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VI.

Einige Tage später kamen der alte Notar Dzwonkowski und Doktor Szremski, um Gronski zu besuchen. Gronski für den das eine angenehme Überraschung war, da er die beiden gern hatte und den Arzt dabei hochschätzte, bewillkommnete sie herzlich und fragte sie um alles, was es in der Stadt, in der Umgebung und bei ihnen selbst neues gebe.

»Ha! wir leben, wir leben«, erwiderte der Doktor lärmend. »In der jetzigen Zeit ist schon dies eine Kunst. Die Polizei hat uns bis jetzt nicht arretiert, die Banditen haben uns nicht erschossen, die Sozialisten uns nicht in die Luft gesprengt also nicht nur, daß wir leben, sondern wir sind auch nach Warschau gekommen … ich, weil ich weiter bis nach Wolhynien fahren muß, und dieser Mann da« – hier zeigte er auf den Notar – »wegen des Konzertes und des mitwirkenden Fräulein Marie Zbyltowska. Als er es aus den Zeitungen erfuhr, verfiel er in einen Zustand, der mich jeden Augenblick einen Anfall von Apoplexie oder Aneurismus erwarten ließ. Es war ihm nicht zu helfen! Ich mußte als Kur einen Aufenthalt in Warschau verschreiben. Er kann es jetzt überhaupt in unserem Städtchen nicht mehr aushalten und denkt daran, sein Notariat ganz aufzugeben, um dann ganz nach hier überzusiedeln … In seinem Herzen glüht ein Feuer, es schmilzt der Schnee, es taut das Eis … und so weiter. Ha!«

Bei diesen Worten bewegte der alte Notar den zahnlosen Mund so grimmig, daß das Kinn und die Nase fast einander berührten – endlich stieß er die Worte hervor'

»Mein Kopf berstet … der Kopf berstet! …«

»Immer noch die alte Fehde?« fragte Gronski lachend.

»Fehde?« wiederholte der Notar. »Nein, ich streite nicht mehr. Er erschütterte mir schon das Hirn zerrüttete meine Nerven, er betäubte, ermattete, zermalmte mich, und saugte mir den Rest meiner Kräfte aus. Seit gestern, lieber Herr, wahrend des ganzen Weges ein immerwährendes Geplapper … Dann im Hotel; seit heute früh und dann noch hier … Nein! – ich kann nicht mehr – ich kann wirklich nicht mehr .. – no! …«

»Ta, ta! Und wer ruft mich jeden Tag, wer streckt täglich seine Zunge bis zum ersten Westenknopfe heraus und laßt sie mich bewundern? Warten Sie nur, ich fahre jetzt weg, und dann können Sie selbst jeden Tag Ihre Zunge im Spiegel betrachten.«

»Sie wollen also wirklich nach Wolhynien?« fragte Gronski, »und was geschieht inzwischen mit Ihren Patienten?«

»Ich fürchte, sie werden mittlerweile gesund – es hilft aber nichts! Ich muß fahren!«

»Auf wie lange?«

»Ich weiß nicht, aber ich denke, nur für kurze Zeit, Ich bin ein Wolhynier Masure, vom dortigen Kleinadel, oder wie man sagt: ein Eingutshäusler. Sie sitzen dort größtenteils auf Pachtungen ich aber habe einen eigenen Grundbesitz, zusammen mit meinem Bruder, einem Ex-Richter, der sich jetzt mit der Landwirtschaft befaßt, zu dem fahre ich jetzt.«

»Doch nicht etwa weil er krank ist?«

»Jawohl, – er wurde verrückt.«

»Ach mein Gott! seit wann denn?«

»Erst kürzlich. Seit er ein ›Provinzpolitiker‹ geworden ist.«

»Ach! …«

»Ja! Es gelüstete den ungehobelten Kerl, einen Gutsbesitzer zu spielen und nach herrschaftlicher Gesellschaft zu verlangen, und da bekam er einen Wasserkopf. Vor einem Monat habe ich ihm zweitausend Fibeln für unsere dortigen Landleute geschickt, denn das sind arme Leute, an die niemand denkt und die unwillkürlich oder eigentlich gegen ihren Willen ihre polnische Nationalität verlieren. Und werden Sie es glauben? Er sandte mir die ganze Kiste zurück und einen Brief dazu, in dem er erklärt, er werde die Fibeln nicht austeilen. ….«

»Warum denn?« – fragte Gronski, den die Erzählung des Arztes sehr zu interessieren schien.

»Er schrieb mir vor allem, daß sie dort beschlossen hätten, nur für ihre eigene Provinz zu leben und zu arbeiten, und sich nur mit örtlichen oder richtiger Landesangelegenheiten zu befassen; zweitens trachten sie nach einer Vereinigung aller Nationalitäten, und drittens wollen sie überhaupt niemand polonisieren …«

»Es handelte sich doch aber nur um Fibeln für die Kinder des Kleinadels, die ja polnisch sind.«

»Bei ihnen heißt auch dies schon Polonisation, weil es ihren ›Zusammenschluß‹ stört – man weiß ja, womit so etwas endigen muß. Hol' sie der Teufel mitsamt ihrer ganzen Diplomatie! Aber nicht genug daran. Schließlich erklärte mir mein geniales Brüderlein, er betrachte sich für keinen Polen, sondern für einen Wolhynier mit polnischer Kultur – und dies sei sein politischer Standpunkt. Ach, Herr! – Stanczyk hatte unrecht mit seinem Ausspruche, es gäbe in Polen die meisten Ärzte – nein, in Polen gibt es die meisten Politiker! Jeder Durchschnittspole ist ein zweiter Talleyrand, ein zweiter Metternich, ein zweiter Bismarck. Er hat sich nie am politischen Leben beteiligt, er kennt die Geschichte nicht, hat nie eine Schule durchgemacht, keine Studien beendigt. Aber das schadet alles nichts! Er ist von Gottes Gnaden! Er hat von Natur aus eine Räucherkerze im Gehirn, von der er glaubt, sie nur anzünden zu brauchen, um alle Mücken und Bremsen, die unser Blut saugen, so zu betäuben, daß sie uns zu plagen aufhören. Und jeder ist überzeugt, daß er der einzige ist, der klar sieht, und daß seine Bezirks-, Orts- und Landesdiplomatie ein Universalmittel sei. Es kommt ihm nie in den Sinn, daß bei solch einer Politik dieses Vaterland, wie Johann Kasimir zu sagen pflegte, › in direptionem gentium‹ gehen muß.«

»Herr«, sagte der alte Notar zu Gronski, auf den Doktor zeigend, »Sie haben bei ihm auf einen Knopf gedrückt, so daß er erst zu reden aufhört, wenn wir weder Hand noch Fuß mehr rühren können.«

»O, das ist kein Knopf, das ist so eine wunde Stelle bei ihm«, erwiderte Gronski.

Und augenscheinlich war das für Szremski wirklich ein wunder Punkt, denn er ereiferte sich so, daß er gar nicht hörte, was neben ihm gesprochen wurde, denn er begann folgendes Zwiegespräch mit seinem abwesenden Bruder zu führen:

»Ah!? – du bist also kein Pole, nur ein Wolhynier mit polnischer Kultur? Gut! – Gut! – Dann sage ich dir vor allem, du hast dich von deinem Vater, Großvater, Urgroßvater losgesagt, du spottest ihrer Gräber, du hast die Tradition, hast deine Daseinsberechtigung verleugnet, verkleinerst dich selbst, da du die Deinigen verließest und dich zu denen begabst, die dich nicht mögen, dich nicht zu kommen gebeten haben und die dich geringschätzen, kurzum, du bliebst in der Luft hängen – und du wirst schön ausschauen in solcher Lage in deinem Wolhynien. – Zweitens muß ich dir sagen, du bist zwar noch kein Abtrünniger, denn was du tust, tust du nur aus törichter Politik, die du in deiner Unwissenheit als klug betrachtest – aber du hast der zukünftigen Abtrünnigkeit Tür und Tor bereits geöffnet. Dein Enkel oder Urenkel aber wird sich auch von der polnischen Kultur lossagen. Und endlich, wenn du behauptest, kein Pole, sondern ein Wolhynier mit polnischer Kultur zu sein, warum gehst du nicht noch weiter, etwa bis zu Darwin? Auf dieselbe Weise könntest du sagen, du seiest kein Pole, sondern ein Orang-Utang oder ein Pithekantropos mit polnischer Kultur. Was? – Aha? – Du sagst noch, du wollest niemand polonisieren. Und wie könntest du das denn? Mit der Peitsche, durch die Schulen oder den Religionszwang, durch einen Knebel für die Muttersprache? Wie? – Denn, wenn du, ohne deine Nation zu verleugnen durch deine Tugend ein glänzendes Beispiel geben wirst, wenn du jemand deinen polnischen Freiheitsdrang, deine polnische Liebe, die polnische Hoffnung, deinen Glauben an eine bessere Zukunft gibst und ihn dadurch für Polen gewinnst, – wirst du auch diese Polonisation als unzeitgemäße und schlechte Politik betrachten? Aber in diesem Falle frage ich dich, du Narr, was hast du denn besseres zu tun und wozu sitzest du dort in deinem Nest? Du weißt es nicht? – und schließlich wirst du nicht einmal wissen, wer du bist? Dann werde ich es dir sagen: Du, Bruder, bist ein schwacher Charakter, und vor allem ein schwacher Kopf!«

Hier wandte er sich an Gronski:

»Das ist es, was ich meinem Bruder zu sagen habe und deshalb fahre ich zu ihm. Dort soll ein Kongreß stattfinden, dort werde ich dasselbe mit anderen Worten öffentlich sagen.«

»Machen Sie nur, daß Sie möglichst schnell dorthin kommen«, ließ sich der Notar vernehmen.

Aber der Arzt lachte:

»Just habe ich noch soviel Zeit, um vorher das Konzert des Fräulein Zbyltowska zu besuchen.«

»Nun freilich!« sagte Gronski. »Fahren Sie nur ja! Denn Polen wird jetzt nicht nur durch feindliche Scheren von auswärts beschnitten, sondern es fängt an auch inwendig auseinanderzufallen. Fahren Sie und sagen Sie es öffentlich! Vielleicht finden einige sich, die durch die Verantwortlichkeit vor der Zukunft zurückgeschreckt werden.«

»Ich glaube das auch. Denn im Grunde nehme ich an, daß doch wohl die Mehrzahl von ihnen genau so wie früher empfindet, und daß die meisten nur deshalb so sprechen, damit das Messer, das ihnen an der Kehle sitzt, wenn auch nur für Augenblicke entfernt werden möchte. Aber sie irren auch darin. Die Folge wird nur die sein, daß man sie von unten sowohl als auch von oben nur noch mehr geringschätzt und mit Füßen tritt.«

»Wann fahren Sie denn eigentlich?«

»Der Kongreß wird erst in zehn Tagen stattfinden, also werde ich hier noch etwa eine Woche bleiben, weil ich auch in Warschau verschiedene Angelegenheiten zu erledigen habe. Unterdessen will ich Bekannte besuchen, darunter auch Frau Otocka und Krzyckis. Wie geht es Wladislaw?«

»Er ist gesund wie ein Fisch im Wasser – und heiratet demnächst.«

»Da haben wir's! Ich möchte wetten, diese reizende Engländerin! Diese Blume!«

»Jawohl! Aber es stellte sich heraus, daß sie keine englische, sondern eine echt polnische Blume und dazu eine von der Dorfwiese ist.«

»Um Gottes willen! was reden Sie da?«

»Das ist kein Geheimnis mehr. Sie heißt Hanka Skibianka.«

Nun erzählte ihnen Gronski Fräulein Anneys ganze Geschichte, ohne jedoch zu erwähnen, daß Wladislaw sie schon als Hanka gekannt hatte.

Erstaunt hörten beide zu, der Arzt aber schlug mit den Händen auf die Knie und schrie:

»Ach, wenn ich das gewußt hätte! das gewußt hätte!«

»Na, was wäre dann?« – fragte ärgerlich der Notar.

»Was wäre? Ich würde mich nicht bis zu den Ohren, sondern bis über die Ohren verliebt haben. Das ist auch sowieso fast geschehen. Ach, Krzycki! – Du Glücklicher ohne dein Verdienst! – Ich dagegen bin der richtige Pechvogel! Sobald mir eine nur ins Auge fällt, – schrecklich! – entweder schnappt sie mir ein anderer weg oder sie ist schon in einen anderen verliebt. Übrigens muß ich Fräulein Anney sehen und ihr meine Glückwünsche darbringen! Eigentlich ist ja Krzycki ein guter Junge, wenn er auch Polen nicht wieder aufbauen wird, – aber er ist doch ein guter Junge! Und sie ist hübsch, die kleine Bestie, daß es eine Augenweide ist! Ich möchte die beiden beisammen sehen! Das wird ein Paar werden – was?«

»Wenn Sie Zeit haben und beide sehen wollen«, sagte Gronski, »so wird sich das einrichten lassen, denn wir haben gestern bei Frau Otocka verabredet, heute in die Konzertprobe zu gehen. Ich kann die Herren dort einführen, und später werden wir alle zusammen zum Frühstück gehen.«

»Eben deshalb«, – rief der Notar, »bin ich ja hierher gekommen, um Sie zu bitten, mich in diese Proben zu führen. Mir sind die alten Bekanntschaften schon gänzlich entfremdet, und ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll. – No!«

Gronski blickte auf die Uhr:

»Nun, dann stimmt ja alles vorzüglich; aber wir haben noch Zeit. Im Saale findet soeben irgend ein Kongreß oder eine Vorlesung statt, und solche Versammlungen dauern gewöhnlich länger als festgesetzt ist. Bis man dann den Saal gelüftet und die Stühle wieder geordnet hat, vergeht wieder eine halbe Stunde. Ich versäume keine Probe, also weiß ich, wie es dort gewöhnlich zugeht.«

»Auch ich will jede besuchen«, sagte der Notar.

Aber er war recht ungeduldig, deshalb ging man zu zeitig fort. Vor dem Gebäude standen einige Personen, die offenbar jemand aus der Versammlung erwarteten. Aus dem Innern des Saales vernahm man Geräusch, Zurufe und Beifallsklatschen.

»Was ist das für eine Versammlung?« fragte der Arzt.

»Ich weiß es wirklich nicht«, erwiderte Gronski, »jetzt gibt es eine Menge. Es werden politische Versammlungen, sozialistische Beratungen, literarische Vorlesungen – und Gott weiß was alles noch abgehalten!«

»Ich beneide Warschau!« – rief der Arzt.

»Es ist nicht der Mühe wert. Zuweilen kommt schon etwas Beachtenswertes vor, aber meistens machen sie Dummheiten, daß es einfach eine Schande ist.«

»Ah, da kommen sie schon heraus«, bemerkte der Notar, »aber warum schreien sie denn so?«

»Warten wir ab, es wird ein Kravall sein«, sagte Gronski.

Es war auch wirklich so, denn aus der riesigen Vorhalle des Gebäudes drängte eine größere Menschenmenge ohne Kopfbedeckungen und bildete im Nu einen verworrenen Knäuel.

In diesem Haufen bewegten sich geballte Fäuste, Stöcke und Schirme durcheinander, und ein ohrenbetäubendes Geschrei begleitete diese Bewegungen.

Sodann flog aus dem Haufen, von hundert Armen gestoßen, blitzschnell ein barhäuptiger Mensch mit zerrissenem Rock und, nachdem er von der Treppe heruntergesprungen war, überschlug er sich gerade vor den Füßen des Arztes, so daß dieser und der Notar fast umgestoßen wären.

»Swidwicki!« rief Gronski erstaunt.

Und in der Tat, Swidwicki war es! Er erhob sich schnell drohte dem in den Saal zurückkehrenden Haufen mit der Faust, und rief dann, als er Gronski erkannte, mit keuchender Stimme:

»Ach, du bist es? Man hat mich hinausgeworfen, hinausbugsiert! Sie haben mir die Rippen ein wenig beschädigt und den Rock zerrissen. Aber das schadet nichts! Ich habe dafür ein paar gerade Nasen gekrümmt und einige krumme gerade gemacht. Es passiert mir schon zum zweitenmal … Uff!«

»Komm doch mit! Du kannst doch hier nicht im bloßen Kopfe und mit zerrissenem Rock bleiben!«

»Nein, nein!« schrie Swidwicki. »Uff! Laß mich doch zu Atem kommen. Hallo! Dienstmann!«

Ein Dienstmann eilte herbei und erhielt von Swidwicki den Auftrag:

»Bürger! hier hast du zwei Gulden und die Kontermarke. Gehe in die Garderobe und bringe mir Hut und Überzieher heraus!«

Der Dienstmann ging.

»Um Gottes willen, was ist denn geschehen?« fragte Gronski besorgt.

»Gleich, gleich«, sagte Swidwicki, »ich muß erst meinen Überzieher anziehen. Nachher gehen wir in eine Konditorei .. Uff! … Denn sobald jene dort nach Schluß der Versammlung herauskommen und mich hier finden, sind sie imstande, mir und bei diesem Anlasse auch Ihnen, meine Herren, einen neuerlichen Denkzettel zu geben.«

»Das ist also eine Versammlung?«

»Versammlung, Beratung, Diskussion, Vorlesung, was du nur willst! Fräulein Sickklawer spricht über ›Aufklärung‹. Im Präsidium sitzen Herr Citronenduft, Fräulein Bywalkiewicz, Fräulein Anserowicz, Fräulein Kostropacka, Fräulein Gotower, Herr Redakteur Czubacki usw. Der Saal ist gedrängt voll. Uff! Ich habe mich königlich unterhalten.«

»Das sieht man«, bemerkte Gronski.

»Glaubst du's etwa nicht? – Aber stelle mich doch diesen Herren vor. Ich bin ja der Held des Tages.«

»Der Held Swidwicki, die Herren Notar Dzwonkowski und Doktor Szremski«, stellte Gronski vor.

Swidwicki drückte den verblüfften Begleitern Gronskis die Hand, und als ihm der Dienstmann Hut, Stock und Überzieher gebracht hatte, sagte er:

»Mit diesem Stocke wäre ich bereit, sie hier zu erwarten, aber für heute ist es genug. Die Versammlung dürfte noch etwa zwanzig Minuten oder etwas länger dauern. Gehen wir in die Konditorei, denn ich habe das Zittern in den Füßen und kann nicht stehen.«

Sie gingen in ein benachbartes Café. Swidwicki ließ sich ein und ein zweites Gläschen Kognak geben, dann begann er zu erzählen:

»Es war also eine Aufklärungsversammlung. Fräulein Sickklawer ist, glauben Sie es mir, meine Herren, ein Cicero im Unterrock. Nachdem sie begonnen hatte, verschiedene Gelbschnäbel männlichen Geschlechts und verschiedene Elstern von vierzehn Jahren aufwärts, aus denen beinahe ausschließlich dies Publikum sich zusammensetzte, aufzuklären – wurde es sogar mir warm. Die Gelbschnäbel klatschten Beifall oder schrien ›Schande und Schmach!‹, wenn von den Eltern die Rede war; den Elstern flammten die Wangen blutrot und sie warfen sich auf ihren Stühlen hin und her. Alles ging vortrefflich. Es sprachen Herr Citronenduft, Fräulein Gotower und noch eine Jungfer, welche, wie ich hörte, aus Kars stammen soll und den griechisch oder spanisch klingenden Namen Nichtsdagegen hat. Das reifere Publikum wurde auch von Begeisterung ergriffen, und ich, trotzdem Gronski es bezweifeln wird, unterhielt mich wie ein König. Denn, sehen Sie, meine Herren, grundsätzlich habe ich nichts gegen die Aufklärung. Im Gegenteil, im Gegenteil! Nur bin ich der Meinung, daß, wenn es schon lustig zugehen soll, so muß es auch wahrhaft lustig sein. Deshalb stand ich nach einigen Reden auf, bat ums Wort und erklärte, ich wolle zu Ehren der Versammlung ein Gedicht hersagen. Man willigte ein, und im voraus schon bekam ich Bravorufe. Da begann ich nun zu deklamieren – zwar kein originelles Gedicht, sondern eine Travestie der Fabel: ›Einmal hat der mutwillige Tadeuszek‹. Doch es dauerte nicht lange, da zeigte es sich, daß mein mutwilliger Tadeuszek selbst für die Versammelten zu mutwillig war. Es mißfiel auch, daß ich, indem ich Fräulein Nichtsdagegen ansah, dabei ein Auge zudrückte. Man fing an zu rufen: ›Schweigen Sie! Pfui! Hinaus! Man hält uns zum Narren!‹ Und hier verwandelte sich meine ideale Fabel in ein reelles Epos … Denn als ich auf den Ruf: ›Man hält uns zum Narren!‹ zur Antwort gebe: ›Und ihr habt vielleicht geglaubt, daß nicht?‹ entstand ein Gebrüll: ›Hinaus! Werft ihn hinaus!‹ Wenigstens fünfzig Hände bemächtigten sich meiner Arme und meines Nackens, es entstand ein unbeschreiblicher Wirrwarr, man schlug mich und ich wehrte mich. Endlich zerrte man mich ins Vorhaus, aus dem Vorhaus schob man mich auf die Stiege und auf die Gasse. Das übrige ist den Herren bekannt. Ich wiederhole zum drittenmal, ich habe mich königlich unterhalten.«

»Das heißt wenigstens Mut!« sagte der Arzt. »Derartigen Sachen muß man selbst durch Skandal vorbeugen, also haben Sie recht gehandelt, und Sie sind ein tüchtiger Nationalist.«

»Ich ein Nationalist?« rief Swidwicki. »Unlängst haben mich die National-Demokraten aus ihrer Versammlung hinausgeworfen. Ein bißchen manierlicher zwar, aber immerhin doch hinausexpediert.«

Gronski begann zu lachen.

»Also das ist dein neuester Sport?«

Damit endigte aber das Gespräch, denn ihre Aufmerksamkeit wurde durch die aus der Vorlesung zurückkehrende Menge gefesselt. Vor den Fenstern des Cafés wogte ein schwarzer Menschenstrom vorbei, und darunter befand sich wirklich eine große Anzahl halbwüchsiger Burschen und Mädchen mit glühendem Antlitz.

Als der Schwarm endlich vorüber war, zeigten sich nach einiger Zeit am Fenster die hellen, frühlingsgleichen Gestalten Hankas, Maries und der Frau Otocka in Krzyckis Begleitung.


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