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V.

Herr Dzwonkowski reiste noch in derselben Nacht ab; sein Beruf erforderte seine Anwesenheit am nächsten Morgen in der Stadt. Dagegen reisten Gronski, den Frau Otocka gebeten, sie in der Kanzlei zu vertreten, und Krzycki und Dolhonski erst einen Tag später.

Alle drei waren gespannt und neugierig zugleich, wie denn das Testament ausfallen werde, von dem Dzwonkowski auch nicht ein Wort erwähnt hatte. Dolhonski machte gute Miene, scherzte und zeigte mehr ruhiges Blut, als er in der Tat besaß. Ihm war am meisten daran gelegen, etwas zu erben.

Dolhonski war ein Mensch, der ein beträchtliches Vermögen verloren hatte. Er änderte jedoch seine Gewohnheiten nicht, lebte weiter, als hätte er nichts verloren, und daß er sich trotzdem noch auf der Höhe hielt, war nur seinen gewissermaßen akrobatischen Anstrengungen zu verdanken, woraus er selbst schließlich kein Geheimnis machte. Im allgemeinen »aß er sich durch«, wie man zu sagen pflegt, hatte eine Million Fehler, doch schätzte man ihn wegen seiner gesellschaftlichen Gewandtheit. Er gehörte dem aristokratischen Klub an, spielte sehr glücklich Karten – wenn auch nicht ganz einwandsfrei. Von Leuten seiner Kreise entlieh er niemals Geld, machte keine Klatschereien und war sonst ein treuer Freund. Den Mangel an höherer Bildung ersetzte er durch Gewandtheit und gewisse geistige Auffassung. Er neckte, was das Zeug hielt, doch war es nicht ratsam, ihn zu hänseln, weil er hierbei Schlauheit verriet und eine gewisse Offenheit besaß, die an Zynismus grenzte; so wurde er nicht nur geduldet, sondern auch gern gesehen.

Nur Gronski genoß vor anderen den Vorzug, daß er sich Dolhonski gegenüber den Scherz erlauben konnte, indem er ihm sagte: »Würdest du im Geldmachen ebensoviel Begabung wie im Geldvergeuden haben, dann müßtest du Millionär sein.«

Doch bei der Erwartung auf den »Millionär« kamen über Dolhonski oft schwere Zeiten, besonders im Frühjahr, wenn das Spielen im Klub nachließ und die Reisezeit begann. Dann fühlte er eine Ermüdung von den winterlichen Anstrengungen und sehnte sich danach, daß ihm irgendwoher ohne Mühe etwas zufallen möchte.

Das Testament des Zarnowski konnte jetzt für ihn etwas abwerfen, denn wenn auch Dolhonski nicht viel erwartete, weil er zu Lebzeiten des Verstorbenen sich gar nicht um ihn bemühte, ja offen erklärte, daß ihn der Onkel langweile, rechnete er dennoch, daß wenigstens eine Summe für ihn abfallen werde, um für einige Zeit seine größten Gläubiger zu befriedigen.

Vor seiner Abreise aus Warschau nach Jastrzemb erklärte er im Klub, er werde auf einem Kissen sitzend, gefüllt mit Pfandbriefen, zurückkehren. Nun versuchte er mit einem erkünstelten Humor Gronski und Krzycki einzureden, daß weder Frau Otocka mit Schwester noch die Familie Krzycki, sondern er selbst der Haupterbe sein müßte.

Eine von den Cousinen«, sagte er, »ist eine warmfühlende Witwe die von ihrem Manne ein schweres Vermögen besitzt, die zweite ist eine heranwachsende Muse, die sich mit Ambrosia begnügen müßte. Wie schade, daß ich nicht der einzige Blutsverwandte des Verstorbenen bin.«

Zu Wladislaw gewendet fuhr er fort:

»Die Krzyckis sind auch nicht bedürftig. Und wie ich hörte, hattet ihr Grenzstreitigkeiten mit Rzenslewo, daraus schließe ich, daß ihr ebenfalls nichts bekommen werdet.«

»Was hast du von einem solchen Schluß?« sagte Gronski, »du solltest vor allem deinen Bedarf einschätzen.«

»Du erinnerst mich an meinen verstorbenen Vater«, entgegnete Dolhonski.

»Er hat dich wohl oft daran erinnern müssen!«

»Nur zu oft hat er das getan und stellte sich selbst als Beispiel hin, doch ich habe ihm bewiesen, daß, so gewiß zwei mal zwei vier ist, ich auch auf höherem Fuße als er leben müsse.«

»Und was sagtest du?«

»Ich sagte: Mein Vater hat einen Sohn, dieser Sohn ist kinderlos und dann ist der Sohn ein Edelmann, aber ein besserer als der Vater.«

»Ja, wieso denn besser?«

»Das ist sehr einfach, ich gelte für eine Familie mehr. »

»Bravo!« sagte Krzycki. »Und was sagte dein Vater dazu?«

»Er nannte mich einen Bösewicht, doch merkte ich, daß ihm meine Antwort gefiel. Ach wollte doch Frau Otocka meine Testamentsdisposition ebenso gefallen, wie einst meine Antwort meinem Vater! Aber ich bin überzeugt, daß meine Standhaftigkeit und mein Appetit niemand etwas nützen. Das Cousinchen ist schließlich praktischer, als es erscheinen mag. Du glaubst vielleicht, daß sie und die Schwester nur vom Blumenduft leben, und dennoch kamen sie bei der Todesnachricht nach Jastrzemb, in der Hoffnung, viel zu erben.«

»Ich kann dir versichern, daß du dich irrst. Meine Mutter hat die Damen noch im vorigen Sommer in Krynica zum Besuch eingeladen, und jetzt hat sie einen Tag vor dem Tode des Onkels Zarnowski die Damen an ihr Versprechen erinnert. Darauf antworteten sie, es wäre zurzeit nicht möglich, da sie einen Gast hätten; meine Mutter lud auch den Gast ein.«

»Nun, dann ist die Sache eine andere, und ich verstehe jetzt deine Mutter; aber weil du ein anständiger Junge bist, dafür jünger als ich, fürchte ich jetzt um das Vermögen meiner Cousine Otocka, das am besten mir gehören sollte.«

»Habe darum keine Angst«, entgegnete Krzycki trocken.

»Willst du damit sagen, daß dir die Sterlinge lieber sind als die Rubel? Mit Rücksicht auf den Kurs wären sie mir auch lieber, doch ich fürchte, daß, wenn ihrer zu viele sind, sie auf dem Wege über den Kanal untergehen werden.«

»Liegt dir daran, die Summe zu erfahren«, sagte jetzt Gronski, »dann frage das Fräulein Anney selbst. Sie ist so offenherzig, daß sie dir gewiß Antwort geben wird.«

»Ja, die Hauptsache, daß ich ihr glauben werde.«

»Wenn du nur etwas Menschenkenntnis besitzest, mußt du ihr glauben.«

»Ich fürchte dennoch ein Mißverständnis, denn würde sie mir Polnisch antworten, könnte sie sich irren, und antwortete sie Englisch, könnte ich mich irren.«

»Sie sprich Polnisch besser, als du Englisch.«

»Ich muß gestehen, daß mich dies stets wundert. Woher kann sie so gut Polnisch?«

»Ich habe dir doch schon gesagt«, entgegnete Gronski mit einer gewissen Ungehaltenheit, »daß sie schon als Kind das Polnische lernte; ihr Vater war wohl Engländer, er hatte aber für die Polen große Sympathien.«

» De gustibus non est disputandum«, erwiderte Dolhonski.

Darauf machte er wieder seine Scherze über den Verstorbenen, über den alten zahnlosen Dzwonkowski, dessen wilden Blick, und versicherte schließlich, daß, wenn aus dem Testament nichts für ihn abfallen sollte, er sich an der Schwelle von Frau Otocka erschießen oder nach Gorek fahren und dort um die Hand von Fräulein Wlocka anhalten würde.

Gronski hatte indessen auf Dolhonski gar nicht gehört, und Krzycki hörte nur dann und wann dessen Worten zu, denn seine Aufmerksamkeit war auf die große Anzahl Fuhrwerke gerichtet, die sie fortwährend überholten. In der Meinung, er habe vergessen, daß in der Stadt irgend ein Markttag abgehalten werde, wandte er sich an seinen Kutscher:

»Andreas, warum fahren denn so viel Fuhren nach der Stadt?«

»Ich bitte, gnädiger Herr, das sind Männer aus Rzenslewo.«

»Aus Rzenslewo? Was haben diese denn in der Stadt zu tun?«

»Ich bitte, gnädiger Herr, sie fahren zur Testamentseröffnung des Herrn Zarnowski; Rzenslewo soll ihnen zufallen, erzählt man.«

»Ich hörte schon«, sagte Krzycki zu Gronski gewendet, »daß jemand diese Nachricht aufgebracht hat, doch habe ich niemals geglaubt, daß man das für Wahrheit halten werde.«

Zum Kutscher gewendet, fragte Krzycki weiter:

»Und wer hat das den Leuten gesagt?«

Der alte Kutscher wurde etwas verwirrt, doch faßte er sich bald wieder und sagte:

»Die Leute erzählen, daß es der Herr Hauslehrer gewesen sei.«

Krzycki lachte.

»Ach, diese dummen Bauern!« sagte er. »Hat doch Herr Laskowicz niemals im Leben Herrn Zarnowski gesehen! Woher sollte er das Testament kennen?«

Nach einigem Nachdenken sagte er weiter:

»Alles muß seinen Grund haben; hat Laskowicz etwas Derartiges erzählt, dann möge mir jemand sagen, warum er das erzählt.«

»Gibst du ihm die Schuld?« fragte Gronski.

»Ich weiß es nicht, denn bisher war ich der Meinung, man könne Sozialist sein und dennoch seine Sinne beisammen haben.«

»Ach, so ein Vogel ist das? Sage mir, wie lange ist er denn bei euch und was für eine Figur ist das?«

»Bei uns ist er ein halbes Jahr, wir nahmen ihn, weil er uns empfohlen wurde, als Lehrer für Stas. Man sagte uns, er müsse für einige Zeit Warschau verlassen, um der Polizei aus den Augen zu kommen. Ich nahm ihn um so lieber auf, als ich glaubte, es handle sich hier um irgendwelche patriotische Angelegenheiten. Später, als es sich zeigte, daß das eine andere Art ist, gestattete meine Mutter nicht, ihn fortzuschicken, in der Hoffnung, er werde sich bekehren … Sie unterhielt sich anfangs lange mit ihm und sprach ihm zu Herzen, und mir gab sie auf, freundlich mit ihm umzugehen. Wir behandelten ihn, als gehörte er zur Familie, doch die Folge ist, daß er uns haßt, nicht nur als Menschen, die zu einer ihm verhaßten Klasse gehören, sondern auch, wie es scheint, persönlich.«

»Das ist sehr einfach«, sagt? Dolhonski. »Er nimmt es euch übel auf, daß ihr nicht so seid, wie er sich vorgestellt hat, das heißt nicht so böse und nicht so einfältig. Und ihr könnt sicher sein, daß er euch das niemals vergeben wird.«

»Mag sein. In jedem Falle kann er uns in Kürze aus der Ferne feindlich gesinnt sein, in einem Monat gehen wir auseinander. Man muß auch wohl eine fremde Überzeugung achten, doch neben seinen Grundsätzen und seinem Haß liegt so etwas Unangenehmes in ihm, was unseren Gewohnheiten so sehr entgegensteht, daß wir ihn gehörig satt haben.«

»Mein lieber Wladek«, unterbrach Dolhonski, »beziehe meine Worte nicht unbedingt auf dich, denn ich spreche allgemein. Wenn du nun von der Achtung eines anderen sprichst, so kann ich dir sagen, daß es meiner Ansicht nach in Polen nichts anderes gibt als Voreingenommenheit …«

»In gewisser Beziehung hat Dolhonski recht«, sagte Gronski. »Mag sein, daß wir im Laufe der Zeiten verschiedene Ideen und Existenzen geduldet haben, nicht nur durch Edelmut, sondern auch, weil unserer bequemen Gesellschaft es nicht gefiel, sich mit ihnen gehörig zu befassen …«

Krzycki, der es nicht liebte, sich in Allgemeinbesprechungen einzulassen, sagte:

»Das ist alles ganz schön, doch verstehe ich nicht, warum Laskowicz den Leuten von Rzenslewo eingeredet haben sollte, Onkel Zarnowski habe ihnen Rzenslewo vermacht.«

»Es steht ja bis jetzt noch nicht fest«, unterbrach Gronski, »ob er der Verbreiter war. Das werden wir bei Dzwonkowski bald erfahren.«


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