Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

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IX. Von der geistigen Befruchtung.

»Das Kind darf nicht kommen, bevor nicht seine Wiege schicklich hergerichtet ist.«

Das will sagen, es ist nicht wünschenswert, daß die Vereinigung zu früh fruchtbar sei, sondern daß die Frau, die ja selbst die erste Wiege des Kindes sein soll, sich von der Aufregung ihrer neuen Situation erhole.

Sie muß eine Frist zwischen diesem Drama und jenem Drama haben. Die Hochzeit, die in euren Augen ein so angenehmes Ereignis war, ist für sie eine Prüfung gewesen und zu oft dauert diese Prüfung noch fort. Laßt sie zu Atem kommen. Gönnt ihr eine Zwischenzeit der Ruhe, in welcher dieses zarte Leidenswesen ohne die Dornen des Anfangs und ohne die Unbequemlichkeiten der Schwangerschaft auch einmal einen Augenblick ungetrübten Glücks genießen kann.

Und übrigens ist dieser Augenblick sehr notwendig, sehr kostbar. Denn jetzt soll sich eure geistige Ehe, die kaum begonnen hat, wirklich vollziehen. Jetzt wird deine Frau, innig mit deinem Gedanken vertraut, und ihrerseits darüber träumend und brütend, ohne daß sie selbst es weiß, das neue Wesen vorbereiten, welches kommen soll, und welches ja nur dieser Gedanke in dem Schöße der lieben Träumerin ist, in der eure Liebe zu Fleisch und Blut wird.

Du glaubst diese Vereinigung schon erreicht zu haben? deine Frau zu besitzen? Wie weit bist du noch davon entfernt!

Besitzen? Nicht eine oder ein paar Nächte können dir das Recht einräumen, dieses Wort anzuwenden.

Besitzen? selbst nicht einmal jene Verblendung der Liebe kann dir ihn geben, welche bewirkt, daß sie alle Ideen ihres Geliebten, sie mögen ihr noch so fremd sein, gelten läßt und alles leicht glaubt, was er ihr auch sage.

Wirklich, die Sache geht nicht so schnell. Von zwei verschiedenen Welten ausgehend (fast immer ist sie von ihrer Mutter in reaktionären Gedanken erzogen worden), könnt ihr nicht in einem Augenblick zur Vereinigung gelangen. Die alten Vorurteile, mit denen man sie großgezogen hat, von denen sie sich befreit zu haben schien, können eines Tages wieder erwachen, um euch zu scheiden. Dein Stolz sagt, nein. Sie, die im Grunde liebevoller ist, und ihre Liebe so heilig hält, und sie so gern bewahren möchte, sie dringt mit einem glücklichen Instinkt darauf, die Vermählung der Seelen inniger und immer inniger zu machen.

*

»Ich arbeite dir zur Seite und sehe dich arbeiten. Aber das ist nicht genug für mich. Das, was du thust, ist mir ein Rätsel und ich möchte dich begreifen. Ich fühle, daß du während dieser Stunde mich, obgleich ich gegenwärtig, vergissest, und daß ich fast beständig aus deinen Gedanken verbannt bin ... Das schmerzt mich. Und warum kann ich nicht an deiner Arbeit teilnehmen, dir helfen? Das würde mich so glücklich machen!

»Aber wie wenig bin ich dazu befähigt! Weit entfernt, deine Gedanken begreifen zu können, vermag ich nicht einmal meine eigenen zu enträtseln. Wenn du in mich dringst, dir mein Herz zu öffnen, kann ich kein Wort finden ... Dann beklagst du dich und hältst mich für kalt ... Ach, und wie mit Unrecht! ... Ich weiß nicht, welcher Zwang, welche Fessel mir aus meiner Vergangenheit geblieben ist. Fehlt mir der Geist, oder pressen sich meine Zähne nur so zusammen? aber zu sprechen vermag ich nicht ... Sprich du zu mir, der du so gut sprichst; befreie mich von mir selbst; unterrichte mich, gieb mir eine Seele.«

So ungefähr spricht die junge, intelligente Gattin. Sie hat den ernstlichen Wunsch, sich mit ihm zu vermählen, und das auf zweierlei Weise, wenn es geht.

Sein technisches Leben, die spezielle Kunst, Wissenschaft, das Handwerk, welches er treibt, würde sie nicht zurückstoßen. (Eine hat secieren helfen; eine andere astronomische Tabellen kopiert u.s.w.)

Aber es ist vor allem das eigentliche Geistesleben ihres Gatten, die höchsten, allgemeinsten Ideen, die sie zu begreifen und sich anzueignen wünscht. Sie will seinen Glauben, seine Philosophie.

Da ist sie nun, deine gelehrige Schülerin. Glückliches Verhältnis! herrliche Güter der Natur! Diese junge Seele beklagt sich nur darüber, daß sie nicht genug unterworfen, daß sie nicht genug die deine ist. Mit Geist und Herz erbietet sie sich zu allem, was du willst. Ihr höchster Ehrgeiz ist, sich hinzugeben, dir nur immer mehr zu gehören.

*

Nichts ist süßer, als einer Frau zu lehren. Sie bildet einen vollkommenen Gegensatz zu der Ungelehrigkeit, der geheimen oder offenen Widerspenstigkeit des Kindes. Ruft ein Kind zu seiner Lehrstunde; es läuft davon, was es laufen kann. Sie verfrüht sich womöglich, sie ist eifrig, glücklich, unersättlich nach euren Worten, voller Glauben, und voller Achtung für die Kenntnis dessen, den sie liebt. Ja, wenn sie nicht das geliebte, das anmutige Wesen, die Freude des Herzens und der Augen wäre, sie würde durch ihre Gelehrigkeit allein die liebenswürdigste Schülerin sein.

Bemerkt, wie sie sich in der Sache gefällt, in dieser Rolle, die sie so jung macht. Sie ist entzückt, dies noch von euch entgegenzunehmen, wie eure Liebkosungen, wie alles, weil es von euch kommt. Sie ist empfindlich für den milden Zuspruch, das Lob, mit welchem ihr sie ermuntert; empfindlich gegen den Tadel. Sie läßt sich gern ein wenig schelten. Wenn ihr aber sehr streng seid, und sie: Madame nennt, so gerät sie in Verwirrung und ist dem Weinen nahe. Sie wirft sich an die Brust des Lehrers, das beendigt die Stunde. »Für heute war es genug, und wir lesen nicht weiter.«

*

Bei diesem reizenden Unterricht ist nur eines zu beklagen. Wollt ihr, daß ich es euch sage?

Es ist, daß sie oft gar nicht aufgemerkt, gar nichts verstanden, oder etwas ganz anderes verstanden hat.

Nicht, als ob sie nicht sehr intelligent, oft sehr geistreich wäre. Aber sie ist es unendlich mehr in allem, was ihr aus ihr selbst, weniger in dem, was ihr von anderen kommt.

Seltsam, daß ein Wesen, das von Natur so receptiv ist, geistig sehr schwer befruchtet wird, selbst wenn es noch so willig ist.

*

Der wunderliche Titel eines spanischen Buchs aus dem sechzehnten Jahrhundert hat mich oft nachdenklich gemacht: »Die sieben Festungswerke des Schlosses der Seele«.

Sieben? das ist nicht genug. Sie sind unzählig, diese Werke. Ihr erobert eins, oder zwei, und glaubt: nun sei alles gut und der Platz genommen ... Durchaus nicht, andere Wälle türmen sich dahinter auf, über die man hinweg muß. Und das Sonderbare an der Sache ist, daß es sich hier um einen Platz handelt, der nichts lieber will, als sich ergeben.

*

Das Hindernis liegt durchaus nicht in ihrem Willen.

Es liegt in ihrer Erziehung;

Es liegt in ihrer Natur als Frau;

Und besonders in deiner Ungeschicklichkeit.

*

Wenn die Erziehung des Knaben rauh ist, so ist die der Mädchen fast immer negativ und unfruchtbar. Ich spreche nicht von den weltlichen, verzogenen Mädchen, die mit fünfzehn Jahren Damen sind. Aber auch die, welche besser erzogen werden, läßt man, indem man in das andere Extrem verfällt, wie eine Pflanze im Keller aufwachsen. Dadurch bleiben sie oft gedrückt und linkisch. Es bedarf der Zeit, damit sie ein wenig Mut, Kraft und Selbstvertrauen gewinnen. Durch die Liebe und die Überzeugung des Geliebtseins kommt ihnen die Anmut zurück, und mit der Anmut die lebhafte Empfänglichkeit des Geistes. Sie werden wieder fähig, den Samen der Lehre in sich aufzunehmen, geistig fruchtbar zu sein.

*

Aber wie diesen Samen ausstreuen?

Es ist sehr selten, daß der Mann fühlt, was gerade für ein so gutes, ihm so verschiedenes Wesen paßt.

Entweder er predigt, hält lange Reden, ermüdet sie und sieht nicht, daß sie seinen Deduktionen nicht folgt, daß sie sich vergeblich zum Hören zwingt.

Oder er ist bescheidener, läßt sich aus dem Spiel, wünscht durch Lektüre, durch Bücher auf sie zu wirken, – und bedenkt nicht, daß das erste Buch, das wirklich für eine Frau geeignet wäre, noch erst geschrieben werden muß.

*

Es giebt nicht eins, das von Anfang bis zu Ende für eine junge Frau paßte. Man muß in den besten aussuchen, was sich am besten für sie schickt Das modifiziert sich ins Unendliche, je nach den Umständen und den Anlagen.

Die zu verschiedenartige und nicht sorgfältig abgemessene Lektüre hat auf sie den traurigsten Einfluß.

Sie sind weder durch ihre Konstitution, noch durch ihre Erziehung irgendwie vorbereitet, alle Arten von unverdauter Nahrung zu sich zu nehmen. Die Natur, welche sie für eine viel wichtigere und zartere Sache bestimmte, hat ihnen nicht jene rohe Kraft des Geistes gegeben, die Eisen, Steine, Gifte zermalmt und verdaut, aus allem Nahrung zieht und wie Mithridates von einer fortwährenden Vergiftung leben könnte.

Und wenn ich von Giften spreche, meine ich nicht einmal unmoralische Dinge. Ihre Reinheit würde sie zurückweisen. Ich spreche hauptsächlich von den durch ihre Nichtigkeit selbst ungesunden, von den gemeinen, unnützen Dingen, die den Geist prosaisch machen.

Der Mann ist zu der täglichen ermüdenden Arbeit verdammt, sich über tausend Dinge zu informieren, die Welt der Einzelheiten zu erschöpfen, alles zu wissen, alles zu untersuchen, bis in die schmutzigsten Kanäle der Erfahrung: aber daraus folgt nicht, daß er dahin auch das geliebte, heilige Wesen, welches ihm der Himmel selbst aufbewahrte, schleppen darf.

*

O, ein der Frau würdiges Buch! ... wo es finden? ein heiliges Buch, das zart und doch nicht entnervend wäre! ein Buch, das sie kräftigte, ohne sie hart zu machen, das sie nicht durch eitle Träume verwirrte! ein Buch, das sie nicht in die langweilige, drückende Wirklichkeit, in die Dornen des Widerspruchs und der Disharmonie schleuderte! ein Buch voll von dem Frieden Gottes!

*

Verschont mich hier mit eurem großen Streit über die Gleichheit der Geschlechter. Die Frau ist uns nicht nur ebenbürtig, sondern uns in vielen Punkten überlegen. Früher oder später wird sie alles wissen. Hier gilt es zu entscheiden, ob sie alles in dem Frühling ihrer Liebe wissen soll! ... O, wie viel würde sie dadurch verlieren! ... Jugendfrische und Poesie! will sie das alles von vornherein wegwerfen! ist ihr so viel daran gelegen, alt zu sein!

Es ist ein Unterschied zwischen Wissen und Wissen. Das Wissen der Frau muß zu jeder Zeit ein anderes sein, als das des Mannes. Es ist weniger die Wissenschaft, was ihr notthut, als die höchste Blüte des Wissens, seine lebendige Quintessenz.

Wir leugnen durchaus nicht, daß eine junge Frau, streng genommen, alles lesen und kennen lernen darf, alle Prüfungen bestehen mag, die der Geist des Mannes durchkämpft, und trotzdem tugendhaft bleiben kann. Wir behaupten nur, daß ein durch die Lektüre der Romane um seine Frische gebrachter Geist, der gewöhnlich von dem Alkohol der Theater, von dem gebrannten Wasser der Gerichtssitzungen lebt, nicht geradezu korrumpiert, aber vergröbert, gewöhnlich und gemein werden wird, wie der Pflasterstein. Dieser Stein ist ein guter Stein. Man brauchte ihn nur zu zertrümmern, um zu sehen, daß er drinnen weiß ist. Aber das hindert nicht, daß seine Oberfläche bejammernswert unsauber ist, überall von demselben Anblick, wie die Gosse der Straße, deren Schmutz ihn überspritzt.

Ist dies nun, Madame, ein Ideal, welches Sie für die wünschenswert halten, die der Tempel des Mannes, der Altar seines Herzens sein soll, von wo er alle Tage die Flammen der reinen Liebe forttragen kann?

*

Wohl, geben wir der Frau alles; ich habe nichts dagegen. Aber lassen wir ihr daneben eines:

Lassen wir ihr ihre Frische und Reinheit; ihren Reiz als junge Gattin, die erste Blume der Jugend und der moralischen Jungfräulichkeit. Lassen wir ihr das, ich bitte euch, und lassen wir ihr es so lange wie möglich.

Welchen Ersatz könnte man ihr dafür bieten? Welcher Schatz menschlicher Weisheit könnte sie dafür entschädigen, daß sie aufgehört hat, ein Traum des Paradieses zu sein?

Und das verfliegt so schnell, und morgen wird es nicht mehr sein. Sie ist noch immer gut und schön, tugendhaft und gebildet, ich glaub' es wohl. Es fehlt nur ein Etwas, ein Hauch, den ein Hauch zerstört ... es fehlt der Duft der Seele.

*

Ihr habt gewiß oft auf der duftenden Pfirsich, der Nebenbuhlerin der Rose, jenen seinen, zarten Flaum bemerkt ... Wohl, das ist es nicht. Das ist noch zu materiell, dieser leichte Flaum läßt sich fassen, abwischen.

Ich meine etwas anderes, das sich der Prüfung entzieht, einen weißlich schimmernden Reif, von dem der dunkle Purpur einer saftigen Frucht eingehüllt ist. Rührt nicht daran, haltet euch in der Entfernung; denn der leichteste Hauch nimmt schon die Frische weg.

Dies ist der einzige Gegenstand, dem ich die innere Jungfräulichkeit, welche die junge Gattin im Heiligtum ihres Herzens bewahrt, vergleichen möchte – den Duft, der dieses reine, gute, zärtliche Herz umhüllt.

*

Ist dieser Duft eine Blume, eine Anmut, ein Reiz der Schönheit, der unsern Geist bezaubert? O, er ist mehr. Er beschützt und bedeckt, was die stärkste Stütze des Manneslebens sein wird, eine Frucht von Zärtlichkeit, unendlicher Güte, eine Frucht der Jugend und der unerschöpflichen Lebenskraft.

Der Mann muß das Unglück, die Widerwärtigkeiten des Lebens durchmachen, er muß die Steppen durchmessen, die Wüste dieser Welt, muß über Felsen, Steine, Kiesel schreiten, die oft seine Füße blutig machen werden. Aber jeden Abend wird er neue Lebenskraft aus dieser süßen, mit dem Thau des Himmels erfüllten Frucht trinken; jeden Morgen wird er sich beim Sonnenaufgang gestärkt und erquickt erheben.

*

Das muß man bewahren.


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