Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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VIII. Du mußt deine Frau schaffen; es ist ihr eigener Wunsch.

Die Frau von achtzehn Jahren wird willig die Tochter, ich meine, die gelehrige Gattin eines Mannes von achtundzwanzig oder dreißig Jahren sein.

Sie vertraut sich ihm in allem an, glaubt leicht, daß er alles besser weiß, als sie, als alle Welt, besser als Vater und Mutter (die zu verlassen ihr Thränen, aber nicht eben große Mühe kostet). Sie glaubt alles, was er ihr sagt, und ihm ihr Herz, ihre Person überantwortend, ist sie weit davon entfernt, die seinen Unterschiede der Meinungen zu erörtern, die doch im Grunde sie auseinanderhalten könnten, und ohne sich das selbst klar zu machen, bekennt sie sich zu seiner Religion, seiner Philosophie.

Sie glaubt und begehrt, ein durchaus neues Leben anzufangen, das mit dem alten in keiner Beziehung steht. Sie will mit ihm, durch ihn wiedergeboren werden: »Sei dieser Tag,« sagt sie, »der erste meiner Tage. Was du glaubst, das glaube auch ich; dein Volk soll mein Volk, und dein Gott soll mein Gott sein

Herrlicher, unberechenbar wichtiger Augenblick für den Mann. Ihm liegt es ob, ihn dauernd zu machen.

Er muß wollen, was sie will, muß sie beim Worte nehmen, sie umbilden, neugestalten, sie schaffen.

Befreie sie aus ihrem Nichts, von allem, was sie verhindert zu sein, was sie ist, von ihrer traurigen Vergangenheit, von all den Erbärmlichkeiten der Erziehung und Familie.

Übrigens ist es ihr eigener Vorteil, ist es das Interesse eurer Liebe. Weißt du, warum sie durch dich umgeschaffen werden will? Weil sie ahnt, daß du sie mehr lieben und immer mehr lieben wirst, wenn du sie zu der deinen und zu dir selbst machst.

So nimm sie denn in deine Arme, an dein Herz, wie sie sich giebt, ein zärtliches kleines Kind.

*

Sie fühlt, sie weiß mit dem Seherblick der Frau, daß die Liebe in der Neuzeit nicht das liebt, was sie findet, wohl aber das, was sie selbst schafft.

Wir sind Arbeiter, Schöpfer und Baumeister – die wahren Söhne des Prometheus. Wir wollen nicht eine fertige Pandora, sondern eine, die wir selber machen.

Das ist es, was unseren Zeiten, die man erkaltet glaubt, Kräfte zur Liebe geben wird, die den früheren Epochen unbekannt waren, ganz neue Wiederbelebungen von Glut und Leidenschaft.

Die Liebe der alten Zeiten für ein bestimmtes Ideal war beinahe schon in der Geburt tot; sie mußte sich bald gegen etwas abkühlen, das nicht ihr eigenes Werk war. Aber unsere moderne Liebe für ein entwicklungsfähiges Wesen, für ein lebendes, liebendes Werk, das wir Stunde für Stunde schaffen, für eine Schönheit, die uns wahrhaft gehört und sich zu jeder Höhe erhebt, die unserer Kraft erreichbar ist – welch unerschöpfliche Flamme muß daraus tagtäglich kommen ... Wie das? bei jeder Gelegenheit, sei sie heiter oder ernst, immer und überall. Es wird damit sein, wie mit jenen Feuermeeren, die unter einigen Landstrichen von China glühen. Schlage, grabe, wo du willst – und die Flamme lodert empor.


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