Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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VIII. Die Liebe über das Grab hinaus.

Du wachst zu lange, du weinst zu viel, Geliebte! ... Schon verbleichen die Sterne, der Morgen dämmert herauf. Ruhe endlich! Die Hälfte deiner selbst, die zu deinem Leide nun nicht mehr ist, und die du vergeblich in deinen öden Zimmern, auf deinem verwitweten Lager suchst, wird zu dir in deinen Träumen sprechen ...

O, wieviel hatte ich dir doch zu sagen! ... und habe dir im Leben nur so wenig sagen können ... Beim ersten Wort hat Gott mich abgerufen. Kaum, daß ich Zeit hatte, zu sprechen: ich liebe! Um dir mein Herz auszuschütten, bedarf ich der Ewigkeit.

Ein schönes Konzert begann unter uns. Der himmlische Künstler hatte aus unser beider Herzen ein herrliches Instrument gemacht. Wenn die Saite bei den ersten Tönen sprang, wenn der Tod, der uns eine so kreischende Dissonanz scheint, die Leier hat verstummen machen, o, glaube doch ja nicht, Geliebte, daß es jetzt aus ist mit ihrer Musik, daß Gott sie verächtlich beiseite geworfen hat. Nein, das hohe Lied ist unterbrochen; aber es wird wieder anheben mit gewaltigerem Tone, wenn wir, befreit von dieser niederen Erde, droben schweben in Licht und Freiheit.

Du weißt ja, daß kein Atom des Körpers, mit dem meine Seele bekleidet war, verloren ist. Jedes der Elemente, aus denen er bestand, sucht seines Gleichen und kehrt zu seiner Wahlverwandtschaft zurück. Wieviel mehr muß dann die Seele selbst, die harmonische Kraft, welche die Einheit des Körpers ausmachte, fortleben! Sie lebt fort, als eine, ungeteilte, denn das ist ihre Natur. Sie bleibt und wird immer mehr, was sie schon war, eine Anziehungskraft. Was sich um sie im irdischen Leben bewegte, strömt infolge der Analogie der Natur und der Assimilation der Liebe unaufhaltsam zu ihr zurück. Ich warte auf dich; das Bedürfnis der Vereinigung, welches meine Seele mit fortnahm, läßt mich zu jeder Zeit mein besseres Ich, das noch aus Erden zurückbleibt, erwarten.

*

Es mußte so kommen. Erinnere dich an unsere Liebesqualen, an den immer neuen, weil nie befriedigten Wunsch, unsre Seelen auszutauschen; wie selbst die Lust es nicht vermochte, und dieses Gefühl wie ein Schatten unser Glück trübte. Blicke, Worte, des Liebestammelns Raserei – nichts, nichts vermochte diese Schranke fortzuräumen. Welche Schranke? Wir wußten es selbst nicht. Stets sagte das Herz: »Später!« und »das ist es noch nicht«. Die Liebe wollte nichts wissen von den Grenzen, die der Natur gesteckt sind. Ihr Kummer war, daß sie, die aus dem Licht Geborene, die nur das eine geliebte Wesen kannte, so bald der Finsternis verfiel; daß in diesem Vergessen die Persönlichkeit verschwand, versank; daß sie in dem Augenblicke höchsten Entzückens nicht wußte, ob denn sie es wirklich sei! ... Deswegen diese Trauer, dieser Zweifel, diese Bitterkeit: »Was ist denn diese Ungewisse, unvollständige Liebe, der es vor den Augen trübe wird, die die Idee ihrer selbst verliert, sobald sie ihr heiß ersehntes Ziel erreicht? ... Gerade wenn unsre Seelen am innigsten der gänzlichen Vereinigung entgegenglühten, war alles zerflattert und zerstoben, und schmerzlich fragte sich das Herz: war dies nun die ersehnte lichtvolle Vereinigung, oder war es ein Zurücksinken in des Chaos nur von dem Blitz der Lust durchzuckte Nacht?

»So mischte sich in diese schmerzensreichen Wonnen ein unerwartetes Drittes: Der Gedanke an den Tod. Er war nicht furchtbar, dieser Gedanke, nur melancholisch und nicht ohne einen gewissen Reiz. Der Tod sprach: ›Fürchtet euch nicht!... Das, was euch bis jetzt als Tod erschien, die momentane Vergessenheit höchster Lust, war noch nicht der rechte Tod. Nur ich kann euch die wahre Freiheit bringen, nur von mir befreit, könnt ihr euch aufwärts schwingen von Stufe zu Stufe durch die leuchtenden Welten, und, selber teilhaft der Freiheit des Lichts, ohne einen Augenblick die Sonnenklarheit der Liebe einzubüßen, zusammenfließen in einen ›flammenden Strahl‹.

*

»So werden wir uns aufschwingen. Aber wie? wodurch! ... Suche das einfachste Mittel; es wird das Mittel sein, welches Gott will. Denn wie des Menschen Kunst tappend ihren Weg sucht und durch tausend mühsame Komplikationen und Umschweife sich weiterarbeitet, so geht Gottes Kunst gerade, schnell und sicher. In der moralischen, wie in der physischen Welt sucht und findet sich, was wahlverwandt ist. Wäre das nicht, so würden unendliche Kräfte sich durch Zerstreuung vernichten. Und diese Welt, deren Harmonie in vielen greifbaren Dingen so sichtbar ist, sie sollte im Unsichtbaren gerade das Gegenteil sein, eine Disharmonie, schlechter als des rohesten Arbeiters unvollkommenste Entwürfe?

»Hatten wir auf Erden die vollkommene Ähnlichkeit erreicht? Unsre Versuche waren vergeblich. Die Blindheit meiner Begier, die Hingebung deiner Liebe hielten uns tausend Pforten der Seele verschlossen, durch die wir unsre Vereinigung hätten erreichen können. Du kanntest in mir nur einen Mann. Und doch waren mehrere in mir. Die Stille deiner Witwenschaft, und die Kraft deiner Erinnerung, werden dich sie nach und nach erkennen lassen, und in der Unendlichkeit einer Seele, die dir gehört, und noch immer dein höchstes Gut ist, wirst du mehr als eine glückliche Entdeckung machen. Sammle deine Kraft, deine Gedanken! In deinen: Herzen lebendig, von deiner Liebe bebrütet, werden sie eine Frucht zeitigen, die aus der Geisterwelt in dir erzeugt ward. Ich leide, weil ich dich leiden sehe. Aber eine solche Assimilation kann nur durch den Schmerz, durch die blutende Wunde geschehen. Meine Seele trinkt dies Blut, und so kannst du nicht länger leben. Eine unbesiegbare Kraft der Anziehung wird dich eines Morgens ergreifen da unten, wo dein Herz nicht mehr ist, und wird dich wie ein Blitz dahin tragen, wo es ist, wo ich bin. Sahst du eine Feder von einer Last gedrückt? Ist die Last entfernt, so schnellt die Feder in die Höhe, darf frei ihrer Natur folgen. Ich bin deine Natur, dein eigentliches Leben. Ist die Last von dir genommen, so kommst du zurück zu mir.

»Was auf dir lastet, ist die Verschiedenheit, die noch immer zwischen uns besteht. O, ich bitte dich, werde ich! ... Dann erst wirst du ganz mein sein.

»Dein jetziges Leben ist Kummer. Aber ich will, daß es kein unthätiger Kummer sei. Bleibe nicht starr und kalt sitzen am Marmor eines Grabmals. Deine Trauer sei groß, meiner würdig, aus deinen Thränen mögen andere neuen Thatenmut trinken.

»Ich sehe die Männer, meine Freunde, verwirrt durch meinen Tod; denn sie wissen nicht, daß ich noch mitten unter ihnen bin. Ich sehe, wie ihre Schar auseinander flieht, als ob ich wirklich im Grabe wäre. An dir ist es, Verzweiflung und Vergessenheit von ihnen abzuwehren. An dir ist es, zu sprechen: ›Er lebt noch!‹

»Wenn du es sagst, werden sie es glauben. Mein Haus, das auch ihr Haus war, soll sie zusammenrufen und ihre Einigkeit bewahren. In ihrer Ungewißheit, ihrem Schwanken wird es ihnen ein Bedürfnis sein, meinen Herd zu sehen, an seiner Flamme ihre Begeisterung wieder zu entzünden: du aber warst meines Herdes heiliges Feuer.

»Du wirst die Hüterin meines Geistes sein. Wer weiß? Durch dich wird er neue Wurzeln schlagen, daß sich noch mehre unter seiner Krone sammeln können. Mancher, den ich mit der rauhen Kraft des männlichen Genius nicht gewinnen konnte, wird zu mir kommen, wenn er mich im rührenden Bilde einer durch Schmerz und Hoffnung verklärten Frau wiederfindet.«

*

So ist die Witwe, so das Witwentum. Es ist des Gatten verweilender Geist, der in dieser seiner treuen Hälfte noch von sich zeugt und so durch die Erinnerung und das Vorgefühl den Übergang zweier Welten bildet.

Feierlicher, heiliger Zustand, wo die Seele, zum Aufschwung bereit, schon glänzt von dem Lichte höherer Sphären! ... Und jeder, der dieser Frau naht, fühlt die Heiligkeit, spürt den sanften Hauch der Toten, die keinen Krieg mehr führen hienieden, und nichts wollen, als noch ein wenig Gutes schaffen. – Wie gern möchte ich hier verweilen! Aber dieses Priestertum der Witwe gehört den Religionen der Zukunft. Genug für diesmal!

So folge ich ihr denn nicht in die alten Verbindungen, die sie zusammenhält, noch in die neuen Freundschaften, die sie dem erweckt hat, der nicht mehr auf Erden weilt, indem sie seinem Geist durch jene mütterliche, belehrende Liebe weitere und weitere Geltung verschaffte.

Wenn der Gatte keine Werke hinterlassen hat, die für ihn sprechen, sondern Thaten, die stets dem Streit der Meinungen unterworfen sind, wenn er speziell seine Kräfte in den Kämpfen des öffentlichen Lebens aufwendete, – dann, gerade dann muß er dringend wünschen, daß eine befreundete Seele über seinem Andenken wache, es pflege, die ersten herben Urteile abwehre, ihm die Berufung an die kommende Zeit, die Auferstehung des Ruhms bereite.

Er kommt für ihn, der unter der Hut eines treuen Zeugen warten kann. Eines Morgens wird es Licht. Und die Witwe, die so lange im Schatten lebte und wie mit ihm begraben war, sieht die heiligen Farben, denen er im Leben folgte, strahlend im Glänze des neuen Tages, wiedererscheinen an dem Friese der Tempel.

Und sie, die jetzt eine Greisin ist, hat die süße Überraschung, rings um sich her sagen zu hören, gleich als lebte er noch: »Er ist ein Gerechter!«

Von allen Seiten kommen junge Leute, die ihn nicht kannten, und wollen seine Kinder sein. Wie leid thut es ihnen, daß sie jung sind, daß sie ihn nicht gesehen haben. Man fragt und forscht bei ihr, die das Glück hatte, die Zeugin seines Lebens zu sein. Schon gehört sie einer vergangenen Zeit an. Sie erlebt noch die Morgendämmerung seiner Unsterblichkeit.

Der Altar des dahingegangenen Gerechten wird für die neuen Geschlechter ein Gegenstand religiöser Verehrung. Da ist kein junger Mann, der nicht dorthin käme, die Witwe zu ehren. Sie finden eine anmutige Frau, die ihnen kaum der Zeit anzugehören scheint, die für sie schon eine längst vergangene ist. Was sie noch immer anmutig erscheinen läßt, ist die Liebe, von der ihr Herz voll ist, die Güte, die sie für alle hegt, ihre bescheidene Sanftmut, ihre Sympathie für die junge Welt, ihr Wunsch für ihr Wohlergehen.

Sie ist noch schön durch ihre Liebe, und schön durch die Erinnerung an den Mann, dessen Ruhm auch sie überschattet.

Mehr als ein Jüngling von zwanzig Jahren bedauert, so spät geboren zu sein; er kommt und kommt wieder und nur ungern entfernt er sich, dem Schicksal zürnend, das uns so mutwillig trennt, und aus Herzensgrunde sprechend: »Das ist die Frau, die ich geliebt haben würde! ...«


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