Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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Drittes Buch.

Von dem Fleischwerden der Liebe.

I. Empfängnis.

Die Liebe ist etwas sehr Hohes, sehr Edles bei der Frau. Sie setzt ihr Leben dabei aufs Spiel.

Jedesmal, daß sie sich zur Vereinigung in Liebe versteht und der Begierde des Mannes nachgiebt, nimmt sie es auf sich, für ihn zu sterben.

Was wagt er? Nichts, höchstens daß er ein wenig mehr arbeiten und ein Kind ernähren muß. Was wagt sie? Alles. Nicht bloß wird sie die Krisis eines furchtbaren Schmerzes, in welcher ihr Leben an einem Faden hängt, sondern auch die Möglichkeit eines langsamen Sterbens und von tausend Gebrechlichkeiten, die so grausam sind, daß der Urheber selbst davor zurückschaudern könnte, auf sich nehmen.

Junger Mann, der du die Liebe für eine so allerliebste, leichte Sache hältst, nimm und lies, ich bitte dich, ein einziges der Bücher, die dir die weitschichtige, fürchterliche Litteratur der Entbindung und der Krankheiten, die ihr folgen, darbietet. Bei der bloßen Aufzählung wirst du die Arme sinken lassen, bei der Beschreibung wird dir der Schweiß auf die Stirn treten, und wenn du bis zu dem grauenhaft sinnreichen chirurgischen Detail der Operationen durchdringst, die wohl quälen, aber nicht heilen, wird das Buch deinen Händen entfallen. Was sie ertragen, diese armen, schwachen Kreaturen, mit ihrem Leibe, ihrem Fleische, das kannst du, der starke Mann, nicht einmal in Gedanken ertragen.

Die Liebe ist die Schwester des Todes. So hat man gesagt und oft wiederholt. Aber wer hat noch ergründet, bis zu welchem Grade sie die Schwester des Schmerzes ist?

Möge dies strenge Wort auf der Schwelle der schönen Welt der Liebe, in die du durch einen Triumphbogen aus Blumenkränzen einzutreten glaubtest, eingegraben sein... Lies dieses Wort, nicht um zurückzuschrecken (es ist das Gesetz der Natur), sondern um endlich die erhabene Schönheit der Frau zu begreifen. Sie nimmt alle Gefahren auf sich, den Tod, die Unendlichkeit des Schmerzes, um ihm, den sie liebt, die Unendlichkeit des Genusses, das Leben von Jahrhunderten in einem Augenblick, den Abriß der Ewigkeit zu geben.

»Sei glücklich, und möge ich sterben! sei glücklich, und möge ich ewig deshalb leiden!« Das ist das Wort, das sie im Herzen hat. Und sie hat die Großmut, es nicht auszusprechen; es würde dich zu sehr betrüben, es würde deine Wonne erstarren machen, wenn dieses herbe Wort des Todes, das in der Tiefe ihrer Gedanken schlummert, unter deinen Küssen über ihre Lippe käme ... Nein, sie will das alles für sich behalten ... Dir der Himmel, dir die Lust! Für sie das Wetterleuchten und die Schrecken der Zukunft.

*

Uneigennütziges Opfer! Es ist eine alberne, sehr gewöhnliche Eitelkeit der Männer, zu glauben, daß die Frau ihnen nachgiebt, weil die physische Liebe sie besiegt. Dieser Irrtum ist bei ganz jungen Leuten zu entschuldigen, aber er ist sehr lächerlich bei allen, die nur ein wenig Erfahrung haben. Wer die Frauen kennt, weiß sehr gut, daß sie fast immer nur Gefälligkeit und Güte mitbringen. In unseren zivilisierten Zeiten ist der Reiz zur Lust bei ihnen sehr gering. Diese Kälte verdanken sie zwei Ursachen, einmal der unendlichen Masse nervöser Kraft, die sie in Anmut und Sprechen ausgeben, und sodann, zu häufig, dem krankhaften Verluste, den sie selbst in den Zwischenräumen der regelmäßigen natürlichen Krisen erleiden.

Um die Sache gerade heraus zu sagen, und wäre es auf Kosten des Männerstolzes, die Frauen geben fast immer nach, ohne irgend verblendet zu sein, um ihre Bestimmung als Frau zu erfüllen, um sich der Liebe des Mannes zu vergewissern und sich eine Familie zu schaffen; sie geben nach aus Zärtlichkeit für ihn, aus dem sehr edlen Bedürfnis, das ihnen innewohnt, sich für andere zu opfern.

*

Der große Physiolog Burdach, unser berühmter Meister, macht folgende sehr schöne und sehr wahre Bemerkung: »Bei den Tiergeschlechtern erscheint die edle Natur des Weibchens darin, daß sie die Begattung nur um der Fortpflanzung willen sucht.« Und dann ein anderer Zug: »Das Männchen ist grausam vor dem Genuß in der Blindheit seiner wilden Begierde, und wenn das Weibchen grausam ist, so ist es nur nach dem Genuß und in der Mutterschaft, um ihre Jungen zu verteidigen.«

Das Kind ist die Wiedererstattung, die kostbare Vergeltung der Leiden und der Gefahren, denen Trotz zu bieten die Liebe von der Frau heischt: Es ist für sie: »der Preis der Lust,« wie es Vergil so edel ausdrückt. Aber auch ohne diese Hoffnung weiß die Gattin sich zu weihen. Fruchtbar oder nicht, sie übernimmt ihre erste Frauenpflicht, die Pflicht, das Herz des Mannes zu erfrischen, zu verjüngen. Sie ist die Quelle des Lebens (Genesis), aber sie ist es in einem doppelten Sinne: wenn sie es nicht dem Kinde giebt, so giebt sie es dem Gatten.

Wie wenig hat die schmähliche und subtile Wissenschaft der Scholastiker, die so ins Blaue hinein von Dingen gesprochen haben, ihren heiligen Ernst erkannt. Sie fanden nur ein Fröhnen des Genusses darin und waren blind für das Ernste, für die Gefahr, für das Opfer, den eigentlichen Kern der Sache, für den grundtiefen Austausch des Lebens, welches ihr eigentliches Mysterium ist.

Unser Jahrhundert, das Jahrhundert der Arbeit, weiß sehr wohl, daß der Arbeiter, der Produzent in jeder Hinsicht, der von seinem Leben, von seinem Geiste zusetzt, notwendig in der Natur den Ersatz dafür suchen muß. Die Gattin weiß sehr wohl, daß sie die Natur selbst ist, das heißt die Wiedererstattung, der Trost, das Glück, die Lust. Sie ist der Preis des Tages, der Abendfrieden, die Ruhe. In ihr allein findet er Vergessenheit – Vergessenheit tief wie der Tod, die ihn alle Tage neu gebärt. Was macht ihn denn wieder leben, wenn nicht sie? Aber wie giebt sie ihm das Leben wieder? Dadurch, daß sie das ihrige wagt. Sie sieht, daß er blind ist in seinem Entzücken, und doch macht sie ihn zum Herrn über ihr Schicksal, doch giebt sie ihm alle Macht über sich. Die großartige Ruhe eines Herzens, das seine Pflicht thut, läßt sich durch die Folgen nicht beirren. Sie lächelt in Frieden; wagt sie doch nur ihr Leben! Und sie liebt ihn deshalb nicht weniger ... Was sage ich? liebt ihn mehr noch um ihres Opfers, ihrer Gefahr willen. Alles, was er an Wollust nimmt, giebt sie ihm doppelt in Liebe zurück.

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Die Gelehrten und die Thoren werden euch sagen, daß alles dies instinktiv sei, daß die Frau in ihrer Hingebung nur dem Rausche der Natur folge u. s. w. Gewöhnlich ist gerade das Gegenteil der Fall. Der stürmische Drang ist bei ihr gering, desto größer ihre Ruhe, ihre Zärtlichkeit. Der Mann liebt im Rausche, sie bei vollständigem Bewußtsein.

Ich schäme mich, es niederschreiben zu müssen; aber die Sache ist am Ende zu wahr, als daß man sie verschweigen könnte. Die Liebe des Mannes zeigt sich zu oft am Abend, in der sehr niedrigen Aufregung, in die ihn ein reichliches Bankett, vorzüglich in den Festlichkeiten des Herbstes und Winters, versetzt, wenn die Ernte eingebracht, der Speicher gefüllt und die Weinlese beendigt ist. Daher die so häufigen Konzeptionen in den Wintermonaten, die auf unwürdige Weise, ohne Liebe, der unterwürfigen, nicht um ihren Willen befragten Frau zugemutet wurden.

Wenn im Gegenteil sie zuweilen das süße Feuer verspürt, so ist es in den ruhigen und poetischen Stunden, bei dem frohen Erwachen des Morgens, im Frühling besonders, wenn Gott will, daß man liebe, wenn ein Hauch der Fruchtbarkeit, welche die Pflicht der Natur ist, die Frau und die Blume belebt.

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Wehe den Kindern der Finsternis, den Söhnen der Trunkenheit, die neun Monate vor ihrer Geburt eine Schmach waren, die der Mutter angethan wurde!

Wer aus der nächtlichen Orgie hervorgeht, aus der wahren Vergessenheit der Liebe, aus einer Entweihung des geliebten Wesens, wird ein trauriges, elendes Dasein hinschleppen.

Aber es ist ein großer, ein mächtiger Segen, empfangen zu sein im Lichte, wenn die Liebe sich nicht in Wüstheit an das Geschlecht wendet, nicht an eine beliebige Frau, sondern an diese einzige Frau, an dieses Herz, welches ihr gehört; wenn die Liebe spricht: »Sie und keine andere«; wenn der Liebende sich in dem Lächeln der Geliebten, in ihren klaren Augen, die ihm das Morgenlicht zurückstrahlen, spiegelt; in ihrer reizenden Überraschung, in ihrer naiven Wonne, die da sagt: »Ich träumte gerade von dir!«

Die tiefe, vollkommene Übereinstimmung der Herzen, der feine Sinn, welchen sich die Liebe in ihrem dunkelsten Momente, in diesem Leuchten aus der Finsternis, für das geliebte Wesen bewahrt – sie reifen eine göttliche Frucht: den Sohn der Freiheit, des Lichts. Beide wollten. Es ist kein Zweifel, daß die Heroen aus der höchsten freiwilligen Liebe hervorgingen.

*

Es ist Tag geworden; er ist aufgebrochen, die Arbeit hat ihn abgerufen. Die junge Gattin erhebt sich, in bescheidener Würde und doch sich selbst ein wenig fremd. »Bin ich es denn wirklich? ... Doch, ja ... Wunderbar, ich habe meine Pflicht gethan, dennoch fühle ich mich verwirrt.«

»O, wie wenig Ursache hast du dazu, du heller Diamant! Wer von uns kann sich solcher Reinheit rühmen!« so sagen die letzten Sterne, die zu dieser Stunde verbleichen. Sie schauen lächelnd auf die Unschuldige, die sich, still und doch bewegt, in ihrem kleinen Garten ergeht.

Die schönen durchsichtigen Wasser der Quelle, von der sie ein wenig Kühlung heischt, diese Wasser, in denen sich der Himmel spiegelt, sie sagen: »Jungfrau, wollte Gott, unsere Flut, in der du dich rein zu baden glaubst, wäre so rein wie dein Busen!«

»Und doch,« so spricht sie leise, als fürchtete sie, von sich selbst gehört zu werden, »bin ich nicht zu glücklich gewesen?

... Habe ich in jenem feierlichen Augenblicke, der vielleicht eine unendliche Zukunft barg, meine Seele rein bewahrt? Gott hat es gewollt, Gott hat es gethan. Hatte ich Gottes nicht vergessen?«

»Liebe Schwester,« sagen die Blumen und neigen sich vor ihr zur Erde, »wen sollte die Lieblichkeit deiner Seele nicht rühren? ... Thue, wie wir, o frische Blume! Enthülle ruhig deinen unschuldigen Busen, neide dem Thau des Himmels nicht den keuschen Kelch. Wir sind und bleiben rein nach der Liebe, wie vor der Liebe.«

*


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