klar zu machen, daß die Musik ebenso dem Tode wie dem Leben dienen könne, eine ernste Musik werde sogar bei Leichenbegängnissen angewendet. Solange aber die Menschen nichts Besseres erfinden, sei Musik zur Ehre Gottes durchaus geeignet, den Aufstieg der Seele zum Himmel zu erleichtern, ja, sie begünstige die Erlösung.

Krzycki biß sich in den Bart und stimmte rückhaltlos den Ausführungen zu, zumal er merkte, daß der alte Herr unbarmherzig gegen jede Opposition war. Bei solcher Unterhaltung – zum größten Verdruß für Dolhonski wurde vom Testament nichts erwähnt – wurde der Weg zurückgelegt.

In Jastrzemb wartete man schon mit dem Tee. Der Wind hatte sich vor Sonnenuntergang ganz gelegt; es war ein wunderschöner Frühlingsabend angebrochen, deshalb hielten sich die Damen und Herr Gronski im Garten auf. Der junge Krzycki und seine beiden Gäste begaben sich ebenfalls in den Garten, wo sie Frau Krzycka und Frau Otocka am Ufer des Sees und die jungen Damen Anney und Marie im Kahne auf dem Teiche trafen.

Eine angenehme Röte breitete sich über den Abendhimmel aus; die blühenden Fliedersträuche am Teichufer verbreiteten einen angenehmen Geruch, der sich mit dem weniger angenehmen von Torf, Teichschlamm und Fischen vermischte. An den Rändern war das Wasser von den Erlen und Weiden dunkelgrün gefärbt, während nach der Mitte des Teiches zu die Färbung goldgelb wurde mit einem Abglanz von Purpur und dem Schimmer von Pfauenfedern. Der Kahn strebte jetzt dem vom Abendlicht erhellten Kieswege zu, der in den Teich hineinreichte und gewissermaßen den Landungssteg bildete. Fräulein Zbyltowska saß auf der Mittelbank des Kahnes, während Fräulein Anney im hinteren Teile desselben stand, mit sicherer Hand ruderte und zugleich steuerte. Ihre schlanke Gestalt zeichnete sich im Wasserspiegel und am Abendhimmel scharf ab, und mit vorgeneigtem Oberkörper wiegte sie sich den Bewegungen des Ruders gemäß leicht hin und her. Dann und wann hielt sie mit dem Rudern ein, und als schließlich der Kahn an dem Kieswege angelangt war, sah man im spiegelglatten Wasser einen zweiten Kahn, ein zweites Fräulein Marie und ein zweites Fräulein Anney.

Das Ganze bot ein Bild von ländlicher Stille. Das Rot am Abendhimmel wurde immer stärker, als würde da unten ein riesiges Feuer entfacht. Hoch über dem See zeigten sich am Himmelsgewölbe Züge wilder Enten, die sich ausnahmen, als wären sie aus schwarzen kleinen Kreuzen zusammengesetzt. Es war so windstill, daß die Bäume und Sträucher wie versteinert anzusehen waren, nur das Klappern der Mühle am Bach war laut vernehmbar.

Zuerst stieg Fräulein Anney aus dem Kahne. Herr Gronski, dem es darum zu tun war, daß die von ihm »angebetete Gestalt« sich die Füßchen nicht naß mache, war ihr beim Aussteigen behilflich; behende sprang sie ans Ufer.

»Ist das reizend in Jastrzemb«, sagte sie zu der am Ufer stehenden Umgebung.

»Wir haben schönes Wetter«, erwiderte Herr Krzycki, der dem Fräulein entgegenging, »gestern war es trübe, heute haben wir einen prächtigen Abend. Wenn das Wetter so anhalten wird, fahren wir bald ins Heu.« Dabei sah er sich wie ein echter Landmann rundherum das Himmelsgewölbe an.

»Ins Heu, ins Heu …« wiederholte Fräulein Anney fast mechanisch, als wollte sie bei dem Klange sich diese ihr ungewöhnlich scheinenden Worte fest in ihr Gedächtnis einprägen.

Die ganze Gesellschaft ging nun nach dem Herrschaftshause, das zwischen den hohen alten Linden rosig hervorschimmerte. Man unterhielt sich über die Beerdigung, über den Verstorbenen, doch weit mehr vom Leben auf dem Lande, von schönen Abenden im Frühling und vom Musizieren. Frau Krzycka versicherte den Damen, daß es vor ihrer Ankunft an Musik durchaus nicht gemangelt habe, im Parke seien so viel Nachtigallen, daß man oft vor deren Gesange nicht schlafen könne. Gronski wieder, der ein großer Kritiker war, begann von neuem: das Landleben war seit undenklichen Zeiten das richtige, das normale. Dabei gedachte er der homerischen Könige, die mit dem Zepter die Garben zählten und sich dabei im Herzen freuten, und verschiedener römischer Dichter. Schließlich gab er die Ansicht kund, daß der Sozialismus an der Erdscholle, an der Landwirtschaft zerschellen würde, und zwar deshalb, weil er sie nur als Wertobjekt betrachte, während man die Erde schätzen und lieben müßte. Die Leute sehen, mit welchen Ungelegenheiten ja Schwierigkeiten das Landleben verbunden ist und schätzen es hoch, als ob es dabei an »Vogelsmilch« gebräche.

Frau Krzycka liebte nächst ihren Kindern ihr Jastrzemb, sie stimmte daher der Ansicht Gronskis bei. Dolhonski wieder, der an seinen Landbesitz dachte, den er einst besessen, sagte in gewählten und abgerissenen Worten wie stets:

»An Vogelsmilch fehlt es nicht, aber an Geld. Interessant ist dabei, daß das Lob über das Landleben von einem reichen Manne kommt, der sich die ganze Welt kaufen und dennoch auf dem Lande leben könnte und den man mit Haken aus der Stadt herauszerren muß. Ja«, sagte er weiter, zu Gronski gewendet, »zu Zeiten deiner homerischen Könige und deiner römischen Dichter, Virgilius und Horatius, gab es noch an der Riviera keine Hotels, in Nizza keine Klubs.«

Die Erwägungen Dolhonskis wurden mit Stillschweigen übergangen, Herr Dzwonkowski hatte soeben mit seiner harten Stimme eine Melodie eingeleitet, wodurch er dem Fräulein Marie den Zusammenhang zweier Phrasen aus dem Konzerte von Bruch erklärte. In dieser Art unterhielt man sich, bis man vor dem Wohnhause angekommen war.

Gronski kannte die Eigenheiten des alten Herrn, deshalb mißgönnte er ihm, daß er gefunden, was ihm so ganz eine Lücke in seinem Leben ausfüllte. Er war ein vielseitiger Dilettant, doch hatte er in seinem Leben sich nie etwas Bestimmtes vorgenommen, keinem Gegenstande seine ganze Kraft ausschließlich gewidmet; das lag aber an verschiedenen Umständen und an ihm selbst.

Seine Seele war erfüllt von einem trüben Skeptizismus; einer seiner Freunde, Herr Kroczewski, nannte ihn den »Ekklesiastikus im Frack«. Das Ergebnis der Betrachtungen Gronskis über die Zukunft und das menschliche Leben war individuell wie abschließend, er war überzeugt, daß die Zukunft und das Leben anders sich gestalten können, niemals aber besser. So dachte er denn jetzt, daß es wohl verlohnen würde, keine Anstrengungen zu scheuen, wollte es nur »anders« werden, mit dem »besser« rechnete er nicht. Dieser Gedanke bewahrte ihn jedoch nicht vor einem gewissen Pessimismus, es war ihm klar, daß das Maß von Glück und Unglück nicht außerhalb, sondern im Menschen selbst liege und daß, wenn das »anders« nicht gleichbedeutend sei mit »besser«, könne es ebensowenig »schlechter« bedeuten. Im Grunde genommen war er überzeugt, daß das eine wie das andere nur ein Irrtum, eine Täuschung sei und alles in allem, das Leben nicht ausgenommen, ein großes Nichts bedeute. Auf diese Weise neigte er durch ein Meer von Unendlichkeiten einem Ekklesiasten zu. Doch weil er ein Gefühlsmensch war, verfiel er wiederum in einen Widerstreit mit sich selbst; das Gefühl hat nämlich fortwährend Wünsche, und sein trüber Skeptizismus sagte ihm, daß es sich nicht verlohne, nach irgend etwas Verlangen zu haben. Auch der Gedanke trübte ihm sein Mitgefühl, daß seine Ansichten im Vergleich zum Leben entgegengesetzte seien, dennoch sei das Leben eine Notwendigkeit, und wer durch Zweifelsucht die Wurzeln des Lebens untergrabe, der schade seinem Nächsten; das aber wollte Gronski durchaus nicht, am allerwenigsten den Seinigen, darum erhob sich auch ein Widerstreit zwischen seinem inneren Ekklesiasten, der die Ansicht vertrat, es sei alles vergänglich, und seinem inneren Patrioten, der darauf entgegnete, daß z. B. die Leiden einer Nation nicht vergänglich seien. Ein solcher Standpunkt erzeugte in seinem Innern fortwährende Zwietracht und das so sehr, daß er den Menschen die Tatkraft mißgönnte, wenn sie diese fürs Leben nicht ausnützten: warum? weshalb? – auch denen war er nicht hold, die sich rücksichtslos einem mächtigen Gefühle hingeben.

Für den alten Dzwonkowski und Fräulein Marie war die Musik jenes mächtige Gefühl; so oft nun Gronski beide sah, kam ihm der Gedanke, daß es doch noch Dinge gebe, die das menschliche Leben bis zum letzten Augenblick ausfüllen können. Man sollte sich nur nicht zu sehr mit ihnen beschäftigen.


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