Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Teil.


I.

W Mit einem Gefühl, als ob der Donner ihn betäubt habe, ging Wladislaw von Fräulein Anney fort. Seine Gedanken konnte er nicht sammeln, er war nicht einmal imstande, die Lage klar zu übersehen oder über dieselbe nachzudenken. Er fühlte, oder richtiger, er empfand im ersten Augenblicke nur eins, nämlich grenzenloses Erstaunen. Auf dem Wege wiederholte er jeden Augenblick: »Hanka Skibianka, Hanka Skibianka!« – denn auf nichts anderes konnte er verfallen.

Wladislaw traf Gronski, der gleich nachmittags fortgegangen war und seinen Diener benachrichtigt hatte, er werde erst spät abends zurückkehren, nicht zu Hause; er begab sich nun auf sein Zimmer, verschloß sich darin, ohne zu wissen, weshalb, warf sich hierauf in einen Lehnstuhl und saß so völlig gedankenlos wohl eine Stunde lang. Nachher öffnete er den Koffer und fing an, sehr eifrig seine Sachen zusammenzupacken, und zwar so lange, bis er sich endlich fragte: Wozu tue ich das? – und weil er darauf keine Antwort finden konnte, unterließ er diese Arbeit und nahm sie von neuem erst wieder auf, als er zu dem Entschlusse gelangte, daß er jedenfalls von Gronski wegziehen müsse.

Nachdem er fertig war, nahm er den Hut und ging ohne bestimmten Zweck in die Stadt. Einen Moment hatte er Lust, zur Mutter und zu Frau Otocka zu gehen, aber er ließ sogleich wieder davon ab. Wozu denn? Es schien ihm, daß er der Mutter nichts über sich und seine Pläne zu sagen habe – und daß er höchstens über diese unerhörte Nachricht mit ihr sprechen könnte, dies Gespräch aber jetzt für ihn außerordentlich peinlich wäre.

Unwillkürlich gelangte er bis zur Heiligen Kreuzkirche und wollte eintreten, es war jedoch schon spät und die Kirche war verschlossen. Der heutige Morgen und das gemeinsame Gebet standen ihm nun lebendig vor Augen. Ach, wie inbrünstig betete er und wie liebte er sie, wie liebte er sie!

Und jetzt konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dies goldhaarige, angebetete Fräulein, mit dem er in dieser Kapelle »Unter deinen Schutz« gemeinsam betete – und Hanka Skibianka zwei ganz verschiedene Wesen seien. Und er empfand im Herzen eine schmerzliche Enttäuschung, mit der er sich auseinanderzusetzen anfing. Denn warum empfand er dieselbe? Vielleicht, weil Hanka ein Bauernmädchen, er dagegen ein Edelmann sei? Nein! Fräulein Anney hatte sich ja nicht als englisches Edelfräulein ausgegeben – und ein polnisches Bauernmädchen ist doch nicht ärger als eine englische Bürgersfrau. Krzycki konnte sich nämlich nicht klar darüber werden, daß die Ursache darin lag, daß Fräulein Anney schon durch ihre fremde und ferne Abkunft ihm als eine » Princesse lointaine« erschien, Hanka aber nur ein einheimisches Landmädchen aus Zarnowo war. Sie erregte weniger Interesse, deshalb war sie auch weniger anziehend. Ein derartiges Mädchen war leichter zu haben – darum war sie ihm auch nicht so teuer.

Und vergeblich erinnerte er sich, daß ja diese Hanka dasselbe blondhaarige Mädchen, schön wie der Traum, verführerisch und zierlich war, das echt weiblich jeden Gedanken und jedes Wort erraten konnte und sein ganzes Sinnen erfüllte. Das Gefühl einer großen Enttäuschung war doch stärker, als diese Gedanken, und jener erotische Reiz, der auf einmal dem Mädchen fehlte, verringerte in seinen Augen dessen Wert.

Dann war aber noch etwas anderes dazu angetan, diese Enttäuschung in den Hintergrund treten und eine untergeordnete Rolle einnehmen zu lassen. Nämlich, er hatte ja dieses Mädchen, seinen Körper und seine Seele bereits früher besessen. Sie war damals fast ein Kind und zugleich eine noch unerschlossene Blüte, die er gepflückt und eine Zeitlang an seinem Herzen getragen hatte.

Die Erinnerung daran konnte nur für ihn vorwurfsvoll sein, während sie Hanka in keiner Weise belastete. Er erinnerte sich an die mondhellen Nächte, in denen er sich in die Mühle stahl, an dieses Geflüster, das ein einziges stilles Lied des nur von Küssen unterbrochenen Liebesrausches war; er erinnerte sich, wie er ihren mädchenhaften, nach Wiesenheu duftenden Leib ans Herz preßte, wie er aus ihren Augen die Tränen forttrank, und wie er ihr sagte, er würde für sie alle Fräulein aus sämtlichen Herrschaftshäusern hingeben. Das Idyll war vorüber – aber nun wehte von ihr der Hauch der ersten Jugendjahre, der ersten Liebe, des ersten Entzückens und der wahren und großen Lebenspoesie herüber.

Außerdem war es auch wahr, was er Gronski in seiner letzten vertraulichen Mitteilung in Jastrzemb erklärt hatte: daß ihn dieses Mädchen so liebte, wie ihn gewiß kein anderes Weib auf Gottes Erden je wieder lieben würde. Und bei diesem Gedanken wurde es ihm ganz weich ums Herz. Zugleich mit der Erinnerungswelle kehrte auch Hanka zurück und nahm es wieder in ihren Besitz …

Ja. – Aber jene war eben Hanka und diese da ist jetzt Fräulein Anney. Seit er sich in sie verliebt hatte, trieb ihn oft seine Sinnlichkeit wie eine winselnde Hundemeute zu ihr hin – doch er hielt dieselbe an der Leine, weil er gleichzeitig sie als Geliebte anbetete. Sie war für ihn begehrenswert, zugleich aber auch ein Heiligtum, etwas so unerreichbar Hohes, Keusches und Geheimnisvolles in ihrer Jungfräulichkeit, daß der Gedanke, es werde der Moment kommen, in dem er der Gebieter all dieser Schätze und dieser Geheimnisse sein würde, ihm als die höchste Wonne und eine um so abgrundtiefere Wonne erschien, als sie ja mir einer gewissen Entheiligung verbunden war.

Und jetzt mußte er sich sagen, daß er diese Entheiligung schon früher vollbracht hatte, daß der Zauber von etwas Unbekanntem bereits entwichen, daß an dieser Vestalin nichts Geheimnisvolles für ihn mehr sei und daß er an diesem Becher bereits genippt habe.

Dies aber war wieder ein Reiz weniger und eine Enttäuschung mehr. Auf solche Weise trübte ihm Fräulein Anney die Erinnerung an die ländliche, wiesenhafte Hanka, und Hanka verringerte den Zauber des Fräulein Anney. Beide waren so anders geartet, einander so unähnlich, und weil er sie nicht in ein einziges Wesen vereinigen konnte – rang er vergeblich mit einem Gefühle der Unruhe und des Schmerzes, den ihm dieser zwiespältige Eindruck verursachte.

Und bei diesem Ringen kam ihm noch ein böser, niedriger und schrecklicher Gedanke. Auf welche Weise konnte sich diese arme, einfache Hanka in das glänzende Fräulein Anney verwandeln? Wieso konnte aus dem grauen Sperling von der strohgedeckten Hütte sich ein Paradiesvogel entwickeln? Hanka war ja ein verführtes Mädchen, hatte also die Brücken hinter sich abgebrochen. Im reichen Auslande haben schöne, aber arme Mädchen nur einen Weg vor sich, um zum Wohlstand und guten Manieren zu gelangen – und dieser Weg ist die Schande. Hanka fand einen Vormund, der sie in seiner Weise beschützte – wie viel solcher Vormünder und Protektoren mochte Fräulein Anney gefunden haben?

Bei diesem Gedanken verfinsterte sich Krzyckis Gemüt; sein Gewissen mahnte ihn: »Dieses Tor hast du ihr geöffnet«, und gleichzeitig erfaßte ihn ein solcher Zorn, sowohl gegen sich selbst als auch gegen Fräulein Anney, daß, wenn Leben und Tod beider in seiner Hand gelegen hätte, er den Tod gewählt haben würde.

Etwas riß in ihm entzwei, etwas stürzte zusammen. Ein Blitz schien wieder neben ihm einzuschlagen, der ihn betäubte und ihm die Fähigkeit des Denkens völlig raubte.

Lange noch wanderte er in der Stadt umher. Unvermutet befand er sich dann wieder vor dem Hause der Frau Otocka, aber er trat nicht zu ihr ein, denn er konnte jetzt nicht mit der Mutter sprechen.

Erst spät abends kehrte er nach Hause zurück. Gronski war schon daheim und wartete seit einer Stunde mit dem Tee auf ihn.

»Guten Abend«, sagte er, »ich kehre eben von deiner Mutter zurück.«

Und Krzycki fragte unumwunden:

»Wissen Sie, wer Fräulein Anney ist?«

»Ich weiß es. Frau Otocka sagte es mir.«

Momentanes Schweigen trat ein.

»Was sagen Sie dazu?«

»Eigentlich sollte ich diese Frage stellen.«

Krzycki ließ sich auf einen Sessel niederfallen, strich mit der Hand über die Stirn und erwiderte mit bitterer Ironie:

»Ach! Ich habe ja Zeit. Man gab mir eine ganze Woche zum Nachdenken und zur Entscheidung.«

»Das ist gar nicht zu viel«, erwiderte Gronski, indem er ihn durchdringend anblickte.

»Allerdings. Weiß es bereits auch die Mutter.«

»Ja. Frau Otocka erzählte ihr alles.«

Und wieder herrschte Schweigen.

»Mein lieber Wladek – ich weiß, daß dies dich erschüttern mußte, und deshalb werde ich mit dir so lange nicht darüber sprechen, bis du dich beruhigt hast und ins Gleichgewicht gekommen bist. Du mußt auch die Gründe kennen lernen, die Fräulein Anney bewogen haben, nur Frau Otocka ins Geheimnis zu ziehen und nach Jastrzemb unter ihrem jetzigen Namen zu kommen, zu dem sie übrigens durchaus berechtigt ist. Hier ist ein Brief von ihr; sie beauftragte mich, dir denselben erst morgen einzuhändigen, und das ist die Ursache, weshalb ich ihn dir nicht sogleich nach deinem Eintreten übergab. Jetzt aber glaube ich, daß ich damit nicht mehr zögern darf. Öffne ihn jedoch weder gleich noch in meiner Gegenwart. Behalte den Brief und lies ihn in der Einsamkeit, wo du imstande sein wirst, über jedes Wort genau nachzudenken. Tue das unbedingt. Das was geschehen ist hat auch mich so tief erregt, daß ich vorläufig nicht ruhig darüber sprechen könnte … Heute kann ich dir nur eines raten: sei ein Mann und laß dich nicht von dem Strome der Ereignisse treiben, sondern rudere selbst!«

Daraufhin erwiderte Krzycki, der unter dem Einflusse dieser Worte ein wenig zu sich gekommen war:

»Ich danke Ihnen. Ich werde den Brief in der Einsamkeit, die mir jetzt unumgänglich nötig ist, lesen. Sie aber werden es mir gewiß nicht verübeln, wenn ich Ihre Gastfreundschaft nicht länger mißbrauche. Herzlich und aufrichtig dankbar bin ich Ihnen für alles, nun aber muß ich mich einsperren, auf wie lange weiß ich noch nicht. Wenn ich mit mir ins reine gekommen bin, werde ich mich bei Ihnen einstellen, um mit Ihnen über alles, so Gott will, schon ruhiger zu sprechen. Jetzt sehe ich ein, daß es nötig war, mir eine ganze Woche Zeit zu gewähren. Ich kann mich mancherlei ungemein bitterer und sogar schrecklicher Gedanken nicht erwehren. Heute haben sie mich gepackt, aber es ist notwendig, daß ich sie beim Schopfe ergreife, und deswegen sehne ich mich nach einer eigenen Behausung.«

»Du weißt, wie gern ich dich hier sehe«, entgegnete Gronski, »aber ich verstehe dich sehr wohl; und obgleich ich von vornherein beschlossen hatte, dich mit Fragen nicht zu belästigen, tue dennoch, was dir am zweckmäßigsten erscheint. Ich muß dir nur noch sagen, daß deine Mutter auch ins Hotel übersiedelt, weil sie sich durch Frau Otocka beleidigt fühlt. Sie hat es ihr übel genommen, daß man sie mit Fräulein Anney getäuscht hat.«

»Ich gestehe, daß auch mir dies unverständlich ist.«

»Das wäre aber gerade das Gegenteil von dem, was diese Damen bezwecken wollten. Die Absichten der Frau Otocka waren die edelsten … Die Zeit wird alles aufklären und ausgleichen. Selbstverständlich wußte auch Marie nichts davon, nicht nur, weil Frau Otocka durch ihr Wort gebunden war, sondern weil sie es auch nicht für passend hielt, die jüngere Schwester in deine alten Geschichten und in dein Verhältnis zu der damaligen Hanka einzuweihen. Aus der Hanka – Fräulein Anney! – das ist doch eine merkwürdige Wendung der Dinge … Gedenkst du unseres Gespräches in Jastrzemb, als wir auf der Schnepfenjagd waren? – weißt du noch?«

»Jawohl, aber ich kann nicht darüber sprechen.«

»Ja, es ist auch besser, wir schweigen jetzt darüber. Fräulein Anneys Brief wird hoffentlich die dunklen Punkte dieser Angelegenheit beleuchten und die unverständlichen aufklären … Wenn du ihn sogleich lesen willst, werde ich fortgehen und dich hier allein lassen.«

»Ich möchte ihn je eher je lieber durchlesen und deshalb werde ich mich nun von Ihnen verabschieden.«

»Aber diese Nacht wirst du doch noch bei mir verbringen?«

»Meine Sachen habe ich schon gepackt und die Hotels sind ja immer offen.«

»Dann lebe wohl … und gedenke, was ich dir gesagt habe: rudere! rudere selbst.«

Gronski war allein. Auch er war ungemein erregt, zugleich aber auch neugierig.

Als er damals zu Krzycki nach seinen Geständnissen in Jastrzemb sagte, »daß die Mühlen der Götter langsam mahlen«, legte er selbst diesem Ausspruche keine weitere Bedeutung bei. Inzwischen hatte jedoch das Schicksal selbst dieses Sprichwort auf eine märchenhafte und doch zugleich auch logische Art bestätigt. Denn einem Märchen glich Hankas Umwandlung in das Fräulein Anney, dagegen war es logisch und wohl verständlich, daß sie denjenigen jetzt wiederzusehen wünschte, den sie schon als Kind mit ihrer ersten Liebe beglückte, und daß sie die Plätze noch einmal besuchen wollte, an die sich so viele herzliche aber auch trübe Erinnerungen knüpften.

Aber nach Jastrzemb konnte sie nur unter ihrem jetzigen Namen zurückkehren, nicht anders unter Krzyckis Dache wohnen. Und so geschah es auch; später mochten die Ereignisse sich so entwickeln, daß das Geheimnis eine gewaltsame Lösung fand.

Gronski hatte von Frau Otocka alles erfahren, was sie wußte, und er hatte ihr und Fräulein Anney auch bereits alles verziehen, doch sah er wohl ein, daß eine recht peinliche Situation entstanden war; es war hier ein Knoten geschlungen, dessen Entwirrung nur Krzycki möglich war; aber auch ihm standen nicht nur unüberwindliche Hindernisse, sondern auch eine förmlich neue Person gegenüber.


 << zurück weiter >>