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IX.

Der nächste Morgen nach Maries Geburtstage war ungewöhnlich trübe. Der Ostwind trieb schwere, schwarze Wolken über die Stadt hin; die Luft war schwül und drückend.

Als Krzycki die Kirche betrat, war es dort noch ziemlich dunkel. In der Mutter-Gottes-Kapelle, die der winzige Schimmer der Altarkerzen nur spärlich erleuchtete, begann soeben die stille Messe. Wladislaw erkannte Fräulein Anney bald an den lichten, unter dem Hute hervorquellenden Haaren; sie kniete in der ersten Bank und hatte die gefalteten Hände auf das offene Gebetbuch gestützt. Als sie Krzycki gewahr ward, nickte sie ihm zu, rückte ein wenig zur Seite, um ihm Platz zu machen, ohne das Gebet zu unterbrechen. Er wollte sie anreden, wagte es aber nicht; kniete nur neben ihr nieder und schob das Gebetbuch zum gemeinschaftlichen Gebrauch ein wenig sich hin. Es war jedoch zum Lesen noch zu dunkel, und nach einer Weile ward er gewahr, daß er nicht beten könne. Eine ungewöhnliche Erregung bemächtigte sich seiner, denn er fühlte, daß jetzt gleichsam eine neue Lebensepoche für ihn anbreche. Dieser Augenblick, in dem er mit Fräulein Anneys Einverständnis gemeinsam mit ihr vor dem Altar kniete, um von Gott den Segen zu erflehen, bedeutete ihm mehr als alle Bekenntnisse; er faßte ihn als erste Weihe ihrer Liebe und ihres zukünftigen gemeinsamen Lebens auf. Ein Glücksgefühl, gleichzeitig aber eine weihevolle Besorgnis ergriff ihn bei dem Gedanken, daß das von ihm herbeigesehnte Glück nun kein Traum, kein Phantom mehr sei, sondern daß seine Hoffnung jetzt reelle Formen anzunehmen beginne. Er fragte sich, wie er imstande sein werde, das Glück zu ertragen, was er damit beginnen und wie er demselben gerecht werden würde, und aus all dem Fragen erwuchs für ihn das Gefühl einer großen, angstvollen Verantwortlichkeit. Es war dies eine Frage, die er, ein bis dahin freier Mensch, nicht kannte, oder der er mindestens noch nicht begegnet war. Und auch unmittelbare, sofortige Sorgen ängstigten ihn. Der Augenblick der Auseinandersetzung mit der Mutter nahte heran; auch gab es noch geheimnisvolle Hindernisse, von denen Gronski gesprochen hatte; alles mußte überlegt und geordnet, alle Vorkehrungen getroffen werden, um etwaige Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Wirklich, wenn je war es eben jetzt notwendig, der Gnade Gottes sich anzuvertrauen, die allmächtige Hilfe zu erflehen und in deren Hände die Zukunft zu legen.

Krzycki bemerkte, daß ähnliche Gefühle und Gedanken auch des Fräulein Anney sich bemächtigten, denn ihr Antlitz war still, ernst und sogar traurig. Die Flammen der Kerzen spiegelten sich in ihren erhobenen Augen, in denen Krzycki Tränen zu erblicken glaubte. Offenbar empfahl sie mit ganzer Seele sich und ihn Gottes Obhut.

Und so knieten sie nebeneinander – Arm an Arm, Herz an Herz – schon vereint, glücklich, aber ein wenig ängstlich.

Nachdem Krycki den Sturm seiner Gedanken beschwichtigt hatte, begann er endlich zu Gott zu beten. »Tue mit mir, was deine Vorsehung mit mir bestimmt, aber ihr gib Glück und Ruhe.«

Und eine heiße Liebeswelle wogte in seiner Brust. Sein Gebet ward zugleich ein Gelöbnis und ein heiliger Schwur, daß er diesem liebsten Wesen auf der Welt nie wehe tun werde und daß diese Augen nie durch seine Schuld weinen würden.

Unterdessen ging die Messe zu Ende. Als der Geistliche sich vom Altar wandte, klangen seine Worte in der halb leeren Kapelle wie unter Seufzern geflüstert, wie es gewöhnlich bei einer Frühmesse der Fall ist. Aber manchmal übertönte sie der Donner, denn draußen entlud sich ein heftiges Gewitter. Die Kapellenfenster wurden noch düsterer, nur von Zeit zu Zeit erhellte die Scheiben ein fahler Blitz; auf den Altären flimmerte unruhig das Kerzenlicht.

Der Geistliche wandte sich noch einmal: » Dominus vobiscum!« – Dann » Ite, missa est!« worauf er über die Versammelten das Zeichen des Kreuzes machte und die Kirche verließ. Ihm folgte das Häuflein der Andächtigen; nur die beiden Liebenden blieben zurück. Und sie begann das Gebet zu flüstern: »Unter deinen Schutz flüchten wir, heilige Mutter Gottes!« und die weiteren Worte »unseren Bitten leihe ein gnädiges Ohr und errette uns immer von allem Unglück – o unsere Herrin!« sprachen Sie, gemeinsam; auf diese Weise endete das Gebet. Das jetzt eintretende Schweigen unterbrach erst nach einer Zeit Krzycki:

»Wir müssen warten«, sagte er, »das Unwetter hält noch an.«

»Gut«, erwiderte Fräulein Anney.

»Mein teures – mein teures Fräulein …«

Doch sie legte den Finger an die Lippen, und wieder herrschte tiefes Schweigen. Allzulange brauchten sie jedoch nicht zu warten, denn Sommerstürme kommen und fliegen davon, schnell wie die Vögel. Nach einem Viertelstündchen verließen sie die Kirche.

Die Straßen waren vom Regen überschwemmt, aber zwischen den zerrissenen Wolken leuchtete schon eine helle und gleichsam feuchte Sonne.

Fräulein Anney blinkte unter dem übergroßen Glanze mit den Augen und ihr Gesicht war wie traumversunken. Ihr sinnender Ernst verschwand jedoch nicht. Krzycki dagegen ward sehr frohgemut und hoffnungsvoll beim Anblick der Sonne und des Straßenverkehrs; er blickte ab und zu auf seine Gefährtin – sie schien ihm reizend wie ein Traum und bezaubernd wie noch nie – grenzenlos und maßlos liebenswert. Er fühlte, daß er jetzt imstande sei, sie in seine Arme zu schließen und sie emporzuheben, um sie der Sonne, den Wolken, der Stadt, der Menschenmenge zu zeigen und zu rufen: Hier ist mein Reichtum, mein Schatz, die Freude meines Lebens!

Da er aber ganz richtig mutmaßte, Fräulein Anney würde auf eine derartige Manifestation nicht eingehen, unterdrückte er diesen Wunsch und richtete seine Gedanken auf dringendere Angelegenheiten.

»Meine Angebetete«, sagte er, »ich muß schon die Worte aussprechen, die mir auf den Lippen brennen. Wann darf ich kommen?«

»Heute um vier. Auch ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen, wovon alles abhängt.«

»Alles hängt nur von Ihnen ab – und von nichts anderem.«

Aber ihre lichten Wangen färbten sich grell rot, und in den Augen leuchtete es wie von qualvoller Unruhe.

»Gott gebe es … Sie wissen nicht … Sie wissen nicht« – erwiderte sie mit Nachdruck. »Wir werden allein sein … aber jetzt müssen wir scheiden.«

Wladislaw geleitete sie bis zur Droschke, küßte leidenschaftlich ihre Hände und blieb allein zurück.

Ihre Worte bestätigten das, was ihm Gronski aus Anlaß seines Gespräches mit Frau Otocka wiederholt hatte sie beunruhigten ihn aber nicht weiter, weil er viel zu verliebt war, um ernstlich anzunehmen, daß irgend etwas dieser Liebe Abbruch tun oder sein Vorhaben ändern konnte. Dieser Gedanke verursachte ihm höchstens ein Achselzucken.

»Die Weiber«, sagte er sich, »sind immer voller Skrupel; und zu den wirklichen Schwierigkeiten fügen sie noch eingebildete hinzu.«

Hierauf kehrte er in bester Laune nach Hause zurück, wo er außer Gronski auch noch Dolhonski antraf.

»Schau«, sagte ersterer, »hier ist Kavalier Dolhonski. – beglückwünsche ihn, weil er sich verheiratet.«

»Nein, wirklich?« fragte Wladislaw belustigt.

»Mit Fräulein Kajetana Wlocka«, ergänzte Dolhonski kaltblütig und ungemein feierlich.

»Also dann gratuliere ich herzlichst! Wann findet die Hochzeit statt?«

»In kürzester Zeit – wegen der Pest, der Hungersnot, der Feuersbrunst, des Krieges und ähnlicher außerordentlicher Umstände. In einer Woche … Ohne Aufgebot, mit Dispens. Abends, sogleich nach der Trauung, ins Ausland.«

»Sprichst du im Ernst?«

»Vollkommen! Und bedenke nur die ausgezeichneten Folgen!«

Hier spreizte Dolhonski die Finger und fing an aufzuzählen:

»Zum ersten: mein Kredit ist vom Tode auferstanden, gleich einem indischen, monatelang in der Erde vergrabenen Fakir, der nach der Ausgrabung zu neuem Leben erwacht; zum zweiten: Gorek ist ganz schuldenfrei und mein eigen, ohne Teilhaber; zum dritten: die Mitgift meiner Braut übersteigt meine Erwartungen, und zum vierten: die Braut wurde durch das glückliche Ereignis so hübsch, daß ihr sie nicht wiedererkennen würdet.«

»Was du nicht sagst!« rief Krzycki in drolligem Erstaunen.


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