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III.

Wider Erwarten kam der Arzt an diesem Tage nicht, da er sehr beschäftigt war und einige schwere unaufschiebbare Operationen auszuführen hatte. Er schickte aber einen jungen Krankenwärter, der geschickt in der Pflege von Verwundeten war, und zugleich einen Brief, worin er Gronski bat, die Damen zu benachrichtigen, daß sie seine aufgeschobene Rückkehr als ein Zeichen betrachten möchten, daß dem Verwundeten tatsächlich nichts Arges drohe.

Wladislaw war über diese Nachricht nicht erfreut, weil die Wunden ihn sehr schmerzten und besonders die längs der Rippe geschlitzte Haut ihn ungemein quälte; auch hatte sich der Zustand der Mutter verschlimmert. Die Beklemmungen wiederholten sich und dann trat eine solche Schwäche ein, daß sie trotz besten Willens das Bett nicht verlassen konnte. Frau Otocka verbrachte den ganzen Tag bei ihr, und abends sollte sie Fräulein Anney ablösen, die jedoch nach den gestrigen Ereignissen und einer schlaflosen Nacht ruhebedürftig und durch Gronski und die beiden Schwestern zu Bett geschickt war.

Die Rolle der Wirtin in Jastrzemb übernahm Fräulein Marie, weil sie sich durchaus nützlich machen wollte und man ihr nicht erlaubte, sich an der Krankenpflege zu beteiligen. Dafür vertraute man ihr alle Schlüssel, die Hausverwaltung und die Beratungen und Verrechnungen mit dem Koch an; den letzteren fürchtete sie ein wenig und hatte ihn nicht gerne, weil er sie natürlich nicht als regierende Hausfrau, sondern mehr als Kind betrachtete. Sie steckte die ernsteste Miene der Welt auf, doch mußte der liebe Herr, das heißt Gronski, ihr versprechen, sich wie zufällig während der Abrechnungen in demselben Zimmer einzufinden.

Da es sich am dritten Tage nach der Ankunft des Arztes in Jastrzemb zeigte, daß Wladislaws Zustand verhältnismäßig günstig war, die Beklemmungen der Frau Krzycka vorübergingen und ihre Nerven wieder in Ordnung waren, wurde die Stimmung in Jastrzemb ruhiger und lustiger. Dolhonski spielte nunmehr die Rolle des Generalissimus der gesamten Jastrzember bewaffneten Macht, und Gronski übernahm mit viel Humor die Rolle des Verwalters und Behüters der Frauen. Doktor Szremski brachte einen zweiten Krankenwärter mit, der mit dem früher angekommenen jeden Tag abwechselnd den Pflegedienst versehen sollte, was den Hausdamen große Mühe und immerwährende Anwesenheit im Krankenzimmer ersparte.

Die Wendung der Dinge gefiel nur Wladislaw nicht, da er einsah, daß nun Fräulein Anney nicht mehr Tage und Nächte bei ihm zubringen könnte, und er sie wahrscheinlich erst nach seiner Genesung wiedersehen würde. So kam es auch. – Ein paarmal täglich näherte sie sich seiner Tür, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, schickte durch die Wärter alles Nötige, auch »guten Tag« und »gute Nacht«, aber das Zimmer betrat sie nicht.

Wladislaw sehnte sich, fluchte im stillen, verbitterte den Wärtern das Leben und, als er von Dolhonski erfuhr, wie begeistert der Doktor von Fräulein Anney sei, hatte er ihn im Verdacht, die Wärter nur deshalb geschickt zu haben, um ihm die Begegnung mit Fräulein Anney zu erschweren.

Frau Krzycka erhob sich am vierten Tage, und da sie sich viel wohler fühlte, besuchte sie täglich den Sohn und saß stundenlang bei ihm.

Wladislaw fragte sich öfters, ob sie wohl etwas von seinen Gefühlen mutmaße. Er war darüber im unklaren. Zwar wußten alle Gäste des Hauses davon, aber es war möglich daß nur sie allein nichts erriet, weil sie schon eine Zeitlang vor dem Abenteuer im Walde ihr Zimmer nicht verlassen hatte und deshalb beide nur selten miteinander sah.

Krzycki sann wohl darüber nach, ob er sich der Mutter schon jetzt offenbaren oder es auf später verschieben solle. Für ersteres sprach der Umstand, daß die Mutter, während er krank im Bett lag, nicht wagen würde, energisch zu opponieren, aus Furcht vor Verschlimmerung seines Zustandes. Aber andererseits schien ihm eine solche Handlungsweise in einer Angelegenheit, bei der es sich um das geliebte Wesen und das Glück seines ganzen Lebens handelte, als eine elende Spekulation. Er sagte sich auch, daß solch ein Erpressen der mütterlichen Einwilligung mittels der Krankheit für Fräulein Anney beleidigend wäre, weil ja die Tür des Jastrzember Hauses und die Arme seiner Anwohner sich ihr aufs bereitwilligste und freundlichste öffnen sollten. Und noch etwas hielt ihn davon ab. Trotz des mit Gronski seinerzeit geführten Gespräches, trotz der mit Fräulein Anney gewechselten Worte, trotz ihrer Sorgfalt, Opferwilligkeit und Tapferkeit, endlich trotz der sichtbaren Zeichen der Gefühle, die aus ihren Blicken sprachen, zweifelte Krzycki noch immer und wollte seinem eigenen Glücke nicht trauen.

Er war jung, unerfahren und nicht nur bis über die Ohren, sondern auch wie ein Student verliebt, daher war er zuweilen voll Ungewißheit und Zweifel, dann wieder voller Hoffnung und Freude. Er war auch seiner selbst nicht ganz sicher. Manchmal fühlte er in sich eine ungeahnte Begabung zu geradezu heldenmütigen Taten, ein andermal dachte er: Wer bin ich eigentlich, daß mir solch ein liebliches Wesen ans Herz sinken sollte? Es gibt gelehrte, begabte, millionenreiche Männer und wer bin ich? Ich bin ein ganz gewöhnlicher Landedelmann, der das ganze Leben wie ein Maulwurf in der Erde zubringen muß. Habe ich denn ein Recht, einen so frei in den Lüften zur Freude und Bewunderung der Menschheit schwebenden Paradiesvogel in ein solches Leben einzuspannen oder eigentlich in solch einen Käfig einzusperren?

Und er verzweifelte. Wenn er sich jedoch vorstellte, daß ein Augenblick erscheinen könne, in dem der Paradiesvogel auf immer davonflöge, erschrak er darüber wie über ein zu großes Unglück, das er sicher nicht verdiene. Er hatte aber auch hoffnungsvolle Stunden, besonders morgens, weil er sich dann gesunder und frischer fühlte. Er erinnerte sich dann an alles, was seit Fräulein Anneys Ankunft in Jastrzemb und seit dem Begräbnis Zarnowskis bis zur letzten Nacht sich ereignete, als er ihre Hand an seinen Mund preßte; dann war er frohen Mutes. Sie sagte ihm ja damals: »Kein Wort davon, bis Ihre Wunden geheilt sind.« Damit gab sie ihm ein Recht, in Zukunft zu wiederholen, daß sie ihm das Liebste auf der Welt sei und daß er in ihre Hände sein Schicksal, seine Zukunft und sein ganzes Leben legen könne.

Und derweilen wird die Mutter sich an sie gewöhnen, sich mit ihr vertraut machen und sie noch mehr liebgewinnen. Auch ist das Mutterherz voll Bewunderung und Dankbarkeit für das, was sie für ihn getan hat und in ihren Reden tönen immer die Worte: »Gott hat sie hierher gesandt.«

Krzycki lächelte bei dem Gedanken, daß seine Mutter die Opferwilligkeit des jungen Mädchens nicht einem heißeren Gefühle, sondern nur einem ungewöhnlich guten Herzen und der englischen Erziehung zuschreiben könne. Sie äußerte mehrmals auch Frau Otocka gegenüber, daß sie auch ihr Ännchen zu einem solch tapferen Weibe erziehen, ihr auch so viel Kraft, Gesundheit und so viel »Nächstenliebe« einflößen möchte.

Frau Otocka lächelte beim Anhören dieser Lobreden, und Wladislaw dachte, daß Fräulein Anney vielleicht nicht für alle »Nächsten« so aufopfernd sein würde, und dieser Gedanke beglückte ihn. Endlich war er beinahe überzeugt, die Mutter müsse in seine Heirat mit Fräulein Anney einwilligen, aber es lag ihm daran, wie sie einwilligen würde. Und in dieser Hinsicht war er nicht ganz beruhigt.

Frau Krzycki, eine Dame, die in bezug auf die Anforderungen, die man früher an Bildung zu stellen pflegte, mehr wie gewöhnlich gebildet war, hatte sehr feine Umgangsformen, las viel, sprach und schrieb geläufig Französisch und Italienisch und reiste in jungen Jahren viel im Auslande. Es wußten jedoch nur die nächsten Angehörigen, wie viel nationale und Familienvorurteile in ihr steckten, und wie alles, was nicht polnisch war, besonders wenn es nicht etwa aus Frankreich stammte, ihr ungewöhnlich, fremd und wunderlich und selbst anstößig vorkam. Zufällig erfuhr man dies, als sie, noch vor dem Überfall auf Wladislaw, einmal bei Fräulein Anney ein englisches Gebetbuch sah und beim Öffnen bemerkte, daß Gebete mit dem Worte »O Lord!« anfingen … Da sie zu einer Generation gehörte, die noch nicht englisch lernte, stellte sich Frau Krzycka einen »Lord« nicht anders als unter der Gestalt eines langen, mit kariertem Anzuge und gelbem Backenbarte versehenen Herrn vor – und konnte zum großen Gaudium des Fräulein Marie absolut nicht begreifen, wie man auf diese Weise den Herrgott anrufen könne.

Vergebens erklärte ihr Wladislaw, daß man auf Französisch und Polnisch Gott einen analogen Namen gebe, aber sie war der Ansicht, daß das ganz was anderes sei – und errang von Fräulein Anney das Versprechen, aus einem polnischen Buche, das sie ihr schenken wolle, zu beten.

Auch konnte es eine gewisse Rolle spielen, daß Fräulein Anney wahrscheinlich nicht adelig war. Krzycki fürchtete, daß die Mutter, falls sie ihre Einwilligung geben würde, dennoch im Grunde ihrer Seele diese Heirat als eine Mesalliance betrachten könnte. Dieser Gedanke bedrückte ihn ungemein und war der Grund, daß er sein Gespräch mit der Mutter bis zu seiner Rückkehr aus Warschau zu verschieben sich vornahm.

Noch mehr ärgerte ihn, daß er im Bette liegen mußte; so daß er während dreier Tage jeden Abend erklärte, er werde den nächsten Morgen sicher aufstehen; und als er am vierten durch die Tür hörte, wie Fräulein Anney und Marie ihm »guten Tag« sagten, stand er wirklich auf, aber seine Schwäche war so groß, daß er sogleich zurück ins Bett gehen mußte.

Sein Befinden besserte sich jedoch entschieden, er sehnte sich immer mehr, aufzustehen, da die Untätigkeit ihm sehr mißhagte.

»Ich habe jetzt genug von diesem schwatzhaften Szremski«, sagte er zu Gronski, »genug der Verbände und des Jodoforms! Ich beneide nicht nur Sie, sondern auch Dolhonski, der mir die Pferde zuschanden reitet und sogar Gorki erreicht.«

»Er erreicht«, erwiderte Gronski lustig, »und, was mir am meisten zu denken gibt, er hält es geheim und hat aufgehört, über diese Damen mit mir zu reden.«

Dies war nur teilweise richtig, da Dolhonski wirklich in Gorki hin und wieder erschien, aber er sprach doch noch manchmal von den Damen, denn am nächsten Tage, als er eben von ihnen zurückkehrte, betrat er, noch im Reitkostüm, Wladislaws Zimmer und erzählte:

»Stellt euch vor, Frau Wlocka erhielt von einem obskuren Winkelkomitee den Auftrag, bei Todesstrafe tausend Rubel für ›Parteizwecke‹ zu erlegen.«

»Da haben wir die Bescherung!« rief Gronski. »Aber jetzt ist ja so etwas ganz gewöhnlich. Es fragt sich nur, ob nicht ähnliche Befehle auf unseren Schreibtischen in Warschau unserer warten.«

»Also was?« fragte Wladislaw.

»Nichts«, erwiderte Dolhonski. »Diese Damen stritten anfangs darüber, welche von ihnen die andere mit eigenem Leibe schützen werde, dann wurden sie ohnmächtig, dann kamen sie zu sich, dann verabschiedeten sie sich voneinander und endlich begehrten sie meinen Rat, was da zu tun sei.«

»Und was hast du ihnen geraten?«

»Ich riet ihnen, den Vollstreckern des Befehles, die wegen des Geldes erscheinen würden, zu sagen, daß ihr Bevollmächtigter und Kassierer Herr Dolhonski sei, der unter der und der Adresse in Warschau wohne.«

»Du rietest ihnen wirklich so?«

»Ich gebe euch mein Wort darauf!«

»Dann kommen sie gewiß zu dir.«

»Stellt euch vor, wie sie sich da bereichern werden. Auch ich werde in diesen traurigen Zeiten ein Vergnügen haben.«

»Erlaube«, sagte Gronski, »die Zeiten sind schwer, das ist sicher, aber niemand könnte behaupten, sie wären langweilig.«

»Ansichtssache!« erwiderte Dolhonski, »wenn ich von dir je Geld leihe, dann werde ich gezwungen sein, mich nach deinem Belieben zu richten, aber vorher wirst du mich zu einer politischen Diskussion nicht verleiten. Vorläufig muß ich dir nur sagen, daß ich eine soziale Mikrobe bin, die nur im völligen Frieden bestehen kann. Ich brauche, daß der ›Bridge‹ im Klub normal gespielt wird, und bald wird das unmöglich sein. Diese Zeiten sind vielleicht für dich interessant, aber nicht für mich.«

»Immerhin«, bemerkte Gronski, »findet ein Durchlüften der verschimmelten Ansichten statt, und wenn du selbst dich mit einer Mikrobe vergleichst, gestehst du damit ein, daß diese Zeiten eine Desinfektion bedeuten.«

Daraufhin wandte sich Dolhonski an Krzycki:

»Danke dem Gronski; weil man die Desinfektion mit dir anfing, folgt daraus, daß du eine schädlichere Mikrobe bist als ich.«

»Heirate, heirate nur«, erwiderte Wladislaw lustig, »eine gute Mitgift wird dich vom Pessimismus heilen.«

»Kann sein, weil ich in diesem Falle die Mittel haben werde, dies liebe Land zu verlassen und anderswo mich anzusiedeln. Ich habe dir schon einmal gesagt, daß die Vorsehung oft durch den Mund der Unschuldslämmer spricht. Aber ans Heiraten hätte ich damals denken sollen, als in Sehweite nicht Gorek und Dorki, sondern beinahe vier Millionen erschienen.«

»Hattest du denn eine solche Gelegenheit?«

»Wie ihr mich hier seht. Es war nämlich in Ostende eine alte belgische Vogelscheuche, die Witwe eines Konservenfabrikanten, die das erwähnte Bargeld besaß und mich ehelichen wollte – und zwar auf der Stelle.«

»Und was weiter?«

»Weiter nichts. Ich erinnere mich, was mir Czes Bockorski sagte, der damals in Ostende weilte: ›Mach‹, sagte er, ›das Geschäft; im ärgsten Falle wirst du dem Weibsbild zwei Millionen zurücklassen und es davonjagen, und zwei Millionen wirst du dir nehmen und dich dann königlich amüsieren!‹ …«

»Und was hast du getan?«

Ich erwiderte darauf: ›Wie? Ich sollte von dem blutig verdienten Gelde zwei Millionen einem alten häßlichen Weibe überlassen? – um keinen Preis!‹ – Und jetzt glaube, ich, daß ich diesem Witz ein Vermögen geopfert habe, und daß Zeiten kommen können, wo ich ›infolge Liquidation des Geschäftes‹ für einen geringeren Preis zu haben sein werde.«

Gronski und Wladislaw lachten, aber Dolhonski, der mit größerer Bitterkeit sprach, als sie dachten, zuckte die Achseln und sagte:

»Freut euch, freut euch! – Einer von euch hat schon das Seine bekommen und der zweite wird mit Gottes Hilfe sich auch nicht mit leerem Stroh herauswinden können. Schöne Zeiten! Chaos! Chaos! Anarchie! Politische Orgie, ein Tanz des Dynamits mit der Nahajka und der Verfall des »Bridge«! Lacht nur!«


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