Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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IV. Es giebt keine alte Frau.

Vasari hat ein bemerkenswertes Wort über Giotto, den Vater der italienischen Kunst, gesagt: »Er gab zuerst in den Köpfen der Herzensgüte einen Ausdruck«.

Dieser Lichtglanz der Güte ist die Seele der modernen Kunst. Ihre Werke sprechen in dem Maße zu unseren Herzen, als sie diese Güte zum Ausdruck bringen.

Als Gemälde bewundert man wohl die edlen Madonnen Raphaels; aber wer fühlte jemals für sie ein Gefühl der Liebe? Dagegen rührt uns die Magdalena des Titian (einfacher Kopf, in Venedig), ein liebes, schönes, kräftiges, nicht allzu junges Fischermädchen, so durch ihre Thränen, daß man sich versucht fühlt, auszurufen: »Wer konnte je so harten Herzens sein, dies gute Wesen zu betrüben! Sprich, sage, was du willst! Ich möchte dich so gern trösten«.

Titian malt mit Vorliebe schöne Damen von dreißig Jahren. Rubens geht ohne Bedenken bis zum vierzigsten und drüber. Van Dyck kennt kein Alter; bei ihm ist die Kunst frei geworden. Rembrandt, der mächtige Zauberer, thut mehr: mit einer Bewegung, einem Blick, einem Lichtstrahl reißt er alles hin. Leben, Güte, Licht! wessen bedarf es mehr, uns zu entzücken. »Wie war das Sujet?« »Herrlich.« – »Und schön?« – »Ich erinnere mich dessen nicht mehr: ich habe es vollständig vergessen.«

Die unwissende Kunst des Mittelalters geht von der falschen Voraussetzung aus, daß Jugend und Schönheit absolut identisch seien. Um die Mutter Christi zu malen, nehmen sie junge, unbewegliche, dumme Mädchen. Die großen Maler der Neuzeit, einsichtsvolle Beobachter, haben sehr wohl erkannt, daß die Schönheit, wie alles auf der Welt, Zeit gebraucht, um zu reifen, um sich zu vollenden. Sie haben zuerst das dem Altertum unbekannte Geheimnis entdeckt, daß das Gesicht und der Körper keineswegs zu gleicher Zeit den Höhepunkt der Schönheit erreichen. Das erstere ist oft verwelkt, wenn der letztere in voller Blüte steht.

Es ist eine Grausamkeit gegen die Frauen, wenn man sie gerade nach dem beurteilt, was zuerst verblüht, nach dem Gesicht. Aber vorzüglich bei uns in Frankreich, wo die Physiognomie so lebhaft ist, wo das schnelle Auge, der graziöse, lachende, beredte Mund fortwährend in Bewegung sind, haben die sehr früh geübten Muskeln eine Geschmeidigkeit, eine Leichtigkeit, die jene feste, starre Form der nordischen Schönheit ausschließt. Eine Französin hat tausend Variationen der Physiognomie, tausend Mienenspiele wo die Deutsche zehn hat. Deswegen verblüht ihr Gesicht schnell. Ist damit gesagt, daß in unserer Rasse das Fleisch weniger fest ist? Keineswegs.

Es ist nicht selten, daß der Körper fünfundzwanzig und das Gesicht vierzig Jahre hat. Falten bilden sich um das Auge, auf der Wange, während der ganze übrige Körper in reizendster Fülle blüht.

Diese Formenfülle hat nicht, wie man glauben könnte, bloß materielle Wirkungen, sondern auch moralische. Sie ist ganz besonders geeignet, den Ausdruck der Güte zu erhöhen und zur Geltung zu bringen, welchen die Frau sehr häufig bekommt, wenn sie, nachdem das stürmische Alter weiblicher Eroberungssucht und gelegentlicher Kränkungen hinter ihr liegt, ganz dem Zuge ihres guten Herzens folgt. Ihre weißen Arme, ihr mehr gerundetes, außerordentlich zartes Kinn, ein gewisses Etwas von Milde und Weichheit, das über ihr ganzes Wesen verbreitet ist, erweckt in uns ein wohlthuendes Gefühl der Mutterschaft; nicht der ausschließlichen einer jungen Frau, die ganz in dem Kinde aufgeht und oft sehr kalt ist für die ganze übrige Welt, sondern einer unendlichen Güte für alle. Liebe liegt in dem Blicke, Mitleid in dem feuchten Auge, in der bewegten Brust, wenn es etwas Gutes zu thun, ein Unglück zu lindern giebt.

Es ist ein schlimmes Zeichen für eine Zeit, wenn die Männer kein Gefühl mehr haben für die Schönheit der Güte. Schmachvolle Zeiten, wo sie, ohne Bedürfnis nach Gegenliebe, eigentlich nur der individuellen Lust fröhnen und diese von der Jugend heischen ...

Diese Barbaren werden dafür bestraft und das auf mehr als eine Weise. Sie versinken immer tiefer in Barbarei, werden immer unfeiner in Sprache und Sitten. Ein Geschlecht, das nicht durch edle Frauen gebildet wird, ist ein Geschlecht von Tölpeln.

Die egoistische, harte, grausame Lust dörrt aus, wie der Branntwein. Wo sie Platz gegriffen hat, ist alles verloren – ein auf ewig unfruchtbares Land.

Und was haben sie denn schließlich von ihren unglücklichen jugendlichen Opfern? Ach! nur, worin jene Ärmsten einzig reich sind: Schmerzen und Leiden!

Was aber die glänzenden, übermütigen Töchter des Luxus und des Lärms, der Theater und Maskeraden, die euch so gründlich aussaugen, anbetrifft, so fragt es sich noch sehr, ob diese Schönen bei ihren tollen Bacchanalen, ihrem Hölleleben, ihren schlummerlosen Nächten, in einem wahren Urteile des Paris den Sieg davontragen würden über die Dame, die stets ein ruhiges Leben führte, stets verständig und keusch war. Unsere unverschämten Löwinnen dürsten in einem solchen Vergleiche trotz ihrer zwanzig Jahre, die sie weniger haben, oft sehr gedemütigt werden.

*

Und dann: eine Dame ist eben eine Dame. Ihre natürliche Eleganz, die Harmonie ihres ganzen Wesens ergreifen uns viel tiefer, als es die demi-Dame vermöchte, bei der die Harmonie durch irgend ein häßliches Detail sehr unangenehm gestört ist.

Im Mittelalter war die Schloßfrau, welche der blonde Page auf den Knien bediente, oder der er die Schleppe trug, unfehlbar jung und schön. Ihr weihte er die Erstlinge seiner Liebe. Und so ist es zu allen Zeiten gewesen. Es wird noch heute geschehen, daß die vornehme Dame, die während ihrer Toilette ihrem jungen Diener einen Auftrag ohne Scheu geben zu können glaubt – und wäre sie beinahe alt – dem armen Menschen das Herz schlagen macht.

Wer täuscht sich nun? Jener Jüngling oder ihr? Vielleicht ihr. Er fühlt mit richtigem Instinkt, daß jener Dame, die ihren äußeren Glanz, irgend welche sichtbare Vorzüge verloren haben mag, doch eine große Macht blieb, die sie immer noch ausüben kann. Es giebt keine alte Frau. Wenn sie liebt und wenn sie gut ist, so gewährt jede zu jeder Zeit dem Manne unendliches Glück.

Mehr, als das unendliche Glück eines Augenblicks, oft die Unendlichkeit der Zukunft. Ihr über ihn hinwehender Hauch ist eine Himmelsgabe. Alle, die ihn nachher sehen, sagen, ohne sich die Sache erklären zu können: »Was ist es mit ihm? ... Er ist damit geboren«.

Es gab vor Rousseau wer weiß wie viele Rousseaus, die alle ebenso beredte Deklamatoren, ebenso scharfsinnige Kasuisten waren. Und keiner hat die Welt fortgerissen. Ihn umweht der Hauch einer Frau mit Liebe – die halb eine mütterliche war, und Jean Jacques wurde durch diesen Hauch.

*

V.

Herbstgefühl.

Gegen Ende des Septembers (in dem Augenblick, wo ich dies schreibe) ist das Jahr reif. Es hat, nicht bloß weil die Ernten eingeheimst sind, sondern auch in seiner ganzen Harmonie, in seiner Temperatur, in dem vollkommenen Gleichgewicht der Nächte und Tage, seine Höhe erreicht. Der Himmel gleicht darin der Erde. Am Morgen verschleiern ihn Nebel; die Sonne läßt sich Zeit, als ob sie eben nicht mehr viel zu thun hätte. Und so hat auch der Mensch abgeschlossen. Es ist einem, als ob es Sonntag, als ob es Abendruhe wäre. Und was ist denn der Herbst anders, als der Abend des Jahres?

Schöne, zugleich freundliche und ernste Jahreszeit! Hier und da zeigen sich noch einige Blumen, aber sie legen sich eine nach der andern schlafen. Das Maßlieb hält noch aus. Die prächtige, kalte Georgine kämpft den ganzen Oktober hindurch gegen die Morgenfröste. Die Schwalben kreisen in der Luft, und locken. Überall im Norden bereitet sich der Storch, nachdem er ernstlich auf einem Fuße stehend die Reise bedacht hat, unsere Dächer zu verlassen.

Alle diese ernsten Eindrücke sind noch ernster in den dem Meere benachbarten Landschaften, denen der Blick auf die See verschlossen ist, die aber ihre mächtige Stimme hören. Die Erde ist schon zur Ruhe gegangen und hört in Schweigen die Klagen und die Zornausbrüche des alten Oceans, der mit feierlichen Kadenzen Woge auf Woge heranwälzt. Tiefe, geheimnisvolle Stimme, die man weniger mit dem Ohr, als im innersten Busen hört, die weniger mächtig an den Strand, als an das Herz des Menschen donnert. Melancholische Musik! Ist es doch wie ein regelmäßiges Schwingen des Pendels der Zeit!

Ich sehe eine Dame (dieselbe, welche dieses Buch begrüßte, als sie jung war, und die es jetzt bis an die Schwelle des Alters geführt hat), ich sehe sie nachdenklich umherwandeln in einem kleinen, früh seines Blumenschmucks beraubten Garten, der aber wohl geschützt ist, wie die Gärten hinter den Felsenküsten von Frankreich, oder den Dünen von Holland. Die exotischen Gewächse sind schon ins Treibhaus geschafft. Die lichter gewordenen Bäume lassen einige Statuen durchschimmern, auf denen der Blick jetzt, da die Blumen verblüht sind, mit um so größerem Wohlgefallen ruht. Der Luxus der Kunst kontrastiert ein wenig mit dem sehr einfachen Anzug der anspruchslosen, ernsten Dame. Ihr schwarz- oder grauseidenes Kleid ist kaum durch eine dunkelrote Schleife ein wenig aufgeputzt.

Trotz ihrer Schmucklosigkeit ist die Erscheinung dennoch elegant. Elegant für ihren Gatten, schmucklos zum Vorteil der Armen.

Wie sie das Ende der Allee erreicht hat, kehrt sie um. Wir können sie jetzt sehen. Aber sah ich sie nicht schon in den Museen von Amsterdam und dem Haag? Sie erinnert mich an eine Dame Philipps von Champagne. Gerade so frei und offen, so ehrlich blickte jene, intelligent genug, und dennoch einfach, lange nicht schlau genug, sich der schlimmen Künste der Welt zu erwehren. Die Erinnerung an das Bild dieser Dame ist mir dreißig Jahre lang im Gedächtnis geblieben; und immer taucht es wieder auf, und beunruhigt mich, und macht mich fragen: »Wie hieß sie nur? was hat sie erlebt? hat sie ein wenig Glück auf Erden gekannt? ... Und wie ist sie mit dem Leben fertig geworden?«

Dies Bild erinnert mich an ein anderes Porträt, von van Dyck, eine sehr zarte, kränklich aussehende Dame. Das matte Weiß ihrer wunderbar zarten Haut schmückt einen leidenden Körper. In ihren großen Augen liegt eine unendliche Melancholie. Die Melancholie des Alters? des Herzenskummers? vielleicht auch des Klimas? Es ist der weite, unbestimmte Blick jemandes, der für gewöhnlich vor seinen Augen den Ocean des Nordens hatte, das unendliche, graue, nur von dem Flug des Sturmvogels belebte Meer.

*

Aber kommen wir zurück auf die Dame im Garten. Wenn ich nicht ihre ernsten Betrachtungen zu stören fürchtete, würde ich sagen: »Auch Sie sind melancholisch, Madame! ... Sie, die Sie so weise, so bescheiden sind – was haben Sie?« »Was ich habe? ich? was alle bewegt in diesem Augenblick, eine Sehnsucht in die weite Ferne, ein Bedürfnis, mich auf und davon zu schwingen. Aber ach! die Schwingen fehlen mir! des Schwans weiße Segel, der Schwalbe pfeilschnelle Flügel. Ich hänge, und wie stark! an der Erde ... Gott ruft mich, und doch bin ich hier wie festgebannt ... Und der mich bannt, ist wieder Gott. Wie glücklich sind die Vögel! sie ziehen in Scharen, familienweise in die Ferne. Wir stellen fast immer einer nach dem andern die einsame Wanderung nach dem Jenseits an. Man lebte zu Zweien und macht allein die unbekannte Reise. Diese Trauer, diese Befürchtung bringt das Alter denen, die lieben. Ich glaube, hoffe und vertraue. Ich werde nur sterben, um zu leben. Und dennoch! wenn es ein Leben wäre ohne Wiedersehen? ...«

»Und wollen Sie wissen, was weiter mich beängstigt? ... Es thut mir weh, daß ich noch immer so unvollkommen bin. – Er nennt mich sein Heiligtum ... Wie wenig verdiene ich diesen Namen! ... wie gern hätte ich für ihn der Kindheit Unschuld, einen keuschen Schatz der Weisheit, einen Ruheort, der das Paradies seines Herzens gewesen wäre, bewahrt. Wie gern hätte ich in diesem seinen Garten täglich einige Dornen entfernt und eine Blume mehr dafür gepflanzt! Aber Wünschen ist nicht Vollbringen und ich bin noch weit vom Ziele ...«

Das sind ihre Zweifel, ihre Fragen und Antworten, während sie im Garten auf und nieder wandelt; die Bedenken, die ihre schöne, reine Stirn, welche die Zeit noch nicht zu berühren wagte, für einen Augenblick furchten.

Ist das alles? ... Sind es nur Gedanken der Zukunft, nur das hohe Streben nach dem Ideal, die diese Traurigkeit erzeugten? ... Ich, der ich Sie kenne, Madame, der ich Ihnen mit den Blicken gefolgt bin von Ihrer Kindheit an, wage zu behaupten, daß Ihr Herz noch einen anderen Kummer birgt und verheimlicht. Ohne Zweifel fürchten Sie, Ihren Gatten zu betrüben? Oder ist es wahr, daß eine Frau auch noch in späteren Jahren gewisse Dinge zu gestehen sich scheut? »Sie wollen es wissen? ... Nun wohl; was mich betrübt und ängstigt, ist – daß ich morgen eine alte Frau sein werde ...«

»Ich bin nicht so thöricht, mich wider den Willen Gottes aufzulehnen. Wie gern wollte ich altern, stände ich allein! Aber ich liebe und werde noch immer geliebt. Die Liebe ist ein doppeltes Geheimnis. Sie ist nicht bloß Geist. Das Glück, das mir ein treuer, zärtlicher, noch immer jugendkräftiger Gatte bereitet, drückt mich, denn ich fühle den Fortschritt der Zeit. Seinethalben möchte ich ein Etwas von dem bewahren, was ihn entzückte. Ich war ihm stets, – wie oft hat er es mir versichert! – die Quelle der Jugend und die Lust des Lebens. Seine Illusion blieb, nicht die meine. Ich wage nicht, ihm meine Gedanken, meine Unruhe zu gestehen. Wenn ich schweige, wenn ich eine Huldigung, deren ich so wenig würdig bin, hinnehme, so klage ich mich an, und bin böse auf mich, weil ich mir falsch und eitel vorkomme. Seine Zärtlichkeit, seine Anbetung demütigen mich; es ist mir, als gelte sein Entzücken nicht mir, sondern einer anderen.«

»Wohl! glauben Sie, Madame, die rührende Demut, die unruhige Zärtlichkeit, die dankbare Liebe, die gern einen Himmel von Seligkeit zurückgeben möchte, sind der wahre Sporn der Liebe. Je älter der Mann wird, desto mehr fühlt er, daß die Reizendste in Wahrheit die ist, welche am tiefsten fühlt, die sich ganz hingiebt, und es beklagt, nicht mehr geben zu können.«

»Und das erklärt auch die glühende Beständigkeit, die Sie in Erstaunen setzt. Wer sollte eine bescheidene, einfache Frau, die ihren eigenen Wert nicht kennt, und stets glaubt, daß man nur gütig gegen sie ist, nicht lieben? Welches Glück, sie zu enttäuschen! und wer sollte nicht stets das Bedürfnis fühlen, ihren Mut aufzurichten!«

»Was bedauern Sie? die oberflächliche Schönheit der Farbe, der Züge, die Ihnen durch einen Zufall der Geburt ward, ein Reflex Ihrer Mutter, eine Gunst des Jugendalters, die allen gleicherweise zu teil wird? Aber die seltene, rein individuelle Schönheit, mit der Sie jetzt geschmückt sind, das ist ihr eigenes Werk, ist Ihre sichtbare Seele, die Sie selbst schufen durch ein keusches Leben, durch eine edle, beständige Harmonie. Es ist das Licht der Liebe, wie in dem durchscheinenden Alabaster das süße, treue Licht der Lampe, die mit uns in der Nacht wacht.«

*

Wann werden denn endlich die Menschen begreifen, daß jeder sein eigener Schöpfer ist? daß es jedes einzelnen Sache ist, sich selbst schön zu machen? Sokrates war von Geburt der wahre Satyr; und durch sein tiefes Denken, durch die bildende Kraft der Vernunft, der Tugend, der Liebe verschönerte er sein Antlitz so, daß es zuletzt göttlich erschien, daß der Phädon sich an diesem göttlichen Licht entzündete.

Ich habe dieses Phänomen an einem meiner ausgezeichnetsten Freunde, dem ersten Linguisten dieses Jahrhunderts, beobachtet. In seiner Jugend hatte er die gedrückte Häßlichkeit eines kleinen normannischen Bauers, aber sein machtvoller Wille, seine ungeheuren, genialen, tiefen Studien gaben den Zügen seines Antlitzes eine wunderbare Zartheit. Die persische Feinheit, all die subtile Schärfe abendländischer Kritik umschwebte seine Lippen, während das Genie Indiens in der leuchtenden Schönheit seiner großen Stirn – groß genug, eine Welt zu enthalten – erglänzte.

Ja, soll ich es frei heraus sagen, Madame! Sie waren hübsch, aber schön waren Sie nicht; jetzt sind Sie schön. Und warum? Weil Sie geliebt haben.

Andere lassen sich lieben; aber Sie haben selber geliebt, und stets Ihre Liebe durch Güte, Keuschheit, Treue und Opferfreudigkeit geschmückt. Dafür hat die Liebe Sie schön gemacht.

Das Gemüt der besten Menschen, Männer und Frauen, ist anfänglich einer noch grünen, herben Frucht zu vergleichen. Die Kinder, sei es aus Unwissenheit oder sonst, sind grausam. Junge Leute, wenn sie nicht grausam sind, haben ein viel kälteres Herz, als sie selbst glauben. Jede Begier scheint ihnen Liebe. Die Wärme des Bluts, des Temperaments nennen sie Zärtlichkeit. Aber alle Augenblicke straft eine brüske, barsche, heftige Regung, irgend ein verächtlicher, selbstgefälliger Ausdruck des Gesichts die Anmut Lügen und sagt: »Das Herz ermangelt noch der Liebe«.

Es bedarf der Zeit, der Prüfungen, mit Sanftmut ertragener Schmerzen, es bedarf der Liebe, der treuen Liebe, um die Anmut des Herzens zu schaffen; und auch, was die genaue Übersetzung davon ist, die Anmut der Rede und der Erscheinung, der Gesten und Bewegungen.

Das ist die wahre, reizende Jugend, die sehr spät eintritt.

Noch waren Sie nicht jung, Madame, aber Sie werden es täglich mehr.

*

Ich glaube, man hat bisher wenig darauf geachtet, daß eine Menge anmutiger und liebenswürdiger, d.h. jugendlicher Eigenschaften für die Jugend gar nicht erreichbar sind.

Die Jungfrau, in ihrer halben äußerlichen Gefangenschaft und ganzen innerlichen Befangenheit, in Anspruch genommen von der erwarteten Veränderung ihrer Situation, denkt an die Liebe und die Heirat, d.h. an sich selbst; sie hat weder das Bedürfnis nach Nächstenliebe, noch die Anmut, die diese verleiht. Die junge Frau, die ihre Kinder stillt, oder doch sich viel mit ihnen beschäftigt, ist mit ganzer Seele in der Kinderstube, und wenn sie den Armen giebt, sagt sie: »Betet für meinen Sohn«.

Für die aber, deren Herz von dieser (immerhin liebenswürdigen) Einseitigkeit frei ist, ist jedes leidende Geschöpf das geliebte Kind. Sie strahlt von Zärtlichkeit und thätiger Menschenliebe. Sie schränkt sich selbst ein, aber sie ist gastfrei, und möchte, daß an ihrem reichlichen, einfachen Mahle das ganze Himmelreich, alle Armen, sich niedersetzen könnten. Wenn sie nicht zu ihr kommen, kommt sie zu ihnen, sie giebt viel, und tröstet noch mehr. Sie weint mit den Weinenden. O, wie schön ist sie dann! ... Wie gern möchte ich ihre Hand küssen!

Alle Augenblicke ertappt sie ihr Mann auf frischer That der Nächstenliebe. Da ist es ein Genesender, ein anderes Mal eine Frau, die, von dem Wochenbett erstanden, zu der Helferin in der Not kommt, und ihren Dank und ihre Thränen bringt. Beide setzen die Gute in Verlegenheit. Ihre Danksagungen und Segenswünsche bringen die verborgene Lieblichkeit ihrer Seele an den Tag, und jene schamhafte Nächstenliebe, die ihre Schwäche nicht einzugestehen wagt. Der Gatte lächelt: »Ertappe ich dich wieder einmal!«

Aber der Augenblick, wo jeder Mann sich in sie verlieben müßte, ist, wenn sie, umgeben von einem Kreise junger Leute beiderlei Geschlechts, soviel Güte und Gewandtheit darauf verwendet, die jungen Mädchen zur Geltung zu bringen. Sie weiß diesen armen Stummen irgend ein graziöses Wort zu entlocken, ihnen durch einen Blick, eine Bewegung Mut einzusprechen. Sie ist so weit entfernt von Eifersucht! Sie liebt sie und durch ihre Liebe erweckt sie wieder Liebe in Herzen, die am wenigsten daran gedacht hätten. Und die hübsche Kleine, die vor Schüchternheit nicht zu sprechen, sich nicht zu regen wagt, zieht sie zu sich, streichelt und herzt sie wie ein furchtsames Täubchen ... Und wie reizend erscheint das Kind dann! Aber in ihren Augen liegt der Himmel!

*


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