Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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VI. Soll man eine Französin heiraten?

Es ist nicht genug, daß die Frau liebt, nicht genug, daß sie begreift; sie muß auch etwas zurückgeben können: Funken um Funken, Gedanken um Gedanken. Deshalb würde ich, wenn es auf die Nation ankommt, die Französin allen Frauen der Welt vorziehen.

Die Deutsche ist die Güte und Liebe selbst, von entzückender Reinheit und Kindlichkeit. Die keusche, einsame, träumerische, häusliche, so treue, so starke und zugleich so zärtliche Engländerin ist das Ideal einer Gattin. Die spanische Glut entzündet das Herz, und die Italienerin in ihrer Schönheit und Weichheit, ihrer lebhaften Phantasie, oft in ihrer rührenden Naivetät macht den Widerstand unmöglich; man ist hingerissen, besiegt.

Aber wenn der Mann einer Seele bedarf, die der seinen durch Blitze des Verstandes und Blitze der Liebe antwortet, die sein Herz durch reizende Lebhaftigkeit, durch Fröhlichkeit, Keckheit, durch Frauenwort und Vogelgesang erquickt –, so muß er eine Französin haben.

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Ein Umstand, der nicht übersehen werden darf, ist der, daß sie sehr früh reif ist. Eine Französin von fünfzehn Jahren ist für die Liebe im physischen und moralischen Sinne ebenso entwickelt, wie eine Engländerin von achtzehn Jahren. Dies beruht wesentlich auf der katholischen Erziehung und der Beichte, welche die Mädchen sehr schnell vorwärts bringt. Auch die bei uns so eifrig kultivierte Musik ist von großem Einfluß.

Die Engländerin beschäftigt sich ebenfalls mit Musik; aber für sie ist es eine Arbeit. Die Deutsche und die Italienerin lieben die Musik um dieser selbst willen. Aber für die Französin ist die Musik nur die Liebe unter der Form der Kunst. Die Liebe kommt, die Musik verschwindet; das so viel benutzte Klavier steht verlassen.

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Gewöhnlich hat die junge Französin nicht den frischen Teint, die auffällige Reinheit, den rührenden jungfräulichen Ausdruck des deutschen Mädchens. Beide Geschlechter behalten bei uns lange eine gewisse Trockenheit. Unsere Kinder sind ihren Jahren voraus, von feurigem, glühendem Blut. Man wird in Frankreich nicht jung geboren; aber man wird mit der Zeit jung. Die Französin verschönert sich auf erstaunliche Weise in der Ehe, während das nordische Mädchen in derselben verliert und oft ganz verwelkt.

Man läuft bei uns keine große Gefahr, wenn man eine Häßliche heiratet. Meistens ist sie es nur, weil ihr die Liebe fehlte. Geliebt, wird sie eine andere; man erkennt sie nicht wieder.


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