Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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IV. Das Erwachen. – Die junge Herrin vom Hause.

Das Erwachen auf dem Lager, das Entzücken des jungen Mannes, der gestern allein war und sich heute zu Zweien sieht, der (und er traut seinen Augen kaum) diesen reizenden Kopf, dies süße Geschöpf betrachtet, das da wehrlos unter seinem Schutze ruht ... das ist zu viel für die menschliche Natur, und die Stärksten ertragen es nicht ... Keine Sprache, nicht einmal Thränen vermögen das auszudrücken ... Manchmal erleichtert sich das Herz im Gebet und dankt Gott und der Natur. Manchmal mischt sich auch ein wildes Gefühl des Stolzes in die Liebe und wird kaum zurückgehalten: »Ich habe sie! ich bin ihr Herr! ... Ist es denn wahr? Sie ist mein!«

Aber diesem blinden Entzücken des Triumphes folgt ein edleres Gefühl, der heiße Wunsch, der etwas wiederzuschenken, die euch so unendliche Seligkeit bereitet hat ... »O, Sonne, Mond und alle Sterne! Das ist wenig! ... All mein Blut! Das ist nicht genug! ...« Das Herz drängt sich ihm aus der Brust, bietet sich ihr dar, giebt sich ihr: »Nimm mich, nimm mich hin! ... Nimm meine Seele, nun und immerdar, nimm mein ganzes Wesen, all mein Denken, all mein Sehnen ...«

Die Gesetze der Alten haben diesen Augenblick ergriffen und den Mann feierlich ermahnt, diese Stunde zu weihen und zu verewigen, sein Herz dadurch zu erleichtern, daß er die Zukunft der Frau sicher stellte. Das ist es, was man die Morgengabe nannte.

»Der Mann wird sein Leben für seine Liebe geben und glauben, nichts gegeben zu haben.«

*

Und auch ich, junger Mann, ich halte dich hier auf, und auch ich will von dir eine Gabe fordern.

Bist du reich! hast du Landgüter, Wälder, Paläste? Wohl, behalte sie für dich ... Diese hier ist erhaben über dergleichen. Was ich für sie fordere, ist nur dein Wort, dein Versprechen, daß du deine Frau ehren, ihr nie wieder sein willst, was du gestern einen Augenblick lang warst. Möge dir ihre Jugend, ihre Schwäche, ihr sanfter Gehorsam eben so heilig sein, wie das greise Alter deines Vaters und sein strenges Wort ... Erröte, daß du gegen deine Natur hart und heftig gewesen bist, und gegen wen? gegen sie! daß du den unwürdigen Gedanken gehabt hast: ich bin stark und sie ist schwach ... stark, ihr gegenüber, die sich vertrauensvoll hingibt, stark gegen die Liebe, gegen Gott!

Der Tag kommt, und die Ermüdete ist wieder eingeschlafen ... Wie sie daliegt, bleich, in sich zusammengesunken ... Man sieht es, sie hat sehr gelitten. Dieser harte moralische Kampf war zu viel für sie! Und welche grausame Wunde, in dem angebeteten Geliebten einen rauhen, gebieterischen Herrn gefunden zu haben! ... Er sagt zu sich: »Ich bin unzufrieden mit mir! Ich war toll. Ich habe mir selbst geschadet. Vor meiner Heftigkeit hatte ich ihr Herz so ganz, war ich ihrer Neigung so gewiß! ... Wird sie es vergessen? Wird sie es vergeben? ... Und wenn sie aufhörte, mich zu lieben?«

Er kennt sie sehr wenig, wenn er an ihr zweifelt. Sie erwacht, öffnet die Augen mit einem halben, traurigsanften Lächeln, blickt um sich, und dann verbirgt sie, wie ein furchtsames Kind, einen Augenblick ihr Gesicht ... Ist sie wirklich sehr erzürnt? ... Nein, eher ein wenig verschämt ... Weshalb? Weil sie gelitten, und es scheint, sie hat große Neigung, ihn des Bösen wegen um Verzeihung zu bitten, das sie ihm getan hat. Sie will Frieden, sie will Liebe, und sie selbst macht Frieden, indem sie ihre kleine Hand in seine legt, mit einem Seufzer und diesem einen Wort: »Du Lieber! ...«

Wer könnte da widerstehen? ... Es übermannt ihn; eine Träne benetzt seine Wimper ... Sie sieht es, umarmt ihn und macht ihm schmachtend diesen sanften Vorwurf, der einer Liebkosung gleichkommt: »Wie heftig du bist! Man kann dir nicht widerstehen ... O, du bist mein Herr, und ich liebe dich ... Aber ich fühle mich sehr matt. Meinst du, daß ich aufstehen könnte?«

Sie ist langsam, sie ist träge, ein wenig schwerfällig diesen Morgen, sie, das schlanke, flüchtige Reh. Dennoch erhebt sie sich, die junge Dame, aber züchtig und sich streng verhüllend. Sie läßt sich so bald wie möglich in eine Chaiselongue sinken, wo sie, matt und zerschlagen, sich strecken kann. Und beim ersten Blick in den Spiegel: »Mein Gott, wie häßlich bin ich!« Lebhafter Widerspruch; aber sie wiederholt es.

Sie bei Tische vor einem frivolen Publikum, vor spottlustigen Freunden, eifersüchtigen Freundinnen, neugierigen Brüdern und Schwestern erscheinen zu lassen, wäre eine Barbarei. Spart ihr diese Ausstellung.

Wie dankbar wird sie euch dafür sein, daß ihr dem vorgesehen, ihr Ruhe und Einsamkeit verschafft habt! Selbst eine Mutter setzt dann in Verlegenheit. Wie sehr man sich freut, sie zu sehen, man antwortet ihr nicht gern auf diese oder jene Frage; denn das Geheimnis gehört von jetzt an Zweien. Sie kann nicht eine gute, vertrauensvolle Tochter sein, ohne zu viel von ihrem Manne zu sagen.

»Nein, beruhige dich, fürchte nichts. Niemand wird kommen ... Stärke, kräftige dich durch dieses leichte, warme Frühstück ... dann mußt du mir die Freude machen, dir dein Haus, deinen Garten zeigen zu dürfen.«

In diesem Augenblick sollte es mir nun leid thun, wenn ihr ein reiches Mädchen geheiratet hättet. Sie sind so schwer zufriedenzustellen! Die hübschesten Sachen entlocken ihr kaum ein Lächeln, und dieses Lächeln sagt deutlich genug: »Nicht übel, aber ich habe es schon viel schöner gesehen.«

Diejenige im Gegenteil, die nur an Schönheit, Geist und Tugend reich ist, die in ihrer Bescheidenheit mit dieser großen Mitgift nichts mitzubringen glaubt, die ein ärmliches Leben mit einem behaglicheren Zustande vertauscht – sie ist allerliebst in ihrer Freude, ihrer naiven Überraschung, in dem Vergnügen, welches sie empfindet, alles zu beschauen, zu berühren, sich anzueignen, zu sagen: »Da wären wir denn also bei uns.«

Und wieder: »Reizendes Häuschen, ... es ist an alles gedacht. Wahrhaftig, man möchte sagen, daß alles dies für eine Frau eingerichtet und besorgt sei.«

Glaubt doch nicht, daß es das Teure und Kostbare ist, was einer Frau gefällt und ihr zum Herzen spricht! Durchaus nicht. Was ihnen am meisten behagt, ist, was die Dinge so recht eigentlich der Hausfrau in die Hand giebt, was es ihnen möglich macht, die Gegenstände zu rangieren, aufzubewahren, wohl zu verpacken und zu verteilen mit der Ordnung und Nettigkeit, wie die Frau es liebt: große Wandgelasse, tiefe Schubladen, tüchtige eichene Schränke, um Wäsche und Leinenzeug unterzubringen. Geheime Kästchen und Fächer lieben sie alle, besonders die, welche nichts zu verbergen haben.

Verschieden gestaltete Möbel, Sitze von allen Formen und jeder Höhe, bis zu den niedrigen Kinderstühlen, das gefällt ihnen und mit Recht. Die Frau, welche viel sitzt, muß wenigstens die Stellung bei der Arbeit verändern können; das sind die Freiheiten einer freiwilligen Gefangenen.

Gute Teppiche (die übrigens nicht kostbar zu sein brauchen), aber dick, mit weichen Unterlagen doppelt und dreifach gefüttert, überall hin verbreitet, auf den Treppen selbst, sind dem kleinen Frauenfuß gerade recht, der den zarten Widerstand, die Heimlichkeit und weiche Elasticität derselben so wohl zu schätzen weiß. Und überdies haben sie den Vorteil, ihr die Nähe des Feuers weniger nötig zu machen.

Keine Öfen, sondern Kamine. Ofen und Migräne sind gleichbedeutend. Das Feuer von Holz: es ist heiterer, gesünder. Der unendliche unsichtbare Kohlenstaub schadet dem Manne, welcher aus- und eingeht, wenig, desto mehr aber der Frau, die meistens auf die Stube beschränkt ist und zuletzt ihre Lungen damit anfüllt.

Glücklicher Augenblick, wo man ihr die Schlüssel in die Hand giebt! Ein sicheres Mittel, sie ökonomisch zu machen (wenn sie allein bleibt, ihrer natürlichen Klugheit überlassen), ist, daß sie alles unter ihren Händen hat und die Ausgaben selbst besorgt. Von dem Augenblick an giebt es für sie keine kindischen Gelüste mehr. Wenn etwas sie besonders reizt, so sagt sie: ich könnte es wohl kaufen ... morgen ... und morgen denkt sie nicht mehr daran.

Vergessen wir indessen nicht, daß ein Mädchen aus dem besten Hause manchmal eine verschwenderische Mutter verläßt, die sie verzogen hat, oder eine despotische, die ihr untersagte, sich um die häuslichen Angelegenheiten zu bekümmern, und sie über den wahren Wert der Dinge und des Geldes in Unwissenheit ließ. Da ist denn dringend nötig, daß man sie unterrichtet und sie lehrt, sich vor den Betrügereien der Verkäufer, den Diebstählen der Dienstboten u.s.w. zu schützen.

Übrigens wird sie es sehr gut finden, wenn der Gatte, indem er ihr nach und nach die Bestimmung der Einzelheiten überläßt, die Leitung der Interessen des Hauses im großen und ganzen, die Aufstellung des Budgets für sich behält. Sie lieben nicht eben die Männer, die alledem entsagen.

Mit allerliebstem Widerspruchsgeist verlangen sie, Herrinnen zu sein, und dabei, daß der Mann Herr, das heißt, daß er stark und würdevoll sei. Sie finden oft ein Vergnügen darin, ihn selbst in Frauensachen um Rat zu fragen, und wollen, daß er befehle, entscheide. Es liegt eine gewisse Wollust in diesem Gehorchen, in diesem Gefühl, daß jemand sie ganz und gar besitzt, sie mit seiner fürsorglichen Kraft umfängt und vielleicht auch manchmal seine Macht etwas empfinden läßt.

Kommen wir zum Hause zurück und steigen wir in den Garten hinab.

Und zuvor, könntet ihr der kleinen Frau nicht mit einigen Pfeilern, einem leichten Zinkdach zwischen dem Hause und dem Garten eine kleine offene Galerie schaffen, einen kleinen Portikus für den Winter, wo sie bei schönem Wetter in der Sonne arbeitet oder sich ergeht; einen anderen für den Sommer, wo sie im Schatten näht, stickt und liest, vor einem Bassin beim Plätschern des Springbrunnens? Ein kleiner Zufluchtsort, der so wenig kostet und für unser wechselndes Klima so notwendig ist!

Wie das alles sich verändert hat! Wie reizend dieser einsame Garten durch sie geworden ist! Welch süßes Licht ihn überströmt und verklärt! Wahrlich! die Dinge sind keine Dinge mehr. Alles hat sich beseelt, um sie zu begrüßen, zu segnen. Da ist kein Stein in der Mauer, der sich nicht freute, sie zu sehen. Die Blumen schauen sie an mit den freundlichen Kinderaugen und bewundern sie. Die Kräuter da unten tief an der Erde blühen auf, wenn ihr Fuß sie berührt.

Auch sie ist entzückt, bezaubert von dem Orte. Hier ist sie nun, hier will sie bleiben. Nie wird sie verlangen, daß dieser Zauber sich wieder löse. Versunken in Liebesgedanken, läßt sie dich sprechen, ohne zu antworten; sie trinkt den Thau deiner Worte, wie der stumme Rasen das Wasser der plätschernden Quelle. Ihr bewegter, stummer Mund ist voller Beredsamkeit; beredter noch ihr bewegter Busen, der so sanft sich hebt und senkt und wieder hebt. Sie stützt sich im Gehen auf deinen Arm, und indem sie sich nach und nach, die Hände faltend, dir ganz überläßt, sich an dich hängt, macht sie sich beinahe schwer ... Es ist Zärtlichkeit ohne Zweifel, auch Müdigkeit und die Hitze des Tages ... Das holde Kind läßt sich gehen, läßt sich ein wenig tragen, indem sie mit einem Seufzer sagt: »Ach, wie ist mir wohl bei dir!«

*


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