Jules Michelet
Die Liebe
Jules Michelet

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV. Die Welt. Ist der Wert des Mannes gesunken?

Das Haus ist nicht mehr das kleine Haus, welches wir zu Anfang geschildert haben. Es hat sich durch die Macht der Verhältnisse vergrößert. Die Kinder, die Verbindungen, die Geschäfte, die Interessen haben die Existenz in jedem Sinne erweitert. Trotz ihrer herzlichen Einigkeit sind unsere Gatten doch gezwungen, dieses gefährliche Dritte, welches sie auszuschließen strebten, die große, fremde, unbekannte Welt, anzuerkennen. Freilich, man mußte sich in einen größern Kreis mischen, wo sich die Thätigkeit des Mannes frei entfalten konnte. Endlich vielleicht, und das ist das Schlimmste, sind unsere Gatten durch eben diese Thätigkeit, oder durch den bloßen Verlauf der Zeit, durch Erbschaft u. s. w. reich geworden.

Bedenkt, daß in Frankreich gerade das fehlt, was die Grundlage des englischen Lebens ist und was dort die Familie wirklich zu einer Familie macht; ich meine die Thür und der Riegel daran. In unserm Lande existiert beides nicht. Dort ist die Einsamkeit, eine freie, gern gesehene Einsamkeit, die Regel; hier ist sie die Ausnahme, etwas Besonderes und sehr selten. Ohne vorgestellt, empfohlen zu sein, hat jeder Mensch, auf sein bloßes Menschsein hin, freien Zutritt. Die Inschrift, die man, ohne daß sie dort geschrieben zu stehen brauchte, über jeder englischen Thür liest, heißt: »Ich kenne dich nicht.« Über der französischen liest man: »Haben Sie die Güte, einzutreten.«

Dieses schöne Vertrauen, welches der Nation zur Ehre gereicht, hat eine schlimme Folge. Diejenigen, denen man den Zutritt nicht gestattet, glauben, daß man nur mit ihnen eine Ausnahme macht, und werden Feinde. Diejenigen, welche man mit einiger Zurückhaltung, mit einer natürlichen, gerechtfertigten Vorsicht zuläßt, werden noch gefährlichere Feinde, weil sie, in die Festung aufgenommen, doppelt verderblich werden können. Sie bringen das trojanische Roß mit hinein.

Die am meisten Verletzten, die Feindlichsten, sind gewöhnlich die Verwandten, welche, ohne die geringste Verbindung in Ideen und Gefühlen, nichtsdestoweniger auf Vertrauen Anspruch machen. Die Frau, die, mit ihrem Gatten so innig verbunden, nur ihm ihre Gedanken mitteilt, kann sicher sein, alle Frauen der Familie gegen sich zu haben. Mutter, Schwestern, Cousinen – alle sind ihr feindlich gesinnt, und führen einen Guerillakrieg gegen sie. Ihre Jugendfreundinnen, welche die alte Verbindung nie ganz aufgaben, wünschen ihr nichts Gutes und vergeben ihr nicht, daß sie sich sicher auf der geraden Straße hielt. Wenn sie nicht mit ihr brechen, so geschieht es einzig deshalb, um dieses eigentümliche Haus, diese seltsame Person beobachten zu können; sie hoffen stets, daß früher oder später auch sie sich schwach zeigen, und dann um so abhängiger werden wird, als sie vorher tugendhaft war. Sie muß aufs Äußerste das böse Gerede, den Lärm fürchten, und so wäre sie die Sklavin der guten Freundinnen, die sich ihres Geheimnisses zu bemächtigen wußten.

Man findet sie noch immer naiv, jung im Herzen (das Kind hatte sie ganz absorbiert), sehr harmlos trotz ihrer achtundzwanzig Jahre; dennoch verzweifelt man nicht daran, sie einmal schwach zu sehen. Dazu bedarfs der Gewandtheit, vor allem der Geduld, wie auf der Jagd, der geduldigen Schlauheit des Wilden. Mit diesen löblichen Eigenschaften können die Neidischen aufwarten. Auf die Zeit kommt es ihnen nicht an, wenn sie nur auf die Länge ein wenig weiter gekommen sind.

Vorläufig in ganz unschuldigen Dingen. In einer harmlosen Unterhaltung über Modesachen berührt man gelegentlich noch einiges andere. Man läßt so im Gespräch, ganz unbedacht, ein Wort über den Gatten fallen, macht seinen kleinen Scherz über diese oder jene kleine Schwäche, und erschüttert so den Glauben der Frau, die bis zu diesem Momente, wenigstens aus Gewohnheit, blind war und ihn beinahe für vollkommen hielt.

*

Er läßt es an Grund zur Klage nicht fehlen. Es ist nicht zu leugnen, daß der Mann in der Mitte des Lebens (achtunddreißig Jahre will ich sagen), der von den Geschäften in Anspruch genommene, an seinen Beruf gefesselte, in seiner Laufbahn sehr einseitig gewordene Mann, auffallend an Wert verloren hat.

Er hat seine Thätigkeit begrenzt, seinen Geist konzentriert, er ist stärker, aber nicht mehr harmonisch. Die Schönheit, die er mit zwanzig, fünfundzwanzig Jahren hatte, wo sein Geist, sein Herz sich noch für alles interessierten, und sich für alles erwärmen konnten, diese jugendliche Größe, die in den Augen seiner Frau ihn gerade so verführerisch erscheinen ließ – hat er sie bewahrt? Ich zweifle daran. Warum wurde er geliebt? Weil sie in ihm das Unendliche sah. Aber gerade die Kraft der Einseitigkeit, die ihm allein in seinem Berufe, seiner Kunst oder seiner Wissenschaft Erfolg verschaffte, hat ihn beschränkt, hat ihm die Unendlichkeit, diese große Illusion der Liebe, geraubt.

Dies ist ein Geständnis, das wir den Frauen schuldig waren. Es ist nur zu wahr, der Mann hat an Wert verloren. Nur zu wahr. Er war ein Mann, als sie ihn liebte; zehn, zwölf Jahre später ist er ein berühmter Advokat, ein ausgezeichneter Arzt, ein großer Architekt – das ist schön; aber für die Frau war es unendlich schöner, als er ein Mann war, das heißt, alles, als sein Gedanke die Welt umfaßte, seine Hoffnung keine Grenze kannte, er über den Dingen schwebte.

Aber jetzt möge auch die Frau, die das Glück hienieden spendet, uns gerecht richten. Was wäre aus dem Mann geworden, wenn er aus seiner luftigen Höhe nicht herabgestiegen wäre, die Wirklichkeit zu erfassen.

Sie mögen richten. Aber ein großer Geist verwirft sie. »Die Frau«, sagt er, »kann nicht gerecht sein.«

Sie ist ganz Liebe, es ist wahr; die Liebe, so scheint es, ist Gunst, willkürliche Gnade. Indessen, wer möchte bestreiten, daß es auch in der Liebe eine großmütige Anerkennung, ein zärtliches tiefes Mitgefühl für die Anstrengung des Willens, die Würde der Arbeit, welche den verdienten Erfolg möglich macht, giebt? Welche Frau hat kein Gefühl für den Ruhm?

Selbst für den relativen Ruhm. Er existiert für das Handwerk so gut wie für die Kunst. Er ist in dem kleinsten Kreise eben so bemerkbar, wie in der weiten Sphäre der Nation oder der Menschheit. Die Frau empfindet ihn sehr lebhaft, interessiert sich ausnehmend für ihn, läßt sich gern durch ihn rühren. Sie leidet nicht, daß man am Ruhme ihres Gatten zweifle. Und wenn er ein Hufschmied wäre, so wagt es nicht, in ihrer Gegenwart zu behaupten, daß er nicht der beste Hufschmied sei.

Sie wollen also den Ruhm, Madame, den Erfolg, wollen, daß dieser Mann sich durch Werke auszeichne, die allein seine Kraft bekunden. Nur geben Sie sich nicht immer Rechenschaft von den sehr schwierigen Bedingungen, den hartnäckigen, manchmal gewaltsamen, äußersten, und ich möchte sagen verzweifelten Anstrengungen, durch welche man den Erfolg erkauft.

Von diesen Bedingungen ist für den Mann die härteste, daß er durch die Anstrengung an dem Organe, dessen er sich zumeist bedient, gezeichnet wird. Wer das Eisen hämmert, und wäre er ein Genie in seiner Kunst, und wäre er ein Gott, wird unfehlbar eine zu hohe rechte Schulter bekommen. Was wollen Sie dagegen thun? Verbieten Sie ihm nur zur rechten Zeit sein Handwerk.

Und wer in irgend einer andern Art schmiedet, wird auch das Zeichen seines Handwerks, irgend eine moralische oder physische Deformität zu tragen haben. Das Schlimmste ist, daß die brachliegenden Kräfte verkommen. Wenn der Künstler sich davor nicht hütete, immer nur den Teil forcierte, der kolossal wird, und die andern verkrüppeln ließe, so könnte er schließlich ein Ungeheuer werden, – freilich ein erhabenes Ungeheuer.

*

Der antike Mensch blieb schön und stark, und für ihn war der Fortschritt der Zeit ein Fortschritt der Schönheit. Ulysses kehrt im fünfzigsten Jahre von Troja heim, kehrt heim von einer langen, fürchterlichen Seereise, auf der er so viel gelitten hat, und er ist derselbe Ulysses, so ganz, daß er allein den Bogen spannt, den die jungen Freier kaum zu heben vermögen. Seine Penelope erkennt ihn an seiner Stärke und an seiner majestätischen, durch das Unglück gereiften Schönheit. Wie ist das möglich? Er hat sich durch den energischen Gebrauch aller seiner Gaben erhalten. Er ist der harmonische Mann geblieben, der zu dem Kriege gegen Troja auszog.

Und nun nehmt den modernen Mann, wer er immer sei, von der besten Geburt, mit den vortrefflichsten Gaben ausgestattet, groß durch Genie, durch Willenskraft. Er sieht sich im zwanzigsten Jahre einer ungeheuren, furchtbaren Maschine gegenüber, mit Abteilungen und Unterabteilungen für Künste, Wissenschaften, Professionen, durch die er hindurch muß, wenn er es zu Etwas bringen will. Der Zweck des Lebens ist nicht mehr derselbe. Ullysses war zum Handeln geboren, er handelte und blieb schön. Dieser Mann ist zum Schaffen geboren, die Specialität absorbiert ihn, das Werk ist schön, und der Künstler läuft Gefahr, häßlich zu werden.

Habt deshalb Mitleid mit ihm, ihr Frauen!

Bringt diese ungeheure Anstrengung in Rechnung. Und wenn wir dabei verlieren, das Menschengeschlecht aber gewinnt, so sehet das Werk an, und etwas weniger den Künstler.

Ihr gebet bereitwillig eurem Kinde von eurer Schönheit. Nun wohl! Wir geben unsere Schönheit diesem Werke, unserm intellektuellen Kinde, aber ach! beinahe immer zu reichlich und ohne etwas für uns zu behalten.

*

Was wäre es nun, wenn wir blieben, was wir waren, schön durch unsere allseitige Fähigkeit, durch unsere glänzende Beweglichkeit, auf der leuchtenden Schwelle der Wissenschaften, ohne jemals in ihre dunkeln Tiefen zu dringen? Wir blieben, nicht der antike Mensch in dem schönen Gleichmaß des Ulysses, sondern der angenehme universelle Mann, der in allen Sätteln fest ist, blieben das, was das Jahrhundert Ludwig's XIV. bewunderte und empfahl, was man » l'honnête homme« nannte. Das war der Edelmann, der an nichts Hand anlegte, aber darauf versessen war, gut und fein zu urteilen. Wir würden das heute einen gebildeten Dilettanten nennen. So sind die Helden Molières, Philinthe und vielleicht auch Clitendre.

Ein vollendeter Salonkönig, ein Kenner in allen Dingen, von den Damen gern gesehen, um sein Urteil befragt, bewundert. Er versteht sich auf alles im Allgemeinen. Er gefällt ihnen, weil er ihnen gleicht. Sie wissen und thun alles (wenn sie etwas thun) im Allgemeinen. Sie bleiben auf dem Standpunkte des Liebhabers, denn sie haben nicht die Kraft, die Werke tiefen Ernstes, die Meisterwerke herkulischer Anstrengung zu begreifen.

Wir hüten uns wohl, von ihnen diese fürchterlichen Arbeiten, welche nur durch das Märtyrertum der Kunst möglich werden, zu verlangen. Ihr Ruhm liegt in den lebendigen Werken, die über alle Kunst erhaben sind; von ihnen kommt der Funken, der uns zu unsern Werken entflammt.

Mit den Männern ist es etwas anderes. Unsere Zeit würde nicht zufrieden sein, wenn sie Philinthe oder Clitendre blieben. Der moderne Mann, dieses gewaltige Wesen, muß ohn' Unterlaß zeugen.

Aber wenn die Frau nur mit Schmerzen gebiert, wenn sie neun Monate leiden, und manchmal zwanzig oder dreißig Stunden schreien muß, – so verlangen die großen Werke des Mannes oft neun Jahre, zwanzig Jahre. Und wieviel erstickte Seufzer, wieviel unterdrückte Klagen! Das Hah! des Zimmermanns, der Ruf, der dem Hiebe der Axt die rechte Kraft giebt, – wir rufen ihn alltäglich, allstündlich.

*

Sie lieben die Energie und die großen Resultate, den Anfang und das Ende, aber da sie den Weg, der zum Ziele führt, nicht ebenso kennen, weder die notwendige Zeit noch die Kontinuität der Anstrengung zu schätzen wissen, und wähnen, daß sich alles durch geniale Sprünge, durch glückliche, liebenswürdige Zufälle erreichen lasse, so haben sie nur für die Erfolge des Improvisators Sinn. Ein glücklicher Advokat, der ihnen jeden Abend einen Erfolg mit nach Hause bringt, ein glänzender Journalist, der sie mit seinem Kunstfeuerwerk blendet, – das sind die Leute, die sie lieben. Aber in großen Dingen verlangt selbst die Improvisation Zeit, und viel Zeit. Michel Angelos Improvisation, die rapid genug war, um für die Ausmalung einer ganzen Kirche hinzureichen, kostete ihm sechs oder sieben Jahre unausgesetzten einsamen Studiums.

Bedenkt, daß es eine zu häufige Wirkung großer Arbeiten und großer Anstrengungen ist, den Arbeiter stumm zu machen. Wer handelt oder schafft, schwatzt wenig. »Thaten, und keine Worte.« Die glänzenden Gaben, die man vielleicht besaß, so lange man sich an der Oberfläche hielt, verliert man in der ernsten, gebieterischen Arbeit, welche jede Kunst verlangt, sobald man Resultate will. Der elendeste Schwätzer kann dem tiefsinnigsten Erfinder den Rang ablaufen, und ihn zum Schweigen bringen. Ich habe manchmal das seltsame Schauspiel gehabt, zu sehen, wie ein Fant in einem Kreise lachlustiger Damen einen armen genialen Mann, einen von den wenigen, die dem Jahrhundert ihren Namen aufdrücken werden, meisterte und belehrte, ihn über seine eigne Kunst zurechtsetzte, ihn aufforderte gründlicher zu studieren.

*

In den eigentlichen Geschäften ist es noch schlimmer. Nichts von Geschäften in der Gegenwart einer Frau. Sie selbst will die eigentliche, wesentliche Angelegenheit sein, und jede andere ist ihr verhaßt. Sie weiß beinahe nie den Geist, das Talent, die großen Fähigkeiten zu schätzen, die oft in der Behandlung der Geschäfte entfaltet werden. Sie will von alledem nichts wissen. Beim ersten Worte, das man von seinen Projekten, seinen Arbeiten, von dem, was man für die Familie thut und hofft, fallen läßt, gähnt sie oder wendet sich ab. Mit einem Worte, sie wollen reich sein, aber die Mittel dazu wollen sie nicht.

Was soll der Mann thun? Er arbeitet oft nur ihrethalben. Mancher könnte bei seiner Genügsamkeit und Freiheit von kostspieligen Neigungen, wie so viele andere, in jener unabhängigen, leichten Lage, die man in Frankreich so sehr liebt, verharren. Seine Heirat, sein beträchtlicherer Hausstand, die Kinder haben ihn an die Arbeit gefesselt, an die undankbare Arbeit, von der er nicht einmal sprechen darf. Sie kommt und geht, müßig und die Nase rümpfend, während er sich in der Arbeit aufreibt, allein in Wahrheit, und die Dornen des Lebens für sich allein behaltend.

*

Wie kommt es, erlaube ich mir zu fragen, daß die Romane, die den Anspruch machen, ein treuer Spiegel unserer Sitten zu sein, nie ein Wort von alledem sagen? Warum sind alle die Leute, die man dort sieht, Ehemänner, Liebhaber, gleichviel, Müßiggänger, die ohne Zweifel von ihren Renten leben? Warum nehmen die Damen und Herren Autoren für gewöhnlich zu ihren Helden Taugenichtse, man verstatte mir diesen derben und gerechten Volksausdruck, Faulenzer und Leute, die in der Wolle sitzen? Warum? weil sie bei all ihren langen demokratischen Diskursen eine Schwäche haben für die Leute comme il faut, für die Menschenspezies, Adel genannt.

Ich sehe mit Bedauern in unserer Zeit soviel Genie auf diese traurige Gattung des Romans verschwendet, soviel Talent dazu verwendet, unsere Wunden zu sondieren und zu verschlimmern. Der Roman hat uns gelehrt, uns selbst zu beweinen: er hat die Geduld erschöpft. Er hat bewirkt, daß die moralischen Schäden und Gebrechen, die gewissen Klassen eigen sind, verallgemeinert wurden. Von sechsunddreißig Millionen Franzosen hatten fünfunddreißig nicht die mindeste Ahnung von allem, was diese großen Künstler geschildert haben.

Übrigens ist diese krankhafte Litteratur auf die gesunden Seelen nur von geringer Wirkung. Sie macht nur die noch kränker, die schon krank sind. Sie ist für die kleine Häuslichkeit, mit der wir uns beschäftigen, nicht eben gefährlich. Die junge Frau, die nicht in der ersten Jugend schon durch die mystische Poesie und die religiöse Zweideutigkeit eine Frühreife erlangt hat und verdorben und überreizt wurde, ist nicht zur Romanlektüre vorbereitet. Eine gesunde, keusche und starke Liebe, dann die Mutterliebe, zwei mächtige Tugendwächter, haben sie vor der Ansteckung bewahrt. Sie hätte Balzac nicht verstanden, oder ihn mit Unwillen weggeworfen. In seinem Buche von der Ehe, das er selbst ein Skelett nennt, würde sie einen Leichnam erblickt haben.

Durch Niedrigkeit gewinnt man sie nicht. Die Freundinnen, die an ihr herumspüren und sie gern zu Fall bringen möchten, verfehlen nicht, ihr ein Buch der Sand heimlich zuzustecken. Was findet sie darin? daß der Liebhaber nicht mehr taugt als der Ehemann. Der Ehemann ist oft unwürdig in ihren Büchern, aber der Liebhaber ist stets erbärmlich. Was sage ich: infam, verächtlich, verabscheuenswert! Raimund, welcher der armen Indiana seine Thür verschließt; Indiana, ohne ein anderes Obdach als den Tod, umherirrend – stärkeres ist doch wohl nie geschrieben, um vom Ehebruch abzuschrecken.

Indessen darf man in dem schmerzensreichen Werke dieser großen Schriftstellerin kein Kapitel vereinzelt betrachten. Man muß das Ganze vor Augen haben. Der Gatte zeige das seiner Frau, und erkläre ihr die leitende Idee. Es ist im allgemeinen ein historisches Denkmal der Schwäche unserer Zeit, eine heftige Anklage der Verflachung der Charaktere (in unsern vornehmen Klassen). Eine für das Große geborene und zu großen Ansprüchen berechtigte Frau hat nach starken Charakteren gesucht und keine gefunden. Sie hat laut gesagt, was alle denken, daß der Wert des Mannes (Gatte, Geliebter, gleichviel) abgenommen hat, daß ihnen ein solcher Mann nicht genügt.

Wenn ihr keine Lust habt, auf diesen an euch ergangenen Ruf zu antworten und eure Energie zusammenzunehmen, so habt ihr allen Grund, euch vor diesen Büchern zu fürchten. Aber die Männer, die alle Tage in Thaten und Gedanken ihre Kraft beweisen, die das neue Leben schaffen, oder ihres aufs Spiel setzen, fürchten sich vor den Romanen nicht. Sie wissen sehr wohl, daß ihre Frauen den ganzen Tag die vortrefflichen Schilderungen lesen können, die Madame Sand von den Ehemännern gemacht hat, und sie dennoch nicht in den Gemälden wiedererkennen werden, die ihnen nicht gleichen.

Ich schreibe dies in der Stadt der schönsten Frauen Frankreichs. Ihre Männer verlassen sie allnächtlich, um auf den Fischfang zu gehen. Überdies fahren sie noch alle Jahre auf sechs Monate nach Neufoundland, wo viele von ihnen umkommen. Nun wohl, in dieser Stadt weiß man nichts von unehelichen Kindern, nichts von Ehebrechern, nichts von galanten Abenteuern. Spricht man einmal ein wenig über eine Frau, und das unter achtzehntausend Seelen, so ist es in den reicheren Klassen und über eine aus der Bourgeoisie.

Außerordentlich mäßig, sind sie dennoch von üppigen Formen, von einer großartigen Schönheit, von starker, zu Männerwerken tüchtiger Hand. Abends klopfen sie Flachs, Tags laufen sie auf den Felsen in einer unerschrockenen Nacktheit, die einen Maler entzücken würde. Und dabei scheinen sie nicht zu wissen, daß ein Herr nebenbei auch noch ein Mann ist. Sie baden ihn, wenn's sein muß, wie sie einen Säugling baden würden. Sie würden sich gegen einen Feind vortrefflich schlagen, wie es ihre Mütter denn schon gethan haben, welche mit unbewaffneten Händen Engländer gefangen nahmen.

Hier giebt es keinen Roman. Die Poesie des Ozeans reicht vollkommen aus; er spielt ihnen nur zu viele Trauerspiele. Aber, das versichere ich euch, alle Romane der Welt können ruhig hieher kommen. Die Männer werden sie ihren Frauen gern gestatten, denn zwei Umstände schützen sie. Der eine, wie man hinreichend in der Stadt an den zahlreichen Witwentrachten sieht, ist die Idee des Todes, die Idee der Gefahr, die man dort läuft; das läßt das Herz nicht niedrig werden. Der andere ist die Kraft, die Überlegenheit des Mannes, der alle Tage mehr Gefahren besteht, als der Soldat je zu bestehen hat. Daraus resultiert eine vollkommene Sicherheit. Sie wissen, daß ihre braven Ehehälften sich nicht täuschen lassen und die rechten Männer sehr wohl herausfinden können.

Dieser originelle Ort, wo der mächtige, frische, heilsame Meerwind den Menschen Heroismus ins Herz weht, ist der Ort, wo England und die Vendée zusammentreffen, – Granville, seit 93 mit Recht la Victoire genannt.


 << zurück weiter >>