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VI.

Da Gronski den ganzen folgenden Tag in der Stadt und den Abend bei Frau Otocka verbrachte, kehrte er erst gegen Mitternacht nach Hause zurück. Krzycki schlief noch nicht, und weil ihn die Mutter infolge der Straßenunruhen an diesem Tage nicht besuchen konnte, erwartete er ungeduldig Gronskis Heimkehr und begann sich gleich zu erkundigen, was es in der Stadt und bei den Damen Neues gebe.

»In der Stadt gibt's nichts Gutes«, erzählte Gronski. »Gegen Mittag vernahm ich Gewehrgeknatter in den Fabrikvororten. Vor meinem Besuch bei Frau Otocka war ich in einer Versammlung in der ›Philharmonie‹, in der Vertreter verschiedener feindlicher Parteien aneinander gerieten und weißt du, welchen Eindruck ich gewonnen habe? Daß Swidwicki in gewisser Hinsicht leider recht hatte, und daß in solcher Lage, in der wir uns nun befinden, nur ein Bürgerkrieg die Luft reinigen kann. Die Tragödie wird noch dadurch schauerlicher, weil dieser Krieg zugleich unser endgültiger Untergang wäre. Aber davon später. Mein Kopf ist so müde und meine Nerven so abgespannt, daß ich an diese Dinge gar nicht denken kann.«

Hier läutete er dem Diener, befahl ihm trotz der späten Stunde, den Tee zu bereiten, und sprach dann weiter:

»Von Frau Otocka bringe ich auch eine Neuigkeit. Deinen Ohren wirst du nicht trauen, wenn ich dir sage, was geschah: Heute nachmittag vor meinem Erscheinen war Laskowicz bei den Damen.«

Die Zigarre, die Krzycki rauchte, entfiel seinen Händen.

»Laskowicz?« fragte er.

»Ja.«

»Aber die Polizei verfolgt ihn ja?«

»Sie verfolgt ihn auf dem Lande, aber nicht in Warschau. Die Polizei hat, wie alle, jetzt den Kopf verloren. Und dann kann man sich in einer Großstadt eher verbergen. – Selbstverständlich werden sie ihn festnehmen, wenn sie ihn erwischen.«

»Aber was wollte er von Frau Otocka?«

»Meiner Ansicht nach wollte er Marie sehen, aber er kam angeblich, um eine Gabe für revolutionäre Zwecke zu erbitten. Diese Leute sammeln übrigens jetzt in einem fort.«

»Und gaben die Damen etwas?«

»Nein. Sie sagten ihm, daß sie für revolutionäre Zwecke nichts geben könnten, und daß sie für Hungernde und Arbeitslose schon viel an eine Zeitungsredaktion geschickt hätten. Es war auch richtig so. Frau Otocka und Fräulein Anney spendeten in der Tat eine größere Summe. Laskowicz versuchte nun zu erklären, daß sie durch eine abschlägige Antwort sich einer Gefahr aussetzen würden und daß er, um sie vor dieser zu schützen, die Regelung dieser Angelegenheit übernehmen wolle. Das half aber nichts. – Er war mißmutig und unzufrieden, besonders weil er nur Frau Otocka und Fräulein Anney sah und Marie sich nicht blicken ließ. Er versprach jedoch, wiederzukommen.«

»Er soll's nur versuchen!« rief Wladislaw, die Fäuste ballend.

Dann aber fragte er verwundert:

»Wie gelang es ihm denn, zu ihnen zu kommen und warum empfingen sie ihn?«

»Die männliche Dienerschaft der ganzen Stadt ist terrorisiert und die Worte ›Von der Partei‹ öffnen überall die Tür wie der beste Dietrich. Aber Laskowicz brauchte sich sogar dieses Mittels nicht zu bedienen, denn zufälligerweise war Frau Otockas Diener ausgeschickt und herein ließ ihn Fräulein Anneys Dienstmädchen, das ihn von Jastrzemb aus kannte und glaubte, daß da ein guter Bekannter komme.«

»Jedenfalls handelte sie töricht.«

»Mein Lieber, was kann sie denn über ihn wissen? Niemand erzählte ihr ja davon, was er ist, sie sah ihn in unserer Mitte, sah, daß ich mit ihm in die Stadt fuhr und daß er der Lehrer deiner jüngeren Geschwister war. Daß er an deinem Attentate teilgenommen habe, kam ihr gewiß nicht in den Sinn, denn auch wir vermuten es nur und haben dies den Damen auch nicht mitgeteilt, um sie nicht zu beunruhigen.«

»Vielleicht ist sie selbst eine Sozialistin?«

»Ich zweifle, denn als sie nach dem Überfall erfuhr, daß du verwundet seiest, soll sie so geschluchzt haben, daß die ganze Umgebung es hörte, und deinen erfolglosen Mördern wünschte sie alle Höllenstrafen. Damit gewann sie sehr in Fräulein Anneys Augen. Ich erinnere mich auch, daß, als sich dann die Kunde verbreitete, es hätten dies die Rzenslewoer angestellt, sie diesen Ort zu verbrennen drohte. Ach, du hast immer Glück!«

»Ich verlange nicht nach solchem Glück: Aber was Laskowicz anbelangt, muß sie doch bei der Jastrzember Revision bemerkt haben, daß man ihn sucht.«

»Was folgt daraus? Verfolgte man denn auch dich nicht, weil du eine Schule gegründet hattest? In diesem Lande wendet sich doch alle Sympathie den Verfolgten zu. Stelle dir nur vor, daß, als Fräulein Anney ihrem Dienstmädchen verbot, Laskowicz ein zweites Mal hereinzulassen, entrüstete sie sich darüber. Sie war gewiß überzeugt, daß Fräulein Anney nur aus Angst vor der Polizei so handelte.«

»Fräulein Anney bewies doch zur Genüge ihre Unerschrockenheit.«

»Ich bezichtige auch weder sie noch Frau Otocka der Feigheit – dafür aber gestehe ich, daß ich mich selber fürchte. Dieser Tollkopf wird, wenn er auch persönlich nicht mehr erscheint, sich doch um sie herumdrücken und, was noch ärger, Briefe schreiben; und alle Briefe wandern jetzt zweifellos ins schwarze Kabinett. Wenn ich wüßte, wo er zu finden ist, möchte ich ihn ersuchen, die Schreiberei zu unterlassen.«

»Ich werde ihm dies und auch noch etwas anderes sagen, wenn ich ihm nur begegne!«

»Wenn er bei den Damen war, so kann er auch zu mir kommen. Wir hatten während der gemeinsamen Fahrt aus Jastrzemb ein Gespräch, das er sicherlich nicht vergaß.«

»Falls er hierher kommt, lassen Sie mir freie Hand?«

»Gar keine Idee! Früher schon habe ich dich gefragt, ob du, wenn Laskowicz etwa wegen eines Renkontres mit dir verhaftet würde, dann die Verantwortung dafür übernehmen könntest, und du verneintest. Jetzt werde ich anders fragen: Wenn Laskowicz gehetzt und gejagt wie ein wildes Tier sich in dein Haus flüchtet, würdest du ihn nicht verbergen und ihm nicht zur Flucht verhelfen?«

Darauf erwiderte Krzycki erbost, aber ohne zu zaudern:

»Ich möchte ihm gewiß helfen … dem Lump!«

»Siehst du nun!« – bemerkte Gronski – »du fluchst und gibst es dennoch zu. Wenn sie zu mir wegen einer Gabe kommen, einerlei, ob mit oder ohne Laskowicz, werde ich ihnen erklären, daß ich für hungernde Leute, aber nicht für Bomben, Dynamit und Streikpropaganda etwas gebe. Und ich werde ihnen noch mehr sagen, daß, wenn sie Gaben für die Revolution von Menschen erpressen, die nichts von einer solchen wissen wollen und die nur aus Angst geben – sie dadurch die eigenen Mitbürger erniedrigen.«

»Und vielleicht liegt ihnen eben daran? Je mehr die höheren Gesellschaftsklassen eingeschüchtert werden, desto leichteres Spiel haben jene.«

»Möglich, aber in diesem Falle wären sie echte Brüder aller derer, die seit lange und mit Absicht die Nation verderben wollen.«

Krzycki dachte nach und sagte:

»Bei uns macht man oft solche Dinge – von oben wie von unten.«

Gronski betrachtete ihn mit einer gewissen Verwunderung, als wenn er ihm eine derartige Bemerkung nicht zugetraut hätte.

»Du hast recht«, sagte er, »von oben durch das immerwährende Reduzieren der großen Ideale – von unten dadurch, daß man dieselben jetzt ganz einfach mit Füßen tritt.«

»Bah! es bleibt ja noch eine tüchtige Menge Bauernkittel übrig.«

»Da hast du wieder recht«, erwiderte Gronski. »Früher war der Dombrowski-Marsch das Losungswort für hunderttausend Menschen, jetzt ist er es für zehn Millionen. Gesegneter Folklore!«

Schweigen trat ein. Gronski ging eine Zeitlang im Zimmer auf und ab, wobei er seiner Gewohnheit gemäß abwechselnd den Zwicker abnahm und wieder aufsetzte, dann ließ er sich vernehmen:

»Weißt du, was mich wundert? Daß in solchen Zeiten und unter solchen Umständen die Menschen an ihr persönliches Glück und an ihre eigenen Angelegenheiten denken können. Aber es ist das Daseinsrecht, das keine Macht unterdrücken kann.«

»Meinen Sie damit mich?«

»Ich konstatiere theoretisch eine Tatsache, die auch du in die Praxis überträgst. Denn dieser Augenblick gleicht einem Erdbeben. Gebäude stürzen ein, Menschen gehen zugrunde, unterirdische Feuersbrünste brechen hervor – und ihr liebt euch unterdessen gegenseitig auf eine idyllische Weise und denkt an den Bau des eigenen Nestes.«

»Wie haben Sie das gesagt?« fragte Krzycki strahlenden Antlitzes, »ihr liebt euch gegenseitig?«

»Ich sagte: ›Ihr liebt euch gegenseitig‹ – weil es sich wirklich so verhält. Übrigens bist du mehr verliebt als sie.«

»Gewiß«, erwiderte Krzycki, »und das ist ganz natürlich. Aber woraus schließen Sie das?«

»Daraus, daß du bis jetzt weder direkt noch indirekt gefragt oder dich danach erkundigt hast, wie viel Fräulein Anney mitbekommt. Bei einem Gutsbesitzer ist das ein Zeichen, daß der Liebesthermometer die höchste Temperatur zeigt.«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich sie auch dann nehme, wenn sie sogar nur ein Kleid ihr eigen nennen würde«, entgegnete Krzycki.

»Aber es wäre dir doch lieber, wenn sie etwas hätte?«

»Ich gestehe aufrichtig – ja. Es gibt viele ›Nachbarn‹, die weniger besitzen als ich, und an Brot wird es uns nie fehlen. Aber auf Jastrzemb sind wir unserer drei und mit der Mutter vier. Zu einem Viertel bin ich der Besitzer und zu drei Vierteln der unbesoldete Verwalter der Mutter und der Geschwister. Ich möchte jedoch, daß Jastrzemb nur mir allein, meiner zukünftigen Frau und unseren Kindern – wenn uns solche beschert werden sollten – gehöre.«

»Was das anbelangt, bin ich ganz ruhig, aber auch hinsichtlich der Mitgift habe ich keine Sorge. Fräulein Anney lebt sorglos, macht Reisen, kleidet sich sehr anständig, wohnt vornehm und gehört nicht zu denjenigen, die anderen Sand in die Augen streuen. Vermutlich besitzt sie keine Millionen aber ihr Vermögen kann für unsere Verhältnisse viel bedeutender sein, als wir glauben.«

»Mag sie es haben oder auch nicht«, rief Krzycki, »wenn ich sie selbst nur besitze. Wer ein solches Juwel erwirbt, der kann sich damit wie ein König krönen.«

»Ich ahne eine baldige Krönung«, erwiderte Gronski lachend.


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