Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII. Die Frau will die Festigkeit und Vertiefung der Liebe.

Die Frau ist von den nutzlosen Schlachten, die man sich heutiges Tages in ihrem Namen liefert, ziemlich unberührt geblieben. Dieser große Kampf gegensätzlicher Meinungen erregt ihr Interesse nur obenhin. Steht sie höher oder tiefer als der Mann? Die Theorie ist in diesem Punkte weniger wichtig. Überall, wo die Frau ernst und fein und klug ist, ist sie die Herrin, beherrscht sie das Haus, die Geschäfte, selbst das Geld, disponiert sie über alles.

Soll sie gehorchen? Ihr glaubt, sie werde sich widersetzen? Durchaus nicht. Sie lacht und schüttelt den Kopf. Sie weiß recht gut aus sich selbst, daß, je größer ihr Gehorsam, ihre Herrschaft desto sicherer ist.

Was wünscht im Grunde die Frau? welches ist ihr geheimer Gedanke? der instinktive, undeutliche Gedanke, den, ohne ihn sich ganz klar zu machen, sie überall und zu jeder Zeit verfolgt? der Gedanke, welcher vollkommen ihre scheinbaren Widersprüche, ihre Klugheit und ihre Thorheit, ihre Treue und ihren Wankelmut erklärt?

Sie will geliebt sein? Ohne Zweifel; aber dies Wort, so allgemein genommen, dringt nicht ins Herz der Sache.

Sie will das physische Vergnügen? Ja, aber nicht eben sehr. In ihrer Eigenschaft als Kranke ist sie empfindlich und enthaltsam; zärtlicher, aber reiner als wir.

Sie will innerhalb ihrer vier Pfähle herrschen, Herrin im Hause, Herrin im Bett, am häuslichen Herde, am Tische, in ihrer ganzen kleinen Welt sein. »Das ist es,« sagt die alte Perserin, »das ist es,« sagt Voltaire in seinen Erzählungen, »was den Damen zumeist gefällt.« Es ist wahr, aber es wird erst durch ein tieferes Gefühl erklärt, auf welches sich die drei obigen Punkte zurückführen lassen.

Der geheime wesentliche Haupt- und Angelpunkt ist, daß jede Frau sich als ein mächtiges Zentrum von Liebe und Anziehungskraft fühlt, um das sich alles drehen soll. Sie will, daß der Mann sie mit unersättlicher Begierde, mit nie gestillter Neugier umfange. Sie hat das dunkle Gefühl, daß es in ihr unendliche Entdeckungen zu machen giebt, daß sie reich genug ist, die ausharrende Liebe, welche unaufhörlich weiter spürt und sucht, nicht vergebens suchen zu lassen, daß sie den Sucher fortwährend durch tausend unerwartete Offenbarungen von Anmut und Leidenschaft in Erstaunen setzen kann.

Diese Hartnäckigkeit der Liebe, dieses eifrige, nimmersatte Streben, welches die Entdeckung des Unendlichen in einem einzigen Wesen verfolgt, bedingt eine sehr reine, ausschließliche Häuslichkeit, das heißt die Monogamie. Es giebt nichts Frostigeres, als ein Serail – eine Raupenliebe, die sich von Rose zu Rose schleppt, überall den Rand des Blattes benagt und nie bis zum Kelch dringt.

Die Frau ist überall in der Geschichte die Todfeindin des polygamen Lebens gewesen. Sie will die Liebe eines Einzigen, aber sie will, daß es wahrhaft Liebe sei, eine unersättliche, unruhige Leidenschaft, die, wie die Flamme, fortwährend weiterschreitet und weiterschreiten will. Sie verzeiht es diesem Einzigen, diesem Bevorzugten nicht, daß es ihn so wenig kümmert, was sein Schatz wert sei; daß er thörichterweise schon am Tage nachher glaubt, er habe nun nichts mehr zu lernen.

Daher die unglücklichen Versuche eines von Natur so treuen Wesens, das immer treu gewesen wäre, anderswo eine Seele zu finden, welcher mehr an ihrer Seele gelegen ist, welche tiefer in sie eindringt und ein reicheres Glück darin findet. Es gelingt ihr nicht. Der Liebhaber wie der Ehemann nippt bloß an dem tiefen Becher. Beide wissen nicht, daß auf seinem Grunde die größte Süßigkeit liegt.

Der Mann begehrt, die Frau liebt. Er hat Hunderte von polygamen Religionen und Gesetzgebungen erfunden. Er wollte genießen und dauern; er suchte einmal das Vergnügen, sodann das Fortbestehen durch eine zahlreiche Familie. Die Frau wollte nichts, als lieben, angehören, sich hingeben.

Wie groß ist ihre Liebe! wie groß ihr Widerstreben gegen die Unreinheit der Polygamie, die man ihr zur Pflicht machte! In dem indischen Mahabharata will sie nur einen lieben; sie wird dafür bestraft und stirbt. In dem persischen Zend-Avesta verlangt sie, als sie von den Magiern aufgefordert wird, zu sagen, was den Frauen gefällt, einen Schleier, hüllt sich darein und spricht: »Geliebt, gepflegt werden von dem Gemahl, Herrin sein im Hause.« Diese schöne Antwort mißfällt; man schlägt sie; sie stirbt. Aber ihre Seele schwebt zum Himmel und es ertönt ihr Ruf: »Ich bin rein!«

*

Ein sehr merkwürdiger Umstand bei diesen alten Offenbarungen des Frauenherzens ist, daß die Liebe darin allein, ohne den Gedanken der Fortpflanzung, erscheint.

In der Liebe sieht sie die Liebe, ihren Geliebten, ihren Gatten. Das Kind wird dann auch kommen. Der Mann bekümmert sich viel mehr um das Fortbestehen des Geschlechts.

Eine junge, sehr züchtige Dame (Madame de Gasparin) hat sich nicht gescheut, diesen zarten Punkt zu berühren und das Geheimnis der Frau zu enthüllen: Der Zweck der Ehe ist die Ehe; das Kind steht erst in zweiter Linie. Die Gattinliebe erheischt eine größere Entsagung, eine strengere Tugend, als die Mutterliebe; denn das Kind ist wieder die Mutter; die Mutter liebt sich selbst im Kinde.

Sie hat dies einfach, naiv, mutig ausgesprochen. Sie hat nicht, wie die alte Perserin, einen Schleier verlangt; denn sie fühlte sich dicht genug umhüllt von ihrer Tugend, von jener edlen Jungfräulichkeit, welche die Gattin bewahrt und nie einbüßt.

Ein sehr keusches Wort, ein Wort, das, genau genommen, im Interesse des Kindes liegt, ein Wort, welches es selber sagen würde, wenn es vor der Geburt spräche. Alles, was es wünschen muß, ist die vorhergehende Einigkeit derer, von denen es erzeugt wird. Leben sie in vollkommener Gemeinschaft der Herzen, so kann das Kind kommen; das Haus ist bereit, ein warmes Nestchen wird es aufnehmen. Käme es und fände nur die Scheidung in der Ehe, so würde es moralisch, vielleicht auch physisch zu Grunde gehen. Deshalb ist jede Frage über Familie und Erziehung einer anderen, die vorhergeht, untergeordnet: der Frage der Liebe, der wechselseitigen Durchdringung der Zwei, welche lieben und allmählich eines werden.

*

Das ist der Gedanke der Frau, wie er, unbefleckt von Heuchelei, in seinem heiligen Ernst lautet, im Gegensatz zu dem Vorurteil des Mittelalters, welches annahm, daß die Ehe nur das Kind zum Zwecke habe, und vergaß, daß die Mutter, bevor sie Mutter wird, Gattin und Gefährtin des Mannes ist.

O, über die tiefe Unwissenheit! Sie wußten nicht, daß die Frau, selbst die, welche keine Kinder hat, auf hunderterlei Weise fruchtbar ist. Sie ist es für ihren Gatten, in welchem die einfachste, ohne daß beide es ahnen, Gefühle, Gedanken und zuletzt Gewohnheiten erzeugt. In jedem Augenblicke findet der abgehetzte Mann die verlorene geistige Spannkraft in der süßen Gesellschaft, in dem keuschen Busen seiner Frau wieder.

Sie ist seine Tochter; sie giebt ihm seine Jugend, giebt ihm seine frische Kraft zurück. Sie ist seine Schwester; sie schreitet vor ihm her auf den rauhesten Pfaden; schwach, wie sie ist, kräftigt sie seine Kraft. Sie ist seine Mutter; sie umfängt ihn mit zärtlicher Fürsorge. Oft, in düsteren Stunden, wenn sein umflortes Auge den rechten Pfad nicht mehr unterscheiden, seinen Stern am Himmel nicht mehr erkennen kann, blickt er auf seine Frau – und in ihrem Auge leuchtet sein Stern.

*

Wir dürfen uns nicht durch die heutigen Sitten, den zügellosen Taumel, den blinden Rausch, von dem wir Zeuge sind, über das Wesen der Dinge täuschen lassen; man darf nicht auf diese Frauen, diese Klassen, diese Zeit allein sehen; man muß die Frau, wie sie war, ist und bleiben wird, im Auge behalten.

Sie ist überall in der Geschichte das stabile Element. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, weshalb. Nicht bloß, weil sie Mutter, weil sie identisch ist mit dem Hause und dem häuslichen Herde, sondern weil sie, im Vergleich mit dem Manne, einen ungeheuern, einen unverhältnismäßigen Einsatz in die gemeinschaftliche Kasse zahlt. Sie giebt sich ganz und ohne Rückhalt. Die Einfachste begreift, daß jede Veränderung gegen sie ist, daß sie bei jedem Wechsel sehr schnell sinkt, daß sie von dem ersten zum zweiten Manne schon fünfzig Prozent verliert. Und wie soll es beim dritten werden? wie beim zehnten? ach!...

Wenn die Rollen vertauscht werden, wenn die Frau aus ihrer Ruhe heraustritt, und die Veränderung – ihre Erniedrigung und ihr Verderben – heischt, so ist das eine Verirrung, ein fürchterliches, unheimliches Symptom von Unglück und Verzweiflung. Diese Umkehrung der Frauennatur spricht weniger gegen sie, als gegen den, welcher ihr Unglück bewirkt; denn es ist die Schuld des Mannes.

In dem erstaunlichen Schauspiel von fieberhafter Aufgeregtheit, das sie uns heute darbieten, in diesem Wahnsinn der Mode liegt viel weniger wirkliche Unbeständigkeit, als Eifersucht und Eitelkeit, oft auch Unruhe, wenn die Jugend und die Schönheit ihnen entschwinden und sie doch jeden Morgen wieder neu sein möchten.

Diese erstaunlichen Veränderungen in dem Putz und in der Toilette sind sehr häufig die wunderlichen Launen eines kranken, thörichten Herzens, welches die Liebe an sich fesseln will. Es giebt sehr treue Frauen, die, um ihren Geliebten sich zu erhalten, unablässig bemüht sind, sich zu verwandeln, zu verkleiden. Sie würden es in der tiefsten Einsamkeit, in der Wüste, in einer Sennhütte der Alpen, wo sie mit ihm lebten, nicht anders machen.

Erreichen sie damit ihren Zweck? Ich glaube es nicht. Die Eindrücke, welche unser Herz empfängt, werden durch diesen ewigen Wechsel viel mehr verwischt, als vertieft. Man fühlt sich versucht, ihnen zu sagen: »Liebe, verwandle dich nicht so schnell! Warum mein treues Herz zu einer ewigen Treulosigkeit zwingen? Gestern warst du so reizend? Ich hatte angefangen, diese entzückende Frau unentbehrlich zu finden! Und heute? Wo ist sie? schon verschwunden? ... Ach, wie sehne ich mich nach ihr! Gieb sie mir zurück! Zwinge mich nicht, die Veränderung so zu lieben.«

Die Toilette ist ein großes Geheimnis. Es bedarf hier der Neuerung, aber nicht einer plötzlichen, nicht einer vollständigen, welche die Liebe nur verwirrt. Das Beiläufige verändert gar anmutig und reicht hin, um alles zu verwandeln. Eine Blume mehr oder weniger, ein Band, eine Spitze, eine Kleinigkeit, ein Nichts entzückt uns oft, und das Ganze scheint uns neu. Diese Veränderung ohne Veränderung spricht zum Herzen und sagt ohne Worte: »Immer eine andere und immer treu.«

*

Die Thorheiten, die vorübergehenden Epidemien des Luxus und der Mode erschüttern in unsern Augen nicht, was wir, in Hinblick auf die Gesamtheit der Zeitalter und Länder, als das wesentliche Gesetz des Frauenherzens, als den Grund ihrer Natur hingestellt haben.

Sie will nicht nur die Liebe, sie will auch die Festigkeit, den leidenschaftlichen, unendlich begehrenden, spürenden Eifer, sich die Geliebte ganz zu eigen zu machen, die ewige Vertiefung der Liebe.

Das will sie und sie will es mit Recht; denn dieses feurige Suchen würde in ihr stets eine frische, unerschöpfliche Quelle unerwarteter Seligkeit finden.

*

Folgendes Wort in einer Komödie, das man der Leichtfertigkeit zeihen möchte, scheint mir Aufmerksamkeit zu verdienen:

Die Dame: Aufrichtig, wird dein Herr mir seine Liebe bewahren?

Der Kammerdiener: Ach, Madame, er hat geschworen, daß, so lange Sie neue Reize entwickeln, seine Liebe ewig neu bleiben wird.

Aber die Dame konnte antworten: Weshalb nicht? Wenn er treu ist, nicht wie ein Dummkopf mit monotoner Beharrlichkeit, sondern mit erfinderischer Liebe, die unersättlich darnach ist, die geliebte Frau immer tiefer zu erfassen, so kann sie, reich wie das Meer, verschwenderisch wie die Elektrisiermaschine mit Funken, seine Erwartung übertreffen. In ihr ist die strahlende Iris der Grazien, der Leidenschaft, des verschönenden Verlangens, des reizenden Sträubens. Welche Grenzen hat ihre Macht. Keine, als die der Natur. Sie ist die Natur.


 << zurück weiter >>