Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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IV.

Du kennst das Museum des Louvre, und vielleicht hast du unter den Skulpturen die Befreiung der Andromeda gesehen.

Diese Gruppe hat sehr gelitten, da sie hundertundfünfzig Jahre unter den Blumen von Versailles gestanden hat, mehr als einmal angestrichen und auf schmähliche Weise von barbarischer Hand abgekratzt wurde, so daß die Feinheit der Linien verschwunden ist. Gleichviel, schaffe sie im Geist wieder: zart, warm, lebendig, wie sie aus der begeisterten Hand Pugets hervorging.

Dieser große Künstler, in welchem die leidende Seele eines kranken Jahrhunderts wohnte, war in der Provence geboren und verbrachte sein Leben angesichts der Hölle von Ludwigs XIV. Galeeren. Er hat stets nur unglückliche Gefangene gemeißelt. So ist sein Milon, der, im Baume gefangen, von dem Löwen zerrissen wird; so sein Atlas in Toulon – beide Werke trostlos ruiniert – so seine kleine Andromeda.

Perseus hat soeben das Ungeheuer, welches sie verschlingen wollte, getötet. In einer Wallung unsäglicher Lust hebt er mit einem Finger die schwere eiserne Kette auf, die das junge Mädchen gefesselt hielt. Sie, ihrerseits, verwirrt, halb tot, weiß nicht, wo sie ist. Sie könnte sich nicht aufrecht halten, so sehr ist sie durch den rauhen Druck der Ketten und vor allem durch die Furcht entkräftet. Sie kann nicht weiter. Dieser Zustand äußerster Schwäche und gänzlicher Hingabe ist durchaus zum Vorteil des glücklichen Befreiers. Denn am Ende ist sie doch nicht tot; ihr kleines Herz schlägt, und für wen? man kann es sich denken. Die Augen geschlossen, hängt sie sich mit ihrer ganzen Last an ihn. Ihr noch stummer und doch so beredter, reizender Mund scheint zu sagen: »Nimm mich, fasse mich, trage mich ... Ich bin dein, sorge für mich ... Ich gebe mich dir, sei meine Vorsehung, mache mit mir, was du willst.«

Ein liebliches, leidenschaftliches Werk, das in einer Beziehung albern ist, und doch auch gerade dadurch seine Leidenschaft beweist. Der Künstler hat uns so für seine Kleine zu interessieren gesucht, daß er sie ganz klein gemacht hat, von der Größe eines Kindes mit den Formen einer Frau. Sie scheint von einer andern Rasse als ihr Befreier, ein junger Mann von sehr hohem Wuchs, eher lang als groß, der schwächliche Herkules eines Epigonengeschlechts, wie ihn das frauenhaft gesinnte Jahrhundert Ludwigs XIV. sich denken mochte, und wie ihn das starke Altertum nie konzipiert hätte.

Wie dem auch sein mag, dieser außerordentliche Künstler hat seinen Zweck erreicht. Er hat Liebe und Mitleid auf das wirkungsvollste dargestellt. Alle, welche dies Werk sehen, rufen gerührt: »O, wie glücklich ist dieser Perseus! ... Wie gern wäre ich an seiner Stelle gewesen und hätte das kleine Mädchen gerettet!«

*

Glücklich, wer eine Frau befreit! wer sie loslöst aus der physischen Notwendigkeit, in welche die Natur sie bannte, aus der Hilflosigkeit ihrer Einsamkeit, von so viel Leiden und Hindernissen! Glücklich, wer sie belehrt, erzieht, sie kräftigt, sie zu der Seinen macht! ... Er hat nicht nur sie befreit, er hat sich selbst befreit.

In dieser gemeinsamen Befreiung hat der Mann ohne Zweifel die Initiative. Er ist stärker als sie, er ist gesünder (da er vor allem die große Krankheit, die Mutterschaft, nicht hat). Er hat eine kräftige Erziehung genossen. Er ist durch die Gesetze begünstigt. Die höheren Berufsarten kommen ihm zu; seine Einnahmen sind größer. Er ist nicht an die Scholle gefesselt; geht es ihm hier schlecht, so versucht er es an einem andern Orte. Die arme Andromeda muß, ach! auf ihrem Felsen sterben; und wäre sie geschickt genug, sich von ihm loszumachen, ihn zu verlassen, so würden wir sagen: »Sie ist eine Landstreicherin.«

Aber, lieber Perseus, von wie vielen Sklavenbanden wird die Frau, nachdem du sie einmal befreit hast, dich befreien! Zählen wir sie einmal!

Von der Sklaverei der Gemeinheit. Wenn du das Glück an deinem Herde findest, so wirst du des Abends nicht ausgehen, die Liebe zu suchen unter den qualmenden Lampen eines Balls, nicht die Seligkeit in der Gosse.

Von der Sklaverei der Schwäche. Du wirst dich nicht einherschleppen, wie dein bejammernswerter Kamerad, jener junge, fette, bleiche, verbrauchte Greis, der die Frauen lachen macht. Die wahre Liebe wird dich schirmen und deine Kräfte zusammenhalten.

Von der Sklaverei der Mutlosigkeit. Wer stark ist und Manneswerke thut, wer, wenn er zur Arbeit geht, ein geliebtes Wesen zu Hause läßt, das ihn liebt und nur an ihn denkt, hat schon deswegen allein ein fröhliches Herz, und ist den ganzen Tag guter Dinge.

Von der Sklaverei des Geldes. Schreibe dir diese sehr exakte arithmetische Regel in deine Schreibtafel: Zwei Personen geben weniger aus als eine.

Ich sehe eine Menge Junggesellen, die aus Furcht vor den Kosten der Ehe Junggesellen bleiben, und unendlich viel mehr ausgeben. Sie leben sehr teuer in den Cafés, in den Restaurationen, sehr teuer in den Schauspielhäusern. Die Havannacigarre, die ihr den ganzen Tag raucht, ist schon allein eine große Ausgabe.

Weshalb raucht ihr? »Um zu vergessen,« antwortet ihr. Aber nichts ist verderblicher. Man darf niemals vergessen. Wehe dem, der das Unglück vergißt! er sucht niemals nach dem Heilmittel. Der Mann, der Bürger, der vergißt, stürzt sich, stürzt das Vaterland ins Verderben. Wie bevorzugt ist der, welcher zu Hause ein liebendes, treues Wesen hat, dem er alles sagen darf, die ihm die Leiden tragen hilft! Sie wird ihm das Vergessen, das Träumen unmöglich machen. Ihr sollt leiden, lieben, denken. Das ist des Mannes wahres Leben.

Wenn die Frau keine Freundinnen hat, deren Rivalität sie verwirrt und sie zur Putzsucht verleitet, giebt sie gar nichts aus. Sie verringert alle eure Ausgaben, so daß die oben aufgestellte Berechnung nicht richtig war. Es muß nicht heißen »zwei Personen«, sondern »vier Personen geben weniger aus als eine«. Sie ernährt noch überdies zwei Kinder.

Wenn die Ehe vernünftig, voraussehend ist, wenn die Familie nicht zu schnell wächst, so ist die Frau, weit entfernt davon, ein Hindernis für die freie Bewegung zu sein, im Gegenteil die natürliche und wesentliche Bedingung derselben. Warum wandert der Engländer, mit so großen: Nutzen für England selbst, so leicht aus? Weil seine Frau ihm folgt. Wenn man die verderblichen Klimata (wie Indien) ausnimmt, so kann man sagen, daß die englische Frau die ganze Erde mit kraftvollen englischen Kolonien bedeckt hat. Die Kraft der Familie schafft bei ihnen die Kraft und Größe des Vaterlandes.

*

Eine gute Frau, ein gutes Handwerk. Hast du das, junger Mann, so bist du frei; ich meine, du kannst gehen oder bleiben.

Gehst du, ich meine für einige Zeit (denn ich kann nicht glauben, daß man Frankreich für immer verläßt), so wirst du dich sehr stark fühlen, denn du hast eine Welt von Liebe und Freiheit mit dir. Du wirst darauf achten, woher der Wind weht, und sprechen: »Mir gehört die Erde.«

Bleibst du, so wirst du, durch die Liebe frei von Lastern und sinnlosen Ausgaben, über so viele arme geplagte Millionäre lachen und jene Menge verachten können, die sich vor der Glücksgöttin in den Staub wirft. Du wirst sagen: »Mögen sie doch ihr Leben verbrauchen im Jagen nach Schätzen. Ich liebe. Ich habe meinen Schatz gefunden.«

*

Ein Handwerk und eine Frau, das ist die erste Freiheit; alle anderen kommen aus ihr.

Ich sage ein Handwerk, nicht eine Kunst des Luxus. Die treibt meinetwegen nebenbei. Desto besser. Aber zuvor bedarf es einer der Künste, die allen nützlich sind. Wer liebt und seine Frau ernähren will, hat keine Zeit, mit seiner Eigenliebe zu Rate zu gehen und die genaue Grenze zwischen Kunst und Handwerk aufzusuchen. Und diese Grenze ist noch dazu imaginär. Wer erkennt nicht, daß die meisten Handwerke, wenn man auf den Grund geht, wirkliche Zweige der Kunst sind? Das Schuster-, das Schneiderhandwerk stehen der Skulptur sehr nahe. Ja, soll ich es sagen? für einen Schneider, der die Natur fühlt, formt und berichtigt, würde ich drei klassische Bildhauer geben.

*

Denke an alle dieses, lieber Freund, gleichviel, ob du auf Schulen studierst oder sonst ein junger Arbeiter bist. Fange schon in den Tagen der Ruhe an, nachzudenken, dein Leben vorzubereiten, schon von weitem zu ordnen. Benutze diese Augenblicke, und wenn zufällig dies Buch in deine Hände fällt, lies ein paar Seiten daraus und denke darüber nach. Es hat, außer anderen Fehlern auch den, außerordentlich gedrängt gefaßt zu sein.

Das wird später von anderen und besser nachgeholt werden. Wenn er, der dieses schreibt, still und heimlich in der Erde von seiner Arbeit ausruhen wird, dann wird ein besserer Kopf diese seine unvollkommene Skizze zu einem ausführlichen Werke erweitern und daraus vielleicht ein großes, fruchtbares, unsterbliches Buch machen. Aber da das alles doch nur immer wieder aus demselben Elemente geschaffen werden kann (aus der Liebe und dem Menschenherzen, welche dieselben sind in mir und dir), so kannst du selbst schon ans diesem trockenen Material dir zum voraus das Buch deines Lebens schreiben.

Denke daran am Sonntag Abend, wenn die wilde Schar der lärmenden Freunde die Treppen hinunterstürmt und laut an deine Thür pocht und ruft: »Nun! wird's bald? ... Dieser Duckmäuser! ... Wir warten auf dich. Wir gehen in die Chartreuse, nach der Chaumière, zum Garten aux Lilas .. Wir haben Amande, Heloise und Jeanneton bei uns.«

Antworte ihnen: »Später ... ich habe noch etwas zu thun.«

Wenn du das sagst, so, versichere ich dir, wird zwischen den zwei bleichen Blumen, die du in dem Rauche von Paris auf deinem Fenster Pflegst, eine dritte erscheinen, eine Blume und dennoch eine Frau ... das leichte, schwankende Bild deiner zukünftigen Braut.

*

Sie ist noch ein wenig sehr jung. Sie zählt vielleicht dreizehn Jahre, du etwa zwanzig? Sie muß wachsen. Aber jugendlich, wie sie ist, wird sie dich, wenn du nur recht an sie denkst, besser bewahren, als dein Vater und deine Mutter. Denn sie ist streng, die Kleine; sie erlaubt dir keine Thorheiten. Wenn du zu einer solchen aufgelegt bist, so wird sie dir sehr deutlich, ohne zu sprechen, sagen: »Nein, mein Freund, bleibe und arbeite für mich.«

Ich gebe dir diesen lieben Schatten zum Wächter und Mentor, zum Lehrer und Erzieher. Wenn sie siebzehn, achtzehn Jahre alt ist, werden die Rollen vertauscht werden. Als Gattin wird sie zu dir kommen und wird es sehr schön und sehr süß finden, daß du jetzt ihr Herr bist.

Dann wirst du Gott danken, dessen erfinderische Güte für dich die Frau geschaffen hat – dies aus himmlischen Widersprüchen zusammengesetzte Wunder.

Dies Buch soll sie dir durch Thatsachen erklären, nicht durch Hypothesen. Sie verändert sich und verändert sich nicht. Sie ist flatterhaft und treu. Sie verwandelt sich fortwährend in dem Halbdunkel der Anmut. Die, welche du heute Morgen liebtest, wird am Abend eine andere Frau sein. Eine Nonne, sagt man, vergaß sich dreihundert Jahre, während sie dem Gesänge der Nachtigall lauschte. Aber wer es verstünde, eine Frau in allen ihren Metamorphosen zu belauschen und zu beobachten, würde nicht aufhören, sich zu verwundern, würde seine Freude daran haben, sich darüber ärgern, aber niemals sich langweilen. Eine einzige könnte uns zehntausend Jahre beschäftigen.

Und dennoch, trotz dieser Kraft, sich neu zu gestalten, ist die Macht der Liebe und ihre glückliche Notwendigkeit bei der Frau so groß, daß sie sich den geliebten Gegenstand ganz zu eigen macht, sich mit ihm durchdringt, bis sie er selbst wird.

So nimmt sie stets beim Vorwärtsschreiten an Frauenanmut zu; aber der feste Mut ist männlich geworden.

*

Deshalb, wenn dieses Buch gründlich ist, und wenn du, ihm Schritt für Schritt folgend, deine Frau von äußeren Einflüssen frei und ihrer Natur treu bewahrst, so kann ich dir kühn das Wort sagen, welches alles zusammenfaßt:

»Fürchte nicht, dich zu langweilen, denn sie wird sich unaufhörlich verändern. Fürchte nicht, dich vertrauensvoll hinzugeben, denn sie wird sich nicht verändern.«


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