Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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V. Wie soll die Braut sein – reich oder arm?

Sie soll sanft, gläubig, lenkbar und vor allem frischen Herzens sein.

Das Übrige ist Nebensache.

*

Um mit dem Punkte anzufangen, der heutzutage der Hauptpunkt ist, mit dem Vermögen, so muß ich bekennen, niemals ein reiches Mädchen gesehen zu haben, welches gelehrig gewesen wäre. Fast alle treten vom Tage nach der Hochzeit an mit ungemessenen Ansprüchen hervor, vor allen mit dem, im Verhältnis zu ihrer Mitgift Ausgaben zu machen, und wo möglich darüber. Mancher, der sich bereichert zu haben glaubte, hat sich in Wirklichkeit ärmer gefunden, genötigt, wie er war, sich in die Wechselfälle der Spekulation einzulassen.

Ich wagte vor zwölf Jahren, folgenden Grundsatz aufzustellen, der sich mehr und mehr bewahrheitet hat: »Wenn ihr euch ruinieren wollt, so heiratet eine reiche Frau.«

*

Darin liegt noch eine größere Gefahr, als die, sein Vermögen zu verlieren: die Gefahr, sich selbst zu verlieren, die Gewohnheiten verändern zu müssen, die euch zu dem machten, was ihr seid, die euch gaben, was an euch stark und originell ist. Mit dem, was man eine gute Heirat nennt, werdet ihr das Anhängsel einer Frau werden, eine Art von Prinzgemahl oder der Gatte einer Königin.

Eine schöne, sehr schöne, vollkommen liebenswürdige und gutherzige Witwe sagte zu jemand: »Mein Lieber, ich habe fünfzigtausend Livres Rente, einfache, durchaus nicht weltliche Neigungen. Ich liebe Sie und werde thun, was Sie wollen ... Sie sind mein alter Freund, können Sie einen Fehler an mir finden?« – »Einen, Madame, Sie sind reich.«

*

»Wie! der Reichtum wäre ein Verbrechen?«

Nein; alles, was ich hier sagen will, ist, daß die Frau, welche reicher als der Mann in die Ehe tritt, sich selten lenkbar zeigt. Sie wird nicht seine Ideen annehmen, seine Art zu leben, seine Gewohnheiten. Sie wird ihm die ihrigen aufnötigen: aus dem Manne wird sie ihre Frau machen, oder der Streit beginnt. Die unmerkliche, süße Vermischung seines und ihres Lebens wird nicht zustande kommen, das Ineinanderwachsen durch Annäherung unmöglich sein; es wird keine Ehe geben.

Ist die Frau im Gegenteil ärmer, so ist sie reich an gutem Willen. Sie liebt und glaubt (das ist sehr viel! ...). Ist es alles? Es bedarf eines dritten, das sie nicht immer geben kann: sie muß den, welchen sie liebt, begreifen können.

Ist der Unterschied des Standes, der Erziehung zu groß, sind mehrere Stufen zu überspringen, so ist die Schwierigkeit sehr bedeutend. Es bedarf dann vieler Zeit, großer Umsicht und einer Geduld, die ein viel beschäftigter Mann nicht immer hat. Man sieht und bewundert manchmal ein junges Landmädchen, das, unter glücklichen Sternen geboren, von Schönheit und Güte strahlt und dabei klug, unendlich rein, liebevoll, sanft und gelehrig ist. Wählt sie, heiratet sie – und ihr seid unangenehm überrascht, wenn ihr die unendliche Schwierigkeit wahrnehmt, die ihr habt, euch mit ihr zu verständigen. Und doch thut sie alles, was sie kann; sie merkt auf, sie will lernen; sie giebt sich euch ganz hin. Es hilft doch nichts. Euch zu folgen, wird ihr schwer; auch ist sie zu sanguinisch; – Landbewohner leiden, wenn sie aus ihren groben Arbeiten herausgerissen sind, an Überfülle des Blutes. Sie fühlt das alles nur zu wohl. Sie weint; sie ist ärgerlich auf sich selbst, »daß sie so dumm ist«. Aber sie ist durchaus nicht dumm. Sie ist sogar in allem, was in ihrem Gesichtskreise liegt, sehr klug. Der Fehler liegt nicht an ihr, sondern an euch, die ihr glaubtet, mit Leichtigkeit mehrere Grade der Einweihung durchmachen zu können.

Dieses junge Mädchen konnte und mußte einen trefflichen Handwerker in der Stadt heiraten. Und die Tochter aus dieser Ehe, bei der die feinere Kultur durch die schon verfeinerte Rasse unterstützt wurde, hätte einen Gelehrten geheiratet. Sie hätte ihm folgen, ihn ohne Schwierigkeit begreifen können. Das würde eine geistige Ehe gegeben haben.

Und wird das immer so sein? Nein; ich hoffe sehr das Gegenteil. Die Stände wie die Rassen vermischen sich mehr und mehr. Alle alten Schranken werden fallen vor dem allmächtigen Mittler, dem souveränen Gleichmacher: der Liebe.


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