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X.

Die Entfernung der Stadt von Jastrzemb betrug nicht mehr als anderthalb Meilen. Gronski, der Notar und Szremski waren daher schon um vier Uhr an Ort und Stelle. Man wartete auf sie mit dem Mittagsmahle; indessen zeigte Wladislaw den Damen die Sägemühle, der Arzt begab sich zu Frau Krzycka, und Gronski ließ den Sattel auspacken und in das Zimmer des Fräulein Marie hinaufbringen.

Nach einer halben Stunde kehrten die jungen Herrschaften zurück, begrüßten den Notar und versammelten sich, das Mittagsmahl erwartend, im Salon.

Als der Notar Fräulein Marie erblickte, vergaß er das Todesurteil, den Sozialismus, die Stadtereignisse, kurzum die ganze Welt, küßte Marie die Hand und nahm sie ganz für sich in Beschlag. Gronski verriet der Frau Otocka den Grund seiner Expedition in die Stadt und Krzycki sprach mit Fräulein Anney und widmete sich ihr so angelegentlich, als ob außer ihnen niemand im Salon anwesend wäre. Man merkte, daß sein Morgenruf: »Man kann den Kopf verlieren!« nur die Bestätigung eines Symptoms war, das sich mit jedem Augenblick potenzierte.

Sein äußerst jugendliches, hübsches Gesicht leuchtete wie das Morgenrot, denn er hatte wirklich im Herzen das Morgenrot eines neuen, freudigen Gefühls, das durch die Augen, das Lächeln des Mundes, durch jede Bewegung und durch jedes Wort, mit dem er sich an Fräulein Anney wandte, strahlte. Ein stets mächtigerer Zauber umwob ihn, ein geheimnisvoller Magnet zog ihn immer stärker zu diesem goldhaarigen, durch einen blauen Nebelstreifen blickenden jungen, verführerischen, taufrischen Mädchen hin. Er versuchte nicht mehr, sich gegen diese Macht zu wehren.

Gronski bemerkte sogar, daß er sein Entzücken zu auffallend zeige und daß er in Gegenwart seiner Mutter gewiß zurückhaltender sein würde. Dies empfand auch Fräulein Anney, denn von Zeit zu Zeit bedeckte Purpurröte ihr Angesicht, und sie schob ihren Sessel ein wenig fort, indem sie dabei die Anwesenden ängstlich betrachtete, ob die zu große Freundlichkeit des jungen Hausherrn ihr gegenüber nicht zu stark auffalle. Doch es war ihr offenbar nicht unangenehm, denn aus ihren Augen leuchtete gleichsam eine stille Freude, übrigens schaute nur Dolhonski sie ab und zu an, die anderen waren mit sich selbst beschäftigt.

Die Ankunft des Arztes unterbrach das Gespräch. Krzycki befragte ihn, nachdem er ihn den Damen vorgestellt hatte, gleichzeitig mit den letzteren um das Befinden der Kranken; der Arzt aber hatte sichtlich keine Lust zu plaudern, denn er erwiderte mit einigen Worten, wobei er seiner Gewohnheit gemäß so laut sprach, daß Dolhonski verwundert das Monokel ins Auge drückte.

»Nichts Arges! Monsumano! Monsumano! oder etwas Ähnliches! Ich schreibe alles auf. Nichts Arges – nichts.«

»Was ist denn dieses Monsumano?« fragte Wladislaw

»Das ist so ein warmes Nest in Italien, wo der Rheumatismus ausgeschwitzt wird. Eine Art Fegefeuer, worauf die Erlösung folgt. Dabei Italien! Eine schöne Reise … Ich schreibe alles genau auf.«

Gronski, der in Italien viel umhergereist war, kannte auch diese Ortschaft und begann von ihr den neugierigen Damen zu erzählen. Unterdessen sprach Krzycki mit dem Arzt über die Gesundheit der Mutter; dieser jedoch hörte ihn nur zerstreut an und wiederholte immer aufs neue: »Ich schreibe alles auf«, drehte den Kopf und betrachtete mit einer gewissen Neugier abwechselnd ihn und die Damen. Plötzlich schlug er sich mit der Handfläche auf das Knie und rief:

»Was für fabelhafte Gesichter in diesem Jastrzemb, und was für Schädel! Ha!«

Dolhonski ließ das Monokel fallen, die Damen blickten verwundert auf, und Krzycki begann zu lachen:

»Der Doktor hat die Gewohnheit, laut zu denken«, sagte er.

»Und noch lauter zu schreien«, brummte der Notar.

»Wie Ihre Flöte«, erwiderte lachend der Arzt.

In diesem Augenblicke meldete der Diener, daß serviert sei; als dies Frau Otocka vernahm, wandte sie sich mit einem sonderbaren Lächeln an die Schwester und sagte:

»Marie, du bist so zerrauft, daß du dir das Haar ordnen mußt.«

Das junge Mädchen hob die Hände zum Kopfe, da es aber im Salon keinen Spiegel gab, sagte sie etwas verwirrt:

»Bitte um Verzeihung, ich komme gleich zurück.

Sie lief auf ihr Zimmerchen, aber bald kam sie noch zerraufter mit gerötetem, strahlendem Antlitz zurück.

»Ein Damensattel!« rief sie, »ein wunderschöner Damensattel!« Und mit den Augen die Anwesenden musternd, zeigte sie auf Gronski:

»Waren Sie's?«

»Ich muß es eingestehen«, sagte Gronski, indem er die Hände auseinander breitete und den Kopf senkte.

Sie hatte große Lust, ihm die Hand zu küssen, und nur die Anwesenheit des Arztes und des Notars hinderten sie, es zu tun. Indessen fing sie an, mit ausgelassener und ganz kindlicher Freude ihm zu danken.

»Sie haben, wie ich sehe, große Lust zu reiten«, sagte Szremski.

Sie erwiderte eifrig:

»Ich habe zu allem Lust.«

»Da haben wir's«, rief belustigt der Arzt.

»Nur muß man ein ruhiges Pferd finden, denn ein Unfall ist leicht geschehen«, bemerkte der alte Notar

Es zeigte sich jedoch, daß ein solches sich finden würde, denn in der sparsamen Jastrzember Wirtschaft bildeten die Pferde das einzige jenseits der Rechnung liegende Gebiet.

Krzycki behauptete zwar, daß ihre Zucht sich rentiere, aber er züchtete sie nicht aus Gewinnrücksichten, sondern aus jener traditionellen Vorliebe für Pferde, deren Übermaß schon der Kanzelredner Skarga seinen Ahnen in ausdrucksvollen Worten vorgeworfen hatte: »Der Sohn der Stute ist euch lieber als der Sohn Gottes!« – An Pferden war also in Jastrzemb kein Mangel, und das Gespräch über diese und über das Reiten dauerte zur großen Unzufriedenheit des Notars während des ganzen Mittagsmahls.

Nun erfuhr man, daß Fräulein Marie durchaus kein Neuling war, da sie bei der Schwester in Zalesie im Sommer täglich in Begleitung des Verwalters ein dickes, breitrückiges Pferdchen, das »Krapfen« hieß, geritten hatte. Die Schwester erlaubte ihr nicht, ein anderes Pferd zu reiten, aber »was ist denn das für ein Vergnügen, auf dem ›Krapfen‹ zu sitzen? …«

Sie erzählte auch, daß dieser »Krapfen« die häßliche Gewohnheit habe, nicht dann nach Hause zurückzukehren, wenn sie wollte, sondern dann, wenn er wollte, und weder Bitten noch Drohungen könnten ihn von seinem Entschluß abbringen. Sie beneidete aufrichtig Fräulein Anney, die eine vortreffliche Reiterin war und alle Pferde in Zalesie ritt, selbst solche, die niemals gesattelt waren.

In England reiten alle Frauen, aber bei uns ängstigt sich immer der eine um den anderen. Marie hoffte jedoch, daß in Jastrzemb bei so vielen ausgezeichneten Reitern Sophie sich nicht um sie ängstigen und daß man gleich nachmittags einen Ausflug arrangieren werde, woran sie sich ebenfalls beteiligen wollte, und, Gott sei Dank, nicht mehr auf dem »Krapfen«.

Krzycki, dem die Aussicht der gemeinschaftlichen Ritte entgegenlächelte, und den die Erzählung vom »Krapfen« gleich den übrigen Zuhörern in vorzügliche Laune versetzt hatte, wandte sich an Fräulein Marie:

»Ich gebe Ihnen ein Pferd mit eisernen Füßen, das ›Schwimmer‹ heißt, weil es auch ausgezeichnet schwimmt. Es ist sechs Jahre alt, fürchtet nichts und hat Verstand für drei Pferde. Was den Ausflug betrifft, so könnte man ihn noch unternehmen, wenn nicht die Wolken am Himmel ständen; doch der Tag ist noch lang.«

»Es wird gewiß schön werden«, erwiderte Marie, »und ich kleide mich nach dem Essen sofort um.«

Gleich nach Tisch, die Gäste waren eben mit dem schwarzen Kaffee fertig, erschien sie auf der Veranda in einem schwarzen, enganliegenden Reitkleide. Sie war darin wirklich reizend, schien aber so schmal und schlank, daß Gronski, der sie mit seiner gewöhnlichen Bewunderung betrachtete, als der erste zu scherzen anfing.

»Die reine Flöte«, sagte er, »der Wind, der sich soeben erhebt, wird solch einen Strohhalm fortwehen.«

Und wahrlich, stark wehender warmer Westwind beugte schon die Baumwipfel, und am Himmel jagten Wolken, die bereits hie und da große rötliche zusammengeballte Knäuel bildeten

Krzycki befahl jedoch die Pferde zu satteln und sprang bald nach dem Stall selbst hinüber, um diese Arbeit zu beaufsichtigen. Fräulein Anney begab sich hinauf, um entsprechende Toilette zu machen, und ihrem Beispiele folgten Gronski und Dolhonski. Auf der Veranda blieben nur Frau Otocka, der Notar, der Arzt und Fräulein Marie im Reitkleide zurück. Letztere warf unruhige Blicke abwechselnd nach dem Stalle und auf den stets dunkler werdenden Himmel; in der Tat fielen bald die ersten Regentropfen, und nicht lange darauf trat ein wichtigeres Hindernis dem beabsichtigten Ausfluge entgegen, indem unverhofft die Nachbarinnen aus Gorki ankamen, die nämlichen Damen Wlocki, die bei Zarnowskis Begräbnis anwesend gewesen waren.

Die Damen kamen, um sich zu erkundigen, wie sich Frau Krzycka befinde und zugleich, um Wladislaw um Rat und Hilfe zu bitten, da in Gorki unter der Herrschafts- und Meierhofdienerschaft ein Landstreik ausgebrochen war, infolgedessen der alte Kutscher sich kaum entschließen konnte, sie nach Jastrzemb zu fahren, weil man ihn dafür mit Schlägen bedrohte. Die beiden Damen waren sehr erschrocken, sehr gepudert und mehr wie gewöhnlich pathetisch.

Nach der ersten Begrüßung, der gegenseitigen Vorstellung und einem kurzen Gespräche über den Rheumatismus der Frau Krzycka wandte sich Frau Wlocka beim Nachmittagstee mit innigen Worten an Wladislaw und beschwor ihn, daß er, den alten Rittern gleich, der bedrängten Unschuld zu Hilfe eile. Sie sagte, es sei nicht ihretwegen, da nach den Verlusten, die sie erlitten, nach den Leiden, die sie durchgemacht, ein stilles Grab auf dem Rzenslewoer Friedhofe für sie das passendste Asyl wäre; aber es bleibe eine Waise übrig, der vom Leben und von der Welt noch etwas gebühre, also möge über diesem Waisenkinde, für welches sie jeden Moment bereit sei das Leben hinzuopfern, eine freundschaftliche Obhut wachen, um es vor Schicksalsschlägen und Angriffen zu behüten!

Worauf die Waise zur Antwort gab, daß es sich nicht um sie, wohl aber um die Ruhe der Mutter handle – und auf solche Art verwandelte sich das Gespräch in einen ausschließlichen Dialog zwischen diesen Damen, in dem die Worte »Erlaube, mein Kind« – »Erlauben Sie, Mama«, sich jeden Augenblick wiederholten, und der durch das Übermaß an Opferwilligkeit beinahe einen herben Beigeschmack erhielt.

Krzycki, der diese Damen seit langer Zeit kannte, hörte sehr ernst zu. Frau Otocka betrachtete den Boden ihrer Teetasse, da sie nicht den Mut hatte, Marie anzusehen, Fräulein Marie biß die Lippen zusammen, der Notar schnarchte und kaute, und der Doktor rief sein »Ha!« so laut, daß die Fliegen von den Butter und Gebäck bedeckenden Netzhüllen erschrocken auf und davon flogen.

Draußen aber entlud sich mittlerweile ein Gewitter, und Donnerschläge unterbrachen den opfervollen Dialog zwischen Mutter und Tochter. In dem Zimmer wurde es immer dunkler, und während ein heftiger Regenguß einsetzte, erhellten Blitze das umwölkte Firmament. Dies alles dauerte jedoch nicht lange, und bald darauf fing Krzycki an zu erzählen und versprach, den Damen beizustehen, stets mit geziemendem Ernst, zugleich aber mit einem sonderbaren Gesichtsausdrucke, der verkündete, daß der junge Schalk etwas Unerwartetes im Schilde führe.

Er erklärte demnach seine Bereitwilligkeit, das Pferd zu besteigen und über Gorki zu wachen; hierauf beruhigte er die Damen mit der Versicherung, daß diese Symptome, die sie in Schreck versetzten, vorübergehen würden, in Rzenslewo geschehe jetzt dasselbe, hoffentlich werde man aber baldigst Mittel finden, um dem Übel abzuhelfen. Endlich wandte er sich an die ältere Frau Wlocka, und, indem er auf Dolhonski zeigte, sagte er ganz unerwartet:

»Ich weiß nur nicht, ob meine Obhut sich wirksam erweisen wird, denn ich muß gleichzeitig über Rzenslewo und Jastrzemb, wo wir so liebe Gäste, haben, wachen. Doch hier befindet sich Herr Dolhonski, ein Mann, berühmt durch seinen Mut, seine Energie und seinen klugen, schlagfertigen Rat, der auch mir in bezug auf Rzenslewo den besten Rat erteilt hat. Deshalb bin ich auch überzeugt, daß, wenn er geneigt wäre, die Angelegenheit von Gorki und Kwasnoborza in seine Hand zu nehmen, dort in einigen Tagen bestimmt Ruhe eintreten würde, und daß unter seinen Fittichen die Damen von keiner Gefahr bedroht wären.«

Aller Augen und insbesondere die der Mutter und der Tochter richteten sich nun auf Dolhonski. Wenn aber Krzycki der Meinung war, sich an ihm wegen seiner Naseweisheit rächen zu können, dann irrte er gewaltig, denn Dolhonski verneigte sich kaltblütig vor den Damen aus Gorki und erwiderte, jedes Wort wie gewöhnlich langsam und gedehnt betonend:

»Mit größtem Vergnügen, doch wir müssen den Regen abwarten.«

»Sie willigen also ein, unser Ritter zu sein?« rief Frau Wlocka, indem sie ihm ihre Hand entgegenstreckte und ihn zugleich mit plötzlich erwachter Aufmerksamkeit und Verwunderung betrachtete.

»Mit größtem Vergnügen«, wiederholte Dolhonski, »der Streik geht morgen zu Ende.«

Sein großes Selbstbewußtsein imponierte ein wenig allen, besonders den beiden Damen aus Gorki; gleichzeitig hatte jedoch der kühle Ton, in dem er sprach, zur Folge, daß Frau Wlocka vorläufig ihre pathetische Beredsamkeit verlor und erst nach einer Weile erwiderte:

»Ich danke im Namen der Waise.«

Doch die Waise wollte, wie es schien, lieber selbst danken, denn sie streckte Dolhonski beide Hände entgegen, und nach kurzem Schweigen, das man mit ihrer Rührung erklären konnte, sprach sie mit einer dem leisen Blättersäuseln ähnlichen Stimme:

»Mir ist es um Mama zu tun …«

»Und mir ebenfalls«, versicherte Dolhonski.

Allein Mutter und Tochter hatten jetzt wieder mit sich selbst zu schaffen:

»Erlaube, mein Kind – ich bin ja hier nichts.«

»Erlaube, Mama – Mama ist hier alles.«

»Aber verzeihe, bitte, mein Kind …«

»Aber bitte, verzeihe doch, Mama …«

Und der Kampf ums Brandopfer loderte von neuem hell auf, dauerte jedoch nicht lange, denn erstens begann der Doktor so zu lärmen, daß es schwer war, etwas zu hören, und dann ließ Frau Krzycka, welcher der junge Arzt aufzustehen und im Fauteuil zu sitzen gestattete, die Damen zu sich bitten. Nach ihrem Weggehen begab sich der Doktor in Krzyckis Kanzlei, um genau aufzuschreiben, wo und auf welche Weise man die Kur durchführen solle, der Notar aber beschäftigte sich im Vorhause mit seiner Flöte. Gronski, Dolhonski und Krzycki blieben für eine Weile allein.

Da wandte sich Dolhonski an Wladislaw:

»Was sind denn das, Gorki und Kwasnoborza?«

»Fünfzig Joch, und außerdem existiert noch Zabianka.«

»Ja, ich habe davon gehört. Grundstücke?«

»Fast wie in Rzenslewo. In Zabianka sind sie gewiß noch besser.«

»Ja, ich habe gehört. – Die Vermögensverhältnisse?«

»Gut und schlecht. Schlecht, weil die Damen nichts in die Wirtschaft stecken wollen. Gut, weil sie keine Schulden haben, und jeder Groschen, den die Wirtschaft einbringt, in den Strumpf fällt und nie mehr das Tageslicht erblickt.«

»Hier liegt der Hund begraben«, sagte hierauf Gronski.

»Ihr Geiz und ihr Pathos halten einander die Stange, und wer weiß, ob nicht der Geiz die Oberhand hat.«

»Sie mögen nur sammeln!«

Und Gronski begann zu lachen und zu zitieren:

» Sic vos, non vobis aedificatis aves – sic vos, non vobis mellificatis apes …«

»So!« sprach Dolhonski.

Dann plötzlich zu Gronski:

»Morgen halte ich um die Hand der Cousine Otocka an.«

»Du bist heute voller Überraschungen«, entgegnete Gronski.

»Warte! und bekomme einen Korb.«

»Zweifellos.«

»Ich will aber ein reines Gewissen haben. Darauf fahre ich nach Gorki.«

»Das wissen wir ja schon, und wirst die erregten Wellen des Streiks besänftigen.«

»In einem Tage. – Wie ihr mich hier sehet.«

Dann zeigte er auf Krzycki:

»Dieser simplex servus Dei wurde unwillkürlich zum Werkzeuge der Vorsehung. Übrigens bedient sich letztere öfter der Armen im Geiste … Dafür wende dich an mich in Gorki, wenn du in Jastrzemb bankrott wirst.«

»Insofern du nicht früher Gorki nivellieren wirst«, erwiderte lachend Krzycki; »du bist ein tüchtiger Nivellierer.«

»Wir leben ja im Zeitalter der allgemeinen Nivellierung. Wie heißt doch eigentlich Fräulein Wlocka?«

»Kajetana.«

» Plait-il

»Kajetana«, wiederholte Krzycki. »Ihr Vater hieß Kajetan, und zum Andenken an ihn heißt sie Kajetana.«

»Dann erkläre mir, weshalb hat diese wohlbegüterte Kajetana in jungfräulichem Stande einige dreißig Jahre ausgehalten?«

»Genau fünfunddreißig. Dies sagte mir unlängst meine Mutter, die den Tag ihrer Geburt genau kennt. Daß sie unvermählt blieb, ist leicht zu erklären. Diese Damen waren nämlich stets sehr hochnasig, an Partien fehlte es nicht. Hier herum wohnen jedoch nur einfache Edelleute; nun, und unter den Krzyckis befand sich kein Kandidat von passendem Alter. – Auch in dieser Hinsicht wirst du ihren Idealen entsprechen …«

»Das ist gut«, erwiderte Dolhonski, »nur dieser Name! … Kajetana, Kajetana! – Das kommt mir so vor wie eine Karosse oder Barke! … Was weiß ich denn! …«


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