Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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III. Die Schwangerschaft. – Der Nebenbuhler.

Unter Freunden muß man wahr sein. Ich muß es dir frei heraus, ohne Umschweife sagen: du hast einen Nebenbuhler.– Sie liebt dich, wird dich immer lieben; aber finde dich nur darein, du bist nicht mehr ihr erster Gedanke.

Unter den Sonderbarkeiten, die wir an ihr bemerkten, war die größte (welche freilich nicht bei allen Frauen gleich stark auftritt) die, daß sie in der ersten Zeit, wo sie sich so ganz von dir eingenommen und erobert sah, kleine Widerspruchslaunen, kindische Rechthabereien und Oppositionsgelüste blicken ließ. Die instinktive Freiheit machte sich schüchtern gegen die Übermacht der Liebe geltend.

Die Liebe lachte darüber, und dachte dies, wie alles Übrige, in sich hinein zu ziehen. Du glaubtest es, und täuschtest dich. Wie bei ihr alles lebendig ist, so war dieser schüchterne Widerstand auch nur das neue Leben, das in ihrem Schoße keimte. Die reizende kleine Empörung war nur dein Kind.

*

Es ist ein lebendes Wesen mehr, eine Seele, ein Wille, der diese liebe Seele, die niemals einen andern Willen haben zu können glaubte, als den deinigen, verdoppelt und momentan auch verwirrt. Es ist da, es pocht auf sein Recht. Aus dem Grunde des Milchmeeres, der Finsternis, darin es schläft, wirkt es schon, schafft es schon. Bald beherrscht es seine Welt, diese arme, leidende, erregte Welt, die es einschließt, und schon im fünften Monat hat es an die Thür gepocht und deutlich gesagt; »Hier bin ich!«

»Ich habe es gefühlt!« ruft sie, und hält die zitternde Hand auf die Stelle. »Es regt sich, es lebt ... Da wieder bewegt es sich ... O, mein Kind, du bereitest mir Schmerz ... aber, großer Gott, auch welche Seligkeit!«

Und von dieser Stunde an ist dies nun ihr Gedanke. Er wird sie nicht wieder verlassen. Von ihm träumen, ihm folgen, seinen Bewegungen nachspüren – darin besteht jetzt ihr Leben. Er bleibt nicht aus beim Stelldichein. Er ist ihr unzertrennlicher Liebhaber. Aber wenn sie ungetreu ist, treibt sie kein verstecktes Spiel; sie spricht ohne Unterlaß von ihm. Wie könnte es anders sein? Diese fortschreitende Schaffung eines Wesens in einem andern Wesen ist so verschlingend, daß sie nichts in sich hat, wohin sie sich zurückziehen, wo sie sich vor ihm verteidigen könnte. Und sie denkt auch nicht daran. Denn wenn seine heftigen Bewegungen ihr auch in jedem Augenblick Schmerzen verursachen, so genießt sie dennoch die tiefe Einigkeit dieser Ehe. Die Regungen der süßen Frucht sind nicht immer schmerzlich. Sie bildet sich leicht ein, daß es schon seine Mutter liebet.

Sie sagt dir alles, oder doch beinahe alles. Du bist der glückliche Vertraute ihrer unschuldigen Liebe. Du nimmst teil daran, und willst der dritte sein. Aber wie wenig bedeutest du von jetzt an in ihrem Leben, das so von einem andern Wesen ausgefüllt ist! Es ist jetzt das herrschende, ausschließliche Interesse. Und was es will, das will man; und was es fürchtet, das fürchtet man. Vier Monate vor seiner Geburt beherrscht er das Haus.

*

Der Gatte steht immer dem Vater nach, muß ihm nachstehen. Jede Gewohnheit, jedes Vergnügen wird in dieser Zeit geopfert. Wer möchte sie betrüben, ihr unbequem fallen. ihr Schmerz verursachen? ... warum kann man sie nicht lieber mit Gegenständen der Freude umgeben, sie erheitern, daß sie stets glücklich ist und lächelt? Laßt uns das um jeden Preis erreichen.

Aber der Mensch bleibt immer Mensch. Man ändert nicht so leicht sein Leben von Grund aus. Daher kleine Regungen – nicht gerade von Eifersucht in einem Herzen, wie das deinige – aber einer gewissen Traurigkeit, und auch wohl einige leise Klagen. Sie hörte sie lieber nicht. Zum erstenmale weicht sie aus, scheint taub, entfernt sich. Sie geht nicht weit, sie flieht nicht eben eilig, ihre Furcht, eingeholt zu werden, ist nicht groß. Und sich halb umwendend, sagt sie mit einem zärtlichen und doch ein wenig mutwilligen Lächeln: »Aber, mein Freund, wenn es nun nicht haben will, daß ich dich liebe? Was soll ich thun?« – Sie wollte dich auf die Probe stellen. Die Probe ist vielleicht hart. Sie sieht dich traurig und beeilt sich, dich zu trösten. Zwischen zwei Pflichten geteilt, erfüllt sie die eine, ohne die andere zu verletzen. Wenn nur er nicht leidet, nichts dagegen hat, der kleine Tyrann, so wird sie in allem willig gehorchen, und, weit entfernt, sich zu beklagen, also sprechen: »O, wie glücklich bin ich! du ja nur bist es, den ich in ihm liebe. Und durch ihn wird mir das Glück, dir noch inniger anzugehören«.

In der Liebe ist alles würdevoll und königlich. Ihre freien Sklavendienste, ihre selbstgewollten Demütigungen lassen sie nur noch mehr so erscheinen. Die Frau war niemals königlicher, als in der Entsagung, womit sie die Forderungen einer unerbittlichen Zärtlichkeit erfüllt. Unruhig und bewegt, aber rein, stellt sie alles Gott an Heim. Ihre Schmerzen, daß Hereindrohen der nahen Gefahr erwecken in ihr die ernstesten Gedanken. Wenn du in den Augenblicken einer nur zu egoistischen Lust, wo du sie (die edle Sklavin voll Ergebenheit und Opferfreudigkeit) umfängst, ihren Blick verstehen könntest, so möchtest du wohl ein wenig Reue verspüren, ihn so ruhig, so edel, so voll von dem Lichte des Himmels zu finden.

Sie ist ängstlich, furchtsam in diesen letzten Tagen – ohne Zweifel –, aber vor allem fürchtet sie, Böses zu thun. Sie fühlt dunkel, daß sie das Werkzeug einer unaufhörlichen Schaffung ist, und daß, wenn sie dem Kinde ihr Blut und ihr Leben giebt, sie ihm nicht minder ihre Seele überliefert. Daher diese beständige, diese rührende Besorgnis, ihre Seele rein und heilig zu bewahren.

Wollte der Himmel, man könnte ihr ein Buch geben, das sie aufrecht erhielte; man könnte ihr ein gutes Gebet lehren, nicht um Gott anzuflehen, daß er die Gesetze der Natur verändere, im Gegenteil: sie will nichts, als sich diesen Gesetzen fügen, sich der großen Ordnung einreihen, thun, was Gott will.

Auf diesem Pfade nun, den sie einsam und zitternd geht, wärst du ihre wahre Stütze, wenn du die Liebe durch die Liebe bändigen könntest, und sie nicht fortwährend zur Erde herab zögest. Der Augenblick ist furchtbar ernst. Ihr Tag ist nahe. Denke daran, verschone sie! ... O, wird der Tod sie verschonen?

Habe Mitleid mit uns, o Tod!

*


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