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VII.

Gleich den nächsten Abend begaben sich beide mit ihren Jagdgewehren und den Hunden nach der Richtung der alten Mühle, und auf dem Wege begann Krzycki alles zu erzählen, was er gestern erfahren hatte:

»Ich war in Rzenslewo«, sagte er, »aber dort hört man nichts Gutes. Die Bauern erzählen, daß das Testament gefälscht sei, und daß es die Herren verdreht haben, um das Geld und den Boden in ihrem eigenen Interesse zu verwalten. Ich weiß schon ganz bestimmt, daß dies Öl ins Feuer Laskowicz' gießt. Warum? – Ich verstehe es zwar nicht, doch ist es so. Besonders die Ackerlosen sind sehr erregt und äußerten, daß, wenn man das Vermögen unter sie verteile, sie selbst eine Spende für die Schule geben würden. Selbstverständlich haben sie dabei gar keinen Begriff davon, um welche Schule es sich bei Zarnowski gehandelt und wieviel eine solche kosten kann.«

»Was beabsichtigst du hierbei zu tun?« fragte Gronski.

»Ich weiß es nicht, ich werde sehen, und mittlerweile werde ich ihnen dies auszureden bemüht sein. Ich bat auch den Pfarrer, ihnen zu erklären, um was es sich handelt. Ich sprach mit einigen älteren Landleuten, und es schien mir, daß ich sie überzeugt habe. Aber leider, es macht den Eindruck, daß einzeln genommen jeder von ihnen verständig und sogar klug ist, und wenn du zu ihnen allen zusammen sprichst, ist es so, als ob du den Kopf an die Wand schlagen würdest.«

»Es wundert mich gar nicht«, erwiderte Gronski. »Nimm zehntausend Doktoren der Philosophie, und es wird aus ihnen eine von Reflexbewegungen regierte Menge.«

»Möglich«, sagte Krzycki, »aber ich wollte nicht nur über das Testament sprechen; ich habe auch den alten Rzenslewoer Bauernvogt gesehen und ungemein interessante Dinge erfahren. Stellen Sie sich vor, daß unsere Vermutungen falsch waren und Hanka Skibianca nicht die Tochter Onkel Zarnowskis ist.«

»Und dies schien so glaubwürdig! Aber welche Beweise sprechen dafür?«

»Ganz einfache. Skiba war aus Galizien gebürtig, der nach Rzenslewo mit Frau und Tochter, die damals fünf Jahre zählte, ausgewandert ist, und da Zarnowski, so lange er gesund war, wie festgewurzelt in seinem Dorfe saß und seit zehn Jahren nie verreiste, konnte er auch nicht Vater des Mädels sein.«

»Das ist wirklich für diese Angelegenheit entscheidend. Ich verstehe nur nicht, weshalb er ihr zehntausend Rubel vermacht hat?«

»Ah, das ist eine ganze Geschichte«, erwiderte Krzycki. »Sie müssen nämlich wissen, daß der Verstorbene, obwohl er den Bauern zugetan war, dennoch seine Leute sehr streng hielt. Er wirtschaftete nach dem alten System, das heißt, er schimpfte von früh bis abends. Man erzählte, daß, wenn er auf seinem Balkon zu fluchen begann, man ihn bis weit in das Dorf hinein hören konnte. Einmal kam er in die Schmiede, fand etwas nicht in Ordnung und schimpfte den Schmied, wie den Ärgsten, zusammen. Der Schmied machte Bücklinge und hörte demütig zu, aber der Zufall wollte, daß die kleine Hanka sich damals vor der Schmiede befand, und als sie sah, was vorging, nahm sie eine kleine Gerte in die Hand und schlug damit Zarnowski auf die Füße: »Wirst du noch mein Väterchen anschreien? du!« Der Selige war im ersten Moment ganz starr, dann aber fing er so zu lachen an, daß sein Zorn gleich verschwand …

»Diese Hanka gefällt mir«, sagte Gronski.

»Dem Onkel gefiel sie so gut, daß er am selben Tage der Frau des Schmieds einen Rubel übersandte und sie mit dem Mädel in den Gutshof kommen ließ. Seit dieser Zeit hat er sie ungemein gern gehabt. Er befahl seiner alten Wirtschafterin, dem Kinde das Lesen beizubringen, und er selbst beaufsichtigte den Unterricht. Das Kind schloß sich ihm an, und dies dauerte jahrelang fort. Endlich sagten die Leute, daß der Herr das Schmiedmädel ganz ins Herrschaftshaus nehmen und zum Fräulein erziehen wolle, aber es scheint, daß dies nicht der Fall gewesen ist. Er wollte sie gewiß zu einer tüchtigen Landwirtin erziehen und ihr sodann eine Mitgift geben. Die Skibas, bei denen sie die einzige war, sollen sich geäußert haben, sie würden sie um nichts in der Welt weggeben. Ich weiß ja nur das, was mir der Vogt erzählt hat, weil unser Verkehr mit dem Verstorbenen fast gänzlich aufhörte, und zwar eben wegen dieser Mühle, deren Wasser er uns in seine Teiche abgeleitet hatte.«

»Und nachher wanderten die Skibas aus?«

»Ja, aber vorher schon fing Zarnowski zu kränkeln an, er siedelte nach Warschau über, weilte dann im Auslande, und das Verhältnis lockerte sich nach und nach. Als Skibas fortzogen, war das Mädchen bereits über sechzehn Jahre alt. Der Onkel, der nach Rzenslewo zurückkehrte, um hier zu sterben, soll, wie man erzählt, sich nach ihr gesehnt und von ihr Nachricht erwartet haben. Da er aber vorher auch die Möbel von Rzenslewo nach der Stadt schaffen ließ, mutmaßte sie wahrscheinlich nicht, er werde zurückkehren, und wußte nicht, wohin zu schreiben.«

»Das Legat beweist am besten, daß er sie nicht vergessen hat«, erwiderte Gronski. »Aus diesem ganzen Testament ersieht man, daß er ein hochherzigerer Mensch war, als die Leute glaubten.«

»Sicherlich«, erwiderte Krzycki.

Eine Zeitlang gingen sie schweigend weiter, worauf Wladislaw wieder zu sprechen begann:

»Was mich anbelangt, so ist es mir lieber, daß sie nicht die Tochter des Seligen ist.«

»Warum? Hat das eine Bewandtnis mit dem Legat?«

»Nein. Das Legat nehme ich auf keinen Fall an.«

»Also gut. Nur sage mir, weshalb hast du dich so verwahrt, daß alle sich gewundert haben?«

»Weil es einen Umstand gibt, den niemand mutmaßt, und den ich Ihnen aufrichtig gestehen werde. Nämlich, ich habe dies Mädchen seinerzeit betört.«

Gronski blieb plötzlich stehen, schaute Krzycki an und rief:

»Da haben wir die Bescherung!«

Und da er solche Sachen nicht auf die leichte Achsel nahm, und die vorherige Erzählung ihn sympathisch für Hanka stimmte, runzelte er die Brauen und fragte:

»Um Gottes willen, ein Kind hast du betört? Was nennst du seinerzeit?«

Doch Krzycki antwortete ziemlich ruhig:

»Halten wir uns nicht zu lange auf, denn der Hund wird zu weit vorauseilen«, und er zeigte auf den weißen, vor ihnen laufenden Windhund.

»Ein Kind habe ich nicht betört, da sie doch damals sechzehn Jahre alt war; es geschah vor sieben Jahren, als ich noch Student war und in Jastrzemb meine Ferien verbrachte.«

»Waren Folgen?«

»Soviel ich weiß, nicht. Sie begreifen doch, daß, als ich in den nächsten Ferien wiederkam und weder sie noch Skibas antraf, ich nicht zu fragen wagte, weil ›dem Diebe die Mütze brennt‹. Aber heute fragte ich wie von ungefähr den Vogt, ob Skibas vielleicht nicht deshalb ausgewandert seien, weil dem Mädel etwas passierte. Er bestritt dies.«

»Um so besser für sie und für dich.«

»Gewiß, desto besser, weil sonst dies nicht geheim bleiben könnte und die Mutter alles erfahren würde.«

»Und hättest du da Ungelegenheiten?«

Gronskis Stimme klang ironisch, aber der in eigene Gedanken versunkene Krzycki bemerkte es gar nicht und sagte:

»In diesem Falle hätte ich Ungelegenheiten, denn die Mutter ist in solchen Dingen sehr strenge. Darum bin ich heute gescheiter und tue so, wie ein Wolf, der nie in der Gegend Schaden anrichtet, wo er sein Lager hat. Damals war ich dümmer und nicht so vorsichtig.«

»Hol dich der Geier!« rief Gronski.

»Was ist denn?«

»Nichts, sprich weiter!«

»Ich habe nicht viel mehr zu erzählen. Aber, um auf das Legat zurückzukommen, verstehen Sie nun, warum ich es nicht annehmen konnte?«

»Vielleicht verstehe ich, aber ›erwähne mir deine ausgezeichneten Gründe‹, wie Shakespeare sagt.«

»Es kommt auf dem Lande mehrfach vor, daß man ein Mädel betört, doch nachher ihm noch das, was ihm bestimmt ist, fortzunehmen, das wäre schon zu viel des Guten. Vielleicht lebt sie dort wo in Amerika in Not und Elend.«

»Alles möglich«, erwiderte Gronski.

»Falls nun die Anzeigen, die ich in den Tagesblättern veröffentlichen soll, zu ihrer Kenntnis nicht gelangen, würde ich ihr Geld für mich verwenden, während sie dort vielleicht hungert. Nein! Alles hat seine Grenzen. Ich bin kein außerordentlicher Pedant, doch gibt es Dinge, die ich absolut nicht tun könnte.«

»Gestehe mir, aber ganz aufrichtig, ob du für sie eine Neigung hast?«

»Ich sage aufrichtig, daß ich sie ganz vergessen habe. Jetzt erinnere ich mich ihrer und selbstverständlich bin ich ihr nicht böse. Solche Erinnerungen können nicht unangenehm sein, höchstens, daß sich mit ihnen ein Kummer verbindet … Wir waren ja beinahe Kinder, und der reine Zufall hatte uns zusammengeführt.«

»Erlaube noch eine Frage. Wenn der selige Zarnowski ihr ganz Rzenslewo und alles Kapital verschrieben hätte, das, im Falle sie sich während der zwei Jahre nicht meldete, dir zufallen sollte, hättest du dieses Legat nicht angenommen?«

»Auf eine Frage, über die ich nicht nachgedacht, kann ich nicht antworten. Ich will mich in Ihren Augen weder besser noch schlechter machen, als ich tatsächlich bin. Das ist aber gewiß, daß ich die Anzeigen veröffentlichen würde, und zwar volle zwei Jahre. Übrigens, was liegt Ihnen so viel an meiner Antwort?«

Plötzlich unterbrach er sich, weil aus dem nahen Birkenwäldchen ein seltsamer schnarchender Laut ertönte, und gleichzeitig zeigte sich über den Wipfeln der Birken und Erlen im Abendrot ein großer, grauer Vogel, der in gerader Linie in der Richtung nach dem Gebüsche auf der linken Wiesenseite flog.

»Schnepfen!« rief Krzycki.

Und er sprang nach vorne.

Gronski aber, der ihm folgte, dachte:

»Der hat gewiß Nietzsche nicht gelesen und dennoch kreist in seinen Adern mitsamt dem Blute ein adeliges Übermenschentum. Wenn jemand seine Schwester verführte, würde er ihn wie einen Hund totschlagen, da es sich aber um ein Dorfmädel handelt, kümmert er sich gar nicht darum.«

Dann stellten sich beide am Rande des Birkenwäldchens auf. Eine Weile war es ganz still, dann ertönte wieder über ihren Häuptern die seltsame Stimme, und die zweite Schnepfe erschien; Gronski feuerte und fehlte; Krzycki verbesserte, und man sah, wie die Schnepfe in tiefem Fluge ins ferne Gebüsch versank. Der weiße Hund schimmerte eine Weile im Zwielichte durch die Sträucher, und kam dann mit dem erlegten Vogel im Maule zurück.

»Sie war schon angeschossen«, sagte Krzycki, »die haben Sie erlegt.«

Und Gronski antwortete:

»Du bist ein höflicher Gastgeber.«

Wiederum herrschte Stille, nicht einmal vom Säuseln der Blätter unterbrochen, denn es wehte kein Hauch. Nach einiger Zeit schnarchten aber zwei Schnepfen über ihnen, eine gleich hinter der anderen, die Gronski nicht traf, die aber Krzycki mit einer Dublette glatt erlegte. Endlich erbarmte sich Gronskis eine von Verzweiflung erfaßte Schnepfe, da sie so bequem über ihm dahinzog, als wollte sie ihm jede Schwierigkeit aus dem Wege räumen. Er schämte sich fast der Freude, mit der er das Niederfallen des Vogels gewahrte, und, seiner Gewohnheit treu, über jedes Ereignis nachzudenken, kam er zum Ergebnis, daß dies eine Erbschaft der Urzeit sei, in der die Geschicklichkeit im Jagen für die Existenz des Menschen und seiner Nächsten von Entscheidung war. Aber infolge dieser Betrachtungen schoß er gar nicht auf ein Exemplar, das nach dem Gebüsche hinüberstrich und das augenscheinlich das letzte in der Zugreihe gewesen war. Unterdessen wurde es ganz dunkel, und nach einer Weile kamen Krzycki und der weiße Windhund zum Vorschein.

»Wir sind zu spät gekommen«, sagte er, »aber das macht nichts. Immerhin haben wir vier Stück für vier Damen. Morgen besorgen wir mehr.«

»Das war nur eine kleine Unterbrechung in deinen Geständnissen«, erwiderte Gronski, das Gewehr über die Schulter hängend.

»Geständnissen?« fragte Krzycki. »Aha, ja! …«

»Du sagtest, der reine Zufall habe euch zusammengeführt …«

»Es war tatsächlich so. Doch jetzt muß ich vorausgehen und Sie folgen meinen Fußtapfen, weil es hier stellenweise morastig ist. Auf diese Weise gelangen wir zur Brücke und dort findet sich schon der Weg.«

Erst als sie sich auf dem Wege befanden, begann er zu erzählen:

»Alles begann und endigte in der Mühle, die schon damals als Heulager diente, und dauerte nicht länger als zwei Wochen. Es war nämlich so: Ich ging einst mit dem Gewehr, um einem Bock aufzupassen, denn hier wechseln oftmals des Abends Rehe vom nahen Wäldchen zum Wiesenbache. Der Himmel war an diesem Tage stark bewölkt; da es aber von Osten her schön war, glaubte ich, das Wetter werde bald vorübergehen. Ich setzte mich einige hundert Schritt oder noch mehr abseits der Mühle, weil näher Leinen auf der Wiese lag, das die Rehe in Schrecken versetzen konnte, und in der Tat habe ich eine halbe Stunde später einen Bock erlegt. Allein mittlerweile fing es an zu regnen, und bald stellte sich solch ein Unwetter ein, wie ich eines solchen in Jastrzemb mich nicht erinnern kann. Ich packte meinen Bock an den Hinterläufen und rannte, was ich nur konnte, zur Mühle. Während dessen bemerkte ich, daß jemand die Leinwand fortgenommen hatte. Ich laufe in die Mühle hinein und vergrabe mich bis über die Ohren ins Heu; aber plötzlich höre ich, daß jemand neben mir atmet.

Ich frage: »Wer ist dort?« Eine dünne Stimme antwortet ›Ich!‹ – Wer ich? – ›Hanka.‹ – Was machst du denn hier? – ›Ich kam wegen der Leinwand.‹

Es fing so zu donnern an, daß ich glaubte, die Mühle gehe in Trümmer. Und erst, nachdem sich das Wetter beruhigt hatte, erfuhr ich durch meine fortwährenden Fragen, daß meine Gefährtin in Rzenslewo wohne, sich Skibianka nenne und auf Sankt Anna sechzehn Jahre alt geworden sei. Dann – ich versichere mit meinem Ehrenworte – ohne böse Absicht, nur aus Spaß und da man immer so mit Landmädchen spricht, sage ich ihr: ›Wirst du mir ein Küßchen geben?‹ Sie antwortete nicht, aber da es heftig donnerte, schmiegte sie sich an mich, möglicherweise aus Furcht. Ich küßte sie nun auf den Mund und wirklich – ich hatte die Empfindung, als küsse ich eine duftende Blume, also wiederholte ich das Küssen nochmals, ein drittes Mal usw., sie aber erwiderte nicht den ersten, sondern vielleicht erst den zehnten oder zwanzigsten Kuß – und als das Gewitter vorbeigezogen war und wir von einander gehen sollten – hatte sie ihre Arme um meinen Hals geschlungen, und gleichzeitig fühlte ich, daß mein Antlitz von ihren Tränen feucht war. Denn sie weinte still in sich hinein, ich weiß nicht, ob nach der verlorenen Unschuld oder weil ich fortging.«

Gronski erinnerte sich unwillkürlich an das Lied der wahnsinnigen Ophelia:

»Er sprang auf, öffnete die Tür, nimmt das Morgenkleid,
Er ließ eine Jungfrau herein, aber von ihm ging sie nicht mehr als Jungfrau fort.«

Und Krzycki begann wieder:

»Beim Weggehen sagte sie mir, sie wisse, ich sei der junge Herr aus Jastrzemb, daß sie mich jeden Sonntag in Rzenslewo sähe und mich wie ein Heiligenbild bewundert hätte …«

»Aber du bist ja hübsch, daß es wirklich schon ekelhaft ist«, unterbrach ihn Gronski, ein wenig gereizt.

»Ja, ich habe schon drei oder vier graue Haare.«

»Gewiß schon seit deiner Geburt. Wie oft seid ihr denn zusammengekommen?«

»Bevor ich fortging, fragte ich sie, ob sie sich am nächsten Abend vom Hause wegstehlen könne. Sie erwiderte ja, da sie jeden Abend die bleichende Leinwand aus Furcht vor Dieben von der Wiese hole und außerdem im Sommer nicht mit den Eltern in der Hütte, sondern in der Scheune im Heu schlafe. Und dann kamen wir täglich zusammen. Ich mußte mich vor den Nachtwächtern hüten, ich stahl mich deshalb durchs Fenster hinaus, obwohl dies eine unnötige Vorsicht war, weil der Wächter so fest schlief, daß ich ihm einmal die Trompete und den Stock wegnahm. Komisch war es auch, daß ich mich mit Hanka nur nachts traf und ich eigentlich nicht wußte, wie sie aussah, wenn sie auch beim Mondenschein mir immer schön erschien. – – Unsere Ehrenbank in der Kirche steht nächst dem Altare, und die Bauernmädchen knien mehr im Hintergrunde; es gibt dort so viel rote und gelbe Kopftücher, und so viel daran steckende Blumen, daß es schwer ist, etwas deutlich wahrzunehmen. Manchmal glaubte ich, sie von weitem zu sehen, jedoch genau betrachten konnte ich sie nicht. Die Ferien gingen bald zu Ende, und als ich das nächste Mal kam, waren Skibas schon ausgewandert.«

»Du nahmst von ihr nicht Abschied?«

»Ich gestehe – nein; ich wollte es lieber vermeiden.«

»Sehntest du dich nicht nach ihr?«

»Allerdings. In Warschau sehnte ich mich ungemein nach ihr, und während des ersten Monats war ich einfach verliebt in sie. Nach meiner Rückkehr nach Jastrzemb, als ich die Mühle sah, ebenfalls, doch gleichzeitig war ich froh, daß alles zu Ende war und die Mutter nichts erfahren würde.«

So plaudernd, verließen sie den Weg und betraten die Allee, die in den Herrenhof führte, dessen niedrige Lichter in der Entfernung von fast einem Werst abwechselnd durch die Lindenzweige schimmerten oder im Blätterdickicht verschwanden.

Es war bereits Nacht, sternenglänzende helle Nacht. Es war schon ziemlich dunkel, weil der Mond noch nicht aufgegangen war, und nur der kupferfarbene Schimmer am westlichen Himmel verkündete sein baldiges Erscheinen. Tiefe Windstille herrschte. Das weite nächtliche Schweigen wurde nur vom kaum hörbaren Bellen der Hunde im nahen Dorfe unterbrochen.

Unwillkürlich sprachen Gronski und Krzycki leiser. Aber nicht alles schlief, denn einige hundert Schritt von der Allee auf der Flußwiese leuchtete ein Feuer.

»Es sind Bauern, die Pferde weiden und beim Kienlichte Krebse fangen«, meinte Krzycki. »Ich höre sogar, daß einer von den Bauern fortreitet.«

Man vernahm auch wirklich im selben Augenblicke auf der Wiese das durch Gras gedämpfte Gestampfe der Pferdehufe, und beinahe gleichzeitig ertönte die lautschallende Stimme des zweiten Hirten, der durch die nächtliche Stille dem Fortreitenden mit gedehntem Tone nachrief:

»Wojtek …! bringe mir mehr Kienspäne, weil sie mir sonst nicht ausreichen.«

Der nächtliche Reiter, der auf die Straße hinausritt, glitt bald wie ein Schatten an den Sprechenden vorüber, aber er erkannte offenbar den jungen Gutsbesitzer, nahm die Mütze ab und sagte:

»Gelobt sei Jesus Christus.«

»In Ewigkeit, Amen!«

Eine Zeitlang gingen sie schweigend weiter.

Krzycki pfiff abwechselnd vor sich hin oder rief den Hund herbei. Doch Gronski, welcher weiter darüber nachdachte, was in der Mühle geschehen, begann wieder:

»Weißt du, daß, wenn du zum Beispiel ein Engländer wärest, deine Idylle wahrscheinlich einen anderen Abschluß gefunden hätte und du eine reine Erinnerung fürs ganze Leben haben würdest, die sehr poetisch wäre?«

»Wir essen weniger Fische, daher haben wir ein anderes Temperament, als die Engländer – und was die Poesie anbelangt, war sie auch so vielleicht ein wenig vorhanden …«

»Nicht nur ein anderes Temperament, sondern auch andere Sitten, und wir erlauben uns in ihrem Rahmen viel mehr. Sie haben gesundere und zugleich selbständigere Seelen und entlehnen ihre Moral nicht französischen Büchern …«

Hierauf sann er eine Weile nach und fuhr fort: »Du meinst, in eurem Verhältnisse wäre auch so ein wenig Poesie gewesen. Gewiß – aber nur, wenn man's mit Hankas Augen betrachtet, nicht mit den deinigen. In ihr ist wirklich etwas Poetisches, denn aus deinen eigenen Worten folgt, daß sie dich innig liebte.«

»Das unterliegt keinem Zweifel«, fiel Krzycki ein. »Wer weiß, ob ich je im Leben wieder so geliebt sein werde.«

»Ich glaube es auch nicht. Und darum wundere ich mich, daß dieser Stein in die Untiefen deines Gedächtnisses fiel und nachher sich alles wieder in dir so ausgeglichen hat.«

Krzycki fühlte sich durch diese Äußerung etwas pikiert, weshalb er antwortete:

»Aufrichtig gestanden, habe ich Ihnen nur darum alles dies erzählt, um zu erklären, weshalb ich mich weigerte, das Legat anzunehmen, und in meiner Seelennaivität erwartete ich, von Ihnen belobt zu werden. Und Sie suchen an mir nur wunde Stellen. Es wäre mir ja viel lieber, wenn dies alles nicht geschehen wäre, doch da es geschah, ist es besser, darüber nicht nachzudenken. Denn hätte ich so viel Millionen, als es jährlich verführte Mädchen auf dem Lande gibt – könnte ich nicht nur Rzenslewo, sondern den halben Bezirk kaufen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, daß jene es selbst nicht zu tragisch nehmen und nicht alles unglücklich endigt. Es wäre einfach lächerlich, wenn ich mich hierüber mehr grämen würde, als Hanka, die sich wahrscheinlich darüber gar nicht gegrämt hat …«

»Woher weißt du das?«

»Weil es gewöhnlich so ist. Und selbst wenn es anders wäre, was könnte ich dafür? Ich werde ja nicht hinfahren und sie jenseits des Ozeans suchen. In einem Buche wäre es sehr romantisch, aber in der Wirklichkeit habe ich eine Wirtschaft, die ich nicht verlassen werde, und eine Familie, die ich nicht opfern darf. So eine Hanka, deren Andenken, unter uns gesagt, Sie mir getrübt haben, kann das ordentlichste, liebste Mädchen sein – aber heiraten würde ich sie doch nicht. Also was kann ich schließlich tun?«

»Ich weiß nicht, aber du mußt gestehen, daß man einen unangenehmen moralischen Nachgeschmack in solcher Lage hat, in welcher man nach vollbrachtem Vergehen sich selbst oder auch andere fragt: Was soll ich tun?«

»Ach, das ist nur eine › façon de parler‹", erwiderte Krzycki, »denn eigentlich weiß ich es ganz genau. Ich lasse Anzeigen drucken, und das wird das Ende sein. Die Buße, die mir der Geistliche seinerzeit auferlegte, habe ich absolviert und mehr zu büßen fällt mir nicht ein.«

Hierauf Gronski:

» ›Sero molunt deorum molae‹.« Verstehst du, was das auf Polnisch bedeutet?«

»Als ich die Wirtschaft in Jastrzemb übernahm, habe ich das Latein auf den Feldern gesät, aber es ging nicht auf.«

»Das heißt, die Mühlen der Götter mahlen langsam.«

Krzycki lachte, und, die Hand nach der Richtung der alten Mühle hinstreckend, sagte er:

»Diese wird gar nichts mehr mahlen. Dafür verbürge ich mich.«

Das fernere Gespräch unterbrach, als sie dem Tore nahe waren, die Begegnung zweier undeutlicher Gestalten, mit denen sie fast aneinanderstießen, denn trotzdem der Mond schon aufgegangen, war es in der alten Lindenallee ganz finster.

Krzycki war überzeugt, daß die zugereisten Damen ihren Abendspaziergang machten, aber sicherheitshalber fragte er:

»Wer ist dort?«

»Wir sind es«, erwiderte eine unbekannte Frauenstimme.

»Nämlich wer?«

»Die Dienstmädchen der Frau Otocka und des Fräulein Anney.«

Der junge Mann erinnerte sich an das Mädchen, durch dessen schwarzes Köpfchen ihm während der Maiandacht das schimmernde Haar der Engländerin verdeckt wurde.

»Aha«, sagte er, »fürchten sich denn die Fräulein nicht in solcher Dunkelheit? Euch kann ja noch der Werwolf entführen.«

»Wir fürchten uns nicht«, antwortete dieselbe Stimme.

»Vielleicht bin ich selbst der Werwolf?«

»Ein Werwolf schaut nicht so aus.«

Beide Mädchen lachten auf, aber zugleich zogen sie sich ein wenig zurück, und in demselben Augenblick beleuchtete ein lichter Strahl, der sich durch die Blätter drängte, eine weiße Stirn, schwarze Brauen, und die grünlich schillernden Augen einer von ihnen.

Krzycki, den die Worte schmeichelten, daß ein Werwolf nicht so aussehe, schaute in diese Augen und sagte:

»Gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Die Damen waren bereits mit Dolhonski im Speisezimmer, wo man mit dem Nachtmahle nur noch auf die Jäger wartete, die nach ihrer Heimkehr sich umkleideten.

Fräulein Marie setzte sich am Tischende zu den Kindern und sprach ein wenig mit ihnen, ein wenig mit Laskowicz, der ihr etwas sehr lebhaft erzählte und sie dabei beharrlich betrachtete, doch ohne die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu lenken.

Gronski bemerkte es jedoch sogleich bei seinem Eintritt, und weil der junge Student seit der Zeit, als er von dessen Agitation unter den Rzenslewoer Bauern erfahren, ihn interessierte und beunruhigte, wollte er auch an dem Gespräche teilnehmen. Aber Fräulein Marie unterbrach es fast in demselben Augenblicke, und als sie die letzten Sätze angehört hatte, gesellte sie sich zu den übrigen Damen, die sich jetzt nach dem Jagdergebnis erkundigten. Es zeigte sich dabei, daß weder Fräulein Anney noch die beiden Schwestern Schnepfen je anders als auf der Schüssel gesehen hatten, und, nachdem nun der alte Diener auf Krzyckis Geheiß vier tote Opfer hereinbrachte, betrachteten sie dieselben neugierig, äußerten dabei Worte verspäteten Mitgefühls für deren tragisches Los und erkundigten sich nach ihren Lebensgewohnheiten.

Wladislaw Krzycki, den die Tierwelt seit seiner frühesten Jugend interessierte und beschäftigte, erzählte beim Nachtmahl von den wunderlichen Gewohnheiten dieser Vögel und ihren geheimnisvollen Wanderungen, wobei er sich hauptsächlich an Frau Otocka wandte, weil ihn zum erstenmal ihre ungewöhnliche Schönheit frappierte.

Zwar war ihm ein anderer, weniger subtiler Schönheitstypus lieber, da er stattlichere Frauen vorzog – aber er bemerkte dennoch, daß an diesem Abend Frau Otocka mit einem Worte wunderbar aussah. Ihr außerordentlich zarter Teint erschien noch zarter im schwarzen, spitzenbesetzten Kleide, in ihren Augen, in der Lippenlinie, im Gesichtsausdrucke, in der ganzen Gestalt war etwas so Jungfräuliches, daß, wer von ihrem Witwenstande nichts wußte, sie für ein Fräulein und selbst für ein ganz junges Mädchen aus einem guten Landhause hielt.

Seit der Ankunft dieser Damen trat zwar Wladislaw zur Partei des Fräulein Anney über, nun aber mußte er im Grunde der Seele sich gestehen, daß die junge Engländerin durchaus kein Exemplar einer so raffinierten Rasse sei – noch mehr –, daß sie heute ihm viel weniger schön erschien, als diese »subtile Cousine«.

Aber gleichzeitig machte er eine seltsame Entdeckung, und zwar, daß diese Erkenntnis seiner Sympathie für das goldhaarige Fräulein keinen Abbruch tat, sondern ihn gewissermaßen innig rührte und ihn noch freundschaftlicher für sie stimmte. Er hatte ein Gefühl, als ob er durch diesen Vergleich mit Frau Otocka der Engländerin ein unverdientes Leid zufügte, wofür er sie um Verzeihung bitten müßte: »Ich muß fest bleiben«, dachte er, »denn sonst falle ich hinein.« Er fing sogleich an, den blauen Streifen ihrer Blicke zu suchen, und als er diesen fand – trank er tropfenweise deren neblige Lasur.

Mittlerweile begann Frau Krzycka, die wissen wollte, welche Absichten für die nächste Zukunft die Schwestern hätten, Frau Otocka auszufragen, ob sie diesen Sommer ins Ausland reisen würden, und wohin.

»Mich«, sagte sie, »schickt der Arzt wegen meines Rheumatismus in ein Schlammbad, aber ich möchte sehr gern noch einen Sommer mit euch verbringen.«

»Auch wir haben von unserem gemeinsamen Aufenthalt in Krynica nur die angenehmsten Erinnerungen«, erwiderte Frau Otocka. »Eigentlich sind wir ganz gesund und würden am liebsten auf dem Lande bleiben, und noch lieber die Tante mit allen Angehörigen zu uns einladen, wenn die Zeiten jetzt nicht so unsicher wären und man nicht weiß, was morgen kommt. Aber falls es dich beruhigt, muß die Tante unbedingt nach ihrer Kur zu uns kommen.«

Nachdem sie dies gesagt, küßte sie zärtlich die Hand der Frau Krzycka, welch letztere erwiderte:

»Wie lieb und gut bist du! Herzlich gern möchte ich euch besuchen, allein bei meinem Gesundheitszustande darf man nicht auf die Stimme des Herzens hören, sondern man muß auf verschiedene versteckte Beschwerden acht geben. Dabei sind die Zeiten tatsächlich unruhig, und ich verstehe, wenn alleinstehende Frauen auf dem Lande sich jetzt ein wenig ängstigen. Kannst du auf einige deiner Leute in Zalesie sicher rechnen?«

»Ich fürchte unsere Leute nicht, denn sie waren meinem Manne sehr zugetan und übertrugen dies Gefühl jetzt auf mich. Mein Mann erwies ihnen viel Gutes, er lehrte sie vorerst den Patriotismus und führte gleichzeitig verschiedene Institutionen ein, die nirgends anders zu finden waren. Wir haben eine Kleinkinderbewahranstalt, ein Krankenhaus, eine Badeanstalt, Obstbaumschulen, wo man Bäumchen verteilt. Sogar artesische Brunnen ließ mein Mann graben, um das Dorf mit gesundem Wasser zu versorgen.«

Dolhonski, der dies gehört, beugte sich zu Krzycki und flüsterte:

»Phantastereien eines Kapitalisten. Er betrachtete seine Frau und Zalesie als zwei Spielzeuge, die er verhätschelte, und er spielte die Rolle eines Philanthropen, weil seine Mittel es ihm erlaubten.«

Allein Frau Krzycka fragte weiter:

»Wer regiert jetzt in Zalesie?«

Und die junge Witwe gab lächelnd zur Antwort, nachdem sie die momentanen traurigen Erinnerungen abgeschüttelt:

»In der Umgebung heißt es so: In Zalesie regiert Dworski – der ist der frühere Rechnungsführer meines Mannes, der sehr anhänglich an uns ist –, den Dworski regiere ich und mich regiert Marie.«

»Und das ist richtig«, erwiderte Fräulein Anney, »und noch mit dem Zusatze, daß sie auch mich beherrscht.«

Dazu schüttelte Fräulein, Marie den Kopf:

»Wenn die Tante wüßte, wie die beiden mich manchmal hofmeistern!«

»Ich sehe zwar nichts dergleichen, aber ich denke, es kommt die Zeit, daß auch dich jemand regieren wird.«

»Sie ist schon gekommen«, entschlüpfte es Fräulein Marie.

»Nun, da bin ich wirklich neugierig! Wer ist denn dieser Despot?«

Und die kleine Geigerin wies schnell mit dem Fingerchen auf Gronski und sagte:

»Dieser Herr da.«

»Jetzt verstehe ich«, sagte Dolhonski, »warum er damals, als wir vom Notar zurückkamen, über seinem Kopfe eine ganze Teekanne mit heißem Wasser hatte.«

Gronski zuckte mit den Achseln wie ein Mensch, dem man ganz unmögliche Dinge einreden will, und rief:

»Ich ein Despot? Ich bin ja das am meisten hypnotisierte Opfer!«

»Herr Laskowicz ist ein Hypnotiseur, aber nicht ich«, erwiderte das junge Mädchen. »Er gestand es mir vor dem Abendessen und erklärte mir das Wesen des Hypnotismus.«

Gronski blickte auf das andere Tischende in der Richtung nach dem Studenten, und sah seine leuchtenden, hartnäckig auf Fräulein Marie gerichteten Augen.

»Na«, dachte er, »dieser probiert wirklich an ihr die Kraft seines Blickes.«

Er runzelte die Stirn und wandte sich an Marie:

»Was eigentlich Hypnotismus ist, weiß niemand genau. Man sieht nur, wie er sich offenbart, und nichts weiter. Aber wie erklärt es Herr Laskowicz?«

»Er sagte, was ich schon früher gehört habe, daß die eingeschläferte Person alles tun müsse, was ihr derjenige, der sie eingeschläfert hat, befiehlt, und sie ihm sogar noch im wachen Zustande untertan sei.«

»Das ist nicht richtig«, erwiderte Gronski.

»Auch ich glaube es nicht, er behauptete dabei, daß er auch mich leicht in Schlaf versetzen könne; aber das dürfte wohl nicht der Fall sein.«

»Ausgezeichnet! Und solche Dinge interessieren Sie?«

»Der Hypnotismus weniger. Wenn es schon etwas Geheimnisvolles sein soll, so höre ich lieber Geistergeschichten, und besonders gefallen mir Erzählungen von kleinen Seelchen, von denen einer unserer Nachbarn in Zalesie zu berichten weiß. Er sagt nämlich, daß sie Wichtelmännchen heißen, Unfug in alten Häusern treiben, und man sie erblicken kann, wenn man nachts durchs Fenster in ein Zimmer schaut, wo ein Kaminfeuer brennt. Sie fassen sich dann bei den Händchen und tanzen vor dem Feuer.«

»Das sind ja lustige Seelchen!«

»Und gar nicht bösartig, obwohl mutwillig. Unser Nachbar, ein Greis, glaubt heilig und fest an sie und streitet sich deswegen fortwährend mit dem Pfarrer. Er sagt, daß es deren bei ihm eine Menge gebe, und daß sie bei ihm verschiedenen Schabernack anstellten; manchmal ziehen sie an der Uhrschnur, damit sie läutet, manchmal verstecken sie die Pantoffeln oder auch andere Gegenstände, lärmen nachts, spannen Grillen den Nußschalen vor und kutschieren so in den Zimmern umher; in der Küche naschen sie die Haut von der Milch und werfen ins Feuer Erbsen, damit sie knallen. Wenn man ihnen aber nichts Böses antut, sind sie sogar freundlich gesinnt, vertreiben Mäuse und Spinnen und geben acht, daß der Schwamm nicht den Fußboden vernichtet. Dieser Nachbar war einmal sogar sehr gebildet, wurde aber auf seine alten Tage ein Sonderling und erzählt alles dieses nun im vollsten Ernst. Wir lachen selbstverständlich darüber, obwohl ich gestehe, ich würde sehr wünschen, daß solche wunderliche und geheimnisvolle Welt wirklich existiere. Es wäre dann so gut und schön und weniger traurig.«

Hier schaute sie mit träumendem Blick vor sich hin und sprach dann weiter:

»Ich erinnere mich, daß, als wir zuweilen mit Ihnen über Böcklinsche Bilder sprachen, über all diese Faune, Nymphen, Driaden, die er malte, ich es immer bedauerte, daß solches in der Wirklichkeit nicht existiere. Und manchmal schien es mir, daß es wirklich solche Wesen gibt, nur sehen wir sie nicht. Denn, nicht wahr, niemand weiß, was alles im Walde mittags oder nachts oder beim Mondschein im Nebel oder im Teiche vor sich geht, da ja niemand dabei ist? Der Glaube an etwas Derartiges ist doch gewiß keine Kinderei, da wir auch an Engel glauben.«

»Ich glaube ja an Seelchen, an Nymphen, Driaden und Engel«, erwiderte Gronski.

»Wirklich?« fragte sie, »denn Sie sprechen immer zu mir wie zu einem Kinde.«

Und er antwortete ihr – doch nur in Gedanken:

»Ich spreche wie mit einem Kinde, aber mit einem angebeteten Kinde.«

Doch das weitere Gespräch unterbrach der Diener, der Krzycki meldete, daß der Ökonom aus Rzenslewo angelangt sei und mit dem »gnädigen jungen Herrn« in dringender Angelegenheit sprechen wolle.

Krzycki entschuldigte sich bei der Gesellschaft, und mit dem bei Landwirten üblichen: »Was gibt's wieder?« verließ er das Zimmer.

Aber da das Nachtmahl fast zu Ende war, standen bald alle auf, das Beispiel der Hausfrau nachahmend, die jedoch eine Weile vergeblich sich zu erheben abmühte, denn seit zwei Tagen plagte sie der Rheumatismus heftiger denn je. Solche Anfälle hatte sie mehrfach, und dann führte sie der Sohn von einem Zimmer ins andere. Diesmal kam ihr das zunächst sitzende Fräulein Anney zu Hilfe, die sie mit ihrem Arme umfaßte und geschickt und mühelos emporhob.

»Ich danke Ihnen, ich danke«, sagte Frau Krzycka, »denn sonst müßte ich auf Wladislaw warten. Mein Gott, ist es aber gut, so stark zu sein.«

»Ach, ich bin ein wahrer Samson«, erwiderte mit ihrer anmutigen, sanften Stimme Fräulein Anney.

Aber in diesem Augenblick kam Wladislaw herbeigelaufen, der sich offenbar seiner Mutter erinnert hatte, und als er wahrnahm, was geschehen war, ausrief:

»Erlauben Sie, das ist meine Pflicht. Sie werden sich zu sehr anstrengen.«

»Nicht im geringsten!«

»Ach, Wladislaw«, sagte Frau Krzycka, »ich weiß wirklich nicht, wer von euch stärker ist.«

»Ist's wirklich so?« fragte er, mit entzücktem Blick die schlanke Gestalt des Mädchens betrachtend.

Und sie zwinkerte mit den Augen zum Zeichen, daß es tatsächlich so sei, wobei sie jedoch errötete, als wenn sie sich ihrer unweiblichen Kraft zu schämen hätte.

Krzycki aber half ihr, die Mutter im kleinen Salon vor dem Tische zu placieren, auf dem sie gewöhnlich des Abends Patience zu legen pflegte. Bei dieser Gelegenheit berührte er unwillkürlich mit seinem Arm den des Fräulein Anney, und als er diesen jungen, wie stählernen Körper spürte, durchzuckte ihn plötzlich die Glut des Begehrens, und zugleich durchströmte ihn das Gefühl einer elementaren, ungemein wohligen Kraft. Wenn er Gronski wäre und je im Leben den »Hymnus an die Venus« von Lucretius gelesen hätte, könnte er sich diese Kraft erklären und sie mit richtigem Namen benennen. Doch da er nur ein gesunder, siebenundzwanzig Jahre zählender Edelmann war, dachte er nur, daß, wäre es ihm erlaubt, so ein Mädchen ganz ans Herz zu drücken – es sich lohnen würde, für solch einen Moment ganz Jastrzemb, Rzenslewo und selbst sein Leben hinzuopfern. Aber indessen mußte er zum Rzenslewoer Ökonomen zurückkehren, der in der Kanzlei mit einer wichtigen Angelegenheit seiner harrte. Das Gespräch mit demselben dauerte so lange, daß, als Krzycki wieder im Salon erschien, die jungen Damen bereits auf ihrem Zimmer waren und er nur seine Mutter nebst Gronski und Dolhonski vorfand, welch letzterer mit sich selbst Bakkarat spielte.

»Was gibt's Neues?« fragte Frau Krzycka.

»Gar nichts Gutes. Nur beunruhigen Sie sich nicht, Mama, denn hier ist ja Jastrzemb und nicht Rzenslewo, und im Grunde genommen kann es uns ganz gleichgültig sein. Doch gehen dort immerhin seltsame Dinge vor, und Kapuscinski tat recht daran, hierher zu kommen.«

»Um Gottes willen! Wer ist denn dieser Kapuscinski?« rief Dolhonski, indem er das Monokel vom Auge fallen ließ.

»Der Ökonom von Rzenslewo. Also er erzählt, daß dort unbekannte Individuen, angeblich aus Warschau, auftauchten Und wie im eigenen Hause sich breit machen. Sie erteilen Befehle, rufen die Bauern zusammen, wiegeln sie auf, versprechen ihnen Grund und Boden, weisen sie an, sich das Inventar anzueignen und verkündigen, daß es bald in ganz Polen ähnlich wie in Rzenslewo ausschauen wird …«

»Und die Bauern? Und die Bauern?« unterbrach Frau Krzycka.

»Einige glauben daran, die anderen nicht. Einige Besonnene versuchten sich zu widersetzen, diesen aber droht man einfach mit dem Tode. Die Knechte aus dem Herrschaftshause wollen Kapuscinski nicht mehr gehorchen und erklären, daß sie nur das Vieh füttern und weiden, aber keine andere Arbeit anrühren wollten. Über zehn Kleinhäusler rüsten sich schon, um mit Äxten in den Wald zu gehen – und drohen, die Waldhüter zu erschlagen, wenn diese das Fällen der Bäume nicht gestatten. Kapuscinski war ganz kopflos und kam zu mir, als zu einem der Testamentsvollstrecker, um sich Rat zu holen.«

»Und was rietest du ihm?«

»Ich? Da er erklärte, in Rzenslewo des Lebens nicht mehr sicher zu sein, riet ich ihm vor allem, bei uns in Jastrzemb zu übernachten. Ich wollte vorher mit euch und der Mutter darüber sprechen, denn hier ist's nicht leicht zu raten, und die Lage ist schwierig. So etwas kann nicht ständig dauern und heute oder morgen wird sich dies alles an den Bauern rächen. Dem muß man absolut vorbeugen. Ich muß aufrichtig gestehen, daß ich seit zwei Tagen darüber nachdenke, ob ich mich nicht des Kuratoriums der künftigen Schule und überhaupt der Rzenslewoer Angelegenheiten ganz entledigen soll. Ich war nur deshalb unentschlossen, weil es ein Dienst fürs öffentliche Wohl ist, in Wirklichkeit bin ich in Jastrzemb derart beschäftigt, daß ich nicht weiß, wo anzufangen. Aber jetzt, da es sich darum handelt, die Bauern zu retten, selbst wenn es mit einiger Gefahr verbunden wäre, kann ich nicht zurücktreten.«

»Ich werde mich um dich ängstigen, allein ich verstehe dich.«

»Ich glaube, vor allem muß ich morgen nach Rzenslewo fahren, aber wenn ich dort kein Gehör finde, was dann?«

»Das wirst du nicht finden«, sagte Dolhonski, die Karten weiter austeilend.

»Wenn du hinfährst, begleite ich dich«, erklärte Frau Krzycka.

»Nur das fehlte noch! Die Mutter muß ja bedenken, daß ich in diesem Falle sehr gehemmt wäre und sicherlich nichts ausrichten würde.«

Hierauf küßte er ihr die Hand und wiederholte nochmals:

»Nein, nein! Sie verstehen ja, Mutter, daß dies noch ärger wäre, und wenn Sie darauf bestehen – möchte ich lieber nicht fahren.«

Gronski stützte den Kopf mit der Hand und dachte, es wäre viel leichter, hinter dem Schreibtische sitzend, verschiedene Lebensäußerungen zu analysieren, als angesichts der jetzt eintretenden Ereignisse zu raten. Dolhonski hörte endlich auf, mit sich selbst Bakkarat zu spielen.

»In welcher Lage wir uns befinden, das übersteigt alle Begriffe. In jedem anderen Lande würde man Polizei herbeirufen und die Sache wäre in einem Tage erledigt.«

Darauf erwiderte Krzycki beinahe ärgerlich:

»Was das anbelangt, verzeihe! Ich bin nicht derjenige, der die Polizei anruft, nicht nur nicht gegen unsere Bauern, sondern auch nicht gegen solche widrige Individuen, die jetzt in Rzenslewo sich befinden. Alles, nur das nicht!«

»Also, es lebe das Zeitalter der wahren Freiheit!«

Doch Gronski hob den Kopf und sagte:

»Wer weiß, ob nicht das Herbeirufen der Polizei Wasser auf die Mühle dieser Herrchen wäre?«

»Wieso?«

»Weil sie dann rechtzeitig verschwinden und darauf das Volk aufwiegeln und durch ganz Polen rufen könnten: ›Schaut's, wer auf die Bauern die Polizei hetzt!‹«

»Das ist eine ganz richtige Bemerkung«, sagte Krzycki, »jetzt verstehe ich verschiedene Dinge, die ich früher nicht verstand.«

»Seitdem das Testament eröffnet wurde«, sagte Dolhonski langsam, »geht mich Rzenslewo samt seinen Einwohnern gar nichts an. Aber während ich die Karten verteilte, fiel mir etwas ein: Wladek wird morgen ganz vergebens dorthin fahren – er kann nur einen tüchtigen Denkzettel bekommen, ohne daß es für jemand von Nutzen wäre …«

»So weit sind wir noch nicht, und so was fürchte ich auch gar nicht. Unsere Familie sitzt in Jastrzemb seit undenklicher Zeit, und die Bauern der Umgebung werden gegen keinen Krzycki die Hand erheben …«

»Vor allem unterbrich mich nicht«, sagte Dolhonski. »Wenn du keinen Denkzettel bekommst, und ich nehme an, daß nicht, so wirst du doch, wie du selbst vor einer Weile bemerktest, kein Gehör finden. Wenn wir beide, Gronski und ich, hinfahren würden – richten wir auch nichts aus, weil man uns beim Leichenbegängnis sah und die ehrenwerten Slawen aus Rzenslewo uns für Menschen halten, die in dieser Angelegenheit ihr eigenes Interesse haben. Es müßte ein Unbekannter dort hinfahren, der den Bauern nicht zuredet, sondern ihnen befiehlt, sich ruhig zu verhalten, wie jemand, der das Recht und die Macht hierzu besitzt. Wenn ihr so um sie besorgt seid, so ist dies der einzige Weg. Durch Gottes unerforschlichen Ratschluß existieren ja in diesem lieben Lande auch Nationaldemokraten, die ich, unter uns gesagt, so wie die Treffsieben in den Karten nicht ausstehen kann, welche aber, wenn auch nicht so schweißige, doch nicht minder schwere Fäuste wie die Sozialisten haben. Könnte man nicht dem einen mit Hilfe der anderen beikommen?«

»Aber selbstverständlich, aber selbstverständlich!« rief Gronski, »die Bauern haben auch viel mehr Vertrauen zur nationalen Partei.«

»Ich gehöre auch zu ihr mit ganzer Seele«, erwiderte Krzycki, »da ich aber wie festgewurzelt in Jastrzemb sitze, weiß ich nicht, an wen ich mich wenden soll.«

»Jedenfalls nicht an mich«, entgegnete Dolhonski.

Gronski, der zwar keiner Partei angehörte, jedoch die ganze Stadt kannte, gab mit größter Leichtigkeit Adressen sowie die Art an, wie man die Partei verständigen könne, und sagte daraufhin:

»Und nun werde ich euch denselben Rat erteilen, den du, Wladek, Kapuscinski gabst, nämlich, daß wir schlafen gehen, denn besonders Ihnen« – hier wandte er sich an die Hausfrau – »tut dies seit geraumer Zeit not. Einverstanden?«

»Einverstanden«, erwiderte Wladislaw, »aber wartet noch einige Minuten. Nachdem ich die Mutter hinaufgeführt habe, werde ich auch euch begleiten.«

In der Tat kehrte er nach einer kleinen Viertelstunde zurück, doch anstatt den Gästen, wie er versprochen, »Gute Nacht!« zu sagen, setzte er sich zu ihnen und knüpfte den Faden des unterbrochenen Gespräches wieder an.

»Ich wollte in Anwesenheit der Mutter nicht alles erzählen«, sagte er, »um sie nicht zu beunruhigen. Eigentlich steht die Angelegenheit viel schlimmer. Um vor allem das zu erörtern, was uns selbst anbelangt – stellt euch vor, daß diese Ankömmlinge sich gleich sehr angelegentlich nach Laskowicz erkundigten und daß dieser heute nachmittag in Rzenslewo war und erst eine Stunde vor unserer Rückkehr von der Jagd wieder hier eintraf. Jetzt ist es schon ganz gewiß, daß wir einen Agitator unter uns haben …«

»Wirf ihn hinaus?« unterbrach Dolhonski. »Ich an deiner Stelle hätte es schon längst getan, schon darum, weil er Augen wie ein Pavian hat. Bei einem Menschen bedeutet das Fanatismus und Dummheit.«

»Selbstverständlich mache ich morgen mit ihm kurzen Prozeß, und trotz später Stunde würde ich noch heute ihn verabschieden, wenn ich mich nicht vorher beruhigen müßte, um keinen törichten Auftritt zu veranlassen, denn dies mag ich nicht; allein anderseits möchte ich diesen Aposteln aus Rzenslewo nicht raten, nach Jastrzemb zu kommen. So wahr mir Gott helfe, ich rate es ihnen nicht!«

»Beabsichtigen sie denn, dir einen Besuch abzustatten?«

»Fast glaube ich's, und wenn auch nicht persönlich mir – so doch meinen Knechten. Sie gaben in Rzenslewo kund, daß sie in der ganzen Umgebung Landstreiks arrangieren wollten.«

»Um so nützlicher ist mein Rat, diesen Keil mit einem anderen auszutreiben.«

»Ich weiß, daß sie ländliche Streiks im ganzen Lande organisieren wollen. Das wird aber nicht gelingen, weil das Bauernvolk diese Arbeit zurückweisen wird. Jene Stadtleute haben gar keinen Begriff von den Beziehungen des Menschen zu Grund und Boden. Teilweise wird man zwar großen Schaden anrichten, und die allgemeine Verwirrung wird noch ärger werden, und nur darum ist es ihnen zu tun. Ach, Shakespeares ›Sonne der Dummheit‹ leuchtet nicht nur über unserem Lande, sondern auch im Zenit.«

»Wenn von solcher Sonne die Rede ist – können wir gleich den einstigen Königen Spaniens sagen, daß sie auf unseren Besitzungen nie untergeht.«

Und Gronski sprach weiter, indem er die Brauen dabei hochzog und die Augen nachdenklich schloß:

»Der Sozialismus … gut! Das ist etwas, was älter ist als Menenius Agrippa. Der Fluß durchströmte ganze Jahrhunderte. Manchmal, wenn andere Ideen ihn verdecken, rinnt er als unterirdischer Strom weiter, dann kommt er wieder ans Tageslicht empor. Manchmal sinkt er ein, manchmal schwillt er an und ergießt sich … Jetzt haben wir eben eine Überschwemmung, und zwar eine höchst bedrohliche, die nicht nur Fabriken, Städte und Länder, sondern auch die ganze Zivilisation überfluten kann … Dies bedroht besonders Frankreich, wo das Wohlergehen und das Geld alle übrigen Ideen vertrieben haben. Der Sozialismus ist nur die notwendige Folge. Der mit der Demagogie verehelichte Kapitalismus konnte kein anderes Kind erzeugen, und da das Kind den Kopf eines Ungeheuers und Kretins hat, um so ärger für den Vater. Es zeigt sich da, daß ein zu großer Reichtum zur nationalen Gefahr werden kann. Das ist jedoch nichts Besonderes. Das Privilegium ist eine Ungerechtigkeit, gegen welche die Menschen seit Jahrhunderten kämpften. Früher besaßen Privilegien Fürsten, Geistliche und Edelleute. Heute besitzt sie niemand – das Geld allein besitzt alle Privilegien. Selbstverständlich kämpft nun gegen dieses die Arbeit.«

»Das riecht stark nach einer Apologie des Sozialismus«, bemerkte Dolhonski.

»Nein. Das ist keine Apologie. Denn vor allem, wenn man die Sache von oben betrachtet, was ist denn diese neue Strömung anderes, wenn nicht eine neue Illusion der Menschheit in ihrer Jagd nach dem Glück? Was mich anbetrifft, behaupte ich, daß der Sozialismus erschien oder vielmehr in unserem Zeitalter so enorm stark wurde, weil er so stark werden mußte. Es handelt sich nur darum, wie er aussieht und ob er nicht ein anderes Antlitz haben könnte. Und hier fängt meine Kritik an. Ich rechne den Sozialisten ihren Sozialismus nicht als Sünde an, sondern das eben, daß diese Idee in ihrer Schule die Gesichtszüge eines böswilligen Idioten immer mehr annimmt. Den Unserigen werfe ich eine geradezu fabelhafte Dummheit vor. Denn was würde man z. B. über Ameisen sagen, welche die Angelegenheiten der Arbeiterinnen verhandeln und sich darum in jenem Momente herumbeißen würden, in welchem auf dem Ameisenhügel ein Ameisenbär liegen und sie zu Tausenden verschlingen würde?«

»Ganz richtig!« rief Krzycki.

»Und auf unserem Ameisenhügel liegt ja ein ganzes Heer von Ameisenbären«, schloß Gronski.

Hier ließ Dolhonski das Monokel vom Auge herabgleiten.

»Damit wir nicht unter einem unangenehmen Eindrucke uns zur Ruhe begeben«, sagte er, »werde ich euch eine Anekdote erzählen, die in gewisser Beziehung zu dem steht, was Gronski sagt. Ein schwarzer König im französischen Kongo hörte von der letzten Pariser Ausstellung und erklärte, sie besuchen zu wollen. Die Verwaltung der Kolonie, der es daran lag, möglichst viel exotische Gestalten nach Paris zu bringen, war nicht nur damit einverstanden, sondern sandte auch dem erwähnten Herrscher einige Hemden mit der Erklärung, dieses wäre ein unumgänglich notwendiges Kleidungsstück in Frankreich. Selbstverständlich wurden die Hemden allgemein bewundert und angestaunt. Der König berief Minister, Priester und die Häuptlinge verschiedener Parteien, um mit ihnen zu beraten, wie man eine derartige Maschine anzöge. Nach langen Debatten, bei denen es wahrscheinlich nicht an Reibungen der Realisten mit den lokalen Nationalisten und Fortschrittlern gefehlt hat, wurde endlich jeder Zweifel beseitigt. Der König zog die Hemdärmel auf die Füße so an, daß die Manschetten die Knöchel bedeckten. Den unteren Hemdrand, der nun zum oberen wurde, zog man mit Schnüren so unter den Armen zusammen, daß die Hemdbrust auf den Rücken zu liegen kam und der Halsausschnitt – – ein bißchen mehr nach unten gelangte. Der durch diese Lösung der Schwierigkeiten hocherfreute Herrscher gestand sogar, daß dieses Kleidungsstück, wenn auch nicht ganz, so doch in gewisser Hinsicht sehr praktisch, besonders aber sehr effektvoll sei.«

»Gut«, sagte lächelnd Gronski, »welchen Zusammenhang hat dies mit dem vorher Gesagten?«

»Einen größeren, als du glaubst«, erwiderte Dolhonski, »denn es ist ja bekannt, daß verschiedene Slawen bereit sind, die Freiheit, unsere Sozialisten aber den Sozialismus in der Weise zu tragen, wie jener Mohrenkönig das europäische Hemd.«

Nachdem er dies erklärt, preßte er wieder das Monokel ins Auge und sagte, daß, da im tugendsamen Jastrzemb und mit solchen Genossen von einer nächtlichen Kartenpartie nicht die Rede sein könne, er der Gesellschaft »Lebewohl« zurufe und schlafen gehe.

Seinem Beispiel folgten Gronski und Krzycki.

Wladislaw nahm eine Lampe und begann den Gästen zu leuchten, doch auf der Treppe wandte er sich ihnen mit einem Gesicht zu, auf dem die schlechte Laune ausgeprägt war, und sagte:

»Hol' es der Teufel, daß alle diese Sachen passieren, wo wir in Jastrzemb so angenehme Damen haben!«

»Hüte dich und merke es dir«, erwiderte Dolhonski, »daß meinem Auge nichts verborgen bleibt. Als du Fräulein Anney die Mutter begleiten halfst, sahst Du wie eine Elektrisiermaschine aus. Hätte jemand durch dich Drähte gezogen, so könnte er nicht nur das Herrschaftshaus, sondern auch das Gesindegebäude beleuchten.«

Und Krzycki hob die Lampe so in die Höhe, daß sein Gesicht im Schatten blieb, denn er fühlte, daß er in diesem Augenblick wie ein Schulbub errötete.


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